altRan an die Schmerzgrenzen

von Harald Raab

Mannheim, 26. Februar 2012. Das Kleist-Jubiläum zum 200. Todestag haben wir hinter uns. Das Ergründen des vielschichtigen Kleistschen Vermächtnisses aber wohl immer noch vor uns, trotz diverser Käthchen von Heilbronn, Arm in Arm mit einer Schwadron Prinzen von Homburg in vielen Hermannsschlachten auf deutschsprachigen Bühnen im vergangenen Jahr. Das Mannheimer Nationaltheater setzt die Kleist-Exegese fort mit Michael Kohlhaas. Der Text ist  vom Dichter nicht als Bühnenwerk geschrieben, sondern als Erzählung. Deren Dramatisierung ist fraglos eine Herausforderung für die junge deutsche Regie-Hoffnung Simon Solberg. Er hat sie mit sinnlich prallen Bildern und Action bis an die Schmerzgrenze bravourös komödiantisch und doch hochsensibel und intelligent gemeistert.

Wie geht man mit diese schwerfüßigen Sprache, mit ihren verschachtelten Satzgebilden um? Wie mit der Story, halb Räuberpistole, halb Aufklärungsepistel und obendrein verkappte Kritik an der Unfähigkeit Preußens, den Volksheeren Napoleons und seiner modernen Staats- und Justizorganisation etwas entgegenstellen zu können? Kleist, dem verabschiedeten Leutnant und gescheitertem Beamten ging es um nichts weniger als um die Frage des staatlichen Gewaltmonopols und der offenkundigen Schwächen von Regierung und Administration Friedrich Wilhelms III. Darf in finsteren Zeiten der einzelne die Durchsetzung seines guten Rechts selbst in die Hand nehmen, in die Fehde des Mittelalter à la Sachsenspiegel zurückfallen?

Rächer der Enterbten

Noch immer oder schon wieder eine hochaktuelle Fragestellung: Tugendterror von Islamisten und anderen Heilsbringern weltweit, Neonazi-Mörder bei uns, die Rigidität der Wutbürger, der egozentrische Freiheitsbegriff der globalen Netzaktivisten. Auch wir sind in einer Wendezeit. Die Karten werden neu gemischt: Wie viel Gewalt darf/muss dem Staat zugebilligt werden? Wie viel Freiheit dem einzelnen, seine Interessen durchzusetzen? Wo endet sie?

In einer Zeit des Generalverdachts und der totalen Skandalisierung in allen öffentlichen Belangen wird bis zum letzten Komma Recht gefordkohlhaas1 560 hans joerg michel hKohlhaas © Hans Jörg Michel ert, ist dort, wo zweifellos Unrecht geschehen ist, Vergebung aus unserem Wortschatz gestrichen. Vergessen ist das Bibelwort, das die Kohlhaasin ihrem Gatten als Lösung des Unrechtsknotens vergebens rät: "Vergib deinen Feinden, tue wohl auch denen, die dich hassen!"

Kohlhaas, dem ein übermütiger Junker zwei Rappen konfisziert, sie im Felddienst zuschanden macht und dem bei der Obrigkeit nicht Gerechtigkeit widerfährt, stilisiert sich zum Rächer der Enterbten, zum Sendboten des Erzengels Michael gar. Der Tugendterrorist bereitet sich und allen, die in seine Selbstjustiz geraten die Hölle auf Erden. Robespierre, Lenin, Pol Pot, die RAF-Truppe, Bin Laden lassen grüßen.

Abstand, Subtext, Video

Es beginnt bei der Mannheimer Uraufführung als Comedy und endet als Tragödie. Solberg moduliert den Kleist-Text auf ein Bühnenspektakel, für das er sein Team alle Register ziehen lässt. So macht er die Dia- und Monologe frei von allem historischen Ballast. Jeder der Akteure übernimmt auch die Erzählerrolle. Der so erzeugte Abstand gibt der Sprache und der Ideenwelt der Kleistschen Figuren ihr sprachliches und gedankliches Gewicht zurück.

