Karl rast und Franz macht sich zum Affen

von Harald Raab

Regensburg, 17. November 2012. Es geht anfangs biedermeierlich herausgeputzt und steif zu – auf der Bühne des Theaters Regensburg. Im prunkvollen Schlosssaal und im hohen Tann spielen Bürgersleute in Stiefeln, engen Beinkleidern, Frack und Zylinder das Drama ihrer Klasse. Und das hat auch immer etwas von einer Komödie, einer Farce im Beiprogramm. In den Kulissen des schönen Scheins von Behaglichkeit und Biedersinn sind die Räuber unter und auch schon in uns: Von wegen Raubtierkapitalismus, räuberische Banker-Horden. Jeder raubt sich seinen Teil so gut (oder so schlecht) er kann. Der Räuber ist dem Räuber ein Räuber: Tautologischer Nonsens beschreibt treffend das Chaos auf der Bühne.

Das Räderwerk freilegen

Schillers "Räuber" haben Saison. Nach der fulminant eigenwilligen Interpretation des Sturm-und-Drang-Stücks durch Antú Romero Nunes am Gorki-Theater in Berlin jetzt Marcus Lobbes' demaskierende und psychoanalytische-hintersinnige Auslotung des Räuber-Personals am Theater Regensburg. Nunes schaffte es, mit nur drei Personen den Charakterkosmos auszuleuchten. Lobbes, nicht minder ein ideenreich-verstörender Hoffnungsträger des deutschen Regietheaters, hat sieben Schauspieler und eine Dame damit beauftragt, in Doppelrollen die 16 Figuren auf die Bühne zu bringen. Personalnot macht erfinderisch. Das aber ist weder in Berlin noch in Regensburg Hauptgrund für die Verknappung. Es geht vielmehr ums Verwirrspiel und auch darum, konzentriert herauszuarbeiten, was Schiller jenseits der Kritik seiner Zeit und Verhältnisse wollte: "die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen. (...) Das Laster wird hier mitsamt seinem ganzen inneren Räderwerk entfaltet".

Die Bösen sind immer die anderen, nicht nur Franz, die Kanaille, Karl suhlt sich als Möchtegernrevoluzzer in Liebesentzug und begründet damit seinen Terrorismus. Amalia wird im Selbstmitleid zur Furie gegen sich selbst und Gottvater, der alte Moor, sieht jammernd und entthront zu, als er feststellen muss, dass nicht gut ist, was er da im Schöpfungsakt einer vermeintlich heilen Welt zusammengeschustert hat. Den Begriff Familienbande hat man hier wirklich und wahrhaftig wörtlich zu nehmen.

dieraeuber 560a franzschlechter u"Die Räuber" in Regensburg auf der Drehbühne: Frerk Brockmeyer, Thomas Birnstiel, Clemens Giebel.  © Franz Schlechter

Kein richtiges Leben im falschen Affen

Alles Kulisse, hohl und leer. Marcus Lobbes stellt auch das Theater als Komödienstadl und Schwatzbude zur Disposition: Eine Drehbühne mit Schloss-Interieur, einer Herrschaftshaus-Fassade und einer Waldimitation (Bühne und Kostüme Christoph Ernst) – hier ringt sich jeder seine eigene Story ab. Jeder weiß ganz genau, warum er so und so handeln musste. Gesprochen wird meist übereinander und auch über die Rampe hinweg zum Publikum. Gerungen wird um Deutungshoheit. Man wähnt sich ohne individuelle Schuld. Aus dem Teufelskreis der Umstände, die nun einmal so sind, auszubrechen, dafür fehlen Mut und Verantwortung. Es geht, wie es gehen muss – immer schön den Bach runter. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

dieraeuber 280 franzschlechter uPina Kühr als Amalie und Clemens Giebel als die Kanaille Franz © Franz Schlechter

Franz (Clemens Giebel) macht sich zum Affen, streift sich auch ein Affenkostüm über. Der Affenkopf wird dafür der Hermann-Figur, dem Spießgesellen der Schufterei, aufgesetzt. Hinkend, Gift und Galle speiend, schlurft und wuselt Franz durch die Szenen. Karl (Gunnar Blume) hat als Räuberhauptmann einen Napoleon-Hut auf seinen kahlen Schädel gestülpt und riskiert die große Lippe, um zu schlechter Letzt wie "Dead man walking" durch alle Kulissen auf der immer schneller rotierenden Drehbühne ins Nirgendwo zu wanken. Dem Manne kann wahrlich nicht geholfen werden. Und erst recht nicht Amalia (Pina Kühr). Im silbrig-rosa Negligé-Kleid ganz Weib in der Opferrolle, die nach einem letzten Aufbegehren den Dolch ihre Räubergalans als ultimativen Liebesbeweis herbeifleht. Drei wirklich starke Leistungen.

