altKrachende Beziehungskisten

von Hartmut Krug

Kiel, 26. Februar 2012. Ein Paar streitet sich. Der Erregungslevel ist aus dem Stand hoch, – bei der Frau. Sie ist empört, er hilflos. Sie macht ihm heftige Vorwürfe, dem Wichser, der sich ficken soll, und er versteht die Beziehungswelt nicht mehr. Dabei soll er doch nur die Wahrheit sagen. Allerdings, das hilft wenig. Denn die Wahrheit ist ein kleines Adjektiv, das jeder anders interpretiert. Und so steckt Greg mit seinen Erklärungs- und Beschwichtigungsversuchen, mit seinen Liebesbeteuerungen, mit all seiner Ernsthaftigkeit in der Falle. Denn was er auch sagt, nimmt ihm die furienhaft jähzornige Steph übel. Greg hat mit seinem Freund und Arbeitskollegen über Frauen geredet, wie man das manchmal so unter Männern tut. Es gibt eine neue, junge Kollegin in ihrer Firma, und deren Gesicht finden sie schön, und nicht nur das. Stephs Gesicht aber, hat Greg seinem Kollegen Kent gesagt, sei normal. Davon ist Steph in ihrem Selbstbewußtsein tief getroffen, denn sie übersetzt "normal" mit "hässlich".

"lieber schön", im Original treffender "reasons to be pretty", ist dritter Teil einer lockeren Trilogie, deren erste Teile "Maß der Dinge" und "Fettes Schwein" sind. Ihr Thema: der Schönheitskult und Perfektionswahn. Der äußere Schein, das äußere Ansehen bestimmt oder verletzt das innere Wohlergehen. Und so wirft die existentiell verletzte Frau eine Tasse nach dem Mann, lässt die Beziehung auseinander krachen und verlässt ihn.

Nachdenklichkeitsposen
Nun ja. Immerhin well made, diese erste Szene. Wie sich die beiden ineinander verbeißen und sich dabei nie erreichen, das ist intellektueller Boulevard. Schwer zu spielen, denn unter den Effekten liegen Härte oder Zartheit, tiefere Bedeutung, aber auch Gedankenlosigkeit. Die Gesellschaftskritik kommt arg moralisierend daher, wobei das Thema mehr behauptet denn tiefer durchdacht scheint. Ein Stück mit viel böser Komik und manch gefühlsbraver oder zynischer Haltung.

lieberschoen3 560 olaf struck"lieber schön" © Olaf Struck

Im Studio des Kieler Schauspielhauses liefern Felix Zimmer und Jennifer Böhm ihre Streittexte zwar routiniert ab, aber sie erreichen uns nicht. Weil sie nicht böse oder hilflos, sondern nur eifrig sind. Weil sie vor allem erzählen. Diese deutsche Erstaufführung des Stückes nutzt, anders als die deutschsprachige Erstaufführung des Stückes im Herbst 2010 im Kasino des Wiener Burgtheaters, die Beziehungsbrachialkomik viel zu wenig. Zimmer verlässt sich auf die Nachdenklichkeitspose eines Mannes, der in den Arbeitspausen Poe oder Hawthorne liest, der nicht auch komisch, sondern vor allem irgendwie lieb ist. Und Jennifer Böhm tobt zwar kräftig, doch die vom Autor "zusammengerollte Schlange", die auf eine Bewegung ihres Partner/Opfers wartet, ist sie nicht.

Nun versteh mal schön
Ohnehin stellt die Inszenierung nicht die Brüche der Figuren und ihre Übersteigerungen grell aus, sondern führt sie nur ordentlich vor. Auf einer schmalen Fläche, die Tobias Schunck mit zwei Bänken, einem Papierkorb und einem Wasserspender ausgestattet hat. Das Publikum sitzt auf beiden Seiten eng an diesem Sprechtheater, das allzu deutlich dramaturgisch konstruiert wirkt. Denn das zweite Paar kontrastiert und kommentiert das erste aufs allerdeutlichste. Als Zuschauer fühlt man sich an die Hand genommen: Nun versteh mal schön. Tut man auch sofort. Arbeitskollege Kent ist ein geschickter Macho, der seiner Freundin nach dem Munde redet. Ein Opportunist, der zu wissen meint, wie man Frauen behandeln muss, aber im Männergespräch frauenfeindliche Klischees herausschleudert. Marius Borghoff spielt ihn als aufgeblasen selbstzufriedenen Pedanten, während seine Freundin Carly, die das Gespräch über schön oder normal mitgehört und Steph brühwarm erzählt hat, als Firmenpolizistin in Uniform ebenso selbstzufrieden, aber vor allem cool daher kommt. Sie kaut Kaugummi und mampft unentwegt irgendetwas aus einem Plastikbecher.

