altElemente menschlicher Schrulligkeit

von Thomas Askan Vierich

Wien, 1. März 2012. So viel gleich vorweg: Dies ist kein Stück zur aktuellen Finanzkrise. Das hatte Regisseur Elmar Goerden für seine erste Wiener Regiearbeit an der Josefstadt schon im Vorfeld betont. Obwohl die Vermutung nahe liegen würde. Schließlich handelt Henrik Ibsens vorletztes Stück, uraufgeführt 1896, von einem Bankdirektor, der ihm anvertraute Gelder veruntreut und dafür in den Knast geht.

Liebe und Hass

Aber das ist nur äußerlich. Ibsen geht es um etwas anderes. Das versucht diese Inszenierung auszuleuchten. "Spurenelemente menschlicher Widersprüchlichkeit", nennt es Goerden. Das kann viel heißen. Oder nichts. Es wird viel gehasst und geliebt in diesem Stück. Der Hass speist sich aus der Liebe. Und ruiniert eine Familie. Der Bankrott ist da nur Mittel zum Zweck.

John Gabriel Borkman hält sich für einen Auserwählten. Der Emporkömmling glaubt dazu ausersehen zu sein, als Bankier Macht und Reichtum anzuhäufen, um Wohlstand für Tausende zu schaffen. Doch er opfert dafür die Liebe seines Lebens Ella. Er heiratet die blasse Schwester Gunhild, damit Ella für seinen Freund und Förderer frei bleibt. Der macht ihn zu einem mächtigen Banker. Doch Ella spielt in diesem Schacher nicht mit: Sie heiratet doch nicht den Freund. Der rächt sich, indem er Borkman in den Ruin treibt.

borkman 02 560 erich reismann xSitzen und abschätzen: Andrea Jonasson und Nicole Heesters. © Erich Reismann

Zerbrechlichkeit und Spucke

Der tief Gefallene zieht sich in die Isolation zurück. Diesen verbitterten, überheblichen, gefühlskalten Ex-Bankier spielt Helmuth Lohner, das Ur-Gestein der Josefstadt, in einer irritierenden, bisweilen schrulligen Mischung aus todesnaher Zerbrechlichkeit und Spucke sprühender Leidenschaft. Ihm gegenüber agieren zwei Frauen: Nicole Heesters gibt der verbiesterten Gattin Gunhild eine nervöse Spillerigkeit. Sie möchte ständig aus ihrer Haut fahren. Häufig ist aber ihre Qual allzu deutlich, ihre Modulation allzu akkurat. Ihre Schwester Ella (Andrea Jonasson) wirkt deutlich mondäner, schließlich hat sie als Einzige den Bankrott Borkmans schadlos überstanden und hält die Familie finanziell über Wasser. Was ihr aber niemand dankt. Wunderbar fein inszeniert ist der erste Akt, als sich beide Schwestern ihre Verachtung durch übertriebenen Ordnungssinn zeigen: Ständig zupfen sie an ihrem Gewand herum, wischen pedantisch über die Stelle, wo die andere gerade gesessen hat. Alles ist potenziell verschmutzt.

Putzen und Trampeln

Zu dieser im Putzfimmel verfangenen Welt passt das Bühnenbild. Ulf Stengl und Silvia Merlo zeigen blitzsaubere, zeitlos elegante Kulissen, die keine Wohnung, sondern eine Privatbank dekorieren könnten: abgesteppte Lederwände, Lüster und Vorhänge, die aussehen wie Gitterstäbe eines Tresorraums. Durch diese elegant-verlogene Idylle trampeln die Bühnenarbeiter zwischen den Akten und schleppen das Zeug einfach weg.

borkman 01 280 erich reismann xAndrea Jonasson und Helmut Lohner. © Erich ReismannAls sich im letzten Akt die Bühnenhandlung einem scheinbar versöhnlichen Finale nähert, geschieht dies auf einer leergeräumten Bühne zwischen umgefallenen Stühlen und herumliegenden Papier- und Aktenbergen: Das Schlachtfeld einer Familientragödie. Lohner sitzt verloren da und trägt eine Papiertüte auf dem Kopf. Der Grund der Auflösungserscheinungen: Der Sohn des Hauses ist mit einer sieben Jahre älteren und im Gegensatz zu den Borkmans sehr lebenslustigen Frau nach Rom durchgebrannt. So versucht er sich den Zumutungen seiner Eltern und Tante, die ihn alle für ihre persönlichen Zwecke vereinnahmen wollen, zu entziehen.

