altSo schlau als wie zuvor

von Nadja Lauterbach

Bautzen, 30. März 2012. Im Programmheft ein Verweis darauf, was Goethes Mammutwerk dem Inszenierungsteam um Therese Thomaschke am Deutsch-Sorbischen Volkstheater ist. Ein Verweis, der seinen Schatten voraus wirft, bezeichnet er doch den zweiteiligen Faust-Stoff fast kniefallartig als "gigantisches Ölgemälde, das bis ins Detail durchkomponiert ist". Dies "in einer zweistündigen Puppentheater-Inszenierung zu spielen", sei wiederum der Versuch, besagtes Ölgemälde "mit ein paar Buntstiften auf ein kleines Blatt Papier zu skizzieren." So hebt sich der Theaternebel, der den Saal bereits vor Stückbeginn in verheißungsvolle mystische Stimmung zu hüllen sucht. Das Spiel um die Wette zwischen Gott und Teufel und um das, was die Welt im Innersten zusammenhält, beginnt.

Das Bühnenbild (Christian Werdin) ist genial pragmatisch und unverkennbar faustisch – geometrische Formen, Tetraeder und Würfelnetze, soweit das Auge blickt. In einer dieser Netzbauten entspinnt sich die Geschichte – als Figurentheater mit Musik für Jugendliche und Erwachsene. Die sechs Spieler übernehmen dabei allesamt Doppelrollen – agieren sowohl mit ihren eigenen Körpern als auch mit ihren sehr menschlichen Puppen (Christian Werdin/ Marita Bachmaier), die etwa halb so groß sind wie sie.

Erfrieren im Schnee

Therese Thomaschkes Inszenierung gleicht einem Kampf gegen die Zeit: Von der ersten Minute an jagt sie durch den Stoff, als wäre ein Soll zu erfüllen. Vom Prolog im Himmel vergehen kaum zehn – getreu und brav inszenierte – Minuten, bis Gretchen in ihrer Stube sitzt und dem König von Thule huldigt. Derart gestrafft wirken auch die berühmten Zitate wie aus einer Kanone gefeuert. Ein Knaller jagt den nächsten. Es findet sich kaum Zeit, Zeit zu haben. Um zum Beispiel die magisch angelegten Szenen vom Tor, der stets so schlau ist wie zuvor, wirken zu lassen.

Therese Thomaschke spricht im Programmheft vom Effekt des "Maggi-Würfels" – der sich auflöst, in dem aber "die ganze Geschichte enthalten ist". Etwas dramaturgisches "Suppengrün" hätte der Inszenierung trotzdem gut getan. Im Sinne einer entspannteren Entwicklung wäre darüber hinaus mit ein paar Sprechpausen gewiss mehr Atmosphäre drin gewesen. Denn die Regisseurin hat sich bei der Szenenauswahl von Friedrich Wilhelm Murnaus Faust-Stummfilm inspirieren lassen. So lässt sie Gretchen ihr Kind nicht töten, sondern im Schnee erfrieren.

Rote Lämpchen am Kesselrand

Die grundsätzliche Unentschlossenheit der Inszenierung scheint am Premierenabend auch die gehetzten – und doch erfreulich spielwütigen – Schauspieler ein wenig verstört zu haben. Marie-Luise Müller als Mephisto, Andreas Larraß als Gott, Stephan Siegfried als Faust und Annekatrin Weber als Gretchen spielten mit ihren Kollegen und ihren sicher geführten Puppen dagegen an, dass nicht wahr werde, was in der Bautzener Fassung Erzengel Gabriel am Anfang befindet: "das Stück verhunzt von Anfang an, das kann man Billigunterhaltung nennen."

