Black Bismarck previsited – andcompany&Co. mit einer Postkolonialrevue beim Berliner Festival Foreign Affairs
Unter die Crazy-Africa-Disco-Perücke geschaut
von Elena Philipp
Berlin, 03. Oktober 2012. Wenn weiße Männer Theater zum Thema Afrika machen, geht das mitunter schief. So wie Brett Baileys zu Recht heftig debattierte Neo-Völkerschau Exhibit B bei den Berliner "Foreign Affairs": Hier produziert der wohlmeinend-engagierte weiße Regisseur bedenklichen Betroffenheitskitsch, der im voyeuristischen Blick auf den schwarzen Körper koloniale Hierarchien reproduziert. Beim gleichen Festival gelingt dem Künstlerkollektiv andcompany&Co. mit "Black Bismarck previsited" hingegen ein so erhellendes wie erheiterndes Lecture-Konzert über das Fortwirken des Kolonialismus hier und heute.
.... bis der Schubidoo-Woo-Doo-Gott erwacht
Selbstreflexion und -ironie sind dafür die Voraussetzungen: Dass "überprivilegierte Unterpigmentierte" in puncto Kolonialgeschichte keine neutrale Sprecherposition beanspruchen können, ist für andcompany&Co. eine Selbstverständlichkeit. Statt durch Afrika zu reisen, suchen die Performer nach Spuren des Kolonialismus in Berlin.
Vor 129 Jahren, doziert Alexander Karschnia am langen, schwarz verkleideten Tisch, fand hier unter Bismarcks Ägide die "Afrika-Konferenz" statt, bei der die Kolonialmächte ihre Ansprüche auf den südlichen Kontinent geltend machten. Afrika galt den Konferierenden als weißes Blatt Papier – so leer wie die Leinwand, auf die Karschnia nun deutet, eine Projektionsfläche für europäische Phantasien. Aus Sascha Sulimmas Musikapparaturen leiert eine Popmelodie und der Text von Ingrid Peters "Afrika" wird eingeblendet, schwarz auf weiß: "Mein Herz schlägt schneller unter meiner weißen Haut. / Afrika – 1000 heiße Feuer brennen nachts / suchen Abenteuer. / Afrika – Trommeln rufen heiser in die Nacht / bis der Woo-Doo-Gott erwacht". Freud, so kommentiert Karschnia, konzipierte das Unbewusste der Frau als dunklen Kontinent.
Der perfekte koloniale Alptraum
Versatzstücke aus Theorie, Alltag und Pop montieren andcompany&Co. zu einer (Post-)Kolonialrevue. Eine Trouvaille ist die "Crazy Afrika Disco Perücke Kaffee meliert" für die Motto-Party, ebenso wie die Postkarte, die das Palaverhaus im Feriendorf Neu-Afrika bei Templin zeigt und zu DDR-Zeiten abgeschickt wurde. Joachim Robbrecht zählt die 173 deutschen Städte von Ansbach bis Zwickau auf, in denen heute noch ein Bismarck-Turm steht. Ausführlich widmen sich die Lecturer Toni Morrisons Essay "Playing in the Dark". Wichtige nordamerikanische Romane, so Morrison, endeten mit unheimlichen weißen Figuren: In Edgar Allan Poes Roman "The Narrative of Arthur Gordon Pym" reckt sich hinter dem Horizont eine riesenhafte weiße Gestalt, bei Melville siegt der weiße Wal. "Weissmann" feuert in Pynchons "Gravity's Rainbow" nach mehr als 1.000 Seiten eine V2-Rakete ab, und im Film "Ghostbusters" nimmt der "destructor" die Form eines gigantischen Marshmallow-Monsters an: "der perfekte koloniale Alptraum: Zucker und Gummi".
Das Denken gerät in Bewegung
Ein komplexes Geflecht aus Assoziationen spannen andcompany&Co. in einer knappen Dreiviertelstunde. Da gleicht Bismarck, der von Historikern als "weißer Revolutionär" bezeichnet wird, den gespenstischen Gestalten aus der Literatur. In Deutschland als Einiger gefeiert, gilt der eiserne Kanzler in Afrika als Spalter - der Titel "Black Bismarck" birgt diese Ambivalenz. Die Europa-Flagge erweist sich als 'Wiedergängerin' der Fahne von Belgisch-Kongo: goldene Sterne auf blauem Grund, und die Afrika-Perücke wirkt ähnlich banal-abgründig wie der Bismarck-Bierkrug. Dass nicht nur am 3. Oktober 1904 ein Nama-Kapitän im damaligen "Deutsch-Südwestafrika" dem Deutschen Reich den Krieg erklärte und die Weißen dort den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts begingen, sondern dass am 3. Oktober 1942 in Peenemünde auch erstmals erfolgreich eine V2 abgeschossen wurde, korrespondiert trefflich mit dem Pynchon-Roman wie mit der Afrika-Konferenz.
