Klagegesang

von Ute Grundmannalt

Weimar, 17. Mai 2012. Ein langer Ton der Klage im Dunkeln. Er wird zum langgezogenen Heulen, dann schließlich zum Weinen. So wortlos beginnen im Deutschen Nationaltheater "Die Troerinnen"; erst im langsam aufblendenden Licht sieht man Klytaimnestra, die um ihre getötete, geopferte Tochter Iphigenie klagt. Um sie herum streuen Frauen Stroh, eine andere beklagt die alt gewordene Zeit, nun, nach dem Fall Trojas. Diesem nicht stummen, aber wortlosen Auftakt folgt eine Flut von Worten, Klagen, Schmerz und Wut, wie sie Konstanze Lauterbach im Großen Haus inszeniert, choreografiert hat.

Zerborstenes Idyll

Die Bühne für den ersten Teil ("Klytemnaistra") zeigt ein Idyll im Krieg. Ein mächtiges, graurotes Halbrund beherrscht die Szene, es könnte ein Wehrturm sein oder ein Gefängnis. Links oben hat sich ein Stück eines Holzfrieses erhalten, es zeigt eine idyllisch hingetuschte Landschaft, doch sie ist zerborsten. Später, im zweiten Teil ("Die Troerinnen") wird sich dieses Holzbild über die ganze Bühne ziehen, die dennoch ein Ort der Klagen und des Schmerzes ist und bleibt.

Konstanze Lauterbach entwickelt ihre Inszenierung vom Wort, von den trauernden Frauen her, die mal im Chor, mal zu zweit, dann wieder zu viert, den Untergang Trojas und ihr eigenes Schicksal beklagen. Rosemarie Deibel als alte, weise, leise Frau aus Argos steht immer ein wenig abseits, wenn sie verhalten ins Geschehen eingreift. Die Trauer um die geopferte Iphigenie lässt die vier Frauen zu einer Skulptur des Schmerzes zusammenrücken, ehe sie an die Rampe stürmen und wütend Helena anklagen, die die Ursache all dieses Unglücks sei.

troerinnen1 560 karl bernd karwasz u"Die Troerinnen" in Weimar: Elke Wieditz als Hekabe, und im Hintergrund Ulrike Knobloch als eine der trojanischen Frauen. © Karl Bernd Karwasz Lauterbach setzt solche Bildmomente sparsam ein: Die Frauen, die an LKW-Reifen gekettet sind und diese wie Mühlsteine hinter sich herziehen. Hekabe, die, als ihre Tochter Polyxena geopfert werden soll, sie unter ihr Kleid zieht, als könne sie sie so beschützen. Doch Agamemnon, der einzige Mann inmitten der Troerinnen, zieht das Kleid unbarmherzig weg, versucht, die Klagelaute der Frauen zu ersticken, in dem er einer nach der anderen den Mund zuhält – doch das Aufbegehren der Frauen kann er nicht aufhalten.

Die Ungeheuerlichkeit des Krieges

Thomas Büchel gibt diesen Agamemnon kühl, fast lässig, er verschanzt sich hinter einer "So ist nun mal der Krieg"-Haltung; fast beiläufig begeht er Grausames: Andromache nimmt er das Wickelkind von der nackten Brust und bringt es ihr, nachdem er es getötet hat, in einem Plastiksack zurück, damit sie es begrabe.

troerinnen 3 280 karl-bernd-karwasz uElke Wieditz als Hekabe und Thomas Büchel als Agamemnon. © Karl-Bernd KarwaszDie Inszenierung, in der jedes Wort und jede Geste sitzt, zeigt und sagt solche Ungeheuerlichkeiten, eine blutige Leiche hängt in einer Schlaufe, die Frauen schildern, was Krieger einander antun, aber sie trumpft nicht auf damit. Über all dem Klagen und Wüten der Frauen hängt eine Spur von Resignation, als wüssten sie schon, dass es ihnen nicht helfen wird, dass sie als Beute, Opfer, Sklavinnen bestimmt sind. Und so sehr diese zehn Frauen einig sind im Unglück, mit- und gegeneinander sprechen, sie bilden keine Masse, sondern bleiben genau gezeichnete, einzelne Charaktere.

Heimkehr

Nach der Pause, im dritten Teil ("Agamemnons Heimkehr") erzählt Lauterbach die Nachgeschichte, was aus den Troerinnen wurde. Für die Szene "Die Heimatfront – Das Singen des Beils" aus "Atropa. Die Rache des Friedens" von Tom Lanoye steht, im Anfangs-Bühnenbild, der Name Iphigenies in Kerzenbuchstaben auf dem Boden. Wieder fordert Anette Straube als kalt-wütende Klytemnaistra von Agamemnon ihr geopfertes Kind zurück, verlangt Recht und Rechtfertigung. Vom Krieg soll still geschwiegen werden, den Agamemnon immer noch, nur kleinlaut jetzt, zu verherrlichen sucht. Seinen Namen möchte er um jeden Preis vor der Geschichte reinwaschen – schließlich: was kann er denn dafür? Klytemnaistra versucht wenigstens Helena zur Flucht zu bewegen, sie solle neu anfangen solle, doch die ist zu schwach, will enden wie die anderen.

