Mächtige Männer im Rock

von Wolfgang Behrens

Berlin, 31. August 2012. Gleich zu Beginn verkünden es die Zuspielstimmen zweier Kinder: "Der Chor der Ältesten geht ab und kehrt nicht wieder." Was nicht ganz stimmt, er war gar nicht erst da. Der Chor ist nämlich gestrichen. Fast. Denn der Chor als Instanz scheint noch da zu sein. Er sitzt dem unausweichlichen Schicksal gegenüber, das auf der (ansonsten leeren) Bühne von Katja Haß als nach hinten halfpipe-artig steil ansteigende Rampe ins Bild gesetzt ist, gegen die sich herrlich anrennen lässt. Wer da hinauf und das Schicksal bezwingen will, der rutscht unweigerlich wieder herab. Auf der anderen Seite der Halfpipe aber sitzt der Demos, da sitzen wir. Wir sind der Chor.

Der unsouveräne Souverän

Der Regisseur Stephan Kimmig hat sich für die Spielzeiteröffnung am Deutschen Theater der Geschichte des Labdakiden-Geschlechts angenommen und dabei den Griff ins Große gewagt. Gleich vier antike Tragödien finden sich in "Ödipus Stadt" (in der nüchternen, modernem Sprachduktus sich anschmiegenden Neuübersetzung von Gregor Schreiner) zur Trilogie zusammengespannt: Zuerst der "König Ödipus" des Sophokles, die "Sieben gegen Theben" des Aischylos und "Die Phönizierinnen" des Euripides als Mittelstück, abschließend die sophokleische "Antigone". Was nach einem Mammutprojekt klingt, präsentiert sich überraschend schlank – zweieinhalb pausenlose Stunden dauert der Antiken-Digest. Für einen Chor bleibt da keine Zeit.

oedipus1 560 arno declair hWeiblicher Kreon: Susanne Wolff  © Arno Declair

Man muss den Verlust des Chores nicht reflexartig beklagen. Doch wenn er fehlt, dann fehlt dem Spiel der Mächtigen ein Gegenüber. Im Interview mit Peter Laudenbach für das Stadtmagazin "tip" hat Kimmig die Situation im "Ödipus" folgendermaßen charakterisiert: "'Ödipus' fängt damit an, dass die Pest in Theben wütet, da sterben Hunderte von Leuten. Der Handlungsdruck für die Politik ist enorm. Und dieser Druck bleibt die ganze Zeit über bestehen." Doch eben von diesem Handlungsdruck ist in "Ödipus Stadt" nichts zu spüren: Die dringliche, die mahnende, die kontrollierende Stimme der Öffentlichkeit ist eliminiert. Wir sind der Chor, und wir schweigen.

Ohne den Resonanzraum des Chores bleiben die Mächtigen unter sich. Das indes führt wohl zu der eigentlichen Intention des Abends: Er versucht sich gewissermaßen an einer pathologischen Symptomatik der Macht und der Mächtigen. Ulrich Matthes als Ödipus etwa: Im Wechselbad von Jähzornanfällen und lauernder Panik bangt er um seine Autorität. Dem im Appell an das Publikum mit großem Aplomb behaupteten Herrschaftsanspruch steht dabei die latente, immer wieder hervorbrechende Unbeherrschtheit des Charakters gegenüber: Der Souverän agiert nicht souverän.

Wimmernde Bündel, stylishes Gegenlicht

Matthes führt das in seinem Spiel mit wünschenswerter Deutlichkeit vor – schmerzlich berührt dabei indes, dass dieser großartige Ausnahmedarsteller hier mitunter auf der Kippe zur Manier steht: die weit aufgerissenen Augen, der schreckensstarr geöffnete Mund drohen ins chargenhaft Penetrante abzudriften. Groß ist Matthes dann wieder im Zusammenbruch, wenn seinem Ödipus alle Verstrickungen offenbar geworden sind und sich sein Jähzorn gegen sich selbst wendet – übrig bleibt ein irre wimmerndes Bündel.

