Tod im Puppenhausalt

von Elisabeth Maier

Baden-Baden, 22. Juni 2012. Gefangen in ihrer Langeweile tanzt Madame Bovary in den Tod. Immer tiefer verstrickt sich die Ehefrau und Mutter im Spinnennetz der Lüge, das der französische Dichter Gustave Flaubert im 19. Jahrhundert in seinem Meisterwerk des Realismus webte. Für die Berliner Regisseurin Katja Fillmann ist der Roman mehr als reizvolles Spielmaterial.

Am Theater Baden-Baden hat sie eine schnörkellose Bühnenfassung entwickelt, die das psychologische Porträt dramatisch zuspitzt. Dabei rettet Fillmann, deren Gespür für Erzählrhythmus besticht, die Faszination von Flauberts epischem Text auf der Bühne. Ihr Kunstgriff besteht darin, dass sie den Schauspielern Raum für starke Charakterstudien gibt. Der Roman, der in seiner Zeit als "Verstoß gegen Sittlichkeit und Religion" skandalisiert wurde, interessiert sie seiner Tiefenschärfe wegen.

Zwischen Gier und Alltagsfrust

Vor einem Vorhang mit aufgeblähten rosaroten Rosen wartet die junge Klosterschülerin Emma darauf, verheiratet zu werden. Bühnen- und Kostümbildnerin Margret Nisch zitiert Moden und Stile des 19. Jahrhunderts, um sie sacht zu karikieren, und die Requisiten auf der Drehbühne arrangiert sie wie in einem Puppenhaus.

Im bonbonfarbenen Tüllkleid sitzt Anne Leßmeister auf der weißen Freitreppe, die ihr Käfig werden soll. Dabei lächelt sie kokett. Klug tariert die Schauspielerin das Spannungsfeld zwischen kribbelnder Gier und Alltagsfrust aus, in dem ihre Emma Bovary gefangen ist. Ein verächtlicher Blick auf das Hüftgold ihrer Schwiegermutter, die Catharina Kottmeier ziemlich plump als Moralapostel ausmalt, genügt der Lebefrau, um ihren Hass auf den bürgerlichen Alltag in der Provinz auszuschütten. Auf dem schmalen Grat zwischen Hausfrauenfrust und Neurose balanciert die vielschichtige Künstlerin virtuos.

Flucht in den Kaufrausch

Vor allem ihr Mann, in Thomas Höhnes Interpretation ein fahler Pantoffelheld, wird zur Zielscheibe aufgestauter Wut. "Was Charles redet, ist platt wie ein Straßenpflaster", kommentiert Emma das unbeholfene Auftreten des Mediziners. Der antriebslose Mann verschanzt sich in einem Lesesessel, statt die Einsamkeit seiner Frau auch nur im Ansatz zu verstehen. Ihren Traum von einem Leben in Ballsälen und auf Empfängen kann ihr der Landarzt nicht erfüllen. Deshalb flüchtet die Frau, deren Körper vor Lust bebt, in erotische Fantasien. Bovary2 560 JochenKlenk xAnne Leßmeister als Emma, Thomas Höhne als Charles Bovary. © Jochen Klenk

Der Jurist Léon erfüllt ihre Träume, die in einem blutroten Herz aus Plüsch versinken. Daniel Arthur Fischer demontiert die romantischen Illusionen der Hotelzimmer-Affäre, die seiner Karriere hinderlich ist. Auch der Junggeselle Boulanger lässt sich nur aus Langeweile auf ein Techtelmechtel ein. Christian Schaefer, der sich selten aus seiner Farblosigkeit befreit, verschanzt sich lieber feige hinter einem Rosenbouquet, als zu seiner einstigen Geliebten zu stehen. Die Bovary flüchtet sich in einen Kaufrausch, den die geldgeile Händlerin Constanze Weinigs beharrlich nährt. Die Geschäftsfrau spielt mit ihrer Kundin wie mit einer Marionette.

Erzählende und dramatische Elemente

Aus dieser Handlung formt Katja Fillmann ein traumatisches Szenario, das sich immer bedrohlicher zuspitzt. Ihre Bühnenfassung kombiniert intelligent erzählende und dramatische Elemente. Flauberts atmosphärisch dichte Sprache übersetzt die Regisseurin in ein fesselndes Bühnenstück. Die Balance meistert Fillmann spielend.

Wenn die Schauspieler erzählten Text sprechen, übersetzen sie das Gesagte in eine klare Körpersprache. Ein Chor, der die bildbewohnten Textstellen Flauberts zitiert, peitscht Emma Bovary in die Katastrophe. Sensibel horchen die Regisseurin und das Ensemble in den Rhythmus der epischen Sprache hinein. Dabei hilft ihnen die Bühnenmusik: Hans-Georg Wilhelms packende Auswahl umfasst biederen Walzertakt und Kaffeehausgeplätscher ebenso wie die Wahnsinnsarie aus Donizettis Oper "Lucia di Lammermoor". Trauriger Schlussakkord ist der Gifttod der Protagonistin, den das Ensemble quälend in die Länge zieht. Obwohl dies die dichte Dramaturgie verwässert, bleibt eine starke Aussage stehen.


Madame Bovary
von Gustave Flaubert, Bühnenfassung von Katja Fillmann
Regie: Katja Fillmann, Bühne und Kostüme: Margret Nisch Musik: Hans-Georg Wilhelm, Dramaturgie: Benjamin Bracher.
Mit: Anne Leßmeister, Thomas Höhne, Catharina Kottmeier, Daniel Arthur Fischer, Christian Schaefer, Oliver Jacobs, Constanze Weinig, Jannik Hinsch und Leonie Jacobs.

www.theater.baden-baden.de

Mehr Inszenierungen der Madame Bovary: Nora Schlocker hat Flauberts Roman im Februar 2011 am Berliner Maxim Gorki Theater inszeniert und Christian Weise im September 2011 am Ballhaus Ost.

 

Kritikenrundschau

Temporeich führe Katja Fillmann "ihre tragischen Figuren durch die hochdramatische Handlung, unterstützt durch ein ausgefeiltes Bühnenbild", schreibt Irene Schröder im Badischen Tagblatt (25.6.2012). Und Anne Leßmeister als Emma Bovary sei "einfach großartig. Mal schnippisches Dämchen, mal rührend naiv, dann wieder hysterisch und sexy".

Katja Fillmanns Bühnenfassung sei "zwar klar strukturiert und kombiniert dialogische Szenen mit narrativen Passagen, bei denen sich die Darsteller immer wieder zum Chor formieren", schreibt Sibylle Orgeldinger in den Badischen Neuesten Nachrichten (25.6.2012). "Doch was bei Flaubert feine Ironie ist, gerät bei Fillmann zur spitzen Karikatur." Eine Richtung lasse die Inszenierung "nicht erkennen. Zwischendurch gibt es allerdings starke Szenen, etwa wenn Emma bei einem Opernbesuch vorübergehend in die Rolle der 'Lucia di Lammermoor' schlüpft." Anne Leßmeister finde "sich in ihrer psychologisch überspitzten Rolle anfangs schwer zurecht, doch ihre Darstellung gewinnt nach und nach an Tiefe und Intensität."

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