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Glas, Glas, Glas

von Falk Schreiber

Hamburg, 9. März 2012. Einer der eigenartigsten Auswüchse unseres Wirtschaftssystems ist die Firmenhymne. Sind solche Hymnen in Fernost Gesang gewordene Unterordnung im konfuzianischem Sinne und in den USA Happy-go-Lucky-Kapitalismus, trauen sich Betriebe in der Bundesrepublik nur zögerlich ans kollektive Singen. Vielleicht mal bei der Weihnachtsfeier, auf keinen Fall aber öffentlich: Könnte ja sein, dass die Allgemeinheit Verse wie "Germany's Topmodel, das sind wir / Wir bei VW / Denn ein VW / Ist echt okay" nicht wirklich als Identifikation des Autoschraubers mit seinem Arbeitgeber interpretiert, sondern womöglich als lächerlich.

Thomas Ebermann, Grünen-Mitbegründer, Linkstheoretiker und Satiriker, nimmt dieses Kuriosum zum Anlass für eine Generalabrechnung mit dem Spätkapitalismus: "Der Firmenhymnenhandel", uraufgeführt in der Regie des Autors im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel. Handlung: Ein Fabrikbesitzer alter Schule lässt seine Tochter ihre künstlerischen Schrullen ausleben, Töchterchen plant, aus der elterlichen Glasfabrik einen freundlich menschelnden Musterbetrieb zu machen und beauftragt zwei alte Studienfreunde aus dem intellektuellen Prekariat, eine Hymne zu schreiben.

Die glorreichen 21

Und die panisch auf einen Auftrag gierenden jungen Männer zeigen ihre Präsentationsmappe: von Stars des Hamburger Musikundergrounds geschmetterte Originalhymnen, halbwegs cool als schluffiger Indierock arrangiert. Schorsch Kamerun preist einen Supermarkt, Melissa Logan ein Industriebier und Kristof Schreuf einen Versanddienst, ein Schauer läuft einem über den Rücken.

Diese per Video eingespielten Perlen der Songwriterkunst tragen die erste Hälfte des Abends, weil sie a) in ihrer textlichen wie musikalischen Scheußlichkeit an einen Autounfall auf der Gegenfahrbahn erinnern, b) ein Wiedersehen mit 21 einst geschätzten und mittlerweile ein wenig aus den Augen verlorenen Musikerpersönlichkeiten ermöglichen, c) im Arrangement eigentlich gar nicht mal schlecht klingen. Sie sorgen allerdings auch dafür, dass das Stück zur Nummernrevue verkommt: Man wartet, wer als nächstes auf der Leinwand erscheint und achtet überhaupt nicht mehr auf die Schauspieler.

Big Business und Bauerntheater

Und das ist wirklich schade: Das sind ja keine besseren Statisten, das sind gestandene Darsteller wie Robert Stadlober und Pheline Roggan, die über weite Strecken auf der Bühne allein gelassen werden. Vor lauter Verzweiflung retten sie sich ins Bauerntheater, spielen gekünstelt Big Business und lassen ihre Figuren dabei hemmungslos in Richtung Karikatur rutschen (Roggan immerhin eskaliert apart zu Jens Rachuts Verpunkung einer Lebensmittelmarkt-Hymne).

firmenhymne 560 svenheine uDas sind keine besseren Statisten, sondern gestandene Darsteller. © Sven Heine

Aber was bleibt ihnen auch übrig? "Der Firmenhymnenhandel" gibt nicht wirklich was her. Alter Hase versus ambitionierte Juniorchefin, das ist in der Anlage auch nicht raffinierter als eine x-beliebige Tatort-Folge. Erst mit dem Auftreten von Rainer Schmitt als Vaterchef entwickelt sich in Ansätzen so etwas wie Zusammenspiel. Was einerseits damit zusammenhängt, dass die unterhaltsamen, die Handlung aber im Grunde störenden Videoeinspielungen aufhören, andererseits aber auch damit, dass Schmitt den Patriarchen interessanterer interpretieren möchte als nur als Witzfigur.

Welchen Schluss hätten'S denn gern?

Dieser Glasfabrikant ist überdeutlich modelliert nach dem Trigema-Boss Wolfgang Grupp, und der schillert: stockkonservativ aber mit sozialem Gewissen. Von Lafontaine gelobt, aber nicht Mitglied in Arbeitgeberverbänden. Ein schwäbischer Pietist, der von Eitelkeit getrieben in jeder zweiten Talkshow zu Gast ist. Es ist spannend, zu sehen, wie Schmitt es mit dieser Rolle schafft, auch seine Mitspieler mitzureißen: Plötzlich funktioniert "Der Firmenhymnenhandel", plötzlich ist da eine Spannung zwischen den Darstellern. Es macht aber auch deutlich, wie gut diesem Stück ein Blick von außen getan hätte, eine Regie, die die Schauspieler führt und nicht einfach nur machen lässt – ein Chef, der nicht der Autor ist.