Fast läppisch mutet der sich anschließende Bruderkrieg der Ödipus-Söhne um die Königswürde an. Elias Arens als Eteokles darf minutenlang im stylishen Scheinwerfer-Gegenlicht die große Trommel rühren und Kriegsstimmung verbreiten: Er macht das wirklich virtuos, ein Stomp-Engagement wäre ihm sicher – hier aber wirkt es nur wie ein wohlfeiler Showeffekt. Das Rededuell mit seinem Bruder Polyneikes (Moritz Grove) um Krieg und Frieden, Macht und Tod hat dann etwa die Dringlichkeit eines Streits um einen Radiergummi.

Der letzte Herrscher dieser Aufführung freilich, der hat es in sich. Susanne Wolff ist Kreon (dass durch die Bank alle Darsteller in Unterhemd und Rock agieren, ist ein hübscher Einfall, durch den diese gegengeschlechtliche Besetzung ganz unaufdringlich zu einer Selbstverständlichkeit wird). Wie Susanne Wolff aber die Entwicklung Kreons vom Ratgeber zum Tyrannen Gestalt werden lässt, das sollte man sich anschauen.

Die Macht und ihr Zerrbild

Als Gegenspieler und Mahner des Ödipus ist sie, äußerlich nahezu unbewegt, von einer schneidenden und apodiktisch klaren Festigkeit, in die allenfalls die Ungeduld der Vernunft einige grimmigere Töne hineinmischt. Angesichts der Schicksalsschläge, die Kreon im zweiten Teil hinnehmen muss, zeigt Susanne Wolff dann anrührend verletzliche Seiten des Staatsmannes, ehe sie im Moment der Machtaneignung ostentativ ins Grobschlächtige wechselt. Susanne Wolffs Kreon muss sich gleichsam ein hartes, ja, fast prolliges Gebaren (bis in die Aussprache hinein: "nischt" und "Könisch") überstülpen, um die Herrscherrolle auszufüllen. Sie trainiert sich gleichsam in Überheblichkeit, gefällt sich in den Posen der Macht, die sie während der Ausübung zugleich parodiert. Die Macht und ihr Zerrbild fallen in ihrer Darstellung in eins, werden ununterscheidbar – eine zynische Pointe.

Da Susanne Wolff in der aufrecht-zornigen Antigone Katrin Wichmanns (der das Kunststück gelingt, auf gänzlich pathos- und ironiefreie Weise mit ihren Sätzen identisch zu sein) eine Widersacherin auf Augenhöhe findet, ist der letzte Teil von Kimmigs Theben-Trilogie tatsächlich von enormer Spannung getragen. In den Teilen zuvor hat man sie noch sehnsüchtig vermisst.

Macht, Gewalt und Demokratie sollen zentrale Themen der neuen Spielzeit am Deutschen Theater sein. Über Demokratie war in "Ödipus Stadt" nicht viel zu lernen, da hätte es wohl doch des Chores bedurft. Ein mittlerweile zum Allgemeinplatz gewordenes Diktum des bedeutenden Kulturhistorikers Jacob Burckhardt aber, das nimmt man von diesem Abend schon mit: "Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe."

 