Das Denken gerät in Bewegung, und Fakten wie Gegenstände erweisen ihre kulturelle Bedingtheit, ihre Historizität. Arbeitet Bailey mit gewaltsamen Bildern, die eine eindeutige Lesbarkeit anstreben – diese Frau hinter Stacheldraht verweist auf die internierten Herero, die die Schädel ihrer Mithäftlinge auskochen mussten –, so operieren andcompany&Co. auf einer Metaebene und denken die Bedingungen ihres Inszenierens mit. Vielleicht wirkt "Black Bismarck previsited" vor allem durch den Gegensatz zu Bailey derart vielschichtig und in positivem Sinne aufgeklärt. Gerne wüsste man, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums davon halten – dort war in den Stunden vor der andcompany-Performance mal differenziert, mal erbittert, aber stets stichhaltig Brett Baileys Installation als weiße männliche Kunst für ein weißes Publikum kritisiert worden (dazu siehe auch hier). Und wenn Weiße Theater zum Thema Afrika machen, dann kann das schief gehen. Oder auch nicht.
BLACK BISMARCK previsited
von und mit andcompany&Co.
Bühne: Jan Brokof&Co.
Mit: Alexander Karschnia, Nicola Nord, Sascha Sulimma, Joachim Robbrecht.
Dauer: 45 Minuten, keine Pause
www.berlinerfestspiele.de
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"Die Analyse der HERKUNFT bezieht sich oft auf die Rasse oder den gesellschaftlichen Typ. Allerdings geht es nicht so sehr darum, bei einem Individuum, einem Gefühl oder einer Idee die Gattungsmerkmale, die sie anderen anzugleichen erlauben, aufzufinden und zu sagen: dieses ist griechisch oder jenes ist englisch; vielmehr sollen die subtilen individuellen und subindividuellen Spuren aufgedeckt werden, die sich in einem Individuum kreuzen können und ein schwer entwirrbares Netz bilden. Anstatt eine Ähnlichkeitsbeziehung herzustellen, legt ein solcher Ursprung alle verschiedenartigen Spuren auseinander: die Deutschen glauben sich am Gipfel der Komplexität, wenn sie sagen, daß sie zwei Seelen in ihrer Brust tragen; sie haben sich in der Zahl etwas getäuscht oder vielmehr: sie versuchen eben, so gut sie können, mit dem Rassengemisch, aus dem sie bestehen, fertig zu werden. [...] Die Analyse der Herkunft führt zur Auflösung des Ich und läßt an den Orten und Plätzen seiner leeren Synthese tausend verlorene Ereignisse wimmeln. [...] Die Genealogie geht nicht in die Vergangenheit zurück, um eine große Kontinuität jenseits der Zerstreuung des Vergessenen zu errichten. Sie soll nicht zeigen, daß die Vergangenheit noch da ist, daß sie in der Gegenwart noch lebt und sie insgeheim belebt, nachdem sie allen Zeitläufen eine von Anfang an feststehende Form aufgedrückt hat. Nichts gleicht hier der Entwicklung einer Spezies oder dem Geschick eines Volkes. [...] Es gilt zu entdecken, daß an der Wurzel dessen, was wir erkennen und was wir sind, nicht die Wahrheit und das Sein steht, sondern die Äußerlichkeit des Zufälligen."
(Michel Foucault, "Nietzsche, die Genealogie, die Historie")
Also, es gibt keinen Ursprung der Moral, sondern nur eine Geneaolgie. Okay, und welche Mitglieder gehören und gehörten nochmal zur andcompany?