Nicht nur sprachlich ist dieser Teil schwächer als Euripides' Drama, es wirkt am Ende des zweieinhalbstündigen Abends nur noch wie ein Nachklapp zu jenen Szenen, die man in einer beeindruckenden Inszenierung zuvor gesehen hat.

 

Die Troerinnen
Ein Antikenprojekt nach Euripides und Tom Lanoye
Regie: Konstanze Lauterbach, Bühne: Fabian Lüdicke; Kostüme: Karen Simon und Konstanze Lauterbach; Dramaturgie: Bettina Schültke.
Mit: Rosemarie Deibel, Jeanne Devos, Caroline Dietrich, Ulrike Knobloch, Nina Mariel Kohler, Roswitha Marks, Ute Springer, Anette Straube, Rahel Weiss, Elke Wieditz, Thomas Büchel.

www.nationaltheater-weimar.de

 

Kritikenrundschau

Von einem "überaus spannenden, interessanten und irritierenden" Abend spricht Angelika Bohn in der Thüringischen Landeszeitung (19.5.2012). Im Wesentlichen resultiert das aus ihrer Sicht aus dem überzeugend gestalteten Kontrast von strenger inszenatorischer Form und den großen Gefühlsausbrüchen der Figuren. Aber auch das ambivalente Frauenbild, das Konstanze Lauterbach in ihrer Inszenierung zeichnet, nimmt die Kritikerin sehr für dieses Antikenprokjekt ein. Alle Frauen würden auf Grund ihrer gesellschaftlichen Rolle Opfer männlicher Entscheidungen und Gewalt. Trotzdem solidarisierten sie nicht. Am Beispel ihres Verhaltens Helena gegenüber zeige die Regisseurin: "Es gibt kein Verlassen der übergestülpten Rollenzuweisung, wie ein 'anständiges' Frauenleben zu sein hat."

"Sehr stimmig und stimmungsvoll das Ganze. Viel zu sehr," schreibt Michael Helbing in der Thüringer Allgemeinen (19.5.2012). Zwar weiß der Kritiker die Stärke dieser Regisseurin zu schätzen, "entschiedene Körperlichkeit zu inszenieren". Allerdings spiele Konstanze Lauterbach diese Stärke zu sehr aus. Das beeindrucke zwar zuverlässig, "aber eben so, dass viel mehr als das nicht hängen bleiben mag." Im Zentrum der Inszenierung stünden, so Helbing, Ideen und Texte aus einer 2500 Jahre alten Tragödie. Um sie herum gestrickt und mitten hinein gewebt werde ein vier Jahre altes Stück des flämisch-belgischen Autors Lanoye. Das Stücke lasse "die rhetorische Kriegsführung von US-Präsident George W. Bush und Minister Donald Rumsfeld von Trojas Mauern widerhallen." Für den Kritiker prallen hier Welten aufeinander. "Nicht so bei Konstanze Lauterbach. Sie liefert eine universelle Nachkriegserzählung: aus einem Guss. Abgesehen von kleinen Brüchen im Tonfall, ist die Herkunft des unterschiedlichen Materials nicht mehr kenntlich. Sollbruchstellen: zugekleistert."

"Konzeptionell spannend und bildungspädagogisch sicherlich wertvoll" bewegt die Inszenierung aus Sicht von Frank Quilitzsch von der Ostthüringer Zeitung (19.5.2012) emotional leider nur wenig. Konstanze Lauterbach entwerfe "einen theatralischen Bilderbogen um das antike Stück herum, ohne dramatisches Feuer zu entfachen. Penibel auf Aufklärung und Überschau bedacht, schlägt sie eine Seite nach der anderen um, blättert zurück, schiebt hier eine mythische Fußnote, dort eine historische Kopfzeile ein und liefert auch noch die Kommentare gleich mit. Immerhin beeindruckend, wie Rosemarie Deibel, die Grande Dame des Weimarer Theaters, mit unbewegter Miene am Radreifen der Zeit drehend das Geschehen begleitet."

Anders Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.5.2012): Konstanze Lauterbach, "die entschieden darauf pocht, dass zum Thema Krieg längst nicht alles gesagt ist", entwickele den Abend ohne jede pädagogische Dogmatik. Sie zeige die elegant gekleideten Überlebenden als zunehmend angeschlagene Wesen, die sich verträumt-verzagt und dann wieder panisch-getrieben zwischen Werden und Vergehen bewegten. "Visuell unterkühlt, aber rhetorisch konzentriert setzt Konstanze Lauterbach in ihrer unbeirrt insistierenden Inszenierung ganz auf die Phantasie des Publikums – und geht damit erst recht unter die Haut."

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