Ödipus Stadt. Die Theben Trilogie
nach "König Ödipus" von Sophokles, "Sieben gegen Theben" von Aischylos,"Die Phönizierinnen" von Euripides, "Antigone" von Sophokles
Übersetzt von Gregor Schreiner
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Johanna Pfau, Musik: Michael Verhovec, Licht: Matthias Vogel, Dramaturgie: John von Düffel.
Mit: Ulrich Matthes, Susanne Wolff, Barbara Schnitzler, Sven Lehmann, Elias Arens, Moritz Grove, Katrin Wichmann, Felicitas Madl, Thorsten Hierse. Kinderstimmen: Selma-Lou Haß, Tilly Barnes.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Das ist die Generation Stéphane Hessel, also zwischen 24 und 94, zweieinhalbtausend Jahre jung", schreibt Peter von Becker im Berliner Tagesspiegel (2.9.2012). Das Ensemble des Deutschen Theaters und Stephan Kimmigs Inszenierung entdecken aus Sicht dieses Kritikers in der Ödipus-Geschichte von Anfang an die zugrundeliegende Kinder-Tragödie. "Das Unheil beginnt früh und pflanzt sich fort. Auch Katrin Wichmann als Ödipus' Tochter Antigone, anfangs fast ein blondes Girlie von heute, zeigt die Rebellin als trotziges Kind (...) unbelehrbar, unbeirrbar." Die Besetzung von König Kreon mit der Schauspielerin Susanne Wolff sei schlicht "ingeniös" in der Emotionalität der Wirkung. Und der "Matthes'sche Ödip'" erst: "halb tragischer Rumpelstilz, halb Schmerzensmann". Von Becker zufolge voller "Pathos, nicht Pathetik". John von Düffel habe für Kimmig aus den drei, dem Abend zur Grunde liegenden Tragödien habe eine schnell packende, dicht verbundene Trilogie gesponnen. Die Tragödie des Ödipus verbinde sich hier in drei pausenlosen Akten und kaum zweieinhalb Spielstunden zur Gesamttragödie des Mannes Ö. "Es ist ein Familienfluchdrama wie das der Atriden, ein Inzestkrimi, ein Kriegsstück und am Ende der Diskurs über Staatsraison, Religion, Kinderglaube (...) – auch über Recht und Freiheit, Schuld und Sühne." Und nichts komme, so der Kritiker, zu kurz, trotz aller Kürzungen in den Texten. Das macht für ihn die Intelligenz dieses Abends aus.

"Je beliebiger die szenischen Mittel, desto aufgekratzter und effektverliebter werden sie vorgeturnt", resümiert Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (3.9.2012) und unterstellt Kimmig und seinem Dramaturgen John von Düffel "Desinteresse an der spezifischen Form der antiken Tragödie zugunsten der zügigen Plot-Abwicklung". Wie eine gegenwärtige Erzählung des antiken Stoffes aussehen kann, führe allerdings Ulrich Matthes als unschuldig schuldig gewordener König Ödipus "atemberaubend" vor. Wir folgten ihm bei "seiner Denk- und Erkenntnisbewegung in den Abgrund". Wenn Matthes als Ödipus seine Frau Iokaste "eher grob und heftig" küsse oder wenn er im "Nachgenuss des Triumphes" mit "aufblitzenden Augen" erzähle, wie er einst einen Reisenden erschlagen habe, wolle man "beim Zusehen vor Faszination und Beklemmung die Zeit anhalten". Matthes spiele das "unsentimental, genau, auch hart, ohne jede vorgeführte Ergriffenheit". Wie er langsam verstehe, sich "Wort für Wort, Gedanken für Gedanken in die Erkenntnis seiner Verbrechen vorarbeitet", ohne seine Figur "alltagspsychologisierend zu verkleinern", wie er auch diesen Sturz in den Abgrund mit "größter Nüchternheit" vornehme, bis es "völlig selbstverständlich" erscheine, dass er gar nicht anders könne, als sich die Augen auszustechen - "das ist so dicht, klar und in jedem Moment erschütternd, dass man unmittelbar versteht, wofür die Griechen das Theater erfunden haben."

Für Irene Bazinger von der FAZ (3.9.2012) lebt Kimmigs Inszenierung von der Demut gegenüber den antiken Stoffen und einem eindrucksvollen Ensemble, von dem sie besonders Susanne Wolff als Kreon, Ulrich Matthes in der Rolle des Ödipus, Barbara Schnitzler als zerrissene Iokaste, Sven Lehmann als wohlfrisierter Teiresias hervorhebt. "Als hätte Kimmig an den dem Heraklit zugeschriebenen Satz gedacht, dass alles fließt, hält er die Handlung in dauernder Bewegung, wofür er individuelle Reflexionen und allgemeine Erwägungen durchweg gelöscht hat. Einerseits trivialisiert diese reine Konzentration auf den dramatischen Lauf die Aufführung ein wenig, andererseits verdichtet sie die inhaltlich kontroversen Positionen der Protagonisten."

