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Hass, Mord, Minderheit und Klischees

von Hartmut Krug

Heidelberg, 16. Juni 2012. Eine Schauspielerin tritt vor das Publikum und erzählt vom Mord an einem Roma-Vater und seinem kleinen Sohn. Sie soll eine ungarische Menschenrechtlerin sein, bleibt aber deutlich Schauspielerin und Textvermittlerin. Die nicht anklagt, nicht "auf betroffen macht", sondern einfach erzählt. So wirkt die Menschenjagd auf Roma, die im ungarischen Sprachgebrauch "Zigeunerjagd" heißt, erschreckend normal, so wie die Erzählweise, die hier gewählt ist.

Dann treten ihre Schauspielerkollegen an sie heran, staffieren sie mit schwarzer Perücke aus und stecken ihr rote Kerzen in die Hände, verwandeln sie in die zum Bildklischee geronnene Witwe auf einer Trauerveranstaltung in Budapest. Ein Schauspieler kommentiert das Geschehen, ist dabei aber schon in der Rolle des Dolmetschers einer deutschen Journalistin und unvorbereiteten Beobachterin, deren Gefühle er befragt. Und diese Helen Stiepel ist mehr als irritiert. War sie doch nach Ungarn gekommen, um einen Artikel über die ungarische Partnerstadt ihrer Heimatstadt zu schreiben, und nun das: Ihr Dolmetscher, der sie am Bahnhof mehr aufgabelt als abholt, konfrontiert sie mit den Übergriffen gegen die Roma in Ungarn. Ohne je ihre Partnerstadt zu erreichen, muss sich die Widerstrebende mit den anderen schlimmen Informationen auseinander setzen.

Reise und Erinnerung

Dokumentartheater- oder Rechercheprojekte tun sich oft schwer, ihre informationsgesättigten Fakten in eine spielerische Form zu bringen. Dirk Laucke montiert in seinem Auftragswerk, für das er in Ungarn recherchiert und Gespräche geführt hat, Berichte und Spielszenen ineinander und lässt die beiden Hauptfiguren ihre Gefühle erklären und ihr Wissen oder Nichtwissen vortragen. Diese Stückkonstruktion ist nicht ungeschickt, gibt sie dem Autor doch die Möglichkeit, sein Informationsstück mit etwas Spielwitz auszustatten. So bekommt das faktengesättigte Stück beides: Nüchternheit wie Lebendigkeit. Aber auch eine etwas eintönige Mechanik, an der sich Regisseur Tobias Rausch lange Zeit mit Erfolg abarbeitet.einigkeit3 560 klausfroehlich u"Einigkeit und..." © Klaus Fröhlich

Die Handlung springt mit Erinnerungsszenen hin und her. Helen erinnert sich an den Abschied von ihrem Sohn, der in einer Klinik arbeitet. Schon sehen wir ihn, wie er einen alten, demenzkranken Nazi windelt, ihn provoziert, von ihm etwas über seine Vergangenheit erfahren will. Später sieht die Mutter ihren Sohn bei einer faschistischen Demonstration in Budapest, - doch er war nur als dokumentierender Fotograf für einen recherchierenden Kumpel da.

Ungarischer Schwejk

Die leere, offene Bühne bleibt in dieser Inszenierung immer Bühne. Bühnenbildnerin Simone Wildt gibt keine Abbilder realer Räume, sondern lässt die Schauspieler immer wieder Bewegung herstellen: sie müssen ein in den leeren Raum gestellte kleine Doppelzimmerkonstruktion mit Durchblickfenster unentwegt drehen. Das nimmt das Motiv der Reise auf, ist aber auch einfach nur funktional und gibt Regisseur Tobias Rausch die Möglichkeit, schnelle Auftritte zu inszenieren.

Wie er zum Beispiel die Bahnfahrt Helens mit einer Fülle von Begebnissen und Angstphantasien Helens szenisch-pantomimisch beleben lässt, wie hier ein Figurenpanorama Auskunft über das Land und zugleich über die Vorstellungen Helens von diesem Land gibt, während Mustafa Zekirov aus seinen Aktenstapeln am Bühnenrand heraus die Situationen mit Musikinstrumenten und Elektronik atmosphärisch untermalt, das versucht einen Kontrapunkt zu setzen gegen den vom Autor zur schlitzohrig skurrilen Hauptfigur ausgemalten Dolmetscher.

Dieser György, für die Deutsche nennt er sich der Einfachheit halber Schorsch, spricht ein auf Wirkung getrimmtes originelles Deutsch, sagt Sachen wie "Es wird keine Postcard in der Hinsichtlichkeit geben" und ist ein sattes Figurenklischee. Listig, engagiert, gutmütig, eigensinnig, komisch, eben ein Schlawiner mit Herz. Olaf Weißenberg setzt sich geradezu auf seine Rolle, macht sie, nicht allzu aufdringlich, aber doch dominant, zu einer Art ungarischem Schwejk und drängt Helen Stiepel, die schon vom Autor mehr als reflektierender Resonanzraum angelegt ist, vollends in diese Rolle.

