Lebenssaft und Schaffenskraft

von Simone Kaempf

Berlin, 16. August 2012. Hier geht es um Bewusstseinserweiterung. "Life is to accept the unacceptable." Mit diesen Worten beginnt der Tänzer Antony Rizzi seine Solo-Performance, die autobiographisch von ihm selbst erzählt: von vielen Experimenten mit Drogen, von etwas, was ihm zu Intensität und Leben verholfen hat, auch wenn es Leben rauben könnte. Was sich als Kraft nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper ausbreitet. Bald schlackern Rizzis Beine wie Gummiglieder, eine Wellenbewegung geht durch seinen Körper, alles äußerst amorph und doch in Hochspannung.

Wie die Stoffe heißen, die einem zum Treibstoff werden können, davon ist auf der Bühne viel die Rede. Ketamin und GBH, Poppers und Speed. Letzteres eine Kombination, mit der man sich wie eine Raubkatze bewege, erzählt Rizzi zwischendurch. Diese Stoffe, die einen lebendig machen und gleichzeitig entfernen von der Welt, werden hier ausgiebig gefeiert, aber nicht naiv, sondern mit einer Ironie, die sich nur leisten kann, wer die Dinge durchlebt hat.

drugs 280 fabre c wonge bergmann uBerauschend: Antony Rizzi
© Wonge Bergmann

Ein ekstatischer Derwisch

Rizzi selbst kommt auf der Bühne ziemlich posh daher, im zeitgemäß dicken Brillengestell und im schwarzen Anzug. Er trägt eine weiße Strickmütze, die an einen Sufi erinnert. Ist er nun der ekstatische Derwisch oder doch der geprügelte Dummkopf? In den Tanzeinlagen testet der windende Körper seine Grenzen ab. Die Bewegungen scheinen sich auch immer wieder gegen sich selbst zu wenden, entwickeln subtil ihre zerstörerische Kraft, ohne dass auf der Bühne gleich das große Drama entsteht oder sich Abgründe aufreißen.

Diesen schmalen Grad zwischen Selbstfeier und Selbstzerstörung hält der Tänzer, der zum Ensemble von William Forsythe in Frankfurt gehörte, bevor er zu Jan Fabre stieß und auch selbst choreografierte, mit beeindruckender Präzision. Unter der Regie von Fabre ist eine Mischform aus Tanz, Schauspiel und Sprecherzählung gelungen, die sich im Laufe des Abends immer mehr vom Diktum Droge löst. Und wenn sich Rizzi in einer Szene die Arzneifläschchen, die den Bühnenrand säumen, unters Jackett stopft und wie schwanger über die Bühne wandelt, sind auch allgemeinere Säfte und Kräfte gemeint, die einen am Leben halten, aber auch ihre dunkle Seite haben.

Bedürfnis nach Intensität

Bevor es zu düster wird, wechselt Rizzi von der Erzählung in den Tanz oder produziert aus Seifenlaugenschalen große Seifenblasen, die trotz seiner äußersten Vorsicht und Hingabe natürlich doch zerplatzen. Über Microport ist sein Atmen, das Luftholen und jede Diktion verstärkt zu hören. Darin findet sich auch ein Ausdruck für das Abgeschottetsein auf einem Drogentrip, bei dem die Sinnes-Wahrnehmung überdeutlich funktioniert. Es ist ein Abend von eigentümlicher Schönheit, der ein Wertesystem erschafft, das aus dem Bedürfnis nach Intensität entstanden ist.

Man kann sich allerdings auch fragen, ob die Performance vor den dunklen Seiten nicht einfach auch wegrennt und ein bisschen zuviel Entertainment produziert. Im Publikumsgespräch nach der Vorstellung bleibt Rizzi in dem Modus, sich selbst zu ironisieren. Seine Botschaft, dass alle ein wenig netter zueinander sein sollten, mag man ihm jedoch nicht abkaufen, aber sei's drum. Ein Höhepunkt war "Drugs kept me alive" ganz sicher auf dem Festival Tanz im August, das neben ImPulsTanz Wien und Montpellier Danse mittlerweile eines der großen europäischen Tanzfestivals ist.

Wie es im nächsten Jahr konzipiert sein wird, gilt derzeit als unklar. Die künstlerische Leitung durch fünf Kuratoren ist nicht sinnvoll, darin sind sich alle Verantwortlichen einig. Das Festival könnte enger ans Hebbel am Ufer gebunden werden, das nach Matthias Lilienthals Weggang ab der neuen Spielzeit von Annemie Vanackere geleitet wird, oder unabhängig werden, wie es sich die Verantwortlichen der Tanzwerkstatt wünschen, damit eine größere inhaltliche Bandbreite garantiert bleibt. Es soll sich etwas verändern, aber die Richtung ist noch offen.


Drugs kept me alive
Konzept, Regie & Text: Jan Fabre, Dramaturgie: Miet Martens, Musik: Dimitri Brusselmans, Kostüme: Andrea Kränzlin.
Mit: Antony Rizzi.
Produktion: Jan Fabre/Troubleyn Antwerpen, Koproduktion mit Maribor 2012 European Capital of Culture mit Unterstützung der Flämischen Regierung Stadt Antwerpen.

www.troubleyn.be
www.tanzimaugust.de

Mehr zu Tanz im August 2012: Wir besprachen auch das Tanz-Solo über Demagogie und Apokalyptik von Lisbeth Gruwez It's going to get worse and worse and worse, my friend. Und von Antony Rizzi besprachen wir seine Performance Monkey on the table, die im Februar 2010 als Gastspiel am Mousontum Frankfurt zu sehen war. 

 

Kritikenrundschau

Ein Abend zwischen Aufklärung und Verausgabung ist "Drugs kept me alive", schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (18.8.2012). Rizzi, seit 15 Jahren HIV-positiv, rede mit frappierender Offenheit über legale und illegale Substanzen, der Katalog seiner Süchte ist beachtlich. "Die Bekenntnisse eines alternden Tanz-Junkies sind erschütternd, aber auch von irrwitziger Komik." Er schone sich nicht und erzählt vom biologischen Krieg, der in seinem Körper tobt, was Fabre überflüssigerweise mit grellen Soundeffekten verdeutlicht. "Doch er begreift sich nicht als Opfer, er bleibt 'ein unheilbarer Soldat der Liebe'. Das Schlussbild ist eine Apotheose: Hunderte Seifenblasen rahmen diesen dreckigen Heiligen."

Michaela Schlagenwerth bringt ihr Lob für diesen Abend von Fabre/Rizzi in einem längeren Festivalbericht für die Berliner Zeitung (20.8.2012) schlaglichtartig vor: Rizzi erzähle "in einer Tour de Force von seinem sex-, abenteuer- und drogensüchtigen Leben, von HIV und Medikamenten. Seifenblasen umwehen ihn. Es ist traurig, schön, poetisch und verrückt."

 

Kommentare  
Drugs kept me alive, Berlin: Too much of nothing
Ist Sucht = Selbst-Sucht ohne Selbst? Die Wahrnehmung zeigt: Solche Menschen haben zwar ihr großes, sich stets wandelndes Drogen-Ich, aber keiner von ihnen hat eine tiefe Bindung zu sich selbst und anderen. Alles bleibt cooole Oberfläche, korrespondierend mit innerer Leere. Berghain-Techno-Party-People. Kurz: "Too much of nothing" (Bob Dylan).
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