altElemente menschlicher Schrulligkeit

von Thomas Askan Vierich

Wien, 1. März 2012. So viel gleich vorweg: Dies ist kein Stück zur aktuellen Finanzkrise. Das hatte Regisseur Elmar Goerden für seine erste Wiener Regiearbeit an der Josefstadt schon im Vorfeld betont. Obwohl die Vermutung nahe liegen würde. Schließlich handelt Henrik Ibsens vorletztes Stück, uraufgeführt 1896, von einem Bankdirektor, der ihm anvertraute Gelder veruntreut und dafür in den Knast geht.

Liebe und Hass

Aber das ist nur äußerlich. Ibsen geht es um etwas anderes. Das versucht diese Inszenierung auszuleuchten. "Spurenelemente menschlicher Widersprüchlichkeit", nennt es Goerden. Das kann viel heißen. Oder nichts. Es wird viel gehasst und geliebt in diesem Stück. Der Hass speist sich aus der Liebe. Und ruiniert eine Familie. Der Bankrott ist da nur Mittel zum Zweck.

John Gabriel Borkman hält sich für einen Auserwählten. Der Emporkömmling glaubt dazu ausersehen zu sein, als Bankier Macht und Reichtum anzuhäufen, um Wohlstand für Tausende zu schaffen. Doch er opfert dafür die Liebe seines Lebens Ella. Er heiratet die blasse Schwester Gunhild, damit Ella für seinen Freund und Förderer frei bleibt. Der macht ihn zu einem mächtigen Banker. Doch Ella spielt in diesem Schacher nicht mit: Sie heiratet doch nicht den Freund. Der rächt sich, indem er Borkman in den Ruin treibt.

borkman 02 560 erich reismann xSitzen und abschätzen: Andrea Jonasson und Nicole Heesters. © Erich Reismann

Zerbrechlichkeit und Spucke

Der tief Gefallene zieht sich in die Isolation zurück. Diesen verbitterten, überheblichen, gefühlskalten Ex-Bankier spielt Helmuth Lohner, das Ur-Gestein der Josefstadt, in einer irritierenden, bisweilen schrulligen Mischung aus todesnaher Zerbrechlichkeit und Spucke sprühender Leidenschaft. Ihm gegenüber agieren zwei Frauen: Nicole Heesters gibt der verbiesterten Gattin Gunhild eine nervöse Spillerigkeit. Sie möchte ständig aus ihrer Haut fahren. Häufig ist aber ihre Qual allzu deutlich, ihre Modulation allzu akkurat. Ihre Schwester Ella (Andrea Jonasson) wirkt deutlich mondäner, schließlich hat sie als Einzige den Bankrott Borkmans schadlos überstanden und hält die Familie finanziell über Wasser. Was ihr aber niemand dankt. Wunderbar fein inszeniert ist der erste Akt, als sich beide Schwestern ihre Verachtung durch übertriebenen Ordnungssinn zeigen: Ständig zupfen sie an ihrem Gewand herum, wischen pedantisch über die Stelle, wo die andere gerade gesessen hat. Alles ist potenziell verschmutzt.

Putzen und Trampeln

Zu dieser im Putzfimmel verfangenen Welt passt das Bühnenbild. Ulf Stengl und Silvia Merlo zeigen blitzsaubere, zeitlos elegante Kulissen, die keine Wohnung, sondern eine Privatbank dekorieren könnten: abgesteppte Lederwände, Lüster und Vorhänge, die aussehen wie Gitterstäbe eines Tresorraums. Durch diese elegant-verlogene Idylle trampeln die Bühnenarbeiter zwischen den Akten und schleppen das Zeug einfach weg.

borkman 01 280 erich reismann xAndrea Jonasson und Helmut Lohner. © Erich ReismannAls sich im letzten Akt die Bühnenhandlung einem scheinbar versöhnlichen Finale nähert, geschieht dies auf einer leergeräumten Bühne zwischen umgefallenen Stühlen und herumliegenden Papier- und Aktenbergen: Das Schlachtfeld einer Familientragödie. Lohner sitzt verloren da und trägt eine Papiertüte auf dem Kopf. Der Grund der Auflösungserscheinungen: Der Sohn des Hauses ist mit einer sieben Jahre älteren und im Gegensatz zu den Borkmans sehr lebenslustigen Frau nach Rom durchgebrannt. So versucht er sich den Zumutungen seiner Eltern und Tante, die ihn alle für ihre persönlichen Zwecke vereinnahmen wollen, zu entziehen.

