Versuchsanordnung in Schwarz

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt, 16. November 2012. Harry Harras, die Titelfigur aus Carl Zuckmayers Stück "Des Teufels General", ist ein richtiger Mann von altem Schrot und Korn. Auf dem Theater verkörpern ihn gern kernige Kerle mit tiefer gelegten Stimmen. In Helmut Käutners Verfilmung aus dem Jahr 1954 übernahm Curd Jürgens das Kommando. In Frankfurt ist dieser Fliegergeneral Harras jetzt ein einigermaßen undurchschaubarer Mann, mehr Hamlet als Haudegen.

Martin Rentzsch spielt ihn als feingliedrigen, leisetretenden, irgendwie schöngeistigen Zweifler, der sein blütenweißes Hemd aus der Hose trägt und eine nach der anderen raucht. Dass er das nationalsozialistische Regime, das er ablehnt dennoch stützt, verbirgt er dabei so gut, dass er es selbst kaum noch glauben mag. Er widersetzt sich, wo er kann und bleibt doch Teil des Systems.

teufelsgeneral 560 birgithupfeld.uMehr Hamlet als Haudegen: Martin Rentzsch als kettenrauchender General Harras  © Birgit Hupfeld

Schwarze Bühne und schwarze Gedanken

Carl Zuckmayer stellt in seinem 1946 uraufgeführten Stück die großen moralischen Fragen, und der Regisseur Christoph Mehler wiederholt sie jetzt in Frankfurt ernsthaft und konzentriert. Dabei verzichtet er auf Nazi-Folklore und tunkt das Ganze stattdessen in ein Film-Noir-Setting, das im selben Moment unwahrscheinlich cool wie unerhört gespenstisch daherkommt. Alle Schauspieler sind zwei pausenlose Stunden immer auf der Bühne, die Nehle Balkhausen als schwarze Schuhschachtel ausstattet. Darin schwarze Stühle, eine schwarze Kommode, eine schwarze Lampe, ein schwarzer Bilderrahmen und Menschen, die fast alle schwarz angezogen ebensolche Gedanken hegen.

Es ist der Herbst 1941, Sabotageakte gefährden die deutsche Luftwaffe, wobei nicht klar ist, wer wen sabotiert. Als rauskommt, dass die Sabotage aus seinen eigenen Reihen stammt, wählt Harras den fast sicheren Tod. Keine Heldentat, sondern die Verzweiflungsgeste eines Mannes, der gar nichts anderes kann als Fliegergeneral. Mit zittrigen Fingern greift er an diesem Abend immer wieder und immerzu zum Zigarillo und wenn er sich aufregt, poltert er nicht einfach los, sondern verdreht sich in cholerische Pirouetten.

Verdamnis in der Höllenmaschine

Das weichere Gehabe der Figur nützt ihr: Harras gewinnt an menschlicher Dichte und seine Ausführungen, in denen er etwa das Bollwerk der Liebe verteidigt und die Schönheit des Lebens preist, wirken plötzlich nur konsequent. Gespielt wird eine Fassung, in der viele Sätze und manch eine Figur gestrichen sind, ohne die Kontur des Stücks zu gefährden. Während sich Zuckmayers Drama in drei Akten an drei unterschiedlichen Orten abspielt, ereignet sich in Frankfurt alles in der besagten schwarzen Schuhschachtel, die einem dunklen Verlies gleicht: Höllenmaschine, Galgenfrist und Verdammnis.

Allein die Lichtinszenierung markiert die Ortswechsel, wobei das ganze Stück im Halbdunkel über die Bühne geht. Zuweilen werfen die Figuren lange Schatten, auf dem Boden zeichnet sich ein Jalousienmuster ab, auch das im Stil des Film Noir wie auch Pützchen, Tochter des Industriellen Sigbert von Mohrungen, die in hochhackigen Schuhen die Femme fatale gibt.