Trauern und Spülen

Dieses Stück thematisiert auch einen Generationenkonflikt. Die Jungen leben hedonistisch in der Gegenwart. Die Alten trauern einem vergeudeten Leben nach, in dem aus Liebe Hass geworden ist. Maria Köstlinger als Geliebte des Sohnes wirkt auf Anhieb lebendiger als die mehr als eine Generation älteren Kolleginnen und Kollegen. Martin Bretschneider als Sohn Erhart legt seine Rolle allerdings allzu jugendlich-schnodderig an.

borkman 03 560 erich reismann xPrügeln und kreischen: Nicole Heesters und Andrea Jonasson. © Erich ReismannIn einer schönen Nebenrolle brilliert Heribert Sasse als einziger Freund, den Borkman noch hat: den Hilfsschreiber Vilhelm Foldal. Beide waschen zusammen schmutziges Geschirr und Sasse muss sich die zynischen Rechtfertigungen Borkmans anhören. Er tut dies mit viel Lässigkeit, was umso angenehmer ist, weil die anderen mit Ausnahme von Maria Köstlinger und Raphaela Möst (als junge Frida Foldal) alles anders als locker agieren.

Mehr schrullig als tragisch

Das bleibt das Manko dieser Inszenierung: Alles wirkt überdeutlich. Da ist sicher viel während der Proben über die tiefer liegenden Schichten und Bedeutungen von Ibsens Figuren diskutiert worden. Darüber hat man aber das Spielerische vergessen. Wenn Helmuth Lohner mit der Faust auf den Tisch hämmert oder sich wiederholt durchs Haar fährt, bedient er sich nicht unbedingt der filigransten schauspielerischen Ausdrucksmittel. Ähnliches gilt für Nicole Heesters und Andrea Jonasson. Nur im ersten Akt gelingen den beiden Zwischentöne, die mehr zeigen als das, was sie sagen.

Elmar Goerden wollte keinen Gegenwartsbezug und hat ihn auch konsequent vermieden: keine Handys, keine Videoeinspielungen von fallenden Börsenkursen. Er wollte das Zeitlose von schwierigen Familienbeziehungen zeigen. Aber das ist ihm nur zum Teil gelungen. Vieles bleibt hölzern bis schrullig: Zum Beispiel die Idee, die Geliebte Erharts plötzlich in Schwedisch sprechen zu lassen. Ist Fanny Wilton Schwedin? Das bleibt als Gag in der Luft hängen. Oder die Szene, als Fanny vorführt, wie sie Erhart wie einen Hund abgerichtet hat. Das wirkt aufgesetzt bis albern. Und Helmuth Lohner als verbitterter alter Mann erscheint manchmal einfach eher schrullig als tragisch.

Natürlich ist es immer eine gewagte Gratwanderung Komödie und Tragödie gleichzeitig zu versuchen. Das ist diesmal nicht gelungen: Die Komödie nimmt der Tragödie die Kraft und die Komödie wirkt in der Tragödie etwas bemüht.

 

John Gabriel Borkman
von Henrik Ibsen
Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Ulf Stengl und Silvia Merlo, Kostüme: Lydia Kirchleitner, Musik: Matteo Fargion, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger, Licht: Emmerich Steigberger.
Mit: Helmuth Lohner, Nicole Heesters, Martin Bretschneider, Andrea Jonasson, Maria Köstlinger, Heribert Sasse, Raphaela Möst.

www.josefstadt.org

 