Trauern und Spülen

Dieses Stück thematisiert auch einen Generationenkonflikt. Die Jungen leben hedonistisch in der Gegenwart. Die Alten trauern einem vergeudeten Leben nach, in dem aus Liebe Hass geworden ist. Maria Köstlinger als Geliebte des Sohnes wirkt auf Anhieb lebendiger als die mehr als eine Generation älteren Kolleginnen und Kollegen. Martin Bretschneider als Sohn Erhart legt seine Rolle allerdings allzu jugendlich-schnodderig an.

borkman 03 560 erich reismann xPrügeln und kreischen: Nicole Heesters und Andrea Jonasson. © Erich ReismannIn einer schönen Nebenrolle brilliert Heribert Sasse als einziger Freund, den Borkman noch hat: den Hilfsschreiber Vilhelm Foldal. Beide waschen zusammen schmutziges Geschirr und Sasse muss sich die zynischen Rechtfertigungen Borkmans anhören. Er tut dies mit viel Lässigkeit, was umso angenehmer ist, weil die anderen mit Ausnahme von Maria Köstlinger und Raphaela Möst (als junge Frida Foldal) alles anders als locker agieren.

Mehr schrullig als tragisch

Das bleibt das Manko dieser Inszenierung: Alles wirkt überdeutlich. Da ist sicher viel während der Proben über die tiefer liegenden Schichten und Bedeutungen von Ibsens Figuren diskutiert worden. Darüber hat man aber das Spielerische vergessen. Wenn Helmuth Lohner mit der Faust auf den Tisch hämmert oder sich wiederholt durchs Haar fährt, bedient er sich nicht unbedingt der filigransten schauspielerischen Ausdrucksmittel. Ähnliches gilt für Nicole Heesters und Andrea Jonasson. Nur im ersten Akt gelingen den beiden Zwischentöne, die mehr zeigen als das, was sie sagen.

Elmar Goerden wollte keinen Gegenwartsbezug und hat ihn auch konsequent vermieden: keine Handys, keine Videoeinspielungen von fallenden Börsenkursen. Er wollte das Zeitlose von schwierigen Familienbeziehungen zeigen. Aber das ist ihm nur zum Teil gelungen. Vieles bleibt hölzern bis schrullig: Zum Beispiel die Idee, die Geliebte Erharts plötzlich in Schwedisch sprechen zu lassen. Ist Fanny Wilton Schwedin? Das bleibt als Gag in der Luft hängen. Oder die Szene, als Fanny vorführt, wie sie Erhart wie einen Hund abgerichtet hat. Das wirkt aufgesetzt bis albern. Und Helmuth Lohner als verbitterter alter Mann erscheint manchmal einfach eher schrullig als tragisch.

Natürlich ist es immer eine gewagte Gratwanderung Komödie und Tragödie gleichzeitig zu versuchen. Das ist diesmal nicht gelungen: Die Komödie nimmt der Tragödie die Kraft und die Komödie wirkt in der Tragödie etwas bemüht.

 

John Gabriel Borkman
von Henrik Ibsen
Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Ulf Stengl und Silvia Merlo, Kostüme: Lydia Kirchleitner, Musik: Matteo Fargion, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger, Licht: Emmerich Steigberger.
Mit: Helmuth Lohner, Nicole Heesters, Martin Bretschneider, Andrea Jonasson, Maria Köstlinger, Heribert Sasse, Raphaela Möst.

www.josefstadt.org

 

Kritikenrundschau

"Äußerst stilvoll" findet Margarete Affenzeller Goerdens Inszenierung im Standard (3.3.2012). Mit großer Zuwendung stifte die Inszenierung "Persönlichkeiten, die die Ibsensche Kühle ganz und gar gegenwärtig ausstrahlen". Dabei gehe es nicht um die Raffgier als eine Eigenschaft des Menschen, sondern um die Beschaffenheit bzw. das Überlegenheitsgefühl eines Menschen, der sich in scheinbar bester Absicht am Geld anderer bedient. "Elmar Goerden gibt Luft; es gelingt ihm, der Düsternis in Ibsens Drama einen Witz abzuringen, der die maßlosen Ansprüche der Beteiligten in die Schranken weist", schwärmt Affenzeller. Dieser Borkman sei "stimmig bis ins Detail". Nicht zuletzt hätten die Ausstatter bewiesen, "dass die Kunst des norwegischen Designs nicht ausschließlich dem Burgtheater vorbehalten ist" – siehe oben.

Von den Socken vor Begeisterung auch Michaela Mottinger im Kurier (3.3.2012): Helmut Lohner sei "ein fulminanter, auch furioser Borkman". Die "brillianten Diven" Heesters und Jonasson "fighten, was das Zeug hält". Präzise habe "man" an den Rollen gearbeitet. Manchmal nur, in Momenten höchster Emotion, entgleite dem einen oder der anderen das Menschsein in Richtung Kunstfigur. "Dann aber sind die großen drei einander auch eine gute, gegenseitige Erdung ..."

