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Enttarnt: Kritiker Andreas Hillger schrieb unter Pseudonym Theaterstücke
Ende einer Doppelrolle
26. März 2012. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" meldet in seiner aktuellen Ausgabe, dass der bislang bei der "Mitteldeutschen Zeitung" unter Vertrag stehende Theaterkritiker Andreas Hillger jahrelang unter den Pseudonymen August Buchner und Frank Wallis Bühnenstücke (hier die Nachtkritik zu Wallis' "Jagd auf Junker Jörg") verfasst habe, die in seinem Berichtsgebiet aufgeführt wurden. Hillger habe zugleich "lobende Artikel über die Theatermacher, die seine Stücke auf die Bühne brachten", geschrieben. Vor wenigen Tagen habe zudem Hillgers Frau Ilka von einer "umjubelten Uraufführung" eines Stückes ihres Mannes in der "Mitteldeutschen Zeitung" berichtet.
Im Gespräch mit nachtkritik.de erklärte Andreas Hillger, der von 1999 bis 2001 auch der Jury des Berliner Theatertreffens angehörte, er sei sich seiner Schuld bewusst, in einer Grauzone operiert zu haben. Es sei ihm jedoch nicht um Bereicherung gegangen, sein Fall sei insofern anders gelagert als etwa der Fall Doris Heinze (deren Praktiken als Fernsehspielchefin beim NDR vor drei Jahren ans Licht kamen). Oft habe er in seinen Stücken Themen verwertet, die er journalistisch nicht hätte bearbeiten können, häufiger habe er auch gar kein Honorar erhalten.
2007 sei er erstmals von einem Kulturverein gebeten worden, fürs Theater zu arbeiten: Hillger konzipierte unter dem Namen August Buchner den Text zu dem "Choratorium" "Du, meine Seele, singe" über den protestantischen Kirchenlied-Dichter Paul Gerhardt. Für diese Nebentätigkeit hatte sich Hillger einmalig die Genehmigung seiner Zeitung eingeholt; bei seinen folgenden Autorschaften versäumte er es dann hingegen, seinen Hauptarbeitgeber zu informieren. Die Inszenierung von "Du, meine Seele, singe" besorgte André Bücker, der seit 2009 das Anhaltische Theater in Dessau leitet, über das Hillger regelmäßig Kritiken schreibt. Hillger betont jedoch, dass zwischen Bücker und ihm die Vereinbarung bestehe, keine Stücke des Kritikers in Dessau zu spielen.
Hillger wies auch darauf hin, dass der vom "Spiegel" inkriminerte Satz seiner Frau Ilka über die "umjubelte Uraufführung" einer Kinderoper auf ein Libretto von Hillger keineswegs in einer Rezension gefallen sei, sondern im Rahmen der Lokalberichtberichterstattung über die Umbenennung der Dessauer Musikschule. Den Eindruck zu erwecken, er sei mit Hilfe von Kritiken seiner Frau "zum meist gespielten Gegenwartsautor in Sachsen-Anhalt" (so der "Spiegel") geworden, sei absurd.
Trotzdem räumt Hillger ein, sich schon länger in der Doppelrolle als Kritiker und Theaterautor unwohl gefühlt zu haben: Er erlebe die Enttarnung in einem gewissen Sinne auch als Befreiung. Er habe sich, als er von den Recherchen des "Spiegel" erfuhr, sogleich der Chefredaktion der "Mitteldeutschen Zeitung" offenbart und um die Aufhebung seines Vertrages gebeten. Hillger will in absehbarer Zeit nicht mehr als Journalist arbeiten.
(wb)
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Begleitet wurde meine Arbeit auch von dem Journalisten Andreas Hilger, der sich für die Mitteldeutsche Zeitung schreibend, immer wieder in höchst abwertender Art und Weise sowohl inhaltlich, als auch formal laustark bei einer Premiere zu Wort meldete. Mit dem zuständigen Kulturredakteur Andreas Montag habe ich damals, unabhängig von einer kompetenten subjektiven Bewertung, die verantwortliche Haltung der regionalen Presse bei dieser schwierigen Aufbauarbeit sehr produktiv diskutieren können.
