Presseschau vom 28. April 2012 – Bei Dumont fragt Tobi Müller nach der Zukunft von Pop- und Theaterkritik

Immer noch am Tropf der Holzmedien

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28. April 2012. "Was wird aus der klassischen Pop- und Theaterkritik in Zeiten des Internets?", fragt Tobi Müller, Alleinjuror der Autorentheatertage des Deutschen Theaters und ehemaliger Theatertreffen-Juror, in der Berliner Zeitung (28.4.2012).

Die Tageszeitungen seien in der Krise, schreibt Müller. Diese Krise sei auch eine Krise der Kritik, die "das Kulturerlebnis als Welterfahrung deutet", eine inhaltliche Krise mithin, die auch das Internet nicht beheben könne. Sie habe zu tun mit dem Rückgang der Honorare: "Ein freier Theaterkritiker verdient heute ungefähr halb so viel wie vor zehn Jahren." nachtkritik.de  und selbst die "Blogosphäre", die die "alten Medienkanäle entmachten" wolle, lebten "parasitär" von den Printmedien. Die Schreiber im Netz "verdienen Geld in den großen Medienhäusern". Deshalb sei "die Krise der Holzmedien" auch eine "Krise der Kritik im Netz".

Theaterkritik im Netz

Im November 2011 sei in der Schweiz das Portal theaterkritik.ch gegründet worden, vor allem um auch kleinen Theatern für ihre Produktionen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Theater zahlen selbst zur Kritik dazu, doch mehr als 27 Produktionen seien seit November nicht besprochen worden. Kommentare gebe es noch keinen einzigen. "Die 600 Franken (rund 500 Euro), die eine Gruppe ausgibt, führen in eine Art selbstgewählten Ausschluss der Öffentlichkeit, die man sich offenbar doch nicht kaufen kann."

Erfolgreicher sei nachtkritik.de. Aber auch dort würden die meisten Kritiken so geschrieben, "als wollte man sie genauso auch noch einer Zeitung verkaufen (was einige auch tun)". Die Form habe sich noch nicht emanzipiert. Von einem "ökonomisch tragfähigen Modell" sei selbst dieses "berühmteste Kritikportal mit knapp 200.000 Besuchen im Monat weit entfernt, die Mitarbeit ist nur als Ergänzung zu einem Brotjob möglich".

Popkritik: kein Ende des Gate Keepers

Obwohl es ein Popbürgertum gebe, das Musik als Teil einer ästhetischen Welterfahrung betrachte, herrsche zumindest in Deutschland "digitale Kritikdürre". Erfolgreich sei einzig die "Abgehört"-Kolumne von Jan Wigger und Andreas Borcholte auf Spiegel Online. Und obwohl "man in internetaffinen Kreisen nun jahrelang von der Abschaffung des Gate Keepers gesprochen" habe, vom "Ende des professionellen Kritikers" sei "Abgehört" das reinste Gate Keeping durch professionelle Kritiker. Und während sich einige Feuilletons ängstlich an kulturfernen Lesern orientierten, schmissen Wigger und Borcholte "mit Namen und Wissen nur so um sich". Trotzdem bleibe es ein "Format der Kaufempfehlung", und nicht der "Kritik im aufklärerischen Sinne", was heiße: "die Welt durch das Kunstwerk neu zu betrachten".

Zum Theatertreffen gebe es nun genauso wie zu den Autorentheatettagen des Deutschen Theaters "wieder einen Blog, den Nachwuchsjournalisten bestücken". Bleibe bloß die Frage, für welche Blogs die jungen Menschen später schreiben sollten, "außerhalb ihrer Freizeit".

(jnm)

 

Über Die Krise der Theaterkritik sprach Tobi Müller auch im August 2011 beim Zürcher Symposium KulturMedienZukunft

 

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