Zu großen Teilen gelingt es den Schauspielern auch, dagegen zu halten. Manche Peinlichkeit können sie dennoch nicht überspielen: etwa die unbeholfene Hexenküche mit viel zu viel Pyrotechnik und roten Lämpchen am Kesselrand. Hier wird der Zuschauer zur Gänze der Möglichkeit beraubt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Erst im zweiten Teil des Abends, gleichermaßen der Tragödie zweiter Teil, gewinnt die Inszenierung an Intensität. Goethes ätherlastige Verse werden esoterisch und verklärt, in antiker Ästhetik und Mystik mit wunderbar einfachen Requisiten und vielen Lichtwechseln dargestellt.

Therese Thomaschke hat hinter "FAUST" einen "Punkt" gesetzt und ihrer Version den Untertitel "das Leben einer Legende" gegeben. Faust als Retrospektive? Das würde die Verdichtung erklären, die die Regisseurin für ihr Figurentheater nach Goethe wählte. Doch oft bleibt für gelungene szenische Ideen keine Zeit, werden sie allenfalls an- und abgerissen. Das ist schade, weil der Abend so zur Szenencollage zu verkommt, zu einem wertungsfreien Abbild des "gigantischen Ölgemäldes". Doch so blass dürfte kein Buntstift zeichnen.

 

Faust. – das Leben einer Legende
nach Johann Wolfgang von Goethe
Textfassung und Regie: Therese Thomaschke, Bühne: Christian Werdin, Puppen: Marita Bachmaier, Christian Werdin, Dramaturgie: Carmen Paulenz.
Mit: Marie-Luise Müller, Annekatrin Weber, Stephan Siegfried, Andreas Larraß, Lutz Patz, Carmen Paulenz.

www.theater-bautzen.de

 

Kommentare  
Faust, Bautzen: entsetzt
Bei diesem Stück haben mir die Worte gefehlt.
Ich war entsetzt.
Faust, Bautzen: Schülerbesuch 1
Sehr geehrte Leser,

als ich dieses Puppen- und Theaterstück ,am 04.05.2012 in Form eines Ausflugs meiner Schule, besuchte, wurden meine Erwartungen während der Vorstellung schwer erschüttert.
Ich fragte mich natürlich schon vor der Vorstellung, wie man denn gleich beide Teile von Faust in ein Theaterstück, von einer Dauer von
ca. 2 Stunden bekommen könnte und lies mich einfach überraschen. Ich freute mich sehr auf diese Vorstellung, weil ich mich für literarische Werke von bekannten Dichtern und Schriftstellern interessiere.
Vor der Vorstellung wurde dem Zuschauer bekannt gegeben, dass einige Teile aus Goethes Werk anders dargestellt werden, wovon ich mich nicht weiter beeindrucken ließ.
Als ersten möchte ich erwähnen, dass die schauspielerische Leistungen der einzelnen Darsteller nicht zu bemängeln ist. Jedoch war ich von der Inszenierung des Stückes sehr enttäuscht.
Das Bühnenbild wurde sehr schlicht gehalten und die "Special Effekts" wirkten teilweise etwas "albern".
Die Dialoge waren teilweise übermäßig zerpflückt und berühmte Zitate wie zum Beispiel: "Das steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor" wurden umgeändert und nun (zu meinem Entsetzen) von Mephisto gesprochen. "Da stehst du nun, du armer Tor! Und bist so klug als wie
zuvor". Ebenfalls wurde das Gedicht "der Osterspaziergang", welches nach den Lehrplänen der 10.Klassen den Mittelschulen in Sachsen behandelt wird, nun auf einmal von Margarethe und nicht von Heinrich Faust vorgetragen.
Viele Dialoge und Stücke aus Goethes Meisterwerk wurden umgeschrieben oder radikal weggekürzt, was manchmal zu Verwirrung im Publikum führte.
Die Walpurgisnacht wurde zum Beispiel in einem Schrank dargestellt, in den Faust und Mephisto sich "versteckten". In dem Schrank war ein Spielautomat aufgebaut, welcher wie wild blinkte; an den Türen des Schrankes war eine Herzen-Leuchtkette zu sehen und auf der anderen Innenseite der Schranktür hing eine "Betty Boop" Plastikfigur.
Erst nach dem Stück wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass diese Vorrichtung die Walpurgisnacht darstellen sollte.
Teilweise konnte man gewissen Zusammenhänge nicht nachvollziehen, was zur Verwirrung bei meiner Klasse und im Publikum führte.
Oft konnte ich von Mitschülern, während der Vorstellung, Sätze hören wie: "Ich versteh das jetz nicht" oder "Ich hab den Faden verloren".
Für eine schulische Veranstaltung ist diese Inszenierung wahrlich ungeeignet.