Kritikenrundschau

"Äußerst stilvoll" findet Margarete Affenzeller Goerdens Inszenierung im Standard (3.3.2012). Mit großer Zuwendung stifte die Inszenierung "Persönlichkeiten, die die Ibsensche Kühle ganz und gar gegenwärtig ausstrahlen". Dabei gehe es nicht um die Raffgier als eine Eigenschaft des Menschen, sondern um die Beschaffenheit bzw. das Überlegenheitsgefühl eines Menschen, der sich in scheinbar bester Absicht am Geld anderer bedient. "Elmar Goerden gibt Luft; es gelingt ihm, der Düsternis in Ibsens Drama einen Witz abzuringen, der die maßlosen Ansprüche der Beteiligten in die Schranken weist", schwärmt Affenzeller. Dieser Borkman sei "stimmig bis ins Detail". Nicht zuletzt hätten die Ausstatter bewiesen, "dass die Kunst des norwegischen Designs nicht ausschließlich dem Burgtheater vorbehalten ist" – siehe oben.

Von den Socken vor Begeisterung auch Michaela Mottinger im Kurier (3.3.2012): Helmut Lohner sei "ein fulminanter, auch furioser Borkman". Die "brillianten Diven" Heesters und Jonasson "fighten, was das Zeug hält". Präzise habe "man" an den Rollen gearbeitet. Manchmal nur, in Momenten höchster Emotion, entgleite dem einen oder der anderen das Menschsein in Richtung Kunstfigur. "Dann aber sind die großen drei einander auch eine gute, gegenseitige Erdung ..."

"Elmar Goerden ist am Donnerstag eine Inszenierung gelungen, die sogar das Ironische, Lächerliche der Situation hervorhebt, während das platte Gesellschaftskritische diskret bleibt", stimmt Norbert Mayer in der Presse (3.3.2012) in den Wiener Jubelchor ein. Gepriesen werden im Folgenden vor allem die Schauspieler. Helmut Lohner in der Titelrolle mache "Borkmans Größenwahn überdeutlich", befindet Mayer. Richtig interessant werde dieser Borkman aber im Zusammenspiel mit dem Hilfsschreiber Vilhelm Foldal. Heribert Sasse gelinge als Foldal "Außerordentliches". "Er lässt durchblicken, dass er Borkman sehr wohl richtig einzuschätzen weiß, nämlich als Narr, der glaubt zu schieben und selbst geschoben wird." In den Dialogen dieses Altmänner-Duos erhalte das Drama etwas Bitter-Ironisches und in den besten Momenten sogar Aberwitzig-Komisches. "Was für ein Alpha-Männchen wird hier vorgeführt! Es lechzt nach Anerkennung und macht doch nur eine lächerliche Figur."

Goerden wähle "einen wenig spektakulären, aber gleichwohl überzeugenden Zugang" zu Ibsens Stück, befindet Petra Rathmanner in der Wiener Zeitung (3.3.2012). Durch die zeitliche Verortung des Stücks in den 60er Jahren trete der Generationenkonflikt deutlicher zu Tage. Goerden beweise "Feingefühl für die psychologischen Nöte der Figuren, die sich gegenseitig das Leben verpfuschen".

"Es geschieht rein gar nichts", stellt Ulrich Weinzierl in der Welt (3.3.2012) fest. Die Charaktere blieben "so stumm wie das völlig belanglose Bühnenbild". In keinem Moment vermöge die Regie Spannung in und zwischen den Figuren erkennbar werden zu lassen. "Gesten, Worte, Blicke - alles wirkt fatal äußerlich." Keine Spur von Hass, von Sterbensangst, von Verzweiflung, von der Rücksichtslosigkeit des Besitzenwollens sah Weinzierl und fragt sich: "Wer soll dieser Borkman überhaupt sein?" Das erfahre man "bis zu seinem Tod im Schnee, hier durch Aktenpapier ersetzt", nicht. "Dem Fanatiker der Wahrheit Ibsen wurde ein schlechter Dienst erwiesen." Solches Theater habe keinerlei Zukunft. "Es verendet an chronischer Uninteressantheit."