Ein weiterer Subtext läuft über Video: Erst das Ritterspiel mit Junker Wenzel und dem Rosshändler Kohlhaas in seiner Popeligkeit, dargestellt von Playmobil-Figuren. Dann ein Zusammenschnitt von Straßentumulten, Polizeieinsatz, Feuer, Gewalt, Inferno. Dazu das Tagesschauformat als Vernebelungsmaschinerie. Video ist hier wirklich einmal ein adäquates künstlerisches Mittel mit großer Suggestionskraft.

Martin Luther liest als Buddha die Leviten

Kongenial zum wüsten Geschehen die Bühne und Kostüme von Maren Greinke und Claudia Irro. Eine graue Stellwand mit Aufnahmestudio-Charakter, zwei Türen ein Regiefenster, ein Kühlschrank, der auch als Sarg eingesetzt wird, zwei breit ausladende Sessel mit getigerte Felldecken als Pferde, Plüschhündchen als Bluthunde: Ironisierung bis zum Abwinken. Infernalischer Krach und lodernder Feuerschein. Gewalt-Rap peitscht die Stimmung hoch. Motto: Macht kaputt, was euch kaputtmacht. An Zuschauer werden Protestplakate verteilt. Mitten drin die taktierende Obrigkeit, mal hilflos, mal verschlagen - mit einer Merkel-Karikatur als Bedenkenträgerin. Martin Luther liest in fünffacher Gestalt buddhistischer Mönche dem Mordbrenner Kohlhaas die Leviten. Dem Aufrührer wider die Obrigkeit wird die ewige Verdammnis prophezeit. In einer magisch-bizarren Voodoo-Szene wird dem frivolen Junker Wenzel ein böses Ende geweissagt.

Auf dem Höhepunkt seines heiligen Krieges: Kohlhaas als Inkarnation der Revolutionsführer aller Zeiten, besoffen von seiner agitatorischen Sprachgewalt. Vom Leben zum Tode befördert wird er schließlich nicht mit dem Richtschwert wie bei Kleist. Er zittert seine rechthaberische Existenz am elektrischen Stuhl aus – jedoch versöhnt mit der Staatsgewalt, die ihm vorher seine Pferde wohlgenährt zurückgegeben und den Junker Wenzel für zwei Jahre in den Kerker geworfen hat.

Exzeptioneller, denkwürdiger Einsatz

Gespielt wird mit rasantem Tempo, großen burlesken Gesten und akrobatischen Anforderungen. Dascha Trautwein, Thorsten Danner, Michael Fuchs, Matthias Thömmes und Johannes Schäfer bewältigen im fliegenden Wechsel die Vielzahl der benötigten Rollen. Nur Reinhard Mahlberg darf sich als Kohlhaas in einer Rolle entwickeln. Sie alle garantieren mit ihrem exzeptionellen Einsatz, dass dieser Kleist ein denkwürdiges Theaterereignis werden konnte. Hier ist einer der raren Beweise, dass der Umgang mit einem Text und seiner Umsetzung für die Bühne in Gemeinschaft aller Mitwirkenden Theater auf hohem Niveau zeitigen kann.


Michael Kohlhaas
von Heinrich von Kleist
Regie: Simon Solberg, Bühne: Maren Greinke, Kostüme: Claudia Irro, Sound: Kriton Klingler-Ioannides, Video: Serafin Bill, Dramaturgie: Stefanie Gottfried.
Mit: Thorsten Danner, Michael Fuchs, Reinhard Mahlberg, Johannes Schäfer, Matthias Thömmes, Dascha Trautwein.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Kritikenrundschau

