Hildesheimer Thesen V – Das Freie Theater gibt es nicht
Jenseits des Freien Theaters
von Annemarie Matzke
Hildesheim, 21. November 2012.
These 1
'Das freie Theater' gibt es nicht. Was allerdings neben den Stadt- und Staatstheatern existiert, sind unzählige verschiedene Theaterinstitutionen- und Organisationsformen, Theatergruppen und Regiekollektive. Dies reicht vom Puppenspieler, der sich seine Aufführungsorte sucht, vom freien Kindertheater mit eigenem Haus und minimalen Ensembles über lokal verortete Projekte von Tänzerinnen und Tänzern, Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich immer wieder neu zusammenfinden bis zu jahrzehntelang agierenden Gruppen ohne festes Haus wie beispielsweise Rimini Protokoll, Gob Squad oder She She Pop, die mit ihren Inszenierungen weltweit touren und ihre Produktionen mit einem Netzwerk nationaler und internationaler Koproduzenten entwickeln und finanzieren.
These 2
Ein Potential des Labels 'Freies Theater' ist es gerade, dass es sich nicht auf einen Begriff bringen lässt. Was all diese verschiedenen Gruppen und Institutionen im Ansatz auszeichnet – im Gegensatz zu den festen Häusern –, ist eine Arbeit jenseits vorher festgelegter Strukturen. Die Bedingungen des Produzierens werden selbst entworfen – soweit es die ökonomischen Zwänge erlauben. Gearbeitet wird damit im besten Falle immer auf zwei Ebenen: An den Inszenierungen und zugleich an der eigenen Institutionalisierung und deren Reflexion. Die Theatergruppen sind nicht von der Politik an ein Haus berufen worden, sondern haben sich selbst Ort und Mittel gesucht. Sicher unterliegen sie im besonderen Maße auch den Vorgaben der Förderstrukturen, den Voten von Jurys, aber wie, mit wem und an welchem Ort produziert wird, gehört zu den Fragen, denen sich jedes Projekt der Freien Szene immer wieder stellen muss.
These 3
Die Ausdifferenzierung verschiedener Organisationsformen ist nicht nur Potential sondern auch Problem eines Theaters jenseits des Stadttheaters. Die 'Freie Szene' steht gegenüber den vorherrschenden Stadttheatern und ihren Ansprüchen ohnehin vor dem Problem, von der Kulturpolitik leicht übersehen zu werden. Die unterschiedlichen Ansätze und Institutionalisierungsformen machen es zudem zunehmend schwierig, gemeinsame Ziele zu formulieren. Deshalb ist es notwendig, eine Bestandaufnahme und Analyse gegenwärtiger Organisationsformen und Institutionen vorzunehmen, um nicht in der Rede von 'der freien Szene' bestehende Unterschiede zu negieren. Damit lässt sich dann auch das Verhältnis zum Stadttheater nicht mehr über eine Abgrenzung fassen. Denn sicher stehen einige international agierende Gruppen den Strukturen mancher fester Bühnen in den Großstädten näher als sie vielleicht denken, während manches kleine Stadttheater unter ähnlichen Problemen leidet, wie ein Haus der freien Szene mit festem Ensemble. Es gilt, diese verschiedenen Formen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern je eigene Förderinstrumente für sie zu finden.
These 4
Betrachtet man die Formen, die gegenwärtig unter dem Label 'Freies Theater' gefasst werden, so lässt sich allerdings eine Tendenz zu flexibilisierten Arbeitsformen feststellen. Während sich die Freie Szene der siebziger und achtziger Jahre durch Gründungen von eigenen Häusern auszeichnete, sind seit den ausgehenden neunziger Jahren zunehmend freie Spielstätten wie das Hebbel am Ufer in Berlin, Kampnagel Hamburg oder das Forum Freies Theater in Düsseldorf entstanden, die unterschiedliche Projekte und Theatergruppen zeigen. Auf der Ebene der Künstlerinnen und Künstler finden sich ebenfalls zunehmend freie Gruppen oder auch Einzelkünstlerinnen und Einzelkünstler, die auf die Abhängigkeit von Fördergeldern nicht mit der Gründung neuer Aufführungsorte reagieren, sondern Autonomie durch möglichst verschiedene Kooperationen zu erlangen versuchen. In unterschiedlichen institutionellen Kontexten, mit verschiedenen Geldgebern und Koproduktionspartnern, in wechselnden Städten wird produziert. Dabei ist das Projekt – als zeitlich und organisatorisch limitierter Arbeitskontext – die vorherrschende Arbeitsform.