"Retrotheatralisch" gehe es hier zu, schreibt Dirk Schümer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.3.2012). Mit "kleinen und weniger kleinen Verfremdungen" führe "der Dompteur Goerden" mit feinem Sinn für Komik und sehr einfühlsamen Streichungen vor, "dass diese norwegische Bürgerwelt so gar nichts Naturalistisches oder Psychologisches hat, sondern nur als Versuchsanordnung dient für ein absurdes Perpetuum mobile von Lebensläufen". So werde mit dem abgenagten Gerippe eines Dramas und der Wiederbelebung dreier Altschauspieler "die biedere Josefstädter Straße für einen Abend zum Sunset Boulevard".

Von einer "vollkommen biederen Aufführung" und oberflächlichstem Regieghandwerk spricht Helmut Schödel in der Süddeutschen Zeitung (13.3.2012). Auch drängt sich ihm folgende Frage auf: "Wurde an diesem Abend in der Josefstadt, für den Direktor Herbert Föttinger seine ruhmreiche Seniorenabteilung in die Schlacht schickte, wirklich Ibsen gespielt?" Die Altstars nämlich wirkten auf Schödel "wie verschüttet von ihrem Konfetti von einst, von Diva-Gedöns und Altstar-Allüren." Lauter "alte Publikumslieblinge, die einander auf der Bühne weitgehend ignorierten, und Ibsen auch. Andrea Jonasson als todkranke Ella Rentheim platzierte sich wie beim Fototermin für eine Homestory als Strehlers Witwe, Nicole Heesters setzte auf derbes Volkstheater für ihre Landfrauen-Version der Bankiersgattin und Lohner schüttelte seine weiße Tolle und hämmerte mit beiden Fäusten auf Tischen herum. Wenn Heribert Sasse als gescheiterter Dichter Voldal auftritt und bei Borkman gründlich abspült, hätte man das auch als Kommentar zum verstaubten Ganzen sehen können."

Kommentare  
Borkman, Wien: eine der hervorragendsten Inszenierungen
Herr Vierich und ich müssen andere Inszenierungen gesehen haben. Auch scheint er nicht viel von der Theaterkultur zu halten, die die drei älteren Protagonisten (70 J Jonasson, 75 J Heesters, 79 J Lohner) bieten. Diese Inszenierung ist eine der hervorragendsten, die es in den letzten Jahrzehnten - vor allem in Wien - gegeben hat.

Insgesamt scheint der Impressario Föttinger seit seinem missglückten Amtsantritt eine exzellente Hand für Stücke, Schauspieler und Regisseure zu haben. Die Aufführungen der letzten beiden Jahre haben nichts mit der verstaubten Kultur der Vorgänger (leider auch Lohner) zu tun.

PS: Fanny Wilton spricht Norwegisch und nicht Schwedisch....
Borkman, Wien: banal, bieder, langweilig
Seltsam, diese Unterstellungen, wenn jemand anderer Meinung ist.
Zur Kritik kann ich nichts sagen, aber ich halte - auch als jüngerer Theaterzuschauer - sehr viel von der Theaterkultur der älteren Protagonisten und habe mich sehr auf deren Darstellungen gefreut. Innovatives habe ich vom Abend ohnehin nicht erwartet. Die Darsteller waren denn auch das Beste am Abend. Aber die Inszenierung war so banal, bieder und - wie ich finde - langweilig, dass auch diese tollen Schauspieler nichts ausrichten konnten. Um mich herum Gegähne und Auf-die-Uhr-Geschaue. Ich wollte das wirklich gerne gut finden, aber es hat mich null berührt. Ein Abend der aussieht, wie eine schlechte Bondy-Inszenierung von vor zwanzig Jahren. Selbst der ist mittlerweile weiter ...
Borkman, Wien: idiotischer Fortschrittsglaube
zu @G.Bauer

