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Upsi, upsi, ja

von Andreas Schnell

Oldenburg, 20. April 2012. "Ein Kindergeburtstag mit Musik" heißt das neue Stück von Marc Becker im Untertitel, zur Eröffnung des dritten PAZZ Festivals in der "Container City" vor der Exerzierhalle Open Air uraufgeführt. Real existierenden Eltern zufolge geht es auf echten Kindergeburtstagen sehr ähnlich zu wie in dem Sandkasten, in dem "Avanti Infantilitanti" angesiedelt ist. So ganz dann allerdings doch nicht. Denn die drei "Jungs" tragen Stoppeln im Gesicht, und auch das "Mädchen" ist unschwer als erwachsene Frau zu erkennen.

Aber der Reihe nach: Als erstes lernen wir Clemens kennen. Der fährt mit seinem Spielzeugfeuerwehrwagen um den für ihn viel zu großen Tisch, spricht in ein Plastik-Walkie-Talkie und trägt einen abscheulich grünen Pullunder, wie ihn kein Kind freiwillig anziehen würde. Clemens hat heute Geburtstag. Deshalb kommen Gäste, zuerst Elisabeth, dann Hubert und schließlich Günther. Sie bringen Geschenke, alle das gleiche. Was aussieht wie Sektkorken, gibt für die kleine Party Spielzeugflugzeuge ab. Die Feiernden jagen sich damit um den Tisch, schießen sich ab, alles unter enormem Geschrei und Krakeel und Comic-Sprache: Boom, Paff, Oink!

avanti3 560 andreas j etter uTralalalala! Das Ensemble von "Avanti infantilitanti" © Andreas J. Etter

Natürlich verfeindet man sich im Sandkastenland auch mal, wenn einer den Spaß zu weit getrieben hat; tritt sich vors Schienbein, versöhnt sich wieder. Und denkt sich immer neue Spiele aus. Tut, als trinke man Pipi, und derlei mehr. Zwischendurch gibt es Kuchen, der erwartungsgemäß auch zum Wurfgeschoss wird. Sollten da nicht die Eltern ab und an ein Auge drauf haben? Oder schauen wir gar nicht Kindern zu, die von Erwachsenen gespielt werden, sondern Erwachsenen, die Erwachsene spielen, die Kinder spielen?

Gaga-Philosophie
Während der Kindergeburtstag sich über eineinhalb Stunden mit gnadenloser Konsequenz zu Live-Musik auf Schlagzeug und E-Gitarre fortsetzt, Eierlaufen und Doktorspiele inklusive, gibt es kleine Brüche, die auf letzteres hindeuten: Clemens holt sich, während Günther grimassierend eine sinnfreie Melodie quäkt, die "Financial Times" und liest darin, wie Elisabeth und Hubert gelegentlich betreten auf den infantilen Freund schauend.

Später unterhalten sich die vier Freunde mit Kinderstimme gaga-philosophisch über das Denken an sich, das Leben als Prozess und die Rolle des Denkenden darin. Ein wenig verstörend dann, wie sie Vietnamkrieg mit Papphubschraubern und Massaker unter der Zivilbevölkerung spielen, zuckende Opfer im Todeskampf inklusive. Um anschließend noch ein paar Kunststücke vorzuführen – in einer Notdürftigkeit, die Kindern genügt, weil sie die Fantasie haben, sich den Rest vorzustellen, und die Eltern Kindern abnehmen, weil es ja nunmal Kinder sind. Am Ende tanzen sie eine Art Pogo und singen: "Tralalalala, upsi upsi, ja", während sich links von der Bühne ein riesiger Teddy aufbläht.

Grell überzeichnet
Da sitzt man nun, ist durchaus angetan von der Leistung des Ensembles. Vor allem Sarah Bauerett als Elisabeth ist ganz hinreißend, aber auch die drei Herren haben die Körpersprache von Kindern offenbar genauestens studiert. Die vier scheinen sehr viel Spaß an ihren Parts zu haben, der sich ohne weiteres aufs Publikum überträgt. Trotzdem wird es einem irgendwann lang, zumal Becker seine besten Ideen schon zu Beginn abfeuert.

Indem vier Erwachsene vorgeführt werden, die sich wie Kleinkinder benehmen und noch die grausamsten Spiele mit Genuss durchspielen, wird die Differenz zwischen kindlicher Unwissenheit und gefährlicher kindischer Ignoranz gezeigt. Angesichts der grell überzeichneten Inszenierung fällt es allerdings leicht, in diesem Zerrspiegel stets nur die anderen zu erkennen, die man ohnehin gern der Borniertheit verdächtigt. Eine Beschreibung gesellschaftlicher Gegenwart sieht anders aus.

Avanti Infantilitanti (UA)
von Marc Becker
Regie: Marc Becker, Bühne: Harm Naaijer, Kostüme: Alin Pilan, Musik: Peter M. Glantz, Jens Hasselmann, Dramaturgie: Matthias Grön.
Mit: Vincent Doddema, Sarah Bauerett, Denis Larisch, Gilbert Mieroph.

www.staatstheater.de

 

 

Kritikenrundschau

Einem "furiosen Kindergeburtstag, bei dem die Schauspieler ihrer Spielfreude, ihrer Lust am Chaos und Tohuwabohu freien Lauf lassen", hat Lore Timme-Hänsel beigewohnt, wie sie in der Nordwestzeitung (23.4.2012) schreibt. Das "Stück über den Jugendwahn" strotze nur so vor klugen und komischen Ideen: "Mit einer geballten Ladung an Spielwitz wird die Spaßgesellschaft, die sich keiner Verantwortung für nichts und niemand bewusst ist, auf die Spitze getrieben."

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