Simon Solberg habe "die Ereignisse aus der Zeit der Bauernkriege des 16. Jahrhunderts mit viel Rap-Musik, Politiker-Geschwafel und turbulenten Action-Szenen auf modernen Terrorismus übertragen", schreibt Alfred Huber im Mannheimer Morgen (27.2.2012). "Das blutige Märchen Kleists wird so (...) zu einer bedrückenden Aktualisierung gezwungen, die den Zuschauer begreifen lässt, dass im Theater Schrecken nicht nur aufgeführt werden, sondern auch hautnah und lautstark erlebbar sind." Die Darsteller leisteten "physisch Großartiges". Ihr Spiel zehre "von der Kraft einer Vorstellung, die existenziell auch dann noch trägt, wenn die Freistilmischung der Regie mehr den Affekten als der Menschenkenntnis und dem Sprachsinn Kleists vertraut." Je länger die Aufführung dauere, desto deutlicher werde aber auch, "dass sich Solberg in ein reines Vernichtungsspiel verrennt, dessen Sogwirkung den Text Kleists, allemal schon durch Kommentare, Ergänzungen und Albernheiten bedenklich zerfasert, zusätzlich ausdünnt." Das sei schade.

Keinen Kleist, "nur einen Kleist-Schmarren", "einen dröhnenden Comic-Strip" hat Dietrich Wappler von der in Ludwigshafen erscheinenden Tageszeitung Die Rheinpfalz (27.2.2012) gesehen. Es gebe "jede Menge Action, aber keine Auseinandersetzung mit Kleists durchaus gegenwartstauglichem Stoff," bemängelt der Kritiker. Bei Kleist gehe es um Fragen von Recht und Gerechtigkeit, "in der Mannheimer Inszenierung nur um schnelle Effekte." Jedes Stichwort im "mit viel spontanem Gegenwartsgeblödel aufgemotzten Bühnenscript" sei einen Regieeinfall wert. Solberg lasse "einen wahren Assoziations-Tsunami" auf die Zuschauer los, "Gags und Einfälle gibt es im Minutentakt, selten anderes als das Nächstbeste. Für die Entwicklung von Figuren ist da logischerweise keine Zeit."

"Hätte Solberg mehr auf Kleist als auf Rabatz gesetzt, es wäre wahrscheinlich ein grandioser Abend geworden," schreibt Martin Eich in der Rüsselsheimer Rhein-Main-Spitze (28.2.2012). So bleibt ihm am Ende der Eindruck "einer bisweilen holpernden, aber an keiner Stelle gänzlich misslungenen Inszenierung." Für die Zuschauer sei der Abend ein Kampf, dass kein Krampf daraus werde, sei der intelligenten Setzung von Regie und Dramaturgie zu danken, "denen es häufig gelingt, den Aussagen des Klassikers aktuelle Bezüge abzuringen". Wesentliches verdanke der Abend aber auch dem Mannheimer Ensemble, das nach Ansicht des Kritikers zu den besten dieses Landes zählt. Allein die plötzliche Verwandlung von der biederen Kohlhaas-Ehefrau in Mausgrau zur kurzberockten Femme fatal, sei "höchste Schauspielkunst" und verleihe der Produktion ihre Daseinsberechtigung. Wie "die sperrige Vorlage auch sprachlich in die Gegenwart transformiert wurde, findet Eich ebenfalls mustergültig und "Maßstäbe für nachfolgende Dramatisierungen" setzend.

Von einer "bravourös gemeisterte Riesenaufgabe" spricht Monika Frank in der Rhein-Neckar-Zeitung (28.2.2012. Dennoch dominiert aus ihrer Sicht "zuviel Klamauk der gröbsten Art über den darunter kaum noch auszumachenden politischen Aspekt der Inszenierung." So sei die Figur des Michael Kohlhaas in Solbergs Inszenierung "der einzige durchgängig näher beleuchtete Charakter unter lauter mehr oder weniger grotesk überspitzten Karikaturen." Doch bei Zeichnung der Titelfigur vermisst die Kritikerin einen tiefergehenden Blick.