"Antike hautnah", schreibt Hans Dieter Schütt im Neuen Deutschland (3.9.2012). Das sei die "bittere, bohrende Nachricht" dieses Abends: keiner möge reden von "geschichtlicher Aufwärtsbewegung" - Geschichte sei "ein Blutsturz, ist quasi die Duschkabine", in der sich die "regierenden Psychopathen aller Jahrhunderte und Ideologien" rot einschlammten für die "Hitze ihrer Massen-, Klassen-, Rassenkämpfe". Schütt ruft dem Leser zu: "Also, Mensch: bleib draußen, bleib einsam, bleib frei", ... "träum und denk nicht dauernd ferne Menschheit...: sieh und fühl die Nahen, die wirklich erreichbar sind". Das fasse Kimmig in eine "packende, rhythmisch stimmige" Inszenierung ohne "Ausschmückungen", in eine "Statuarik, die aber nie zur Pose erstarrt". Die Aufführung trommele, brülle, renne, hechele, sie spiele auch mal den "spillrigen Komiker"; vor allem aber richte sie immer wieder "ihre Blicke" ins Publikum, wo "wir Thebaner sitzen, Schweigende, Hörende, seit Jahrtausenden alles Wissende, doch nichts wirklich Begreifende, verstrickt noch immer in den Krieg, der begann und nie aufhörte."

"Ist das plump und plakativ?" fragt angesichts des Aufrufs zur Revolte am Ende Dirk Pilz im Feuilleton der Dumont-Blätter Berliner Zeitung/Fankfurter Rundschau (3.9.2012), und findet: "Auch". Vor allem aber ist dieser Schluss aus seiner Sicht eine totalitäre Geste. Denn mühsam buchstabiere Kimmig zunächst "die verwickelte Dialektik aus Gewalt und Gerechtigkeit durch". Um dann in diesem Totalaufruf zu münden? Der Kritiker führt das schließlich auf jene Wand zurück, gegen die an diesem Abend alle Akteure anzurennen hätten. "Sie ist, überdeutlich, das Symbol eines Schicksals, das als unveränderlich, auf Merkeldeutsch: alternativlos genommen wird. Deshalb ist an diesem Abend der Chor gestrichen: Die distanznehmende, die den antiken Vorlagen eingeschriebene tragödienkritische Stimme ist eliminiert, weil das Handlungs- und Denkfeld nur noch zwei Richtungen kennen soll: Schicksalergebenheit oder Rebellion. Gewalt oder Gerechtigkeit. Macht oder Ohnmacht. Die antike Tragödie ist das Dokument der Durchbrechung solcher propagandistischer Dualismen, das kritische Plädoyer für die Einübung in Demokratie. Das also wurde gestrichen? So gesehen ist diese Inszenierung ein Rückschritt: zurück ins Vordemokratische. Um die Demokratie noch einmal neu zu erfinden? Oder als Abgesang?"

Matthias Heine schreibt in der Welt (4.9.2012) eigentlich müsse der Abend "Kreon" heißen, denn dieser sei der einzige von der ersten bis zur letzten Szene "nahezu Daueranwesende". Susanne Wolff sei die "wahre Hauptdarstellerin dieses Abends". Es tue wohl, den von ihr gespielten Kreon "mal wieder" als "Tragödiengestalt statt als Witzfigur" zu sehen. Sven Lehmanns Seher Teiresias wachse zur zweiten Hauptfigur. Er fluche "den Hass des alten thebanischen Wutbürgers gegen den dekadenten Emporkömmlingsclan des Ödipus" heraus. Eine "Rechtfertigung aller Grantler und Online-Trolls": Schlechte Laune sei manchmal die "einzige angemessene Antwort auf ein aus den Fugen geratenes Staatswesen". Ulrich Matthes stelle Ödipus ohne den "geringsten Beeindruckungsverlust" dar. Manche Figuren kämen bei der Kurzfassung der vier Dramen naturgemäß zu kurz. Die Antigone der Katrin Wichmann bleibe eine "beeindruckende Nebenfigur", an der sich erweise, dass die Figuren viel aktueller wirkten, wenn man sie nicht aktualisiere.

