altFalschgold

von Marcus Hladek

Frankfurt, 4. April 2012. Unauffällig rückt der französische Dramatiker Bernard-Marie Koltès derzeit wieder auf die Spielpläne und wird dabei, so scheint es, kenntlicher denn je. Die Risse und Klüfte des "grundlosen Mörders" Roberto Zucco etwa stehen, leicht abgeschliffen, der Lesbarkeit der Figur nicht mehr im Weg. Koltès griff sich diesen Roberto Zucco 1988 als realen Eltern-, Polizisten-, Frauen- und Kindsmörder frisch und heiß aus dem Trivialplasma der Medien und stellte ihn namensgleich auf die Bühne, weil er so kraftvoll bürgerlicher Moral spottete, also: so geschickt der Festnahme und Haft entging, so lustvoll der Grenze von Irrenhaus und Knast spottete, so effektvoll vom Gefängnisdach die skandalöse Pöbelei lieferte, die alle nötig hatten.

zucco3 280q birgit hupfeld u"Roberto Zucco" © Birgit HupfeldKaum einer weiß noch vom vergangenen Ruhm-der-Stunde des Dramatikers Koltès, dem Heiner Müller zugestand, er lebe wie Pasolini am Rand, im Riss und werfe von dort aus eher Steine als handelsübliche Ping-Pong-Dialoge zu schreiben. Umso greifbarer mutet die zerrissene Form heute an, zumal in Philipp Preuss' Regie in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt, wo der Chor der Opfer wie eine Kultgemeinde nach dem rechten Namen für ihn, den mythischen Helden, sucht: Mörder? Normalo? Geburtshelfer zum Tode? Verrückter?

Mörderischer Halbgott

Ausstatterin Ramallah Aubrecht bettet Zucco in einen leicht verwinkelten Raum mit drei alten Foto-/Kaffee-Automaten, aber nur einer richtigen Tür: mehr dokumentenechtes Abbild und trügerischer Schein als echter Ausweg zur Befreiung? Zucco, von Benedikt Greiner als wacher Beobachter und gar nicht böser, nur eiskalt-amoralischer Täter in Standbein-Spielbein-Posen interpretiert, trägt einen Anzug im Farbton von Goldbronze, der uns den Medienliebling der Stunde, den unter Menschen wandelnden Halbgott vorgaukelt.

Die ganze Szene ist in Gold getaucht, freilich ins Gold quadratischer Kassetten-Paneele an den Wänden, die wie schalldämpfende Elemente unter Goldlack oder wie aberhundert Pralinenschachtel-Plastikböden wirken. Dies Gold ist demnach quasi-religiöser Fonds und medialer Tand zugleich: so stilisiert und künstlich wie das Auftreten der Figuren.

Opferparade

Dem Helden in Gold liefern die andern als Opferparade live und auf großem Video den Hintergrund: Heidi Ecks als Zuccos Mutter und als geiles Luxusweibchen mit S-Klasse-Mercedes und Helsinki-Syndrom, der Zucco aus freundlich gemeintem Missverständnis mit der Nur-Finger-Pistole den Tennis-Sohn gekillt hat. Lisa Stiegler als naives Mädchen im blauen Kleid und Entjungferte, die ihre angeschminkten Todesspuren vom Video dann im Spiel mit Zucco trägt wie ein Schicksal.

zucco2 560 birgit hupfeld u"Roberto Zucco" © Birgit Hupfeld

Christoph Pütthoff als ihr Macho-Bruder, der immer dann eifrig auf sie aufpasst, wenn er sie nicht lieber als Hure verhökert, aber auch als Inspektor mit losem Klebeschnauzer und Sohn der Dame. Schließlich, und besonders überzeugend, Sébastien Jacobi als Zweiter Polizist im Frankfurter Frühling, vor allem aber als komischer Transvestit, der (im Hinterbühnen-Videospiel Konny Kellers) französisch parlierend Trost für arme Opfer wie Stiegler spendet.

