UNTN – Hörspielperformance in der Münchner U-Bahn beleuchtet grell die Unterschiede von Wirklichkeit und Fiktion
Theater unter der Stadt
von Steffen Becker
München, 12. Juli 2012. Schlimm genug, dass da noch andere Leute sind. Und gut, dass man sie aus seinem Bewusstsein inzwischen gut aussperren kann. Der Durchschnitts-Pendler möchte seine Ruhe – am besten unter einer mp3-Glocke, die seinen Geist absondert von schlierigen Fenstern, abgewetzten Polstern und essenden Sitznachbarn. Die Hörspielperformance UNTN dreht in der Münchner Linie U2 den Spieß um. Ihre Teilnehmer lassen sich nicht ausschließen – sie sind diejenigen, die den Anderen ihr Erlebnis sichtbar vorenthalten.
Christoph Theußl, Schauspieler, Singer, Songwriter und neben Autorin Katrin Dollinger der Kopf hinter UNTN stattet seine Gruppe mit Kopfhörern aus und treibt sie durch die Stadt. Texte und Lieder kommen vom Band, Theußl und seine Mitstreiter machen dazu Playback und spielen Fake-Instrumente. Der unbeteiligte Fahrgast sieht Leute, die stumm sprechen und an einer saitenlosen Gitarre zupfen. Die Teilnehmer von UNTN hören die Geschichte von Johan P. – einem Bauarbeiter, der bei der U2-Erweiterung ums Leben kam, als ein Tunnel einstürzte und der Krater einen Linienbus verschlang.
Zwangsgemeinschaft U-Bahnwaggon
Die Texte und Lieder sind mit der Strecke, auf der sie gehört werden, eng verwoben. Unter einem Friedhof singt Theußl etwa vom Wahnwitz der Leistungsgesellschaft im Angesicht eines Lebens, dessen Ziel mit dem Grab vorherbestimmt ist. Dabei bleibt er überzeugend in der Rolle des Konzeptkünstlers, der ausgewählten Gästen sein neues Album präsentiert. Damit reizt er eine Umgebung, die dafür nicht vorgesehen ist, nimmt aber bewusst wenig Impulse auf. Die ganze Performance lebt von der gelungenen Grenzziehung zwischen Fiktion und der realen Situation einer U-Bahn-Fahrt. Von Seiten der Mitspieler mischen sich die Spähren kaum. Egal, ob sie nun die Scheiben wischen, einen Hitlerkäfer abführen oder einer Statistin eine Pizza in die Bahn liefern – sie halten sich strikt an die anfangs ausgegebene Parole "dies ist keine Veranstaltung. Vermeiden sie klatschen und husten, lösen Sie ein Ticket, wir beeinträchtigen den Fahrablauf nicht."
Die Performance springt die Unbeteiligten nicht an, Interaktion wird nicht erzwungen. Umso aufschlussreicher sind die Ergebnisse, wenn sie denn stattfindet. In der Zwangsgemeinschaft eines U-Bahn-Waggon gehen die Aussagen des Presseheftes über soziale Kontrolle voll auf: Die Mehrheit entscheidet über Richtig und Falsch. Zwischen Stationen mit mehr Teilnehmern als Unbeteiligten reagieren letztere erstaunt, belustigt, aber positiv – allenfalls irritiert, dass diese Fahrt von Konventionen abweicht und auf einmal sie es sind, die sich mit üblichem Verhalten nicht in die Masse einfügen. Kippen die Mehrheitsverhältnisse, kippt auch die Stimmung. Zwischen Hauptbahnhof und Sendlinger Tor greift die soziale Kontrolle gegen die Dinge, die man in einer U-Bahn nicht tut, in Form von Bemerkungen, ob das wohl Betrunkene sind, denen man eine rein hauen müsse. Auffallend auch, dass sich Menschen mittleren Alters ihre Irritation kaum anmerken lassen.
Am tiefsten Punkt der Stadt
Aufsehen erregt die Performance vor allem bei Jugendlichen und Rentnern. Einer älteren Dame fällt auch als Einziger der Mann im roten Trainingsanzug auf, der am Bahnhof Josephsplatz unter den Sitzbänken liegt. Keine Sorge, es geht ihm gut. Georg Reinhardt wollte nur demonstrieren, wie die Leute im Bombenkrieg genächtigt haben. Er philosophiert über die Schachbrettmuster der Bahnsteige, gelangt von dort zu Alice im Wunderland und landet schließlich bei Platons Demokratieverständnis. Ein Anliegen von UNTN ist schließlich die Verknüpfung der topografischen und der gesellschaftlichen Dimension von Oben und Unten. Nicht umsonst führt der Weg der U2 nach Feldmoching, dem tiefsten Punkt der Stadt (gelegen in einem Brennpunktviertel).
Die Diskurse über Wolkenkratzer-Bosse und Erdgeschoss-Prekariat oder Steuerhinterziehung versus Hartz IV wirken jedoch bemüht und bringen das Getriebe der Performance ins Rattern. Wesentlich anregender gestaltet sich der Kontrast zu den Kunstbahnhöfen der U2. Mit ihren Farbspielen, ihren der Umgebung entnommenen Bildmotiven und ihrer für die Wartenden angenehmen Harmlosigkeit unterstreichen sie noch die Funktionalität der Transitorte. UNTN steht für ein anderes Kunstverständnis. Die Performance will sich subversiv in den Alltag einmischen und in scharfem Kontrast zur künstlerischen Fiktion grell ausleuchten. Diesem Anspruch ist die Premiere voll und ganz gerecht geworden.
UNTN_ein musikalisches Untergrundstück
von und mit: Christoph Theußl, Georg Reinhardt, Marcus Widmann, Katrin Dollinger, Judith Huber, Viola Müller, Daniela Kiefer, Mathias Lenz, Dim Sclichter, u.a.
www.pathosmuenchen.de
Die Geschichte vom Bus, den beim U-Bahnbau die Erde verschluckte, hat auch Elfriede Jelinek zu einem Theatertext inspiriert, den Karin Beier 2010 in ihrer Kölner Baukatastrophen-Trilogie Das Werk / Im Bus / Ein Sturz uraufführte.
Bei der von Sabine Leucht für die Süddeutsche Zeitung (16.7.2012) am zweiten Tag besuchten "performativen Reise" nach "UNTN" gab es "eine bedeutsame Szene": Eine Handvoll Jugendlicher wurde aufmerksam. "Vermutlich mit Migrationshintergrund – und vermutlich ungeplant. Und Bingo: Das metaphorische Denken in Bildern, mit dem sich der Schauspieler-Singer-Songwriter Theußl und seine Dramaturgin Katrin Dollinger in die sozioökonomischen und topografischen Tiefen der Stadt bohren, schießt dort meterweit am Ziel vorbei." Allerdings sei es "möglich, das auch dies volle Absicht ist, denn das vom Pathos München produzierte Live-Hörspiel soll 'die Realität noch realer und die Fiktion noch fiktiver' erscheinen lassen." Den "Überblick über die unterschiedlich starken Erzählfäden" der Performance könne man rasch verlieren.
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weisst jemand wo man nachfragen muss um eine Performance in der Münchner Bahn zu machen?