Barbara Behrendt schreibt in der tageszeitung (4.9.2012): Beziehe man "Ödipus Stadt" auf heute, laute das Fazit: Das Volk habe nichts zu melden, denn der Chor sei abgeschafft. Die Kurzfassung habe Nachteile. "Den Fall des Ödipus" in 50 Minuten zu erzählen, schaffe selbst ein "phänomenaler Schauspieler wie Ulrich Matthes" nicht. Er greife deshalb zu "Bildern" "nah an der manierierten Pose". Obwohl oft an der Rampe deklamiert werde, hätten Kimmig und von Düffel den Fluch der Labdakiden zum "packenden Thriller" verdichtet. Kreons "psychologische Entwicklung" stehe im Zentrum. Susanne Wolff gelinge diese Rolle "eindrücklich". Wenn sie allein die Rede ans Volk probe, stehe da ein Mensch, "der die Macht gewaltvoll am Zügel hält, weil er sich so sehr davor fürchtet, sie zu verlieren". Katrin Wichmann als Antigone stehe Wolff in nichts nach: "Stur, trotzig, unbelehrbar wie ein Teenager" biete sie Kreon die Stirn.

"'Ödipus Stadt' kommt einer Einführung in das antike Theater nahe", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (6.9.2012), der Regisseur gehe mit jenen radikalen Raffungen und Kürzungen zu Werke, die Drehbuchautoren als das "Später rein, früher raus"-Verfahren bezeichneten: "Die Kontur der Figuren wird dem flutschenden Schwung der 'Story' unterworfen." Dass die Sache funktioniere, sei Ulrich Matthes zu verdanken, der mit seinem Spiel den Abend zusammenhalte. Matthes' Spiel sei ein Triumph des Spiels über das bloße Erzählen, leider auch über den Rest der Inszenierung, die Krieg als hohl drehenden Erschöpfungstanz zeige und darin eine "beklemmende Trockenheit und Übersichtlichkeit" zeige.

 

Kommentare  
Ödipus, Berlin: Radiergummigefasel
Ein großer Abend! Mit phantastischen Schauspielern (auch und ganz besonders die junge Herrenriege!) Radiergummiegefasel kann man sich da sparen. Stimmt einfach nicht und ist bösartig.
Und dass Herr Behrens seine Kritik am fehlenden Chor aufhängt, teile ich auch nicht. Der Druck unter dem die Mächtigen stehen und welche fatalen Folgen ihre blutigen Entscheidungen haben ist an diesem außergewöhnlichen Theaterabend wirklich in jeder Sekunde zu spüren!
Ödipus, Berlin: Volkshochschulkurs
Gähn. Theater zum angewöhnen. Volkshochschulkurs von Düffel.
Ödipus, Berlin: very short introduction
Theater für alle, die mangels humanistischen Gymnasialbesuchs eine "very short introduction" in die griechiche Mythologie bedurfen. Keine Zeit bleibt für eine aufmerksame Ausseinanderdetzung mit den einzelnen Dramen und Kimmig hat dann auch keinen neugierig-neuen Blick auf die einzelne Rolle. Das der Abend nicht im Desaster endet, ist dann nur noch den grandiosen Schauspielern zu verdanken. Schade.
Ödipus, Berlin: jeder spielt wie er kann
ein erschreckend denkfauler Abend. Jeder spielt wie er kann, eine Interpretation ist nicht in Sicht. Wo war der Regisseur?
Ödipus, Berlin: riesiger Schmarrn
Wenn den Kritikern nichts mehr einfällt, fangen sie an umschweifig zu palavern, sind ganz große Experten der griechischen Tragödie oder deuten die Intensionen des Regisseurs in die Unkenntlichkeit, bis alle Fragen erst wirklich offen sind, die vorher gar keiner gestellt hat. Der eine findet das gut, der andere jenes, wieder einer möchte sich glatt fremdschämen und ansonsten hat Sven Lehmann noch die Haare schön, wie man erfährt. Warum traut sich eigentlich keiner zu sagen, dass es ein riesiger Schmarrn war? Bitte, Herr Stadelmaier, übernehmen Sie.
Ödipus Stadt, Berlin: Bühnenbild ein Fall für vroniplag
das bühnenbild ist ein fall für vroniplag. die manufactum version eines bühnbildes von hardy meyer für den "kean" an der volksbühne. es gibt sie noch die guten alten dinge. schön sauber und echte handarbeit aus gutem deutschen holz. und so ist auch die inszenierung.
Ödipus Stadt, Berlin: die Art und Weise der Nachtkritik
Warum bloß so bösartig, Herr Behrens? Ich kann mich JO nur anschließen und teile Ihre Meinung zum Bruderstreit nicht. Erstaunt bin ich allerdings über die Art und Weise Ihrer Kritik. Mir fällt kein anderer Grund für "läppischer Radiergummistreit mit Stomp-Engagement"-Formulierungen ein, als vielleicht den Kritikerkollegen imponieren zu wollen. Vielleicht können Sie mich aufklären. Ich finde, das ist Kritisieren auf leider niedrigem Niveau.
Ödipus Stadt, Berlin: Nachtkritikers Antwort
Lieber JO und lieber Leser,

