Ein Volksfeind - Beim Theatertreffen aktualisiert Lukas Langhoff seine Bonner Produktion mit Kabaretteinlagen
Ein bisschen Spaß
von Wolfgang Behrens
Berlin, 15. Mai 2012. Es war die Inszenierung, die keiner auf dem Zettel hatte. Man schaute vor drei Monaten auf die Liste der zum Theatertreffen eingeladenen Produktionen, nickte das meiste ab, runzelte vielleicht zweimal die Stirn, um dann zu stutzen: "Ein Volksfeind" aus Bonn? Was war das noch mal? Die schnelle Recherche auf nachtkritik.de führte ins Leere: keine Nachtkritik vorhanden, sorry, haben wir verpasst! Da hat uns die Jury wirklich auf dem falschen Fuß erwischt.
Nun, weit über ein halbes Jahr nach der Bonner Premiere, die Nachtkritik nachzuholen hat etwas leicht Schiefes: Denn die Bedingungen, unter denen man schaut, sind andere. In Berlin versucht man die Aufführung unwillkürlich im diesjährigen Tableau zu verorten, misst sie an anderen Inszenierungen, vielleicht gar am schrägen und nervenzerfetzenden John Gabriel Borkman-Theaterfest im Volksbühnen-Prater, dem anderen Ibsen in der Auswahl. Und da hat die Bonner Produktion dann doch einen verdammt schweren Stand.
Darüber lacht Berlin
Irgendwann wird in diesem "Volksfeind" mit dem ganz dicken Pinsel in Riesenlettern "Hartz IV" auf die halbhohe Rückwand geschrieben. Das ist in zweifacher Hinsicht symptomatisch für die Inszenierung: Zum einen wird da mit einem Schlagwort einfach eine Gegenwartsassoziation hingeworfen, an die sich nicht viel knüpfen lässt, weil der Regisseur Lukas Langhoff ihr gar nicht weiter nachgeht: Aktualitätsbezug wird behauptet, aber nicht entwickelt.
Zum anderen ist der ganz dicke Pinsel – oder besser noch: das ganz grobe Schnitzwerkzeug – ohnehin das bevorzugte Mittel der Aufführung. Der Badearzt Tomas Stockmann, der entdeckt, dass das Heilwasser im Kurbad seines Heimatortes schwer gesundheitsschädlich ist, und der nur eben mit dieser simplen Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit möchte, ist hier von Bürgermeistern, Journalisten und Druckern umgeben, die nichts anderes sein wollen als Knallchargen. Wenn auf der englischen Übertitelungsanlage im Haus der Berliner Festspiele das Wort "improvisation" erscheint, dann machen diese Söhne der Klamotte tagesaktuelles Kabarett: Am 15. Mai 2012 sind das Anspielungen auf den (gerade im letzen entscheidenden Spiel sich vollziehenden) Abstieg von Hertha BSC und auf die verschobene Eröffnung des Großflughafens BER. Ja, darüber lacht Berlin. Es ist aber – Entschuldigung, Bonn! – ziemlich wohlfeil erworbenes Gelächter. Und es führt nirgendwohin.
Mein Großvater, das Megagummibärchen
Witziger immerhin ist Marleen Lohse, die Stockmanns Tochter Petra als humorlos auf ihrer Gitarre klampfende, in ihrer Jugendbewegtheit erstarrte Lehrerin gibt. Mit gepresster Krächzstimme und umwerfendem Fernsehlächeln animiert sie die Zuschauer zum Mitsingen des Brecht-Eisler'schen Einheitsfrontliedes und führt zugleich aufs Schönste die Stadttheater-Mitmach-Mentalität des Festspielpublikums vor. Man weiß in seinem Parkettsessel gar nicht mehr so genau, ob man lachen oder sich schämen soll.
So oder ähnlich reihen sich die Nummern an diesem Abend. Und da man nicht in Bonn, sondern in Berlin sitzt, beschleicht einen schon irgendwann die Frage, was an dieser insgesamt recht bemühten Lustigkeit eigentlich theatertreffentauglich sein soll. Der Grotesk-Anstrich des Ganzen – der zynischerweise Badeaktien kaufende Großvater etwa erscheint als Mega-Gummibär – reicht jedenfalls nicht hin, um zu aufschließender oder auch verwirrender Bildkraft vorzustoßen (anders als bei Vinges "Borkman").
Klischee vom schwarzen Entertainer
Aber da ist ja noch der Badearzt Tomas Stockmann selbst, den die Gesellschaft zum Volksfeind stempelt, weil er mit der Wahrheit heraus will. Falilou Seck spielt ihn gut. Und er spielt ihn ernsthaft. Man nimmt es ihm in einem der raren spannenden Momenten der Aufführung ab, wenn er mit ruhiger Stimme angesichts der ach so dummen "kompakten Majorität" in antidemokratischen Größenwahn verfällt.
