altIm Schatten-Seminar

von Harald Raab

Mannheim, 15. März 2012. "Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen." Marcel Reich-Ranickis etwas abgegriffenen, von Brecht gemopsten Spruch möchte man der Uraufführungspremiere "Nie war der Schatten" im Studio des Mannheimer Nationaltheaters nachrufen. Wollte doch der Autor und Regisseur Alejandro Tantanian "die Gegenwart des Abwesenden fühlbar machen". Ein großer Anspruch bei einem noch größeren Thema: der Schatten.

Der Schatten in Kunst und Wissenschaft
Im guten alten Schwarzweiß-Film à la "Das Cabinett des Doktor Caligari" oder "Eine Stadt sucht einen Mörder" spielte der graue Geselle noch eine ganz entscheidende Rolle als unverzichtbarer Gruselfaktor. Und erst die Philosophen, von Platons Höhlengleichnis bis zu Kierkegaards "Die Krankheit zum Tode", bei denen die Conditio humana als Schattendasein verstanden wird. Mit noch mehr überhitzter Phantasie arbeiten sich die Literaten am Schatten-Mythos ab. Das Muster: Böse Buben wie der Teufel haben keinen Schatten und sind stets bestrebt, den Menschen denselben mit dem Versprechen auf ewigen Reichtum abzuluchsen. Adalbert von Chamissos "Peter Schlemihl" und Hans Christian Andersens Geschichte vom Schatten, der sich selbständig macht und mit seinem Besitzer die Rollen tauschen möchte, sind Beispiele dafür. Auch die Naturwissenschaft ließ sich vom literarischen Schattenbild inspirieren: zum Beispiel, als der Astronom Wilhelm Herschel den schattenlosen vierten Mond des Planeten Uranus "Umbriel" nannte – nach dem bösen Geist aus Alexander Popes "Lockenraub".

schatten1 560 christiankleiner hVerzweifelnder Schattenforscher (Thomas Meinhardt) © Christian KleinerDas alles und mehr erfährt man in "Nie war der Schatten". Alejandro Tantanian macht die Szene zum Uni-Seminar. Ein Jung-Professor in brauner Cordjacke, gehemmt, linkisch und zwanghaft sich an seinem Manuskript festhaltend (Sven Prietz) doziert an seinem Katheder, zitiert penibel all die Dichter, Philosophen und Wissenschaftler, lockert seine Vorlesung mit Filmbeispielen auf und hantiert an einem Overheadprojektor. Als Studis fungieren die Zuschauer auf hörsaalmäßig angeordneten Stuhlreihen. Didaktisch hat nur die Verwendung von Film- und Videomaterial sowie Folien für den Projektor die Note Eins verdient (Marc Reisner). Die Rückwand, unterteilt in sieben Projektionsflächen, wird zum Austragungsort eines bildmächtigen Feuerwerks der Schattenseiten menschlichen Tuns. Emotional befeuert wird das Ganze zudem mit großen Schatten-Musiken. Die Countertenor-Arie "Ombra mai fu" aus der Händel-Oper "Xerxes" leiht ja auch den Titel für das Stück.

Ideen-Remake
Im Lehrbetrieb gibt es solche und solche. Dem Langweiler-Dozenten folgt der routinierte Showman (Thomas Meinhardt), ein smarter, eitler Professor mit Charisma, Stimmgewalt und großen Gesten. Natürlich bemäkelt er süffisant die Thesen seines Kollegen und erkürt den naturwissenschaftlichen Zauber am physikalischen Phänomen Licht und Schatten zum neuen Dogma. Wenn er es selbst nicht so nebenbei anmerken würde, käme man schwerlich darauf, dass er auch schon den Schatten seines Vorgängers auf dem Lehrstuhl, des Korinthenkackers, dargestellt hat. Die Geister, die man rief: Der stumme Diener und treue Begleiter wird zum Herrn, größer und besser noch als jener.

