Tüftler, Träumer, Visionäre

von Charles Linsmayer

Bern, 14. September 2012. Sie wolle mit ihrem Theater "zum Gesprächsstoff werden in Bern, in der Schweiz", ließ Iris Laufenberg, nach zehn Jahren Berliner Theatertreffen nun Schauspieldirektorin in Bern, in einem Interview verlauten. Mit jungen Regisseuren, die sie schon lange beobachte, "Regisseure mit einer Phantasie, die sich an den Stücken entzündet", soll es möglich werden, "eine eigene Sprache für Bern zu finden". Jan-Christoph Gockel ist einer dieser jungen Regisseure, und ihm oblag es nun, Iris Laufenbergs erste Spielzeit mit etwas Besonderem zu eröffnen. Erstmals wurden in den für Experimente bestens geeigneten Vidmar-Hallen die drei Stücke, die Philipp Löhle als "Trilogie der Träumer" konzipiert hat, an einem Abend gespielt. Der dreistündige Löhle-Marathon begann im Foyer, wo eine nicht ganz ernst gemeinte Ausstellung über verkannte Schweizer Tüftler und Visionäre gezeigt wird.

Spontaner Protestschrei?

"Lilly Link oder Schwere Zeiten für die Rev..." kam als eine TV-Show daher, bei der Marcus Signer auf Schweizer Dialekt der Reihe nach die Mitglieder der vor zehn Jahren aufgelösten Aktionsgruppe "Die fünf Sinne" vorstellte. Bis auf die temperamentvolle Lilly (Mona Kloos) sind sie inzwischen von ihren revolutionären Zielen abgekommen und fristen ein bürgerliches Dasein. Die ehemaligen Freunde geraten sich vor der Kamera in die Haare, und eine nicht zu unterschätzende Qualität der ansonsten eher kabarettistischen Vorführung ist es nun, dass bald zwischen echt und gespielt nicht mehr zu unterscheiden ist. So könnte man die Brandrede gegen die Ineffizienz aufklärerischer Ideen, mit der Lilly sich vor ihrem Abmarsch nach Frankreich verabschiedet, durchaus für den spontanen Protestschrei einer leidenschaftlich Engagierten nehmen.

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© Annette Boutellier
Der zweite Teil, "Die Kaperer", ist dann in der großen Vidmar-Halle zu sehen. Jedoch wird die Stückvorlage auf eine Weise verändert, die ihr nicht immer gut bekommt. Mörchen, der Mann, der ein hochwassersicheres Haus entwickelt hat, aber daran scheitert, dass kein Hochwasser mehr kommt, steht gleich in sechsfacher Ausführung auf der Bühne. Die Mitglieder des Architekturbüros Mörchen haben nicht nur mit verteilten Rollen den unglücklichen Tüftler zu spielen. Gleichzeitig sind sind auch die Bedienungsequipe einer winzigen Mörchen-Puppe, die eine Reihe der Szenen zu bestreiten hat. Während der frustrierte Tüftler Mörchen langsam dem Wahnsinn entgegendämmert, belebt sich die Szene mit allerlei jungen Leuten. Ein absurder Höhepunkt ist mit dem Auftritt von Mona Kloos erreicht, die eine gewisse Jana spielt, deren Busen wie Autohupen funktionieren. Auf der Bühne ist neben dem pinkfarbenen Wunderhaus des Tüftlers auch eine Modelllandschaft mit der ausgetrockneten Aare zu sehen, die kein Wasser mehr nach Bern bringen wird. Über dem Berg im Hintergrund gebeugt, bringt Mörchens Frau später ihr Kind auf die Welt.

Antikapitalistische Thesen

In einem wörtlichen Sinne schräg ist dann der letzte Teil des Abends, "Genannt Gospodin", jenes Stück, das 2009 in Solothurn seine schweizerische Erstaufführung erlebte. Die Geschichte von dem jungen Antikapitalisten, der mit einem Lama Geld verdiente, ehe Greenpeace das Tier konfisziert, ist allerdings kaum wiederzuerkennen. Gospodin und seine Kumpel leben in einer schräg an die Wand geklebten Wohnung, in der auch schon die einfachste Bewegung ein nicht geringes akrobatisches Können verlangt. Das Lama tritt als naturgetreue Marionette tatsächlich auf, äußerst sich zu diesem und jenem und bringt das Publikum immer wieder zum Lachen. Gospodins antikapitalistische Thesen treten zu Gunsten von Slapstick-Nummern und absurden Einfällen in der schräg gestellten Wohnung zurück, wo das Lama auch einigen Theaternebel versprüht. Andri Schenardi spielt seine Figur als Leidensmann und Märtyrer, dem übel mitgespielt wird. Am Ende, als er sich in den Tresor eingeschlossen hat, dessen Inhalt den standhaften Systemverweigerer gegen seinen Willen zum Millionär gemacht hat, leiert er seine Thesen, mit denen er ursprünglich die Welt hatte verändern wollen, nur noch wie eine groteske Litanei herunter.