Andreas Hilger machte "Karriere" und ich erlaube mir jetzt, im Rückblick, ein kleines Lächeln, auch mit Blick auf all meine höchst engagierten Mitstreiter…
Die Süddeutsche zitiert den Dessauer Intendanten Bücker damit, dass diese Doppelfunktion ein "offenes Geheimnis" gewesen sei. Die Antwort auf Ihre Frage ist also wohl ja.
oder wie subjektiv Kritiker-Wahrnehmung sein kann
MZ, Andreas Hillger:
„Die Verknüpfung der beiden Werke bescherte dem Dessauer Kurt-Weill-Fest nun einen großen Eröffnungsabend im Anhaltischen
Theater. Erstmals seit der Jubiläumsproduktion des "Kuhhandel" im Jahr 2000 inszenierte ein Hausherr wieder selbst - und anders
als die anmaßende Karikatur seines Vorgängers zeigte André Bücker eine vielschichtige Deutung, die sich in den Dienst des selten
gespielten Weill-Erstlings von 1926 und des Vorläufers von 1892 stellte. Einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Konzepts hatte
dabei das Bühnenbild von Oliver Proske.“ ... "gemeinsam mit den
von Dorislava Kuntschewa und Helmut Sonne exzellent gearbeiteten Chören aber gelingt eine großartige Ensemble-Leistung. Und
beiläufig wirkt das Ganze auch wie eine Antwort auf die Festakt-Ansprache des scheidenden Ministerpräsidenten Wolfgang
Böhmer, der einmal mehr freihändig über An- und Zuspruch der Theater im Land sinniert hatte. Hier stimmt beides!"
Volksstimme, 28.2.2011
„Protagonist trifft Bajazzo: Viel Beifall
und viel Distanz
Ein mitreißender Auftakt des 19. Kurt-Weill-Festes war es nicht. Vor allem in der Stückewahl für den Eröffnungsabend lag das – aber auch in der Umsetzung. Am ausverkauften Anhaltischen Theater hatten am Freitag in Kombination Kurt Weills erste, 1926 uraufgeführte Oper "Der Protagonist", komponiert mit 25 Jahren, und "Der Bajazzo" (I Pagliacci) von Ruggero Leoncavallo in der Inszenierung von André Bücker Premiere.“ ... "André Bückers slapstickartige "Einwürfe" mit stark angetrunkenen Mimen, Auf- und Abgängen, angedeuteten Tanzeskapaden könnten mit Weills Intention zu darstellerischer Verknüpfung in Vielfalt gedeutet werden, wirken jedoch zu aufgesetzt." ... „ Einige Besucher verlassen die Premiere nach wenigen Minuten, einige mehr in der Pause. Bei vielen, die bleiben, ist Distanz zum Erlebten.“
Und hier die vollständigen Artikel:
http://www.volksstimme.de/kultur_medien/noch_mehr_kultur/461507_Protagonist-trifft-Bajazzo-Viel-Beifall-und-viel-Distanz.html
http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1297405365199
Die Verquickung von Kritikern in den Betrieb ist übrigens omnipräsent. Oft genug kommt es vor, dass Kritiker Vorgespräche mit den Regisseuren führen und anschließend schreiben sie eine Rezension des Abends, über den sie sich haben belehren lassen. Ist der Blick hier noch frei? Wie ist es mit jemanden, der sich für ein Theater auf ein Podium oder in eine Jury setzt (und Geld dafür kassiert) und danach weiter über das Theater berichtet? Es gibt Kritiker, die Bücher über Regisseure gemacht und über die gleichen Regisseure anschließend wieder Kritiken verfasst haben. Es gibt Kritiker, die in Dramaturgien saßen und dort viele Kontakte geknüpft haben, um anschließend wieder auf die journalistische Seite zu wechseln. Es gibt Kritiker, die in Kantinen rumhängen, und es gibt Kritiker, die selbst schon - z.B. in Volker-Lösch-Chören - auf der Bühne standen. Jeder Kritiker wird nun behaupten, dass er das trennen kann. Aber stimmt das? Und ab wann ist die Grenze überschritten? Eine Reflexion über diese Dinge scheint noch sehr in den Kinderschuhen zu stecken.