Jan Küveler schreibt auf Welt Online (28.2.2012): Es sei eine (typische) "Regie-Idee", Kleists ausufernde Story einzudampfen und die verbleibenden Figuren auf sechs Schauspieler zu verteilen. Kollateralschäden blieben dabei nicht aus. Eine Erklärung für den Wandel Kohlhaas' vom "bräsigen Bierbauch" zum "Amok-Terroristen" etwa bleibe aus. Immer wenn sich die "Plausibilität in die Kurve" lege, schalte Solberg "einen Gang hoch". In diesem "Blödel-Getöse" verkomme "Mannheim zu Mallorca, Kohlhaas zum Ballermann". "Kohlhaas" erweise sich so als "ideale Blaupause für Aufstände aller Arten: Che Guevara? Immer her damit! Stuttgart 21? Aber bitte! RAF? Aber hallo! Autonome Autozündler? Richtige Adresse! "Occupy"? Yes, Sir! Wulffs Sylt-Reisen? Bingo!". Simon Solberg behaupte Gewalt und verharmlose doch nur zum großen Jux. "Er steigert die Inszenierung ins Kakofonische, worüber Kleists leise, dunkle Melodie verhallt."

Kommentare  
Kohlhaas, Mannheim: hysterische Sendung mit der Maus
Das war allenfalls Kinder-und Jugendtheater auf hohem Niveau.Die Eintrittspreise für diese hysterische Sendung mit der Maus sind allerdings dann doch sehr erwachsen.
Kohlhaas Mannheim, nervender Kinderkram
Kann mich dem vorherigen Post nur anschliessen: Überdrehter, nervender Kinderkram! Keine Spur von einem " denkwürdigen" Theater- " Ereignis".
(...)
Kohlhaas, Mannheim: fantasievoll und toll gespielt
was simon solberg mit den schauspielern inszeniert hat, war spannend, fantasievoll und unterhaltsam. vorallem bestätigt auch dieser abend wieder, dass das schauspiel in mannheim über hervoragende schauspieler verfügt.
Kohlhaas, Mannheim: kurzweilig
Ich fand's toll und kurzweilig. Die Leistung der Schauspieler großartig.
Meinen Eltern würde ich es aber nicht unbedingt empfehlen.
Kohlhaas, Mannheim: gab es Bezugnahmen?
ich hätte mir einen verweis auf die und, wenn möglich, einen vergleich mit der inszenierung von kohlhaas in wiesbaden gewünscht, die letztes jahr auf die bühne kam.
gab es, kaum 50km entfernt, bezugnahmen, berührungspunkte, gemeinsame oder differenzierende akzente?
Kohlhaas, Mannheim: ätzend
Das war eine ätzende Inszenierung, ein Potpourri aus den verschiedensten Töpfen, vor allem laut und knallig. Schade, aus der Vorlage hätte man was richtig gutes machen können. Eine beliebige Verquickung von Nazis und Linken und dazu ein dem Publikum ins Gesicht geschleuderter viel zu lauter aggressiver Rap - was soll das ?
Da können die Schauspieler noch so gut sein, es hilft nix. Hätte es eine Pause gegeben, wären wir gegangen.
Kohlhaas, Mannheim: Kleists Werk als Vehikel
Eine Inszenierung für die Generation "Youttube meets Wutbürger"

Keine Frage - die Inszenierung war gewagt und sorgt sicher durch die laut in Szene gesetzten Bezüge zur Gegenwart für Gesprächsstoff. Auch muß man dem Regisseur und seinem Team zugestehen, daß sie eine gelungene multi-mediale Show abgeliefert haben.