in einem Punkt ist meine Kritik vielleicht missverständlich: Ich möchte weder Elias Arens noch Moritz Grove schwache schauspielerische Leistungen unterstellen. Arens entwickelt in seiner Trommel-Szene - ich schreibe das ja auch - tatsächlich einen beachtlichen Furor (auch die "Stomp"-Leute sind ja ganz hervorragende Trommler). Was ich kritisiere, ist die Regie-Entscheidung, hier auf einen solchen Show-Effekt zu setzen - der Szenenapplaus in der Premiere war doch symptomatisch: Da ging es um nicht viel mehr als um das Ausstellen eines Könnens.

Auch was den "Radiergummistreit" betrifft, scheint mir die Spannungslosigkeit zu Lasten einer verkleinernden Regieidee zu gehen. Jedenfalls nehme ich für mich das Recht in Anspruch, nichts von der Dringlichkeit der Fragen, um die es in dem Streit geht, vernommen zu haben (wenn Sie der Radiergummi so stört, bitte, setzen Sie ein anderes Wort ein, daran hängt für mich nichts.) Das Potential der beiden Schauspieler will ich aber wirklich nicht in Abrede stellen - es wurde m.E. in der Szene nur nicht ausgeschöpft. Grove hat übrigens in der Wächter-Szene noch ein echtes Komik-Kabinettstückchen abgeliefert, das muss man auch erst mal so können.

Kritikerkollegen imponieren zu wollen empfand ich bisher nicht als meinen Antrieb. Wobei das natürlich die interessante Frage aufwirft, für wen man eigentlich schreibt. Ich finde diese Frage nicht so leicht zu beantworten.
Ödipus Stadt, Berlin: Bühnenbild nicht neu
Ähnliches Bühnenbild habe ich auch bei der MEDEA am neuen theater Halle gesehen (übrigens mit der tollen Anita Vulesica in der Hauptrolle, jetzt am DT). Ich habe mich gefragt, ob die "Halfpipe" nötig ist, wozu sie dient außer für Spielereien.

Ansonsten waren Frau Wolff, Herr Matthes und Herr Arens ein Ereignis für mich.
Ödipus Stadt, Berlin: Dank für die Antwort
Lieber Herr Behrens,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ihre Erklärungen lassen mich diesen Punkt Ihrer Kritik nun besser nachvollziehen.

Es ging mir nicht um das Radiergummi, sondern um den bösartigen Ton des Kritisierens, den ich als überflüssig, Niveau senkend, zu Missverständnissen führend und vor Allem sich an der Grenze zur Respektlosigkeit bewegend empfand.
Nicht nachvollziehbare, böse Respektlosigkeit gegenüber den 'Theatermachern' macht es mir z.B. bereits unmöglich Ihren Kollegen, Herrn Laudenbach, trotz sicherlich großer Fachkompetenz, noch ernst zu nehmen bzw. überhaupt noch zu lesen; daher nochmals vielen Dank für Ihre Antwort.