trilogie5 560 annette boutellier uvon links: Andri Schenardi (vorne), Philine Bührer, Mona Kloos, Marcus Signer
© Annette Boutellier

Philipp Löhles Stücke haben stets einen Hang zum Grotesken. Jan Christoph Gockel verstärkt diese Tendenz in seiner Inszenierung enorm. Nicht nur durch die Kürzung, sondern auch durch eine bunte Fülle von Einfällen und schrägen Einlagen, die manchmal freilich etwas gewollt wirken. Gelegentlich hat man den Eindruck, hier habe man aus den bereits mehrfach erprobten Stücken etwas ganz anderes, nie Dagewesenes machen wollen. Doch ist die mehrfach gebrochene, eine ganze Reihe von Spielweisen präsentierende Aufführung mit ihren sieben extrem wandlungsfähigen Mitwirkenden und vielen überraschenden Wendungen außerordentlich unterhaltsam. Es wurde selten soviel gelacht in der Vidmar-Halle, und wenn die "eigene Sprache für Bern" bedeuten würde, dass man dabei immer wieder herzhaft lachen kann, so wäre das keine schlechte Perspektive.

 

Trilogie der Träume
von Philipp Löhle
Regie: Jan-Christoph Gockel, Bühne und Kostüme: Julia Kurzweg, Dramaturgie: Karla Mäder.
Mit: Marcus Signer, Mona Kloos, Benedikt Greiner, Philine Bührer, Andri Schenardi, Michael Pietsch, Freija Geniale.
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause

www.konzerttheaterbern.ch

 

Kritikenrundschau

Jan-Christoph Gockel verstehe Löhles Stücke "weniger als Inszenierungsvorlage denn als Angebot zum anarchischen Weiterspinnen", schreibt Oliver Meier in der Berner Zeitung (17.9.2012). "Wer die Stücke schon gesehen hat, dürfte sie kaum wiedererkennen. Gockel mischt mit seinem Team Gefundenes und Erfundenes und macht aus der Trilogie ein Fest der Formen, das von Puppentheater über Hörspiel, Stationendrama, Film und Mitmachtheater bis zur Pseudoausstellung reicht und auffallend stark um Schweiz- und Bernbezüge bemüht ist – nicht immer zum Vorteil der Produktion." "Lilly Link" sei ein "spassiger Prolog. Aber mehr nicht." Und auch in "Die Kaperer" wolle "die Balance zwischen sinnigem Ernst und heiterer Banalität nicht recht gelingen". Der dritte Trilogieteil indes mache "vieles wett. Herrlich, wie die Regie hier mit der filmischen Anlage von 'Genannt Gospodin' spielt." Vor allem aber sei "da mit Andri Schenardi ein fulminanter Gospodin zu erleben".

Die drei Stücke habe Gockel gekonnt für Bern für die Bühne zugeschnitten, schreibt Claudio Steiger in der Neuen Zürcher Zeitung (18.9.2012), wobei "Genannt Gospodin" für ihn das Highlight bildet: Humorvoll, mit aufspielendem Ensemble, "dass es eine Freude ist". Nur: "Politisch ist das alles freilich von grosser Harmlosigkeit. Jenseits von Löhles sympathischen Verlierern sehnt man sich momentweise nach einem Theater, das sich selbst wieder als ästhetische Verlängerung von Engagement verstünde, statt es in trefflicher Beobachtung des Allzumenschlichen zu verharmlosen. Aber dafür sind die Zeiten bekanntlich vorbei – oder noch nicht wieder reif."

Gockel habe Löhles Texte "sehr frei bearbeitet, ein bisschen auf Bern adaptiert, dabei auf die Uhr geschaut, sie hemdsärmelig gekürzt", schreibt Brigitta Niederhauser im Bund (17.0.2012). Einige Pointen Löhles hätten eine weitere Ausdifferenzierung verdient, fielen aber bei der Kürzung hinten über. AUch für Niederhauser ist "Gospodin" der Höhepunkt, der "den aufgeplusterten Zeitgeist, der den gut dreistündigen Abend zu vernebeln drohte, mühelos zurück in die Flasche zwingt."

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