Die MZ - das sei auch einmal gesagt - wird Schwierigkeiten haben, einen ähnlich guten Schreiber wie Hillger für ihre Theatersparte zu finden. Und noch etwas spricht für Hillger: dass er ohne zu zögern die Konsequenzen getragen hat. Ein Wulff hat da deutlich länger gebraucht.
PS Ja, ich kenne Andreas Hillger persönlich. Flüchtig, aber ich kenne ihn.
vielen Dank für Ihren Kommentar. Auch wenn Sie möglicherweise bei einigen Lesern, Kommentatoren usw. als befangen gelten werden, finde ich Ihre Beschreibung und Einschätzung der aktuellen (Herrn Hillgers Position und Funktion in der sachsen-anhaltischen Kultur-/Theaterszene) und des allgemeinen "Zusammenspiels" von Kulturschaffenden und -Vermittlern sehr klar und treffend formuliert. Jede/r die/der das leugnete, müßte, so denke ich, einen Gegenentwurf zu den bestehenden Verhältnissen wagen ...
(Sehr geehrter Leser,
so viel kann man zur Beruhigung sagen: Der Monatsplanungsdienst von nachtkritik.de lässt sich nicht von der Werbeagentur darüber informieren, welche Theater gerade Anzeigen bei uns schalten.
Mit freundlichen Grüßen vom Planungsdienst April, Christian Rakow)
Und, Herr Behrens, fast alle von Ihnen beschriebenen Praktiken der Vermischung von Journalismus, Gefälligkeit und Geschäft werden überwiegen von Freiberuflern betrieben, die oft ökonomisch gar keine andere Wahl haben. Als Stadelmaier in der FAZ vor ein paar Jahren mal diese Art von Korruption angeprangert hat, nannte er auch nur Freie als Beispiele. Herr Hillger war festangestellter Theaterkritiker, da muss man sowas nicht machen.
Sie haben durchaus recht, dass die MZ Schwierigkeiten haben wird, einen ähnlich guten Schreiber zu finden wie Herrn Hillger. Ich halte ihn für einen sehr kompetenten Kritiker, allerdings schienen mir seine Sympathien innerhalb des Verbreitungsgebietes der MZ bisweilen etwas ungleich verteilt.
Es geht also weder um einen Indizienprozess, noch darum, ein grundsätzliches "Mani pulite"-Verhältnis abzuleiten. Niemand hat behauptet, dass alle Kritiken Hillgers manipuliert waren, selbst der SPIEGEL nicht, aber es gab eben auch Fälle, die man durchaus kontrovers diskutieren kann.
Es geht auch überhaupt nicht darum, ein Theater durch andauernd schlechte Kritiken zum Abschuss freizugeben. Wenn Sie allerdings diese Thema schon anschneiden, würde ich gern Herrn Hillgers Äußerungen im Deutschlandradio Kultur vom 3.2.2012 hinterfragen:
„In Halle hat man das Opernhausorchester und die Philharmonie zusammengelegt. Mit dem widersinnigen Effekt, dass dort - in der Provinz - das zweitgrößte Profiorchester Deutschlands entstanden sei, moniert der Journalist.“
(http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/laenderreport/1668355/)
Erstens ist die Behauptung vom zweitgrößten Profiorchester Deutschlands schlecht recherchiert, denn sie stimmte nicht im Jahr 2006, und jetzt, 2012 noch viel weniger. Zweitens frage ich mich, wieso er gerade jetzt zu dieser Erkenntnis kommt? Immerhin liegt die Vereinigung der beiden Orchester schon sechs Jahre zurück. Viel „Sympathie für die Theater“ kann ich hier nicht entdecken. Eher den Versuch, sich am unseligen Ausspielen der drei großen Häuser Sachsen-Anhalts gegeneinander zu beteiligen.
Dass man in Halle über solche Bemerkungen des Kulturredakteurs der MZ nicht sonderlich amüsiert ist, kann ich durchaus verstehen.
http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1333089706846&openMenu=1013083806110&calledPageId=1013083806110&listid=1018881578428
der link im letzten Kommentar von 'Papageienlügner' funktioniert nicht mehr. Der folgende sollte es tun: http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1333089706846&calledPageId=987490165154