Ihr
Ödipus Stadt, Berlin: Brüche
Beeindruckender Anfang, starker Ulrich Matthes - sehr gut auch Barbara Schnitzler! Bis zur Aufbahrung der Toten war ich noch begeistert, auch wenn mir das Bühnenbild und manche Effekte nicht klar waren. Danke den beiden Schauspielern! Hier zeigte sich, wer sein Handwerk versteht und mit Sprache und Stimme umgehen kann!
Aber dann kam der absolute Bruch mit dem "Antigone"-Teil! Wollte man hier das Publikum durch Slapstick und Lautstärke wieder munter halten, um die letzte Stunde auch noch mitzumachen? Für mich war es ab dem Zeitpunkt durch das Geschreie vor allem von Kreon und Antigone, zuletzt leider auch von Teiresias mit echten körperlichen Schmerzen verbunden. Die starken Dialoge zwischen Kreon und Antigone, zwischen Kreon und Haimon sowie zwischen Kreon und Teiresias, als der Kreon das Ende voraussagt - alles ging in Lautstärke statt in starker, treffsicherer Sprache unter. Für mich war Susanne Wolf leider ein kaspernder, dümmlicher statt der machtbesessene, uneinsichtige, unbelehrbare auf keinen Fall dumme Kreon. Noch nie habe ich Dieter Mann und seinen Kreon vor Jahren in den Kammerspielen in "Antigone" im DT so vermisst, wie an diesem Abend. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass auf Geschrei statt auf das akzentuierte, gestochene, starke Wort - wozu natürlich auch entsprechende Pausen gehören - gesetzt wird. So konnte ich natürlich auch der Antigone-Darstellung nicht viel abgewinnen. Schade - gerade auf Katrin Wichmann hatte ich auch gesetzt. Ein Lichtblick in dem Kimmig-Abend war für mich im Antigone-Teil Moritz Grove als Wächter. Gibt mir zu denken, wenn gerade die kleinste Rolle bei "Antigone" so hervorsticht.
Na ja, alle, die sich das Programmheft leisten können, haben die Möglichkeit Texte dort noch nachzulesen. Wer aber nur das Stück gesehen hat, dem hätte ich die so aktuellen Texte aus "Antigone" intensiver, besser gesprochen gewünscht. Mir ging im Geschrei zu viel unter. Zum Glück habe ich schon einige "Antigone"-Inszenierungen gesehen, mir sind die Texte nicht unbekannt.
Ödipus Stadt, Berlin: gute Brüche
Lieber Nestler,
für mich war Antigone in dieser Tetralogie (analog zur antiken Aufführungspraxis) das Satyrspiel.
Kann man drüber streiten, ob das gerechtfertigt ist.
Andererseits ist man nach 1h 45 Minuten konzentrierten Zuhörend und Zusehend auch schon erschöpft. So war ich dankbar, dass jetzt mal ein anderer Ton gesucht wurde.
Außerdem finde ich Antigone ein extrem schwieriges Stück. Steht der Regisseur auf der Seite der Titelheldin, denkt man: Kreon hat im Grunde auch recht, wenn er gegen das Göttergesetz das weltliche Recht behauptet (Stichwort: Der Gottesstaat als Gefahr). Steht er auf der Seite Kreons, denkt man: Wehret den Anfängen der Tyrannis.
Ich war gespannt, wie Susanne Wolff, die am Anfang des Abends (bei König Ödipus) ja die Stimme der Vernunft war, die Entwicklung hin zum Tyrannen hinkriegt. Kreons Trauer um seinen toten Sohn aus den Phoinikierinnen war ein genialer Schachzug. Aber dann macht es sich Susanne Wolff doch nicht so leicht, hier einfach einen Bösewicht aus Leiderfahrung hinzustellen (nach dem Motto: Macht kaputt, was euch kaputt macht). Ich fand den Sprung aus dem Dilemma ins Satyrspiel (also ins Kasperle-Theater) da ziemlich überraschend und erfrischend. Zumal die These des Abends, "Macht macht schlecht", ja inzwischen auch schon ein bißchen verbraucht war.