Insgesamt war ich nach der Vorstellung sehr schockiert und musste mich fragen wie ich diese interpretieren soll. Ich bin mit größer Erwartung in diese Vorstellung gegangen, welche dann nicht erfüllt wurden.

Jedoch möchte nochmal erwähnen, dass die Schauspieler sehr gute Arbeit geleistet haben und verdienen trotz allem meine Hochachtung und meinen größten Respekt.

Alexander, 16
Faust, Bautzen: Wer schrieb?
Wieso habe ich jetzt den Eindruck, dass das eher ein enttäuschter Lehrer oder eine Lehrerin geschrieben hat?
Faust, Bautzen: lockerer und kreativer Umgang mit Original
Sehr geehrte Leser und Leserinnen,
Ich habe das Stück am 26.04 besucht und muss "Alexander" komplett widersprechen!
Ich finde, man kann durchaus sagen, dass das Theaterstück gelungen ist. Zuerst hörte es sich nach langweiligen Puppentheater an, aber das war überhaupt nicht der Fall!!
Bemerkenswert ist vor allem die wirklich gelungene Kürzung der zwei Tragödien und die Einbringung eigengeschriebener, kreativer, aber passender Texte. Die Schauspieler leisteten ganze Arbeit: Jeder von ihnen hatte eine Doppelrolle und dementsprechend Text. Sie verdienen durch ihre Leistung großen Respekt und Hochachtung! Der Einbezug der Puppen machte das Bühnenspiel lebendiger. Auch die teilweise übertriebene, provozierende Art der Frau Marthe war gerade für uns Schüler eine Abwechslung zu den aus dem Buch schwer zu verstehenden Texten und wirkte amüsant. Die Kostümierung- vor allem von Mephisto- hat mir sehr gut gefallen. Interessant war auch die Umsetzung der Walpurgisnacht, welche in einen Spielautomat mit blinkenden Lichtern und Herzchenleuchtkette dargestellt worden ist. Auch andere Effekte, wie die verwendete Pyrotechnik, gestalteten das Theaterstück lockerer.
Die Änderungen, wie zum Beispiel, dass Magarethe den „Osterspaziergang“ vortrug, fande ich interessant. Es wird ganz klar gezeigt, dass man für eine gut gelungene Aufführung nicht immer streng am Original bleiben muss.

Negativ hingegen ist anzumerken, dass es für die Schüler teilweise schwer verständlich war, wenn sie den zweiten Teil der Tragödie noch nicht in der Schule behandelt hatten, was aber nicht an Therese Thomaschke oder den Schaupsielern lag!
Manchmal wurden zu große Sprünge zwischen den einzelnen Akten gemacht, was teilweise zur Verwirrung und zu Unverständlichkeiten führte.

Anna, 16
Faust, Bautzen: keine Lehrerin
Das schmeichelt mir ja wirklich, aber ich bin kein/e Lehrer/in.

Ich finde, wenn man sich an solch ein Stück wagt, ist es nicht vorteilhaft so streng vom Orginal abzuweichen. Da sich viele Schüler dieses Stück angesehen haben, um das (für manche schwer versändliche) Stück besser zu verstehen, waren Abweichungen wirklich unvorteilhaft, weil es wirklich zu Verwirrungen führte.
Selbst unsere Lehrerin musste im anschließendem Unterricht manche Szenen aufklären, weil sie wirklich zu schwer zu verstehen waren.!

Jedoch möchte ich nochmal die Schauspieler loben, die trotz dieser Inszenierung des Stückes wunderbare Arbeit geleistet haben.
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