Allerdings konnte man den Eindruck gewinnen, daß dem Regisseur nichts an Kleists Werk gelegen hat, sondern er dieses nur als Vehikel genutzt hat, um seine Sicht auf die Konflikte der Gegenwart zu artikulieren. Durch die dargebotenen Showeffekte wurde der Blick auf den eigentlichen Stoff erheblich verstellt - zum Teil schwirrte dem Rezensenten derartig der Kopf, daß er zur Reflektion nur schwer in der Lage war. Die Ausgangssituation, daß heißt das von Kohlhaas erlittene Unrecht, wurde zu wenig herausgearbeitet, sondern durch Effekte überdeckt. Damit fehlte der Inszenierung die Basis, von der aus der Widerstand Kohlhaas hätte bewertet werden können.

Dies leitet über zum gewichtigeren Kritikpunkt an der Inszenierung: zu keiner Zeit hat es der Regisseur verstanden, den Konflikt zwischen Naturrecht (Kohlhaas) und staatlich institutionalisiertem Recht (Obrigkeit) herauszuarbeiten. Diese Möglichkeit läßt der Regisseur vor allem dadurch ungenutzt, daß er die Handlung einfach in die Gegenwart überträgt (Bezüge zu Occupy Wallstreet, Anonymous, etc.) und aus dem Konflikt zweier Rechtsauffassungen den Konflikt zwischen verschiedener Anspruchsgruppen gegenüber dem Staat macht ("Wutbürger" hier, an der Erhaltung des Status-Quo interessierte Eliten dort). Da die Ansprüche gegenüber dem Staat in der Gegenwart aus der Perspektive sozialer Gerechtigkeit heraus moralisch bewertet werden und sich damit ausschließlich auf vom Menschen selbst geschaffene Normen beziehen (dazu durch eine angenommene Mehrheit legitimiert), ist der Bezug zum Naturrecht (oder "göttlichem" Recht) verloren. In der Konsequenz verliert die Inszenierung so durch die Übertragung in die Gegenwart ihren Bezug zum Kleistschen Kohlhaas, dessen Aktualität z.B. die Rede Benedikts im Bundestag eindrucksvoll unterstreicht. Übrig bleibt eine leere Hülle, die der Regisseur zugegebenermaßen spektakulär füllt.
Kohlhaas, Mannheim: alles in einem Atemzug
Der NK-Kritiker schreibt: "Tugendterror von Islamisten und anderen Heilsbringern weltweit, Neonazi-Mörder bei uns, die Rigidität der Wutbürger, der egozentrische Freiheitsbegriff der globalen Netzaktivisten"

Das alles in einem Satz, in einem Atemzug zu nennen, erscheint mir gewagt. Besteht nach Ihrer Ansicht ein Zusammenhang zwischen Nazis und Anonymous?
Kohlhaas, Mannheim: dieses sogenannte Naturrecht
@ Calculon: Ihrer Meinung nach heisst Naturrecht für Sie heute also "göttliches" Recht? Und was passiert, wenn ein Mensch dieses sogenannte "Naturrecht" in einer Stellvertreterfunktion ausübt? Wie wir auch historisch immer wieder und gerade im Kontext der römisch-katholischen Kirche gesehen haben, verwandelt sich der freie Glaube dort nicht selten in ein nur oberflächlich als sauber inszeniertes Produkt. Darunter erfolgt die "Drecksarbeit" der "weissen Mafia":