Selbst Bondy sei mittlerweile weiter... Weiter? Was soll der idiotische Fortschrittsglaube in der Theatergeschichte? Luc Bondy hat vor zwanzig Jahren (mit Michel Piccoli) einen "Borkman" inszeniert, der mir heute, in stärkster Erinnerung, aktueller denn je vorkommt.
John Gabriel Borkman, Wien: stümperhafte Regie
@1 + 2: Ich hatte mich auch auf einen gediegenen Schauspieler-Abend gefreut und war dann entsetzt über die stümperhafte Regie. Dürftige, unfreiwillig komische Ideen (Frau Jonasson darf sich einen Akt lang nicht aufs Bett setzen) werden totgeritten, das Bühnenbild ist hässlich und wirkt nicht und die sonstigen Zutaten wie Licht und Musik sind geschmacklos und inkonsequent eingesetzt (die Musik, die im 1. Akt von "oben" kommt, erklingt auch im 2. Akt, der "oben" spielt). Auch konservative Aufführungen mit guten Schauspielern inszenieren sich offenbar nicht von selbst!
Borkman, Wien: meisterliche Präzision
Es ist eine phänomenale Großtat, diese Inszenierung! Die obigen G. Bauer und Herr oder Frau "Dagobert" haben anscheinend weder etwas begriffen, noch etwas gesehen. Die "tollen Schauspieler" fallen nämlich nicht spielfertig vom Himmel, sondern man sieht in der Inszenierung von Goerden einen Zugriff, eine sehr eigene Spielweise. Gerade die Duelle zwischen Heesters und Jonasson sind vom intelligentesten und packendsten, was ich in Wien seit langem gesehen habe. Rhythmisch ist der Abend von meisterlicher Präzision, das gleiche gilt für die gesamte Schauspielerführung und ästhetische Geschlossenheit des Abends. "Unfreiwillig" ist an dieser Inszenierung sicher nichts (bitte wo hat man Sasse und Lohner das letzte mal in dieser Qualität gesehen?). Da kann sich die Hälfte der Burgtheater-Inszenierungen eine bis zwei Scheiben abschneiden. Konservativ ist an diesem Abend übrigens nichts, ausser den üblichen Reflexen Marke Dagobert, der sich um einen "gediegenen Schauspieler-Abend" betrogen fühlt. Wie sagt die Gunhild im Stück so treffend "Ach Gottchen!"
Borkman, Wien: Wie man es von der Burg erwartet
Herrn G. Bauer meine besten Grüsse. Er hat vollkommen recht, etwas Besseres war hier in der Theaterstadt Wien lange nicht zu sehen. Eine grandiose Inszenierung, wie man sie doch eigentlich von der Burg erwartet. Da habe ich allerdings ähnlich begeisterndes Theater lange nicht gesehen.
M.D.
Borkman, Wien: Sunset Boulevard
Schümer hat das in der FAZ genau beschrieben: es war der reinste "Sunset Boulevard". Es hatte sich ein sehr guter Regisseur in ein eher mittelmäßiges Theater verlaufen und darin gewirkt wie lange keiner mehr. Kleines Theaterwunder!
Borkman, Wien: bloß einstudiert und ohne Rhythmus
Ich finde es ja wirklich spannend zu sehen, wie die wiener Presse und Teile des Wiener Publikums die Inszenierung beinahe hysterisch bejubeln, nur weil sie aussieht (!) wie eine klassisch-konservative Schauspielerinszenierung, die man hier offenbar pushen will. Es ist dann auch völlig egal, ob die Inszenierung wirklich gelungen ist oder nicht.

Gerrit Koch schreibt: "Gerade die Duelle zwischen Heesters und Jonasson sind vom intelligentesten und packendsten, was ich in Wien seit langem gesehen habe." - Ich fand, das war einfach nur einstudiert und auswendig gelernt. Jede Bewegung technisch. Genau gesetzt, überlegt - ja, all das. Aber da war keine Emotion, nichts Überraschendes, Packendes. Ich saß in Reihe fünf und das Ganze kam nicht mal so weit. Jede Aktion, jede Figur unendlich weit weg, wie hinter Glas - berührt hat mich da nichts.
Ich frage mich auch, wo die ganzen begeisterten Zuseher bei der Premiere waren - der Applaus war ja enden wollend und ebbte schon bedrohlich ab, bevor der Regisseur überhaupt auf die Bühne kam.

"Rhythmisch ist der Abend von meisterlicher Präzision, das gleiche gilt für die gesamte Schauspielerführung und ästhetische Geschlossenheit des Abends." - Ich fand gerade den Rhythmus problematisch. Kaum entwicklete sich wo ein Sog, eine Linie - war es schon wieder vorbei, weil sich nichts entwickeln, vertiefen wurde. Die Schauspielerführung fällt mir schwer zu beurteilen. Da hat jeder und jede etwas anderes gespielt - aber das toll, das stimmt. Aber zwischen der Karikatur von Sasse und der trockenen Breth-Anmutung der Heesters lagenf ür mich welten, die in der Isnzenierung nie zueinandergekommen sind.