"Elmar Goerden ist am Donnerstag eine Inszenierung gelungen, die sogar das Ironische, Lächerliche der Situation hervorhebt, während das platte Gesellschaftskritische diskret bleibt", stimmt Norbert Mayer in der Presse (3.3.2012) in den Wiener Jubelchor ein. Gepriesen werden im Folgenden vor allem die Schauspieler. Helmut Lohner in der Titelrolle mache "Borkmans Größenwahn überdeutlich", befindet Mayer. Richtig interessant werde dieser Borkman aber im Zusammenspiel mit dem Hilfsschreiber Vilhelm Foldal. Heribert Sasse gelinge als Foldal "Außerordentliches". "Er lässt durchblicken, dass er Borkman sehr wohl richtig einzuschätzen weiß, nämlich als Narr, der glaubt zu schieben und selbst geschoben wird." In den Dialogen dieses Altmänner-Duos erhalte das Drama etwas Bitter-Ironisches und in den besten Momenten sogar Aberwitzig-Komisches. "Was für ein Alpha-Männchen wird hier vorgeführt! Es lechzt nach Anerkennung und macht doch nur eine lächerliche Figur."

Goerden wähle "einen wenig spektakulären, aber gleichwohl überzeugenden Zugang" zu Ibsens Stück, befindet Petra Rathmanner in der Wiener Zeitung (3.3.2012). Durch die zeitliche Verortung des Stücks in den 60er Jahren trete der Generationenkonflikt deutlicher zu Tage. Goerden beweise "Feingefühl für die psychologischen Nöte der Figuren, die sich gegenseitig das Leben verpfuschen".

"Es geschieht rein gar nichts", stellt Ulrich Weinzierl in der Welt (3.3.2012) fest. Die Charaktere blieben "so stumm wie das völlig belanglose Bühnenbild". In keinem Moment vermöge die Regie Spannung in und zwischen den Figuren erkennbar werden zu lassen. "Gesten, Worte, Blicke - alles wirkt fatal äußerlich." Keine Spur von Hass, von Sterbensangst, von Verzweiflung, von der Rücksichtslosigkeit des Besitzenwollens sah Weinzierl und fragt sich: "Wer soll dieser Borkman überhaupt sein?" Das erfahre man "bis zu seinem Tod im Schnee, hier durch Aktenpapier ersetzt", nicht. "Dem Fanatiker der Wahrheit Ibsen wurde ein schlechter Dienst erwiesen." Solches Theater habe keinerlei Zukunft. "Es verendet an chronischer Uninteressantheit."

"Retrotheatralisch" gehe es hier zu, schreibt Dirk Schümer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.3.2012). Mit "kleinen und weniger kleinen Verfremdungen" führe "der Dompteur Goerden" mit feinem Sinn für Komik und sehr einfühlsamen Streichungen vor, "dass diese norwegische Bürgerwelt so gar nichts Naturalistisches oder Psychologisches hat, sondern nur als Versuchsanordnung dient für ein absurdes Perpetuum mobile von Lebensläufen". So werde mit dem abgenagten Gerippe eines Dramas und der Wiederbelebung dreier Altschauspieler "die biedere Josefstädter Straße für einen Abend zum Sunset Boulevard".

Von einer "vollkommen biederen Aufführung" und oberflächlichstem Regieghandwerk spricht Helmut Schödel in der Süddeutschen Zeitung (13.3.2012). Auch drängt sich ihm folgende Frage auf: "Wurde an diesem Abend in der Josefstadt, für den Direktor Herbert Föttinger seine ruhmreiche Seniorenabteilung in die Schlacht schickte, wirklich Ibsen gespielt?" Die Altstars nämlich wirkten auf Schödel "wie verschüttet von ihrem Konfetti von einst, von Diva-Gedöns und Altstar-Allüren." Lauter "alte Publikumslieblinge, die einander auf der Bühne weitgehend ignorierten, und Ibsen auch. Andrea Jonasson als todkranke Ella Rentheim platzierte sich wie beim Fototermin für eine Homestory als Strehlers Witwe, Nicole Heesters setzte auf derbes Volkstheater für ihre Landfrauen-Version der Bankiersgattin und Lohner schüttelte seine weiße Tolle und hämmerte mit beiden Fäusten auf Tischen herum. Wenn Heribert Sasse als gescheiterter Dichter Voldal auftritt und bei Borkman gründlich abspült, hätte man das auch als Kommentar zum verstaubten Ganzen sehen können."

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