"Auch die Katholische Kirche beruht in (mindestens) zweifacher Hinsicht auf solchen obszönen ungeschriebenen Regeln. Hier ist zuerst das berüchtigte Opus Dei zu nennen, die 'weiße Mafia' der Kirche, eine (halb) geheime Organisation, die gewissermaßen das reine Gesetz jenseits geltender Rechtsordnungen [sic!, I.) verkörpert. Dessen oberste Regel ist der unbedingte Gehorsam gegenüber dem Papst und die rücksichtslose Entschlossenheit, der Kirche zu dienen, mit welchen Mitteln auch immer. In der Regel halten die Mitglieder, deren Aufgabe es ist, in die höchsten Ränge der politischen und finanziellen Zirkel [sic!, I.] vorzustoßen, ihre Opus Dei-Identifikation geheim. Als solche sind sie in der Tat 'opus dei' - 'Gottes Werk'; das heißt, sie nehmen die perverse Stellung ein, in der sie als direktes Instrument dem Willen des 'großen Anderen' verpflichtet sind." (Slavoj Zizek, "Willkommen in der Wüste des Realen")
Michael Kohlhaas, Mannheim: Zusatz
Zusatz: Und vergessen wir auch die Evangelische Kirche in Deutschland bzw. Luther (passt besser zum Kleistschen Kohlhaas) nicht, welcher die Hexenprozesse in Europa befürwortete und worin ihm viele Pfarrer (bis heute?) gefolgt sind. Auch das, die Hexenverbrennungen, sind kein "Naturrecht", sondern verstoßen gegen die Gleichwertigkeit aller Menschen. Ich vermute dahinter auch eher die Abwehr der eigenen männlichen Triebe und Projektion derselben auf die Frau, in welcher sie bekämpft werden. Kurz gesagt: Ne Vollmeise, sorry.
Michael Kohlhaas, Mannheim: Niemand ist gleich
was wenn ich nun sage und behaupte dass alle menschen nicht
gleich sind?!
Kohlhaas, Mannheim: Gleichheit denken
@ vollweise: Dann sage ich, dass genau darauf das gesellschaftliche System beruht. Auf dieser Behauptung, dass nicht alle Menschen gleich sind. Damit wird Politik gemacht. Politik konstituiert sich über einen Anteil der Anteillosen, welcher aber sein Recht auf demokratische Partizipation durch die Demonstration der fundamentalen Gleichheit aller Beliebigen einfordern kann. Solche Denk- und Möglichkeitsräume können über die Kunst eröffnet werden. Es geht darum, die Gleichheit zu denken bzw. i n a c t u auszuhalten. Wir leben nicht in einer Volvo-Werbung, es gibt die (leider oftmals auch blinde) Wut und Verzweiflung der Anteillosen, welche aber im öffentlichen Bewusstsein und der öffentlichen Meinungsbildung nicht vorkommen dürfen, nicht vorkommen sollen. Denn dann müssten sich die ignoranten Feingeister des vermeintlich aufgeklärten Bildungsbürgertums ja auch mal selbst hinterfragen.

Gerade las ich in der Zeitung über die Ermittlungsoffensive der amerikanischen Behörden an der Wall Street. Die Ermittler stehen einem "Netzwerk der Korruption" gegenüber. Es geht um Insiderdelikte zwischen Technologie-Unternehmen, Hedgefonds, Bankanalysten, Unternehmensberatern, Investmentstrategen und Wertpapierhändlern. Ja, hier zeigt sich tatsächlich: Alle Menschen sind nicht gleich. Aber ist das auch gut so? Es gibt Situationen, da könnte man fast zynisch werden.

Wenn man wirklich glaubwürdig sein will, dann sollte man nicht nur predigen, sondern auch danach handeln, die eigene Mitverantwortung auf sich nehmen. Sowohl im öffentlichen Raum des Parlaments wie auch des Theaters.
Kohlhaas, Mannheim: Frage
@Inga: Was haben Sie denn für ein Problem ? Haben Sie auch etwas zu Solbergs Inszenierung zu sagen (...)?
Kohlhaas, Mannheim: wieso Kinder- und Jugendtheater?
@ t.hammach
"Das war allenfalls Kinder-und Jugendtheater auf hohem Niveau."