Es wird viel gegessen und getrunken, – das sind so nervende Spielkrücken, die Regisseurin Neele von Müller ihren vier Darstellern in ihrer handwerklich recht biederen Inszenierung gibt. Wenn Kent heimlich eine Beziehung mit der neuen Kollegin anfängt und gleichzeitig seine Freundin nicht nur schwanger, sondern auch misstrauisch wird, wenn Steph (Jennifer Böhm zeigt sich hier sehr wandlungsfähig) Greg mitteilt, dass sie heiraten wird, dann ändert sich die Spielweise. Zarte Gefühle, Irritationen, echte Empfindungen, aber auch ein kräftiger, handgreiflicher und die Freundschaft beendender Krach zwischen den Männern machen das Denk- und Behauptungsspiel zu einem Theater der Emotionen ohne wohlfeile Klischees. Da sind dann die Schauspieler und die Aufführung endlich bei sich, und das Publikum ist ohnehin gewonnen. Ob Greg noch einmal studieren, ob Carly Kents Affäre entdecken wird, bleibt offen. Aber für alle hat sich etwas geändert.

lieber schön
von Neil LaBute
Regie: Neele von Müller, Ausstattung: Tobias Schunck, Dramaturgie: Jens Paulsen.
Mit: Felix Zimmer, Jennifer Böhm, Marius Borghoff, Claudia Friebel

www.theater-kiel.de


zeitstiftung logo foerderung grDer Nord-Schwerpunkt auf nachtkritik.de berichtet in dieser Spielzeit in loser Reihenfolge über die Theater in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, zwei Regionen, in denen sich die Kunst, so sie nicht unmittelbar ökonomischen Interessen zugute kommt, nur schwer gegen die Zwänge der Haushaltskrisen behaupten kann.

 

Kritikenrundschau

Viel Gezänk und wenig Komödie protokolliert Sabine Christiani für die Schleswig-Holsteinsche Landeszeitung (28.2.2012), aus deren Sicht der Abend ein wenig zu bitter ausgefallen ist. Auch reichen ihr nach einer überlangen ersten Szene die Pöbeleien. Obendrein fehlt der Kritikerin am Ende ein Erkenntnisgewinn des Abends. Die Schauspieler werden etwas freundlicher beurteilt.

Bei aller "scharfgeschnittenen Spracheleganz", so Christoph Munk in den Kieler Nachrichten (28.2.2012), bleibe das Stück doch oberflächlich konstruiert und ziemlich "herzschmerzlich und banal". Regisseurin Neele von Müller strenge sich erst sichtlich an, LaButes klischeehaften Musterkatalog brav in Szene zu setzen. Erst später lasse sie Brüche zu und mache Risse in den Charakterbildern deutlich.

Kommentare  
lieber schön, Kiel: mit Groove
Wow, wenn das nicht zur rechten Zeit ein gutes Beispiel für einen Abend ist, der, wie
es im jüngsten Kieler Thread heißt, seinen Groove findet !
Was Hartmut Krug im letzten Absatz bezüglich des Stückendes andeutet, das durchzieht jetzt beinahe gänzlich die Inszenierung; sie ist fast -im besten Sinne- wie aus einem Guß, erscheint leichthändig inszeniert, und schließt sehr gut an das Niveau der seinerzeitigen Studioproduktion von "Maß der Dinge" an. Jetzt fehlt von der "Trilogie der (Ver-)Äußerlichkeiten" lediglich noch "Fettes Schwein", ehrlich, man darf gespannt sein, ob das möglicherweise dann in der übernächsten Spielzeit ansteht, denn La Bute wird hier tatsächlich spannend umgesetzt.
Keine Spur vom besagten "bloß erzählten" Theater, wirklich, da muß so manches passiert sein seit der Premiere. Felix Zimmer, der schon einen unbedingt zu würdigenden Mortimer in "Maria Stuart" auf das Parkett gelegt hat, überzeugt mich erneut durch ein die Entwicklung der Figur energetisch hoch aufgeladen feinschrittig transzendierendes Spiel: an Humor mangelt es seinem Greg keineswegs: Zimmer gelingt es, eine Figur zu schaffen altersmäßig genau zwischen den Albeeprotagonisten aus "Zoogeschichte" und "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" und von ebenjenem Sog, der von diesen "Figuren" ausgeht. Und dennoch reißt er, der im Mittelpunkt der Inszenierung steht (er ist der Besitzer eine Aquariums, und ein wenig gibt auch das Bühnenbild das "Menschen-Aquarium") -was durchaus anders sein könnte und wohl oftmals sein wird bei anderen Umsetzungen- die Inszenierung nicht an sich; das Thema wird quasi durch Akzentverlagerung auf Greg moderat gehalten; und da alle vier Spieler heute -wie gesagt- ganz und gar dem im letzten Absatz der Krug-Kritik tatsächlichen SPIEL entsprachen, ein Abend mit Wirkung !.
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