altJunkies auf Entzug

von Rainer Nolden

Trier, 17. Juni 2012. Über die lyrischste und zaubermächtigste aller Shakespeare-Komödien schrieb der amerikanische Literaturwissenschaftler und -kritiker Harold Bloom, nur wenige Stücke seien "von der neueren Theaterkunst ähnlich häufig verhunzt worden wie der 'Sommernachtstraum'". Sämtliche Inszenierungen, die er gesehen habe, "waren scheußliche Katastrophen (...), und nichts spricht dafür, dass sich die Zustände bessern werden".

sonnernachtstraum 280h theatertrier x Barbara Ullmann ist Puck  © Marco PiecuchNun, der Urteilsspruch ist mittlerweile vierzehn Jahre alt. Aber hätte ein übelwollender Elf den ehemaligen Professor aus Yale ins Trierer Theater hinein gezaubert, hätte es seinem Urteil neue Nahrung gegeben. Vermutlich hätte sich Mr. Bloom nach zehn Minuten aus dem Zuschauerraum geschlichen – nicht nur, weil er kein Wort verstanden hätte, selbst wenn er der deutschen Sprache mächtig wäre, sondern weil was wie eine Zumutung begann, auch wie eine Zumutung weiterging. Zumindest in großen Teilen.

Zitrone ohne Saft

Freilich war es auch kein echter Shakespeare, was da als Feenzauber und verstörende Liebesqual über die Bühne tobte, sondern der dritte Aufguss eines zweiten Aufgusses vom Original. Vor knapp zehn Jahren machte der Rockmusiker Heinz Rudolf Kunze für die Landesbühne Hannover, deren ehemaliger Intendant Gerhard Weber heute in gleicher Funktion in Trier residiert, aus "A Midsummer Night's Dream" ein Musical, das "mehrere Jahre mit bundesweiter Beachtung gespielt wurde", wie es einigermaßen verschwurbelt im Programmzettel steht. Diesem Musical wurde nun für die Trierer Fassung die Musik entzogen, und die Songtexte wurden in den Text hineingearbeitet. Das ist ungefähr so sinnvoll, als würde Henry Higgins in "Pygmalion" unvermittelt "Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn" in seine linguistischen Exkurse einbauen.

Aber nun war die Vorlage da, und man kann sich, mit allem Respekt, des Eindrucks nicht erwehren, als hätte Regisseur Werner Tritzschler seinen Schauspielern freie Hand gelassen – etwa nach dem Motto: "Jetzt haut mal ordentlich auf die Kacke!" Die haben sich das natürlich nicht zwei Mal sagen lassen und geben ihrem Affen so viel Zucker, dass es vor Karies nur so knirscht. Die Handwerkerszenen zum Beispiel: Hier wird auf jede Pointe noch eine weitere gesetzt, bis die Zitrone wirklich keinen Saft mehr hat. Anfangs lacht man noch gerne mit, aber irgendwann ist es dann wirklich nur noch albern. Da darf man sich dann für gestandene Mimen wie Klaus-Michael Nix oder Michael Ophelders, Zugpferde des Trierer Hauses, mal so richtig fremdschämen.

Poetische Lichtblicke

Es gibt freilich auch ein paar poetische Lichtblicke: Für die sorgen, wenn sie sich nicht gerade in akrobatischen Verrenkungen über die Bühne wälzen und wie Junkies auf Entzug agieren müssen, Vanessa Daun und Tim-Olrik Stöneberg sowie Alina Wolff und Daniel Kröhnert, die vom Zaubersaft verwirrten Paare, im Stil des "Großen Gatsby" gekleidet (überhaupt die Kostüme: die waren in der Tat zauberhaft!). Da blitzt dann für Sekunden das anrührende Trauerspiel von Liebeslust und -leid auf als kleine Erinnerung an das Drama, das Shakespeare in seinem Sommernachtstraum als Komödie präsentiert.

Jan Brunhoeber darf mit seinem Oberon, einer Mischung aus Ozzy Osbourne und Franknfurter, mehr Artistik als Charaktertiefe zeigen, und auch Sabine Brandauers wahnhafte Titania scheint den ganzen Abend auf einem verdammt schlechten Trip zu sein. Den Puck hat schon Shakespeare aufs Applausmelken angelegt: Barbara Ullmann als roter Kobold kriegt für ihre brillanten solistischen Alleingänge (zu recht) eine Menge davon.

Alles in allem ein gewaltiger Kraftakt des kompletten Trierer Schauspielensembles – an dessen Ende man sich allerdings fragt: wofür eigentlich?

Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Deutsche Erstaufführung der Schauspiel-Übersetzung von Heinz Rudolf Kunze
Regie: Werner Tritzschler, Ausstattung: Johanna Maria Fischer, Dramaturgie: Peter Oppermann.
Mit: Sabine Brandauer, Jan Brunhoeber, Vanessa Daun, Manfred-Paul Hänig, Daniel Kröhnert, Hans-Peter Leu, Christian Miedreich, Klaus-Michael Nix, Michael Ophelders, Peter Singer, Tim Olrik Stöneberg, Barbara Ullmann, Alina Wolff.

www.theatertrier.de

Kritikenrundschau

Einen "schenkelklopfenden Slapstick-Abend" sah Dieter Lintz für den Trierischen Volksfreund (19.6.2012). Die Qualität dieses Abends mache virtuoses Handwerk und exzellentes Timing aus, "da hat Regisseur Werner Tritzschler vorzüglich gearbeitet mit einem Ensemble, das sich lustvoll in den hyperaktiven Slapstick stürzt". Die Übersetzung von Heinz-Rudolf Kunze sei "frech, deftig, manchmal billig-plakativ, manchmal genial-treffend." Nur, dass der der Spaß durch die Inszenierung gedoppelt werde, was zu einem Overkill führe. "Man kriegt zu selten die Kurve vom Rummel zur Magie, die diesem Stück eigentlich innewohnt." Der Kritiker macht kein Hehl daraus, dass er die Gags so flach fand wie die Schuhe der Protagonistinnen hoch, aber angesichts des amüsierten Publikums um ihn herum, doch noch Bereitschaft fand, dem ganzen etwas abzugewinnen.

Heinz Rudolf Kunzes Version kann sich sehen lassen, schreibt Stefanie Walter auf www.5vier.de (19.6.2012). Die Sprache sei um einiges kompakter, wenn die Reime auch manchmal an Kinderlieder erinnern. "Ein besonderer Leckerbissen sind aber die humoristischen Einlagen, die so manche Träne in die Augen treiben."

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