Am Anfang der Inszenierung aber sieht die Regie vor, dass Falilou Seck sein "Anderssein" markiert. Er spielt das Klischee vom schwarzen Entertainer aus, zitiert Roberto Blancos "Ein bisschen Spaß muss sein", spricht mit fremdländischem Akzent oder blafft Kanak-Sprak-artig ins Publikum. Und rezitiert dann plötzlich Heiner Müller-Text: "Die toten Neger / Wie Pfähle in den Sumpf gerammt / In den Uniformen ihrer Feinde / DO YOU REMEMBER DO YOU NO I DONT". Vielleicht ist das ja der Grund, warum wir den Bonner "Volksfeind" beim Theatertreffen sehen: Weil er das Thema der unsicher gewordenen Identitäten von Menschen mit Migrationsgeschichte aufnimmt.
Doch wie bei den Hartz-IV-Lettern begnügt sich Lukas Langhoff auch hier mit dem bloßen Anreißen des Komplexes: Außer ein paar politisch unkorrekten Sprüchen der Knallchargen kommt da im weiteren Verlauf nicht mehr viel. Und so ist auch dieser Anfang nichts Anderes als der größte Teil vom Rest des Abends: mittelmäßiges Kabarett.
Ein Volksfeind
von Henrik Ibsen
Deutsch von Angelika Gundlach
Premiere in Bonn: 16. September 2011
Regie: Lukas Langhoff, Bühne: Regina Fraas, Kostüme: Ines Burisch, Licht: Helmut Bolik, Dramaturgie: Christopher Hanf.
Mit: Falilou Seck, Jele Brückner, Marleen Lohse, Stefan Preiss, Konstantin Lindhorst, Nico Link, Simon Brusis, Sascha Maurice Höchst, Luka Marie Schinkel, Joshua Knauber.
www.theater-bonn.de
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Dabei kann er es doch! DIE JUNGFRAU VON ORLEANS (ebenfalls Team Langhoff/Hanf) war eines der besten Stücke des letzten Jahrzehnts.
Aber auch auf mich wirkte das Migrationselement angeklebt. Ich habe nicht verstanden, warum der Hauptdarsteller in einer allerersten Szene den klischeehaften Alleinunterhalter geben muss. Es wird später nicht mehr daran angeknüpft...
In der Laudatio in Berlin hieß es dann, Stockmann sei ein Volksfeind mit Migrationshintergrund. Als ich das hörte, musste ich wirklich lachen. Der "Migrationshintergrund" erschloss sich von der angeklebten allerersten Szene abgesehen in keiner Weise. Die Jury hat ihn wohl aus der Hautfarbe des Darstellers gelesen.
Stück und Laudatio hätten ganz erheblich gewonnen, wenn man den sehr guten Darsteller einfach den Volksfeind hätte spielen lassen, ohne hineingezwungene Migrationselemente, und den Darsteller nicht über sein Spiel hinaus gedeutet hätte.
Ich hatte gehört, dass der Hauptdarsteller ein Schwarzer ist, und mich darauf gefreut, dass endlich einmal ein Schwarzer eine klassische, sozusagen farbneutrale Rolle spielt, ohne dass er den Außenseiter/Fremden/Clown geben muss. Du hast recht, es gab weitere Hinweise in dem Stück, zB das penetrante in-die-Haare-fassen, aber mir drängte sich der Eindruck auf, dass es wohl nicht möglich ist, einen schwarzen Darsteller zu nehmen, ohne Klischees in welcher Absicht auch immer zu verwenden und zu reproduzieren. Mal abgesehen davon, dass ein Schwarzer den Begriff "Neger" nie verwenden würde. Nun gut.
Die Hinweise auf Machtverhältnisse waren mir in dem Stück zu oberflächlich. In riesigen Lettern "HARTZ IV" auf eine Tafel oder Wand zu schreiben, beeindruckt mich jedenfalls nicht.
Auch ich habe lange applaudiert, wegen der Leistungen der Schauspieler, und wegen starker Bestandteile der Aufführung. Aber Schwächen waren da.
meine, das ist ein Zitat aus der Kunstgeschichte
wer kann helfen?
ansonsten: weiter so Stadttheater! ich habe Lust auf so Uneitles (vgl. im Ggs. dazu Stemann)!
Da käme nur der Fuß der Monumentalstatue des Kaisers Konstantin in Frage. Der steht in den Kapitolinischen Museen in Rom. Er sieht aber anatomisch etwas anders aus. Konstantin der Große war der erste Kaiser des Römischen Reiches der sich in seinen Kriegen auf den Gott der Christen berief. Der Fuß ist in der Inszenierung aber vor allem ein Beispiel für weiße Vorherrschaft, natürlich auch im kulturellen Sinn.
PS. Dass die künstlerisch wirklich innovative Arbeit des Treffens Borkmann sicher wieder nur lobende Erwähnung erfahren wird erscheint mir leider auch nur allzu vorhersehbar.
PPS ach ja @claque, geklatscht, hat da sicher nur so ein Pöbel mit dem sich auseinanderzusetzen wohl nicht verlohnt... das theater muß sich dringend der fragen stellen wem es etwas geben will (hoffentlich nicht nur seinen größtenteils ängstlichen produzenten.)
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com