Und wenn dann noch Einfallslosigkeit der Marke: "Es geht um Gefühlskälte - lassen wir es doch ins Wohnzimmer schneien!" kommt, wird es ärgerlich.

Wenn Michaela Diamantstein so etwas an der Burg sehen möchte, wird mir Angst und Bange - man liebt in Wien ja sein anspruchsloses, oberflächliches Theater. Aber das ist ja sogar für die Josefstadt bieder, wenn man andere Inszenierungen dort betrachtet. Also ich werde den Eindruck nicht los, dass da eher eine Theaterrichtung bestärkt werden soll, als dass ein Theaterabend wirklich überzeugt hätte.
Borkman, Wien: sehr wohl berührt
Sehr geehrter Herr/Frau Wiener, ich sass in der 12. Reihe, also weit hinter Ihrer 5.. Und mich hat die Inszenierung sehr wohl berührt und es war gerade das, was Sie so offensichtlich vermisst haben: Überraschendes, Berührendes. Erstaunlich finde ich immer wieder, wie hier jemand im Brustton der Überzeugung seine Beobachtungen für die Messlatte hält. Als verfüge gerade "Wiener" über eine irgend geartete besondre Gabe der Beobachtung. Das gekoppelt an die die allerdümmlichsten Verschwörungstheorien a la "es soll eine bestimmte Theaterrichtung bestärkt" werden. Wie armselig ist das denn? Es war ein starker Abend, jedenfalls für mich und meine Freunde. Gemessen an der Richtlinienkompetenz von "Wiener", sind wir allerdings sicher eine zu vernachlässigende Größe.
Gruss,
E. Lichtenhahn
Borkman, Wien: wirklich geprobt
"Genau gesetzt. Überlegt" Ja, lieber Herr "Wiener", das muss eine Inszenierung wirklich verdächtig machen! Wahrscheinlich auch, dass hier anscheinend wirklich geprobt wurde. Best regards,

Antiwiener
Borkman, Wien: etliche sind eingeschlafen
@ E.Lichterhahn: Ich habe meine Eindrücke beschrieben - Ihnen hat es gefallen, mir nur in Maßen. Wozu die Aufregung. "Berührung" kann man auch im Theater nicht erzwingen. Mich hat es kalt gelassen - Sie nicht, ist doch wunderbar.

