Presseschau vom 19 Oktober 2012 – die Frankfurter Rundschau und der englische Guardian zur Blackfacing-Debatte

Die Differenzierung der Null-Toleranz-Position

Die Differenzierung der Null-Toleranz-Position

19. Oktober 2012. Anlässlich der Blackfacing-Konferenz trägt Dirk Pilz in der Frankfurter Rundschau noch einmal ein zentrales Argument der Debatte vor: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der Rassismus nicht nur am rechten Rand zu Hause ist, sondern in ihrer Mitte. Praktiziert von Menschen und Institutionen, die sich selbst natürlich nie als Rassisten beschreiben würden. Aber rassistische Stereotype transportieren sich auch wider Willen des Einzelnen, an der Vernunft und den eigenen Absichten vorbei. Niemand ist davor gefeit, rassistische Denk- und Wahrnehmungsmuster zu bedienen."

Was die Ergebnisse der Konferenz betrifft, hält Pilz sie zwar für "überzeugend", er vermisste jedoch "Stimmen jenseits von Bühnenwatch". Eine "Debatte, nämlich der Austausch von Argumenten", sei "offenbar nicht erwünscht. Man fragte sich, für wen diese Tagung überhaupt gemacht war, wenn man weder den Kritisierten noch methodisch und begrifflich anders arbeitende Wissenschaftler zu Wort kommen lässt." Genau das brauche es aber, so Pilz. "Nicht, um den Rassismus wegzudiskutieren, sondern um zu einem differenzierteren und damit genauer zu bekämpfenden Bild zu gelangen. Rassismus auf der Bühne ist etwas anderes als Rassismus in der Kneipe. Er ist weder nur moralisch noch nur historisch zu begreifen. Für Bühnenwatch aber, so haben die Diskussionen der vergangenen Monate und diese Konferenz gezeigt, ist das kein Einwand. Ihren Vertretern geht es darum, den Rassismus sichtbar zu machen. Sie scheinen sich deshalb auch auf einen ästhetischen Analphabetismus zurückzuziehen, indem sie alle künstlerischen Kontexte der jeweiligen Arbeiten ausblenden."

 

Währenddessen berichten Matt Trueman und Kate Connolly im englischen Guardian, dass sich der amerikanische Dramatiker Bruce Norris in einem offenen Brief an die "Dramatists Guild of America" gewandt hat (hier der Link). Norris bezieht sich darin auf den ein knappes Jahr zurückliegenden Vorgang, als er dem Deutschen Theater Berlin die Aufführungsrechte an seinem Stück "Clybourne Park" entzog, weil dort eine schwarze Figur mit einer weißen Darstellerin besetzt werden sollte.

Norris beruft sich auf eine Stellungnahme des Deutschen Theaters, derzufolge man dort "keinen zwingenden Grund" sehe, "weswegen wir eine 'Afrodeutsche' besetzen sollten." Weiter schreibt Norris: "Nach vielen Ausflüchten, Rechtfertigungen und Hin-und-Herwenden der Gründe, hat man mich schließlich darüber informiert, dass die Hautfarbe der Schauspielerin letztlich irrelevant sei, da man beabsichtige mit 'Schminke zu experimentieren'. An diesem Punkt habe ich die Aufführungsrechte wieder zurückgezogen."

Der Guardian-Artikel führt die im deutschsprachigen Theater "relativ verbreitete Praxis" des Blackfacing auch auf die gegenüber dem britischen Theater geringere Texttreue zurück. Er zitiert aber auch die Chefdramaturgin des Deutschen Theaters Sonja Anders, die bestreitet, je Blackfacing für die "Clybourne Park"-Produktion geplant zu haben. Die Inszenierung hätte "Licht auf die Rolle von Fremden [foreigners] werfen" sollen, "was es heißt, anders zu sein, wie Fremde sich selbst wahrnehmen und wie sie wahrgenommen werden. Wir dachten, dass das für Deutschland eine sehr hohe Relevanz haben könnte und wollten das Stück in Deutschland und daher im deutschen Kontext spielen lassen."

Norris jedenfalls erklärt in seinem Brief, dass er sich normalerweise nicht in die Kulturpolitik anderer Länder einmische, "aber wenn meine Arbeit und die Arbeit meiner Kollegen – anderer Dramatiker – falsch dargestellt wird, dann tue ich es doch." Er ruft zudem seine Kollegen dazu auf, Produktionen von deutschen Theatern zu boykottieren, die "diese schwachsinnige Tradition [des Blackfacing] fortsetzen. Eine Null-Toleranz-Position ist die einzig zulässige Position."

Der Guardian verweist in diesem Zusammenhang auf eine avaaz-Petition, die vor wenigen Tagen initiiert wurde und die ebenfalls an die "Dramatists Guild of America" sowie an die "Actors Equity of America" gerichtet ist. Darin wird gefordert, die Teilnahme an Produktionen, die mit Blackfacing arbeiten, abzulehnen und dessen Verwendung in Deutschland zu verurteilen.

(wb)

Einen Überblick über die Blackfacing-Debatte finden Sie hier.

 

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