Woher kommt eigentlich die so leichtfertig verbreitete Meinung, Kinder- und Jugendtheater sei grundsätzlich von niederem Niveau? Warum wird es regelmäßig als Synonym für eine qualitativ misslungene Inszenierung benutzt?
Wohl noch nie in den Genuss von wunderbarem Kinder- und Jugendtheater gekommen, wie?
Schade...
Kohlhaas, Mannheim: Politik als Praxis des Streits denken
Inga:
Der Versuch, Politik als eine Kette von Subjektivierungen zu denken, als Praxis des Streits, die ihren Anfang bereits in der griechischen Polis nimmt.
Der Kampf zwischen Arm und Reich, zwischen Mächtigen und von der Macht Ausgeschlossenen
ist demnach nicht ein Problem, welches es qua Politik zu lösen gilt, sondern Politik selbst.
Kohlhaas, Mannheim: Absage an den Konsens
Indem der gesellschaftliche Anteil der Anteillosen
sich seiner Position bewusst wird und für seine Rechte eintritt, werden soziale Strukturen revidiert. Dies bedeutet u.a. auch eine Absage an den vordergründigen Konsens einer medialisierten Politik.
Kohlhaas, Mannheim: wirklich zu bedauern
kann mich katjanas mitleid mit t.hammach nur anschließen.
Kohlhaas, Mannheim: Störer verweisen auf Probleme
@ Lily: Ich würde sagen, dass es gerade heutzutage immer wichtiger wird, den Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit zu thematisieren. Als schwierig empfinde ich allerdings, dass Solberg hier alles in einen Topf wirft, ohne historisch zu kontextualisieren und politisch zu differenzieren.

Abgesehen davon, erscheint mir die Frage danach, ob die sogenannten Repräsentanten des Volkes dessen Interessen tatsächlich noch vertreten - oder nicht vielmehr die Interessen der neoliberalen Eliten - als unbedingt berechtigt. Man sollte über das Thema der direkten Demokratie in der Form von Volksbegehren (Kohlhaas) ernsthaft nachdenken dürfen, ohne diese Bürger gleich in die Zitat Harald Raab "ewige Verdammnis" zu schicken. Mit dem Ausschluss von "Störern" ist niemandem geholfen, vielmehr verweisen diese auf gravierende Probleme demokratisch verfasster Rechtsstaaten, welche die Rechte der politische Basis nicht mehr wahrnehmen. Anders formuliert: Freiheit lässt sich ohne soziale Gerechtigkeit nicht denken.
Kohlhaas, Mannheim: sich sein Recht nehmen
© Jacques (#16):

Kohlhaas ist ja für sein Recht eingetreten. Dieses Recht war in der Monarchie durchaus gewahrt, weil der Monarch eben nicht über dem Recht (Naturrecht, "göttliches Recht") stand. Die Legitimation des Monarchen hing an der Wahrung dieser Rechte und der Monarch war in der Regel bestrebt, seine Legitimation nicht einzubüßen.

Im Gegensatz dazu hat der Grundsatz der (sozialen) Gleichheit (Franz. Revolution, Rousseau, Napoleon) zu einer Revision der sozialen Strukturen und zum allmächtigen Staat geführt, der sich sein Recht per Mehrheitsvotum selbst macht. Wenn man Naturrecht auch als Recht auf das eigene Eigentum bzw. die Früchte der eigenen Arbeit versteht, ist klar, daß ein Mehrheitsvotum dieses Recht nicht wahren kann. Siehe etwa die Steuersätze in den meisten Demokratien gegenüber dem sprichwörtlichen "Zehnten" oder sonstige Enteignungen im Namen der Gerechtigkeit.
Kohlhaas, Mannheim: Schämt euch, dass Ihr noch einen König wollt!
@ Calculon: Darf ich Sie fragen, welcher Generation Sie angehören? Sie wollen hier doch nicht ernsthaft für einen Herrscher von Gottes Gnaden plädieren, oder? Und Kohlhaas ist ja auch kein Monarch, sondern ein Rebell. Zum Thema Monarchie kann ich nur sagen:

"Dies ist die Zeit der Könige nicht mehr.
[...] Schämet euch,
Daß ihr noch einen König wollt; ihr seid
Zu alt; zu eurer Väter Zeiten wärs
Ein anderes gewesen, Euch ist nicht
Zu helfen, wenn ihr selber euch nicht helft."
(Friedrich Hölderlin, "Der Tod des Empedokles")
Michael Kohlhaas, Mannheim: kein Wutbürger
@ Inga (#20):

Ich bin in den 1970ern geboren worden. Ich frage mich aber, warum das - und auch ein Zitat Hölderlins - von Bedeutung sein soll.