Zumal die Handlung sich bald im Kreis dreht. Ja, der Kapitalismus als Sinnstifter funktioniert nicht. Nein, Firmenhymnen übertünchen dieses Problem nur unzureichend. Viel weiter geht die Analyse nicht, was gerade bei solch einem scharfen Analytiker wie Ebermann erschütternd ist. Entsprechend ratlos endet das Stück: mit fünf Schlüssen. Mal als Krimi, mal als Familientragödie, mal als klebriges "Wir haben uns alle lieb", mal als Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Und einmal dann tatsächlich als Firmenhymne, zur Melodie von "All you need ist love": "Glas, Glas, Glas." Das Publikum kichert.

Der Firmenhymnenhandel
von Thomas Ebermann
Uraufführung
Regie/Text: Thomas Ebermann, Kostüme/Bühne: Astrid Noventa, Videos: Katharina Duve, Timo Schierhorn, Musikalische Leitung: Ted Gaier, Thomas Wenzel, Wissenschaftliche Beratung: Rudi Maier
Mit: Pheline Roggan, Rainer Schmitt, Robert Stadlober, Tillbert Strahl-Schäfer

www.kampnagel.de



Kritikenrundschau

Im Hamburger Abendblatt (12.3.2012) zeigt Annette Stiekele sich insgesamt angetan. Der "Firmenhymnenhandel" gehe "in Dialogen über die Rampe, die Ebermann gerne saftig formuliert". Ansonsten überlasse er die Schauspieler weitgehend sich selbst, was zu manchem holprigen Übergang und manch halb fertiger Szene führe. "Das macht aber nichts. Denn der Abend auf Kampnagel ist in seiner Gedankenfrische auch so extrem vergnüglich." Dazu trügen auch die ultrakurzen Auftritte von Künstlern aus der Hamburger Musikszene bei, von Kristof Schreuf bis Rocko Schamoni. Überhaupt sei es die Musik, die eine ironisierende Funktion erfülle. "Als emotionaler Durchhalte- und Motivationskitt im Getriebe der modernen Unternehmenskultur."

Anders sieht es Frank Keil in der Welt (12.3.2012), der findet, dass der Abend auf der musikalischen Ebene "in Windeseile zu einer recht öden Nummernrevue" verkommt. Doch wenn Stadlober, Roggan und Co ins Spielen kämen, würden Gefühle spür- und erfahrbar. Und dann entwickelten sich auch zwei Themen: "Wie ist das mit der Verführungskraft der Macht? ... Und was machen zwei, wie die angehende Firmenchefin und der zynische Jungmusiker, wenn sie sich umkreisend entdecken, dass hinter allem Getue um effiziente Vermarktung und punktgenaue Präsentation die tiefe Sehnsucht nach etwas Echtem, Unverstelltem und vor allem Unkalkulierbarem steckt?" So enthalte dieser Abend, der antrete, dem motivationsgestützten Kapitalismus mal so richtig die Meinung zu geigen, am Ende eine ganz andere, simple Botschaft: "Dieser ganze Videokrempel, dieses ganze aufgedrehte Zeugs mit Promis aus der örtlichen Popwelt bringt nichts. Aber so richtiges Theater mit echten, talentierten Menschen, das ist doch unschlagbar."

"Zündend geht es von Bonmot zu Bonmot", beschreibt Hans-Dieter Schütt im Neuen Deutschland (12.3.2012). Thomas Ebermann schicke seine Botschaft durch handfeste Sprachröhren, "damit sie auf dem Weg vom Autorengeist übers Eigenleben der Gestalten hin zum Publikumsnerv nicht vom Wege abkommen". "Knapp hundert Minuten Thesen-Dialoge, mit Zitaten von Adorno und Marcuse, mit Publikumsansprachen, die jene bedrängende Frechheit offenbaren, mit der Ratgeber, Gemütsfitness-Gurus und Selbstfindungsrauner jenen Platz besetzen, der früher der Philosophie gehörte." Der Rezensent applaudiert "für einen unhöflichen, spottenden Spaß wider eine Welt, in der die Entfremdung von einst fröhlich überwunden wurde: Aus Not, sie erleiden zu müssen, ist ein hysterisch industrialisierter Trieb geworden, sie zum Elixier zu steigern."

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