Aufschwung durch Nervenreizung

Verhandeln lässt Lobbes die inneren Kämpfe der Protagonisten und die seelischen Spannungsverhältnisse zwischen ihnen. Dabei muss man seinen Schillertext gut parat haben, wenn etwa Gunnar Blumes Karl ohne Kostümwechsel in der Rolle des Geistlichen seinem Bruder Franz die Leviten liest. Oder wenn Amalia urplötzlich zum Räubereleven Kosinsky im Kleidchen mutiert. Ein Puzzle: Wer oder was passt zu wem, der gleich wieder ein anderer ist. Jeder ist nicht eine Persönlichkeit, sondern viele.

Das erfordert subtiles Agieren, ein von gedanklicher Durchdringung getragenes Sprechen. Überhaupt nimmt der Regisseur seine Akteure in strenge Sprachdisziplin. Eine Mordsleistung des Ensembles. Passagenweise jedoch getrübt durch mangelnde Lautstärke. Möglichkeiten der Dramatik, gebrochen durch Ulk und Slapstick-Elemente, unbelastet vom Klassikerschwulst. Der Gewinn: Schillers Sprach- und Gedankenwucht werden einem wieder einmal bewusst gemacht. Die Buhs aus dem Publikum für den Regisseur bestätigen eigentlich nur, dass er und seine hoch konzentriert agierende Truppe einen Nerv getroffen haben.

Mit dieser exorbitanten "Räuber"-Inszenierung und einer vorausgegangenen starken Interpretation des Dea-Loher-Stücks "Das letzte Feuer" (Regie Karin Koller) findet das Theater Regensburg unter dem neuen Intendanten, Jens Neuendorff von Enzberg, und der Schauspieldirektorin, Stephanie Junge, endlich wieder Anschluss an den Standard des aktuellen deutschen Sprechtheaters. Und das ist wahrlich keine kuschelige Veranstaltung mehr. Der Bildungsbürger wird vor den Trümmern seines Welt- und Theaterbilds ziemlich allein gelassen. Trotzdem oder gerade deswegen. Es lohnt sich wieder ein Blick auf dieses Haus. Es wurde übrigens von Fürstbischof Dalberg gegründet, dem Bruder des Mannheimer Intendanten, der es gewagt hat, Schillers "Räuber" 1782 zur Uraufführung anzunehmen.

 

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Marcus Lobbes, Bühne und Kostüme: Christoph Ernst, Dramaturgie: Stephanie Junge. Mit: Thomas Birnstiel, Gunnar Blume, Clemens Giebel, Pina Kühr, Frerk Brockmeyer, Michael Lämmermann, Sebastian Ganzert, Jakob Keller.
Dauer: Zwei Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.theater-regensburg.de


Kritikenrundschau

"Ein Regie-Konzept mit einigen frischen und guten Ideen muss nicht funktionieren", schreibt Susanne Wiedamann in der Mittelbayerischen Zeitung (18.11.2012). "Im Fall von Marcus Lobbes’ Regensburger Inszenierung von Friedrich Schillers 'Die Räuber' am Theater Regensburg hat es nicht geklappt. Zumindest bei einem großen Teil des Publikums kam Lobbes’ Version des Klassikers nicht an." Die Inszenierung sei ganz klar von Schillers Sprache getragen, "was das Ensemble hervorragend herausgearbeitet hatte", aber sonst irgendwie sehr statisch und wenig packend – "kurz: Sie langweilte." Lobbes’ an sich "ausgesprochen pfiffige" Idee, durch Doppelbesetzungen Bezüge, Zusammenhänge, auch Polaritäten zu verdeutlichen, sei für die Zuschauer ein unverständlicher Kunstgriff. "Da die Gesichter der neuen Ensemblemitglieder dem Publikum noch nicht so eingeprägt sind und die Darsteller teils ohne Kostümwechsel von einer in die andere Rolle schlüpften, waren diese Metamorphosen kaum durchschaubar." Trotzdem empfiehlt Wiedamann den "Räuber"-Besuch – das Ensemble sei gut, das Bühnenbild biete "alles, was Schillers 'Räuber' braucht" – und Marcus Lobbes' Inszenierung habe Witz. "Immer wieder gibt es Stellen feiner Ironie, Szenen denen er Momente von Shakespeare'scher Leichtigkeit verpasst hat."

"Es ist immer wieder erstaunlich, Theaterproduktionen beizuwohnen, in denen Regisseure das alte Vorurteil, Klassiker seien langweilig, augenscheinlich selbst zu unterstreichen suchen", schreibt Christian Muggenthaler in der Donaupost (19.11.2012). Marcus Lobbes, "durchaus bekannt als Textfleischwolf", habe die "Räuber" nun in Regensburg gegen den Strich inszeniert, und das habe nicht nur nicht funktioniert, sondern sei ein regelrechtes Fiasko geworden. "Ein ideenloses Durcheinander, ohne wenigstens Dada zu sein. Oder Gaga." Personen, die einem nichts sagten, weil niemand das, was sie sagten, ernst nehmen könnte, reichten für zweieinhalb Stunden Aufmerksamkeitsspanne nicht. Die Bühnenkonstruktion sei "bestimmt irrsinnig metaphorisch, aber auch irrsinnig egal." Und so weiter. Immerhin habe man bei der Premiere "einige für Regensburg völlig untypische Buh-Rufe" vernommen. "Und das ist ja irgendwie dann auch schon wieder ein Erfolg."

 

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