@ Antiwiener: Ja, das "Genau gesetzt, Überlegt" fand ich ja auch gut. Allerdings hab ich irgendwann nur mehr das Konzept gesehen, also das Gedachte, das Gefühl hat sich mir jedoch nicht vermittelt. Ich fand die darstellerischen Ticks sehr aufgesetzt, eben: Geprobt. Und nein, ich finde es nicht gut, wenn ich im Theater das Geprobte so deutlich sehe. Im Idealfall verschwindet das in meiner Wahrnehmung hinter dem Gespielten. Also für mich wird so ein Abend, der so stark an den Schauspielern orientiert ist, dann gut, wenn ich den Regisseur dahinter irgendwann vergesse. Und hier habe ich ihn dauernd auf der Bühne gesehen wie er den Schauspielern sagt: So, jetzt kratz dich nochmal, jetzt zupf das Bett gerade, jetzt mach das und das ... Für mich war da keine Spontanität, kein Leben. Wenns für Sie anders war, solls mir Recht sein, dann freu ich mich für Sie. Für mich hats eben nicht funktioniert.
(Und für viele andere offenbar auch nicht - um mich herum sind etliche Zuschauer eingeschlafen, ohne Applaus gegangen, das ist ja, neben all der Begeisterung, auch ein Zeichen)
Borkman, Wien: zu den geriatrischen Erscheinungen im Wiener Publikum
Lieber "Wiener", das ist ja drollig, sie haben also lediglich ihre "Eindrücke" beschrieben. Das ist ja gut zu wissen, dass es sich bei Sätzen wie "beinah hysterisch bejubelt ... nur weil sie aussieht wie eine klassisch-konservative Schauspielerinszenierung, die man hier offenbar pushen will" um einen "Eindruck" handelt. Ja das finde ich auch wunderbar.
E. Lichtenhahn
PS:. schlafende, hustende, auf die Uhr schauende Premierenbesucher gibt es in Wien übrigens an allen Häusern und bei so ziemlich jedem Stück. Zuletzt selbst bei Gottscheffs "Immer noch Sturm". Wollen sie das ernstlich zu einem Kriterium machen? Sie können doch die Inszenierung schlecht für gewisse geriatrische Erscheinungen im Wiener Publikum verantwortlich machen. Wir waren jedenfalls hellwach.
Borkman, Wien: zwanghafte Wiederholung Ausdruck seelischen Zustands
Dass im ersten Akt gerade die Zwanghaftigkeit der gestischen Abläufe, die ritualisierte Wiederholung ein wesentlicher (seelischer) Zustand gewesen sein könnte, ist Ihnen das, verehrter Herr "Wiener", nicht in den Kopf gekommen? Dass es also dort gerade nicht um Lebendigkeit und Spontanität geht. Zudem: Könnte es nicht sein, dass vielleicht nicht "jeder und jede etwas anderes gespielt" hat, sondern jeder eine andere Figur? Aber mit derlei Feinheiten sollte man sich vielleicht nicht lange aufhalten. Zumal dann, wenn man wie sie anscheinend die Fähigkeit hat, den Regisseur quasi retrospektiv während der Probenarbeit zu sehen (und zu hören!). Offenbar sind zu einer genaueren Art der Betrachtung berufen, als ich. Und dass Sie sich für mich freuen und Ihnen mein Eindruck Ihnen gar "recht sein soll" , das zeigt dazu noch von besonderer Großmut. Weiter so.
(Ich habe diese Seite auf Anraten von Freunden anlässlich der Borkman Premiere zum ersten mal besucht und bin bestürzt über das hier sich breitmachende Niveau der Beschreibung. Dem eigenen kritischen Gestus, sollte man doch gedanklich, sprachlich halbwegs gewachsen sein. "Für mich hats eben nicht funktioniert" so geht das natürlich auch, aber muss man diese Geschmacksrülpser wirklich mitteilen?)
Borkman, Wien: "Das gehört so bei Ibsen!"
Ich finde es etwas unredlich, Inszenierung und Publikumsreaktion so zu trennen - für mich ist das eine im Theater ohne das andere nicht denkbar. Und natürlich sagt die Reaktion des Publikums etwas über ein stück aus. Neben mir saßen zwei Damen. die eine fand es toll, die andere wagte zu entgegenen: "Aber auch sehr fad, oder?". Daraufhin die Erste: "Das gehört so bei Ibsen, wenns nicht Regietheater ist"! Beide haben dann am Ende Bravo gerufen - das meinte ich mit "hysterisch bejubelt", obwohl doch beide offenbar gelangweilt waren ...
Borkman, Wien: trockenes Herunterbeten
Schade, dass Sie mich nicht verstanden haben (oder nicht verstehen wollten, was ich eher vermute) - Für mich waren sämtliche Ticks und Bewegungen aufgesetzt und eingeübt und zu keinem Zeitpunkt Ausdruck des Zustands irgendeiner Figur. Ich habe das alles als rein äußerlich empfunden, eine Emotion hat sich mir eben nicht vermittelt.

Mit "Lebendiskeit" meinte ich auch nicht Agilität der Ibsen'schen Figuren, sondern glaubhaftes Spiel auf der Bühne. Und auch wenn Sie sich darüber lustig machen: Ja, Das einzige, was auf der Bühne für mich sichtbar wurde, war die Stimme des Regisseurs. Ein trockenes Herunterbeten des auf der Probe geübten. Ein packendes Eigenleben hat der Abend für mich nie bekommen.