Kann Theater auf diese Art leisten, was der Poesie so flügelleicht gelingt: Denk- und Gefühlsräume zu schaffen? Lyrisch sollte das Stück ganz offensichtlich daherkommen. Mit einem Ideen-Remake im Seminarcharakter wollten sich aber die dazu nötigen Schwingungen einfach nicht einstellen. Der Schlussapplaus signalisierte mehr Ratlosigkeit als große Emotionen, die der kurze Theaterabend zurückließ. Auch der kluge Text im Programmfaltblatt von Dramaturg Jan Phillip Possmann konnte ihn nicht mehr in die beabsichtigte Richtung "die Geschichte des Schattens als eine Geschichte über die Begrenzungen der menschliche Existenz zu begreifen" lenken.

Nie war der Schatten (UA)
von Alejandro Tantanian
Regie: Alejandro Tantanian, Ausstattung: Linda Johnke, Video: Marc Reisner, Dramaturgie: Jan-Phillip Possmann.
Mit: Sven Prietz, Thomas Meinhardt.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Kritikenrundschau

"Wie kann man es sich nur so leicht und gleichzeitig so schwer machen?" fragt Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (17.3.2012). Dabei hat Langhals Tantanians Mischverfahren aus Lecture-Performance, Schauspiel, Musik und Video (zu Schillers Freiheitsbegriff) von den Schillertagen 2007 durchaus in guter Erinnerung. Angesichts dieser multimedialen Motvgeschichte des Schattens jedoch spricht er von Ratlosigkeit und vielen unbeantworteten Fragen. "Aufzählung, Namedropping und Archivfleiß verwirren dort, wo Durchdringung eines literarisch-philosophischen Motivs geboten wäre." Statt dessen jagt der Regisseur aus Sicht des Kritikers "den Zuschauer nachgerade arrogant durch die dramaturgische Fresszettelsammlung von Jan-Philipp Possmann. Vom Höhlengleichnis des Platon in das 'Cabinet des Doktor Caligari', von Billy Wilders 'Sunsetboulevard' zu Frank Sinatras 'Me and My Shadow', durch Schlager, Arien, Aperçus und Filmgeschichte, bis endlich die finale Atombombe hochgeht."

"Man meint, in einem dreidimensionalen Bühnen-Wikipedia gelandet zu sein," schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (17.3.2012). Diese "performative Umspielung" des Themas "Schatten" wolle lässig wirken, wirkt auf den Kritiker aber lediglich nachlässig. Sich Dingen näher zu widmen, so Bergers Eindruck, sei nicht Sache von Alejandro Tantanian. "Nach einer knappen Stunde ist der Beweis erbracht, dass auch fünfundfünfzig Minuten eine Ewigkeit sein können."

Überfrachtet findet Monika Frank von der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung (17.3.2012) diese multimediale Zitaten-Collage. Aus ihrer Sicht gewinnt der knapp einstündige Abend an Wirkung und Unterhaltungswert "vor allem durch seine optische und musikalische Opulenz": Besonders wunderbar seien die Clips aus schattenreichen Schwarzweiß-Klassikern wie 'Eine Stadt sucht einen Mörder' oder 'Die Nacht des Jägers'. Zwar handele es sich auch hier nur um eine Zitaten-Collage, doch erhellen diese Filmclips das Motiv aus Sicht der Kritikerin, "weitaus ergiebiger als das literarische Pendant all die vordergründigen und hintersinnigen Assoziationen, die sich vom Schatten-Mythos ableiten lassen. "Ein Solo für Sven Prietz und Thomas Meinhardt" habe Alejandro Tantanian sein Stück im Untertitel genannt "und bietet doch gerade den Schauspielern so gut wie gar keine Entwicklungsmöglichkeiten. Beide mühen sich redlich mit ihren farblosen Rollen ab, ohne überzeugen zu können."

Kommentare  
Nie war der Schatten, Mannheim: vielleicht mal entspannen
signalisierte mehr Ratlosigkeit als große Emotionen... die Idee ist doch gut, dann muss man sich vielleicht mal entspannen und das einfach gut finden.
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