Aber darin stimme ich Ihnen natürlich zu: ein hegelscher Diskurs war es nicht. Wenn mir auch die vis comica und die Phantasie der Schauspielerin ausnehmend gut gefallen haben.
Auch der Schluss war stark, Antigones Schrei ins Publikum: "Ihr widert mich alle an mit euren Lügen." Letztendlich ist der Zwiespalt zwischen Staatsraison und Protest nie zu lösen. Man muss immer auf der Gegenseite stehen. Das fand ich eigentlich ganz schön umgesetzt am Deutschen Theater.
Ödipus Stadt, Berlin: Schauspielertheater im besten Sinne
Kimmig gelingt ein überraschend starker Saisonauftakt. ödipus Stadt ist Schauspielertheater im besten Sinn und umkreist doch eine zentrale Frage, die alles durchdringt? Was ist Macht und was tut sie mit uns? Das grandiose Ensemble spielt das nuancen- und variantenreich durch und findet am Ende im vermeintlich nicht zu duchbrechenden Teufelskreis so gar ein ganz kleines Fünklein Hoffnung. Der beste DT-Saisonstart seit langem.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com
Ödipus Stadt, Berlin: uninspiriert
so ein langweiliger, uninspirierter abend war selten. wo ist die genauigkeit hin mit der kimmig mal gearbeitet hat. alles weg. es bleibt das platte land der banalität. WAS SOLL MIR SO EIN ABEND? Ich kann die Handlung auch im Hensel schnell mal nachgucken. Mannomann.
Ödipus Stadt, Berlin: Paraderolle
Wir haben heute "Ödipus Stadt" gesehen und waren begeistert. Das Ensemble war großartig und Susanne Wolff einfach umwerfend. Eine Paraderolle für sie. Mehr davon, bitte, statt Rollen wie in "Die Frau vom Meer"...
Ödipus Stadt, Berlin: nicht opulent, trotzdem gut
Der besondere Kunstgriff dieses Abends ist es, die beiden im Bildungsbürgertum wohlbekannten Dramen als Anfangs – und Endpunkt dieses Theaterabends zu nehmen und als Mittelteil Sieben gegen Theben von Aischylos und Die Phönizierinnen von Euripides einzufügen. Unter dem Titel Ödipus Stadt gelingt es Kimmig und von Düffel so, eine spannende Entwicklung der Figuren nachzuzeichnen. Kreon, glänzend gespielt von Susanne Wolff, ist zu Beginn umsichtiger Berater von König Ödipus (teilweise etwas zu überzogen in Gestik und Mimik: Ulrich Matthes). Im letzten Teil entwickelt er sich zu einem engstirnigen Despoten, der keine Kritik zulässt und jede Empathie verloren hat. Im Rededuell mit Antigone (sehr überzeugend: Katrin Wichmann), einem der Höhepunkte dieses Abends, tun sich bei Kreon die Abgründe auf, die zu erleben sind, wenn ein Herrscher rücksichtslos seinen Willen durchsetzt.

Wer einen visuell opulenten Theaterabend erwartet, dürfte enttäuscht werden. Das Bühnenbild von Katja Haß ist karg und besteht nur aus einer überdimensionalen Halfpipe-Rampe. Die Figuren versuchen immer wieder, zu fliehen, den Kreislauf der Gewalt zu brechen und gegen die Rampe anzurennen, rutschen aber ab und werden zurückgeworfen. Mit diesem eindrucksvollen Symbol bringt das Bühnenbild den Kern dieser Tragödie gut auf den Punkt. Die Kraft dieser Inszenierung liegt in ihren starken Dialogen, der gelungenen Neuübersetzung der griechischen Stoffe durch Gregor Schneider und das exzellente Schauspieler-Ensemble des Deutschen Theaters.

http://e-politik.de/kulturblog/archives/171-antike-tragoedie-zum-saisonauftakt-des-deutschen-theaters.html
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