Sehr viele Sündenböcke

Und während Schorsch Helen an die Orte von Übergriffen und zu Betroffenen fährt, erfährt der Zuschauer im doppelten Wortsinn sehr viel, während sich die Schauspieler Florian Mania, Karin Dahmen und Volker Muthmann munter durch ihre vielen Rollen in diesen kleinen, erklärungsgesättigten Begegnungsszenen spielen. Über die rechtsextreme Jobbik-(Die Besseren)Partei, die mit Wahlparolen wie "Kampf gegen Zigeunerkriminalität" sofort 17% der Stimmen bekam, über die Kriminalisierung der zu Sündenböcken gemachten Roma, über einstige Judenverfolgung und heutige Hetze gegen Juden wegen "Versklavung der ungarischen Nation durch das internationale Finanzkapital", über Angriffe auch gegen Schwule, über paramilitärische Gruppen, die ganze Kleinstädte im faschistischen Griff haben, über Anschlags- und Mordserien, bei denen zuerst die Häuser von Roma in Brand gesetzt und dann die daraus Flüchtenden erschossen werden, über die Arbeit von Lehrerinnen mit Roma-Kindern…..

"Das geht mir zu nah", sagt die überforderte Helen und fährt ohne irgendeinen Artikel nach Deutschland zurück. Dabei denkt sie über einen ungarischen Vorschlag nach, Deutschland solle dreißigtausend ungarische Roma mit Pass, Arbeitsplatz und Wohnung ausstatten, und eine unendliche Kette von deutschen Ortsnamen rast ihr durch den Kopf. Gegenden, die wohl eher nicht für die Aufnahme von Roma in Frage kämen. Ihr Sohn räumt derweil in Deutschland die Sachen des verstorbenen Demenzkranken in einen Plastikbeutel, - womit  auch des Mannes Funktion als Anspielfigur für deutsche faschistische Vergangenheit erledigt ist.

Informationen erspielen

Die pausenlose, mehr als zweistündige Inszenierung von Tobias Rausch trumpft nie auf, sondern ist in gutem Sinne dem Thema angemessen. Über weite Strecken ist das, wenn auch nicht gleich spannend, so doch unterhaltsam. Der Regisseur bebildert nicht, sondern lässt Informationen erspielen. Erst im letzten  Teil des viel zu langen, nicht zu Lauckes besten zählenden Stückes wird es dann zäh, auch dem Regisseur geht etwas die Luft aus, und man ist bei allem Einverständnis nicht unfroh, dass endlich das offene Ende kommt.


Einigkeit und …
Ein Rechercheprojekt zu Sinti und Roma in Europa
von Dirk Laucke Regie: Tobias Rausch, Bühne und Kostüme: Simone Wildt, Musik: Mustafa Zekirov, Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke.
Mit: Nicole Averkamp, Florian Mania, Olaf Weißenberg, Karen Dahmen, Volker Muthmann.

www.theaterheidelberg.de

 

Kritikenrundschau

Heribert Vogt von der Rhein-Neckar-Zeitung (18.6.2012) hat einen "flott gespielten und mitunter auch amüsanten Theaterabend" gesehen, bei dem sich "theatralische Qualität und investigativer Ertrag sehr schön die Wage halten". Stellenweise sehe sich das Publikum einem "wahren Bombardement von Informationen gegenüber, das auch die Komplexität der jüngeren ungarischen Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln aufscheinen lässt". Fazit: überzeugend.

"Lauckes Stück will, altmodisch, doch absolut berechtigt, Aufklärung betreiben, informieren", schreibt Hans-Günther Fischer im Mannheimer Morgen (19.6.2012). Die Inszenierung von Tobias Rausch versuche, "die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen", was bisweilen gelinge.

Kommentare  
Einigkeit und ..., Heidelberg: geklingelt
Die zum Schluss aufgezählten Städte, in der Kritik als " deutsche Ostnamen" benannt, waren dass nicht ehemalige Lager für Sinti und Roma? Ich habe den Abend auch gesehen und bei Ravensbrück hat es bei mir geklingelt, richtig?
Einigkeit und ..., Heidelberg: Mit anderen Worten
"Erst im letzten Teil des viel zu langen, nicht zu Lauckes besten zählenden Stückes wird es dann zäh, auch dem Regisseur geht etwas die Luft aus, und man ist bei allem Einverständnis nicht unfroh, dass endlich das offene Ende kommt." m a W. langeweilig.
Einigkeit und.., Heidelberg: düstere Umtriebe
Bei diesem Thema glaube ich nicht an Langeweile, ich bin zuerst einmal schockiert über die düsteren Umtriebe in Ungarn, und finde es von daher eine bedenkenswerte Aussage/Feststellung. Wobei es vielleicht auch deutlich macht, das Politik im Theater leider der Kunst (hier sehr solide Regie) unterlegen ist, d.h. die Ernsthaftigkeit des Themas leidet oft darunter. Vorsicht! Ich möchte mich sehr für den Abend bei dem Autor und dem Theater Heidelberg bedanken, grossen Respekt für diese Arbeit.
P.S.: Vielleicht geht es hier einmal nicht um das eigene Wohlbefinden, deshalb ist der Vergleich dieses Stückes mit anderen Arbeiten von Herrn Laucke eher überflüssig.
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