Für neue Deutungen geöffnet

Franziska Junge präsentiert sie fernab jedweder Putzigkeit als kalte Rächerin des Führerhauptquartiers. Ihr Vater, der Präsident des Beschaffungsamtes für Rohmetalle (Michael Benthin) ist da ein vergleichsweise harmloser Knirps, der mit den Armen um sein Überleben rudert. Wie überhaupt die Figuren, wie oft bei Mehler, ihre Körper ausstellen wie Warndreiecke. Pützchen stakst durch den Raum wie eine Drohung, der herrliche Korrianke (Peter Schröder) versteht es, sich buckelnd anzudienen, und Andreas Uhse tanzt als alternde Diva Olivia zum Operetten-Gassenhauer "Lippen schweigen" umwerfend anrührend gegen die Zeit an.

Mehler observiert seine Figuren mit grausamer Ruhe, schaut, wie sie sich mit der Welt arrangieren und inszeniert das Drama dabei wie einen Politkrimi. Till Weinheimer in der Rolle des Agenten im Kulturleiterpelz Dr. Schmidt-Lausitz ist dann folgerichtig kein schweinsgesichtiger Deutschnationaler, sondern frostiger Nazi-Beau mit der Attitüde eines Auftragskillers. Indem die Inszenierung dem Stück seine hemdsärmlige Rustikalität ausredet, öffnet sie es für Deutungen, die über seine historische Verortung hinausweisen. Die moralischen Fragen bleiben dieselben.

 

Des Teufels General
von Carl Zuckmayer
Regie: Christoph Mehler, Bühne: Nehle Balkhausen, Kostüme: Janina Brinkmann, Dramaturgie: Lothar Kittstein.
Mit: Martin Rentzsch, Peter Schröder, Isaak Dentler, Nils Kahnwald, Thomas Huber, Michael Benthin, Till Weinheimer, Lisa Stiegler, Franziska Junge und Andreas Uhse.
Dauer: 2 Stunden ohne Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

"Diese gelungene Inszenierung ist so scharf wider den Geist des Schneidigen gefasst, der die Rezeption des 1941 in Nazi-Deutschland spielenden Stücks seit 1946 durchseuchte, dass einem die kritische Spucke wegbleibt", schreibt Marcus Hladek in der Frankfurter Neuen Presse (19.11.2012). Regisseur Christoph Mehler erlaube den Schauspielern so sehr, ihr je Bestes zu geben, dass man nur von ihnen sprechen wollte. "Zugleich ist die Szenerie im halben oder vollen Licht so bedrückend, wird das Eingeschlossensein im System ohne Türen so klaustrophobisch zur Sartre-Hölle von Nazis unter sich (Bühne: Nehle Balkhausen), dass seitenlang bloß davon zu berichten wäre. " Es folgt eine Eloge auf alle Beteiligten und das Fazit: "Mitreißendes Theater? Gibt’s nicht nur in Berlin."

"Es ist eher eine beschauliche, unspektakuläre Innenansicht des Generals geworden, denn das testosterone Imponiergehabe eines großen Mannes, der den Nazis nicht nahe, aber zum Erreichen ihrer Ziele doch so unbedingt notwendig war", scheibt Gerd Klee in der Allgemeinen Zeitung der Rhein Main Presse (19.11.2012). Als "unaufgeregtes Kammerspiel", in dem es nur um Harras' psychische Verfasstheit gehe, hat er den Abend wahrgenommen – und spart sich ein explizites Urteil.

Von vornherein sei "Des Teufels General" "lebloses Papier" gewesen, befindet Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen (19.11.2012). Das Ganze sei kein "Stoff für ein Drama. Nur für eine ganz normale Charakterschweinerei. Über sie kann man endlos diskutieren. Aber Absahner sind keine Figuren. Sie sind: Haltlosigkeiten." Da schon das Stück nicht gehe, müsse die Aufführung "logischerweise in eine Stolperei münden",  und es interessiere einzig, "worüber sie hier stolpern. Man ist geneigt zu sagen: über ihre Köpfe. Darin spukt es. Leider. Kein Gedanke. Ein dunkles Gefühl. Man schmeißt sich unter Anleitung eines lahm-preziösen Spielvogts namens Mehler förmlich zu dem Stück hinunter: ins Abgestorbene. Man legt sich zu den Figuren ehrfürchtig und distanzlos (humorlos sowieso) ins Eingesargte."

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