Das beginnt mit Bismarck: Wir erfahren von den 140 Bismarck-Türmen im Land, der Kongo-Konferenz 1884/85, in der Afrika unter den Kolonialmächten aufgeteilt wurde, der Ehrerbietung, die der Reichskanzler bis heute erfährt. Später führt der Abend mit erhöhtem Videoeinsatz und streckenweise äußerst komisch zu dem, was von der Kolonialmacht Deutschland übrigblieb: ein afrikanisches Viertel im Wedding mit nach brutalen Kolonialverwaltern benannten Straßen, der U-Bahnhof Mohrenstraße in Berlins Mitte, das ehemalige Feriendorf Neu-Afrika in Brandenburg. Schnell wird zweierlei klar: Die deutsche Kolonialgeschichte gehört wohl zu den am meisten vergessenen – oder sollt man sagen, verdrängten? – Kapiteln jüngerer deutscher Geschichte. Und sie hat – vom Kolonialwarenladen bis zur Afrika-Romantik Spuren hinterlassen, die bis heute kaum hinterfragt werden. Wie viele von uns haben sich je beim U-Bahn-Halt in der Mohrenstraße Gedanken gemacht, wofür dieser Name ein Zeichen sein könnte?
Es gehört zu den Stärken dieses Abends, dass andcompany&Co. , verstärkt unter anderem durch zwei Afrodeutsche und einen Belgier kongolesischer Herkunft, solchen Zeichen nachspürt, sie mit der verdrängten Bedeutung auflädt und sichtbar macht, was sich zu lange verbarg. Er tut dies auf äußerst spielerische Weise: mit Videoeinspielern, Musik, narrativen Passagen und Spielszenen – und viel Ironie. Das beginnt schon beim Titel: Denn eigentlich geht es hier nicht ums Schwarzsein, nein, hier wird der Spiel um gedreht. Was heißt "weiß", wofür steht das, was beinhaltet es, drückt es aus, gibt es eine weiße Identität? Die Frage nach der "Weißheit" steht im Mittelpunkt der Performance. Da verkleidet sich Dela Dabulamanzi als deutsche Birke, spielt die weiße Leinwand eine Schlüsselrolle, wird mit Freud – dessen Blick auch als ein kolonialer (das weibliche Unbewusste als dunkler Kontinent!) entlarvt wird – über das weiße "man" als das Unmarkierte, das alles andere markieren muss, philosophiert. Alexander Karschnia übt sich mit Zebrastreibenmetaphorik im Unsichtbarwerden –"weiß" ist hier das Unbestimmte, die Nichtidentität, die doch allem anderen Identität verleiht und so seinen Herrschaftsanspruch manifestiert.
Natürlich kann man dem Abend vorwerfen, er wäre zu uneinheitlich: Ja, es gibt eine nicht zu übersehenden Neigung zum Slapstick, etwa wenn ein Darsteller im (weißen!) Kaninchenkostüm gegen die Umbenennung des U-Bahnhofs Möhrenstraße (!) wettert, oder wenn Karschnia die Miniatur des Bismarckturms zur Toilette umfunktioniert. Und doch durchweht ihn eine zwingende Ernsthaftigkeit: etwa in den wie beiläufig eingeworfenen Fetzen alltäglicher Erfahrungen des vermeintlichen Andersseins. Immer wieder blitzt kaum merklich die Virulenz des kolonialistischen Denkens auf, am deutlichsten wohl, wenn Nicola Nord mit perfekter Gestik und präzisem Tonfall die rede der Bundeskanzlerin anlässlich einer Afrika-Konferenz wiedergibt. Da bleibt das Lachen im Halse stecken, zeigt sich doch der koloniale Blick in diesem Rahmen so deutlich, wie er wohl bei einer reinen Lektüre der Rede kaum einem ins Auge gesprungen wäre. Und so ist vielleicht das größte Verdienst dieses ungemein intelligenten wie unterhaltsamen Abends, dass er den tief in uns verwurzelten und so gut wie nie als solchen erkennbaren Spuren kolonialen Denkens nachspürt und sie dem Zuschauer – wohlmeinend aber kompromisslos – ins Gesicht schleudert.
Wenn Karschnia am Ende die anderen Darsteller dazu animiert, starr ins Publikum zu blicken, den kolonisierenden Blick zurückzuwerfen, dann ist das ein irritierender, intensiver und vielleicht auch hoffnungsvoller Moment. Es ginge darum, "den Kopf freizumachen", wiederholt er, und einfach zu sehen. Und vielleicht geht es genau darum: den Kopf freizumachen und den vorurteilsfreien Blick zu erlernen, einen, der auch wirklich sieht. Auf jenem weißen Fleck, der, so lange er ignoriert wird, sich weiter gefräßig ausbreiten kann. Das klingt nicht besonders schwer und doch ist unsere Gesellschaft bislang kläglich daran gescheitert.