Und: Auch wenn verschiedene Figuren anders gespielt werden, sollte sich das auf der Bühne doch zu einem Ganzen fügen, das ist doch eine Binsenweisheit. Beim "Borkman" war das, finde ich, nicht der Fall. Da hat jeder Schauspieler das gemacht, was er oder sie am Besten kann - ich glaube kaum, dass das die gewollte Wirkung war.

Dass Sie über das Niveau hier bestürzt sind, ist mir herzlich egal - Theater lebt von Auseinandersetzung. Wenn Sie eine Auseinandersetzung nur dann niveauvoll finden, wenn alle Ihrer Meinung sind, erübrigt sich alles Weitere.

Zum Niveau der Sprache: Das Internet, Kommentare und Blogs leben von einem direkteren, ungeschliffenen Zugang. Glauben sie mir: Würde ich einen Artikel schreiben, würde ich anders formulieren - das fände ich aber an dieser Stelle mehr als langweilig!

Ich habe, finde ich, sehr ausführlich geschrieben, warum ich die Aufführung nicht mochte. Wenn das dann ein "Geschmacksrülpser" ist, dann soll es so sein. (Das ist ja hier auch keine wissenschaftliche Abhandlung) Nur: Was unterscheidet Ihren "Geschmacksrülpser" von meinem? Außer dass Sie die Bühnenhandlung eben anders empfunden haben, als ich? So fundiert argumentiert haben Sie auch wieder nicht ...
Borkman, Wien: verblendete Kritiker
Bleiben sie doch ein bisschen wesentlich. Sie unterbieten gerade jedes Niveau mit Ihrem kolportierten Geflüster zweier Wiener Damen, das sie tatsächlich als Auskunftsquelle für den künstlerischen Wert eines Abends nobilitieren wollen. Von welchem singulären "Publikum" reden sie da eigentlich? Und wo bleiben die Begeisterten, wozu ich mich zählen darf. Aber nach Ihrer Beobachtung waren wir wohl nur ein halbes Dutzend, nämlich die sich hier entsprechend geäußert haben plus ein paar anscheinend verblendete Kritiker, die in größerem Auftrag ein bestimmtes Theater "pushen" sollen? Das ist mir doch sehr dürftig. Die Inszenierung wirkt nach, steckt mir im Fleisch und damit möchte ich meine Teilnahme hier beenden. Man wünscht dieser Seite, nicht mit den "Wienern" dieser Theaterwelt allein gelassen zu werden.
E. Lichtenhahn
Borkman, Wien: war großartig
Ich war in der Vorstellung am Samstag und es war ein phantastischer Abend! Übrigens ist gerade diese Inszenierung Abend kein Gegenbeispiel des Regietheaters, wie blöderweise irgendwo hier behauptet wird, sondern ein Paradespiel von Regietheater (was immer großes Schauspielertheater ist). Aber eben kein Regisseurstheater. War großartig. Kenne Ibsen nur aus der Schule und hab erstaunt bemerkt, dass mich das was angeht. Ich hatte kurz vorher die Kritik in der FAZ gelesen und muss -bei der großen Kritikerschelte- nachträglich mal loswerden, dass die sehr gut war. Es war tatsächlich der reinste "Sunset Boulevard"! Sehr gut geschrieben. Wohingegen man sich für die (guten) Wiener Kritiken mal wieder nur fremdschämen kann. G.
Borkman, Wien: Welten zwischen Münchner und Wiener Inszenierung
Ich habe vor zwei Wochen Petras Inszenierung in München gesehen und da liegen Welten dazwischen! Goerden legt im Stück ein seltsam skurriles, eiskaltes Herz frei; Petras turnt mit Getöse drüber. Seltsam wie dieser aus dem Intendanten-leben "ausgestiegene" Regisseur unter sämtlichen Regietheater-wellen durchtaucht und einfach sein Ding macht (lustig wie das die Kritik zu den absurdesten Wortschöpfungen inspiriert, bisheriger Höhepunkt: "retrotheatralisch" in der FAZ). Und noch eins: bitte schreibt mal was über Nicole Heesters. Für mich war das DIE Entdeckung der Wiener Borkman Inszenierung; eine wirkliche Großkünstlerin! Warum ist die so selten zu sehen?!
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