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Wiens unpolitischstes Theaterprojekt ausgezeichnet
Große Wiener Scheinheiligkeit
Wien, 21. Oktober 2012. Erstmals sind gestern, am Samstagabend, die Preise für Das unpolitischste Theaterprojekt Wiens im Wiener Theater Garage X verliehen worden. Bei der Aktion handele es sich um einen, wie das Theater schreibt, "künstlerisch-ironischen Gegenentwurf zum Nestroypreis". Initiator und Moderator dieser "Gala"-Veranstaltung war der Künstler Julius Deutschbauer, der auch Szenen aus ausgewählten nominierten Produktionen nachspielte und sämtlichen Gewinnern eine von ihm selbst "designte" Preisskulptur in Form einer Dornenkrone überreichte.
Insgesamt 17 Produktionen, Personen und Institutionen der letzten Spielzeit waren von einer fünfköpfigen Jury nominiert worden, der Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, die Mediengestalterin und Künstlerin Amina Handke, die Autorin Barbi Markovic sowie die beiden Leiter der Garage X Harald Posch und Ali M. Abdullah angehörten.
Zu den Hintergründen der Veranstaltung erklärt Harald Posch: "Wie man weiß, gibt es kein UN-politisches Handeln. Wer nichts tut, stimmt dem politischen Status Quo zu und ist damit wieder politisch." Österreich gebe "Abermillionen für wertekonservierendes Bildungsbürgertheater" aus, welches es sich bei seinen wenigen explizit "politischen" Projekten stets leicht mache mit der "Feindbestimmung". Dieser werde "in bequemer Übereinkunft immer rechts der politischen Mitte vermutet." Damit mache es sich die Theater-Führungsriege zu leicht und nehme ihre Rolle als "Opinion Leader" zu wenig wahr. "Wir klopfen uns lieber gegenseitig auf die Schulter, anstatt unser eigenes Denken und Handeln einer beständigen Prüfung zu unterziehen", so Posch weiter.
Den Preis als Größte politische Drama Queen erhielt Peter Turrini für seine Dankesrede (hier und auch hier) anlässlich der Nestroy-Verleihung 2011. Die fünfminütige Laudatio, per Videobotschaft zugespielt, hielt der deutsche Erfolgs-Regisseur Nicolas Stemann, und befeuerte damit die jüngst wieder auflodernde Diskussion um das deutsche Regie-Theater und den seit einigen Jahren schwelenden Zwist zwischen Autoren und Regisseuren.
Die dickste Staubschicht der letzten Spielzeit trägt nach Meinung der Jury Die Dreigroschenoper in der Regie von Michael Schottenberg am Volkstheater. "Ausgezeichnet wird hier der misslungene Versuch, das 1928 uraufgeführte Drama als politisches Theaterstück zu aktualisieren, als hätte es dieses Stück notwendig", so Laudatorin Eva Blimlinger.
In der Kategorie Der längste Zeigefinger gewannen die Kabarettisten Florian Scheuba, Robert Palfrader und Thomas Maurer, die mit ihrem Programm "Wir Staatskünstler" "politisch korrekt gegen die üblichen Bösen des Bildungsbürgertums" vorgingen und sich somit "den Preis wahrlich verdient haben", begründete Laudator Harald Posch die Jury-Entscheidung.
Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf setzten sich mit "Die Reise", inszeniert am Wiener Volkstheater, in der Kategorie Der größte Gönner (hier gemeint im Sinne von: größte Gönnerhaftigkeit) durch.
Den Titel als Beste Nachwuchs-Weltverbesserer errangen Gods Entertainment für ihre Produktion "Österreicher integriert Euch" bei den Wiener Festwochen.
Den "Spezialpreis" vergab Julius Deutschbauer ohne Juroren im Alleingang. Für Die größte Scheinheiligkeit zeichnete er das Kulturamt MA7 der Stadt Wien für die behördlicherseits projektierte, durchgeführte und evaluierte Wiener Theaterreform aus (mehr dazu hier).
(Garage X / jnm)
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Die GARAGE X hat sich eh selbst nominiert! Und zwar in der Kategorie „Die größte Scheinheiligkeit“
für „Julius Deutschbauer: Suche die unpolitischste Theaterproduktion Wiens“.
Im aktuellen Jahrbuch der Zeitschrift "Opernwelt" gibt es einen Artikel über eine offenbar total durchgeknallte DDR-Kinderoper aus dem Jahre 1978 (es geht um Stasi, Biermann und Republikflucht). Anlässlich der Uraufführung dieses Werkes "Das Land Bum-Bum" an der Komischen Oper Ostberlin, kann man dort lesen, diskutierten die Komponisten in der Akademie der Künste Ost: "Nicht über den Terror der SED und Stasi klagte man, sondern über die «psychologische Terrormethode» der Regisseure. Statt einer politischen Revolution [die im Stück gefordert wird] regte Matthus eine Revolte der Komponisten gegen selbstherrliche Regisseure und Intendanten an, die in ihre Werke eingriffen. Man forderte «Unantastbarkeit der Partitur» und wetterte gegen die «merkwürdigen Inszenierungstrends, wo es überhaupt nicht mehr um Oper, um Musik geht, sondern diese Leute glauben, sie müssten erst das Theater erfinden.»"
Nicht zu fassen: 1978 in Ostberlin. Und jetzt schon wieder.