altA-U-S!

von Juliane Voigt

Greifswald, 9. Mai 2012. Becketts "Endspiel" bekommt am Theater Vorpommern gerade noch eine Extra-Endspiel-Note: Das war's! Das Theater ist aus. "A-U-S", so deklamiert es der Diener Clov wie einen herzzerreißenden Abgesang. Ein paar Schauspieler des Ensembles bleiben. Den meisten in der Sparte aber wurden die Verträge trotz anhaltenden Protests nicht verlängert. Auch Matthias Nagatis verlässt das Haus, an dem er seit 1998 das Schauspiel leitete. Das "Endspiel" war seine letzte Arbeit. Soviel zum Hintergrund. Noch Fragen zur Stückauswahl? Wohl kaum. Die Zeiten sind ernst. Allgemein und im Theater.

endspiel2 560 vincent leifer xJörg F. Krüger (vorn)  und Christian Holm in Becketts "Endspiel" © Vincent LeiferEs ist ja gerade die Hoffnungslosigkeit, das Nichts, das sich im Endspiel aufbläht. Wie ein Ballon, der am Ende nicht zerplatzt, sondern durch ein Leck auslüftet, eine fade Wolke und eine schlaffe Hülle übrig lässt. Die Bühne im Rubenowsaal ist eine Drei-Seiten-Gruft. Kaltes Steingrau dominiert, ein übergroßes Kreuz an der Wand, zwei schmuddelig grüne Mülltonnen stehen auf dem Altar. Markus Voigt als Diener Clov wackelt steifbeinig Treppchen auf und Treppchen ab. Sonnenlicht schießt durch eine Tür, die er kurz öffnet und schnell wieder zumacht. Der Höhlenausgang ist kein Ausweg. "Da draußen ist der Tod", heißt es später im Text. Irgendeine Katastrophe hat sie zu den letzten Überlebenden der Menschheit gemacht. Die andere Tür gehört zur Küche. Clov hantiert emsig. Er ist der, der hier als letztes Exemplar Mensch auf zwei Beinen das Ruder in der Hand hat. Eine Leiter muss hier und da hin, zwei Fensterchen werden ganz oben in der Wand auf- und zugeschoben. Die Müllentsorgung birgt Komplikationen, weil die Säcke den Behältern explosionsartig wieder entweichen.

Eine überdrüssige alte Freundschaft

Schließlich schiebt Clov seinen Herrn Hamm auf die Bühne. Requisiten und Personal sind ja überschaubar. Ein Sessel mit sehr kleinen Rädchen, wie Beckett es verlangt. Jörg F. Krüger als Hamm versucht es unter einem Leichentuch mit dem Sterben, eine Hand mit Zigarette ragt an der Seite heraus. Es klappt nicht. Er will sein Beruhigungsmittel. Das sei noch zu früh. Clov und Hamm sind voneinander abhängig und hassen sich, obwohl es eher den Anschein einer überdrüssigen alten Freundschaft hat. Der eine kann Stehen, aber nicht Sitzen, der anderendspiel1 280 vincent leifer xAusgespielt: Christian Holm und Marta Dittrich als Nagg und Nell, die beide das Greifswalder Ensemble verlassen müssen. © Vincent Leifere kann nicht Laufen und ist blind, hat aber den Schlüssel zu den Lebensmittelreserven. Wenn Clov geht, sterben alle Anwesenden unweigerlich.

Denn schließlich gibt es noch Nagg und Nell, die Erzeuger Hamms. Christian Holm und Marta Dittrich gehören zum entlassenen Theaterpersonal. Hier siechen sie also schon in der symbolischen Mülltonne. Die beiden sind ein heiteres Pärchen, auf's Fürchterlichste vergreist. Amüsieren sich köstlich über den Fahrradunfall, bei dem sie ihrer Beine verlustig wurden. Mümmelnd kauen sie Zwieback, brabbeln zahnlos.

Overacting im Angesicht des Weltuntergangs

"Wir sind doch nicht etwa im Begriff, etwas zu bedeuten?", das finden sie lustig und empören sich lautstark über Zustände, die sie im nächsten Moment vergessen. Auch die sich ständig wiederholende Geschichte von Hamm, die so unsäglich langweilig ist, dass endlich auch das Publikum die ersehnte Leere beschleicht. Aber die Endzeitstimmung und die von Hass erfüllte Abhängigkeit, die Beckett meinte, fühlt sich an dem Abend nicht so an. Es wird eisern gespielt. Dabei könnte man sich in den absurden Handlungsverläufen und den Wiederholungen so trefflich gehen lassen, sich voller Todessehnsucht überdrüssig werden. Es bleibt zu schwankhaft – Overacting im Angesicht des Weltuntergangs. Wer es richtig trostlos haben will, der sollte hier oben im Nordosten lieber ein Fußball-Endspiel gucken.

Am Ende ist es in den Mülltonnen still, Hamm zieht sich das Tuch über die blinden Augen. Clov steht unschlüssig im Licht der Sonne. Und Nagatis vor einem Publikum, das ihn euphorisch feiert und offensichtlich ungern gehen lässt. "Das Ende ist im Anfang – und doch macht man weiter" – das betrifft nun das halbe Theater. Und das Ensemble, das zur nächsten Spielzeit antritt, mindestens ebenso. Clov beobachtet in regelmäßigen Abständen durch ein Fernglas die feindliche Außenwelt. "Auf der einen Seite Landschaft auf der anderen das Meer." Ja, dafür braucht man hier im Norden kein Fernglas. Und man kann einfach gehen, es ist im wahren Leben nur ein kleiner Tod.

Endspiel
von Samuel Beckett
Inszenierung, Bühne, Kostüme: Matthias Nagatis.
Mit: Christian Holm, Marta Dittrich, Jörg F. Krüger, Markus Voigt.
www.theater-vorpommern.de

 

zeitstiftung ermoeglicht

 

 

 

Der Nord-Schwerpunkt auf nachtkritik.de berichtet in dieser Spielzeit in loser Reihenfolge über die Theater in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, zwei Regionen, in denen sich die Kunst, so sie nicht unmittelbar ökonomischen Interessen zugute kommt, nur schwer gegen die Zwänge der Haushaltskrisen behaupten kann. 

Kommentare  
Endspiel, Greifswald: Link zur Reportage fehlt - jetzt nicht mehr
liebe redaktion, ich würde gern in diesem zusammenhang die reportage der süddeutschen zeitung, die in der presseschau angedeutet ist, wenigstens in den üblichen moderierten zitaten lesen können.
man kommt leider nicht rein, der übliche hellblaue link fehlt.

(Liebe Anne,
entschuldigne Sie bitte, der Link ward inzwischen nachgetragen.
Gruß
jnm)
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