Hamlet im Wartestand

Wenn dieser "Roberto Zucco" bündiger, griffiger wirkt als jeder, den man in den 1990ern gesehen zu haben meint, liegt das wohl vor allem daran, dass sich Preuss nicht vom intellektuellen Grenzüberschreitungs-Bombast verschüchtern lässt. Lieber greift er zu komödiantischen Mitteln. Wie Jacobi und Pütthoff Seite an Seite, in schwarzen Anzügen und Rollkragenpullis frontal zum Publikum, als Polizisten-Brüder das Spiel eröffnen, derweil Zucco hinten abgewandt an der über neunzig Minuten von Weiß in Schwarz oder Negativ in Positiv kippenden Titel-Lichtschrift steht – das hat, als Pingpong-Dialog und kodiert-komisches Entrée, viel von Duos à la Rosekrantz und Guildenstern, mit Greiner/Zucco als Hamlet im Wartestand, dem das abenteuerliche Geschehen zustößt wie einem Peer Gynt. Preuss verweigert Zucco den Befreiungs-Kitsch des Autors; Zuccos Opfer sind ihm nicht mehr selbst schuld, und ohnehin ist alles nur ein Spiel. So liest Preuss' Inszenierung das Stück fruchtbar gegen den Autor – und hat mit der leise begleitenden Bassstimme immer einen stützenden Rhythmus zur Hand.

Roberto Zucco
von Bernard-Marie Koltès. Deutsch von Simon Werle
Regie: Philipp Preuss, Bühne und Kostüme: Ramallah Aubrecht, Dramaturgie: Alexandra Althoff, Musik: Thomas Esser, Video und Live-Kamera: Konny Keller.
Mit: Benedikt Greiner (Roberto Zucco), Heidi Ecks (seine Mutter; die elegante Dame), Lisa Stiegler (das Mädchen), Christoph Pütthoff (ihr Bruder; der schwermütige Inspektor; Kind der eleganten Dame; Erster Polizist), Sébastien Jacobi (die Patronne; der Herr; Zweiter Polizist).

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Sylvia Staude schreibt in der Frankfurter Rundschau (7.4.2012): Regisseur Philipp Preuss konzentriere sich bei einer Inszenierung ganz auf das Motto "Du bist ein Held, Zucco". Und weil man einen Helden "offenbar vergolden" müsse, glänze die Kammerspiel-Bühne, "was der Goldlack hält". Der Mörder ein Pop-Star. Diese problematische Verherrlichung eines motiv-, gedanken- und skrupellosen Täters sei in Koltès Stück "durchaus angelegt". Preuss habe sich für eine Art "Zucco Horror Picture Show" entschieden. Morde und Gewaltgeschehen würden aus Passfotokabinen "großformatig und teils in extremer Nahaufnahme auf die Bühnenrückwand übertragen". Die Frage des Gefängnisaufsehers, was Mörder von anderen Menschen unterscheide, übergehe die Inszenierung "cool". Obwohl viel rumgebrüllt werde, wirke vieles an diesem Abend "wie in Goldwatte gepackt".

Sabine Kinner schreibt in der Frankfurter Neuen Presse (7.4.2012): Was bringt einen Menschen dazu, einen anderen Menschen zu töten? Diese Frage werfe das "komplett dem Mörder gewidmete Stück" auf. Koltès habe in "Roberto Zucco" die bürgerliche Moral einfach umgedreht nach dem Grundsatz: Nicht der Verbrecher ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt. Das habe der bezichtigten Gesellschaft wohl zu denken geben sollen. Philipp Preuss spiele "die Idee vom gefallenen Engel" durch und stelle Benedikt Greiner mit goldfarbenem Anzug in eine Zelle, die mit ihrer "goldfarbenen Kunststoffauskleidung" dem "Inneren einer Pralinenschachtel" ähnele. Der solcherart präsentierte Goldjunge wirke "beinahe wie eine Oscar-Preisstatue". Preuss schicke das Stück durch "die Häckselmaschinerie des multimedialen Theaters". Doch je mehr Aufwand die Inszenierung betreibe, desto weiter scheine sie sich aber von ihrer Hauptfigur zu entfernen.

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