Ich plädiere nicht für einen Herrscher von Gottes Gnaden, ich wollte nur deutlich machen, daß sich der Herrscher von Gottes Gnaden nicht im rechtsfreien Raum bewegt. Von Gottes Gnaden bedeutet nämlich, daß die Legitimation verwirkt ist, wenn das Naturrecht nicht durchgesetzt wird,

Die Frage ist natürlich, wie die Durchsetzung von Naturrecht (besonders im Sinne von Eigentumsrecht - materielle Güter, Körper) erreicht werden kann. Eine Demokratie im Sinne der Mehrheitsherrschaft kann dies nicht gewährleisten, da die natürlichen oder gottgegebenen Rechte eben nicht zur Disposition der Mehrheit stehen. Der Monarch sorgt eher für die Durchsetzung dieser Rechte, da seine Legitimation darauf beruht. Natürlich besteht hier das Risiko des Mißbrauchs. Dieses Risiko besteht in der Demokratie aber auch (und ist dazu größer), zusätzlich ist der Rechtsbruch weniger offensichtlich, da das staatliche Recht ja per Definition Ausfluß des demokratischen Prinzips ist.

Kohlhaas ist natürlich kein Monarch, sondern ein "Rebell". Er bezieht sich aber auf ein Recht, daß in Monarchien vorherrschend war. Somit wäre Kohlhaas übrigens heute auch kein "Wutbürger" oder OWS-Mitglied. Er beansprucht schließlich nichts, was anderen zunächst genommen werden müßte. Die Legitimität des Kohlhaasschen Eigentumsanspruchs leitet sich aus seiner Tätigkeit als Händler ab. Ich nehme an, daß er als Händler sein Eigentum durch freiwillige, d.h. beidseitig vorteilhafte, Transaktionen erworben hat.

Inwieweit Kohlhaas' Verhalten zur Durchsetzung seiner Ansprüche im einzelnen selbst legitim ist, ist eine andere Frage. Da sind wir bspw. beim Römerbrief und dessen Interpretation ;-)
Michael Kohlhaas, Mannheim: Wo lebt der denn?
@ Calculon: Kohlhaas beansprucht Ihnen nach also ein Recht, welches natürlich oder gottgegeben ist und nicht zur Disposition der Mehrheit steht. Wie bitte? Ja, wo lebt der denn? Gilt heutzutage etwa nicht, dass jeder Bürger vor dem Gesetz gleich sei? Siehe dazu auch und vor allem die immer wieder gern vergessene Deklaration der Menschenrechte von 1948.
Wenn politischer Widerstand jetzt mit "Gott" oder "Jesus" begründet wird, dann ist das nicht von dieser Welt. Jedenfalls in meiner Wahrnehmung.
Kohlhaas, Mannheim: Feuilletontrittbrettfahrer
Ein klassischer Solberg mit den üblichen Zutaten. Er blickt der tagesaktuellen gesellschaftlichen Situation, der Medienlandschaft und der Popkultur aufs Maul und rührt und schüttelt sich seinen Cocktail aus Lieblings-youtubeclips, Rapeinlagen, Videogedöns, schriller Deko und überdrehtem Spiel zusammen. Dass es Überschneidungen zu aktuellen Fragestellungen (Wutbürger etc.) gibt kann man als politisch deuten oder als oberflächlichen Opportunismus abtun. Feuilletontrittbrettfahrer mit Politmimikry. Yo!
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