These 5
Diese Tendenz zur Flexibilisierung wird für die Künstlerinnen und Künstler aber auch zum Problem. Die zeitliche Begrenzung auf ein Projekt erlaubt kaum längerfristige Planung. Nicht wenige Schauspielerinnen und Schauspieler, Tänzer und Tänzerinnen hangeln sich so von einem Engagement ins nächste ohne jede Absicherung. Temporäre Projektarbeit fordert von der einzelnen Künstlerin und dem einzelnen Künstler, sich immer wieder neu Arbeit zu suchen und sich beständig selbst zu vermarkten, um sich so neue Arbeitsmöglichkeiten zu erschließen. Die Zwänge einer postfordistischen Arbeitswelt werden so in der Kunst nicht nur wiederholt, sondern potenziert, wie es René Pollesch in zahlreichen Inszenierungen treffend beschrieben hat. Eine Antwort auf dieses Problem liefern die Theater- und Regiekollektive. Dass Gob Squad, Showcase Beat le Mot oder She She Pop zu den über einen langen Zeitraum erfolgreichen Gruppen gehören, die jenseits des Stadttheaters agieren, liegt sicher auch an ihrer kollektiven Arbeitweise. Den Anforderungen zur Selbstvermarktung unterliegt auch das Kollektiv. Doch anders als in zeitlich begrenzten Organisationsformen eröffnet das kollektive Arbeiten einen Raum, um kontinuierlich die eigenen Bedingungen und Möglichkeiten des Produzierens zu verhandeln und zu verändern. Wenn also der Bundeskongress des Bundesverbands Freier Darstellender Künste in Dresden ein Panel mit der programmatischen Überschrift "Bildet Kollektive!" veranstaltet, dann zeigt sich ein neues Interesse über Arbeitsformen nachzudenken, die flexibel genug sind die eigenen Formen der Institutionalisierung immer mit zu reflektieren und wenn notwendig zu ändern und die zugleich eine größtmögliche Autonomie versprechen.
Mieke Matzke (*1972) ist Professorin für Experimentelle Formen des Gegenwartstheaters an der Universität Hildesheim und Mitglied der Gruppe She She Pop. Ihre Forschungsgebiete sind Geschichte und Theorie der Theaterprobe, Schauspieltheorien, theatrale Raumkonzepte, Improvisation sowie Tanz- und Bewegungskonzepte.
Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de.
Alle Hildesheimer Thesen: im Lexikon
Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de.
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Auf jeden Fall sollte der differenzierte Blick auf die verschiedenen Formen des Theaters früher und flächendeckender vermittelt werden. Auch wenn Städte wie Berlin, Hamburg oder Köln eine ausgeprägte freie Szene haben, in der auch viele Jugendliche mitwirken, ist die Notwendigkeit des Theaters nicht allen klar. Vor allem nicht den Politikern, die schließlich an den entscheidenden Geldflüssen sitzen.
Ich möchte dem Kommentator allerdings nicht den Wind aus den Segeln nehmen und stimme ihm absolut zu, dass die Notwendigkeit des Theaters auf der politischen Seite noch nicht angekommen ist und man insbesondere den Zugang für Kinder und Jugendliche erweitern sollte.
Die Debatte um das Freie Theater, finde ich, ist mehr als dringend und erforderlich! Schließlich gibt es diese Form des Theaters schon seit Jahrzehnten und dass es bis vor 10 Jahren als nicht förderberechtigt galt, zeigt die Extreme im Kultursektor. Warum darf ein Stadttheater nicht experimenteller oder politischer spielen? Weil sonst das hochkulturelle Publikum und somit die Subventionen verloren gehen? Und warum darf ein Freies Theater keinen "Apparat" (wie ihn Frau Matzke nennt) oder gewisse Strukturen aufweisen, ohne dass es dabei seinen Idealen untreu wird?
Wenn man weg von solcher Separation hin zur Mäßigung der Theaterformen gehen würde, würden viele Abgrenzungen verschwinden und neue Wege zur Finanzierung und Produktion sich öffnen!
Organisationsstrukturen, die innerhalb des institutionalisierten (Stadt-)Theaters aufgrund der klaren Aufgabentrennung oftmals als festgefahren wahrgenommen werden, erfahren im Kollektiv im Idealfall eine stetige Reflexion, Hinterfragung und Weiterentwicklung, so dass sie den entsprechenden Bedürfnissen der Theaterschaffenden gerecht werden können. Sie lassen Raum für Experimente. Der Theaterschaffende als Teil des Kollektivs ist Darsteller, Bühnenbildner, Antragsteller für Fördergelder zugleich, was neue Denkhorizonte eröffnen kann – sowohl in inhaltlicher und ästhetischer als auch in organisatorischer/struktureller Hinsicht.
Sich in einem gewissen Maß seine Arbeitsbedingungen selbst schaffen – finanzielle Unsicherheit und Existenzangst, die innerhalb der ‚freien Szene‘ allgegenwärtig sind, werden im Kollektiv thematisiert, Lösungsansätze werden erarbeitet.
She She Pop reagiert damit auf Defizite, die innerhalb des Fördersystems für die ‚freie Szene‘ bestehen. Da es an adäquaten Fördermodellen mangelt, die über Projekt-, also zeitlich begrenzte, Förderung hinausgehen, stehen die Theaterschaffenden vor der Herausforderung, sich selbst eine Basis für eine nachhaltige und finanziell abgesicherte Arbeit zu schaffen. Hierfür scheint die Organisationsform des Kollektivs besonders fruchtbar zu sein, da sie durch das Ineinandergreifen von Organisation und Ästhetik offenbar in besonderer Weise zu einer reflektierten Arbeitsweise anregt.
Falls sich solche Kollektive in der freien Theaterlandschaft etablieren, beweisen diese dann nicht (auch wenn notgedrungen) eine gewisse finanzielle sowie strukturelle Unabhängigkeit und gefährden somit potentielle Fördermöglichkeiten?
Auf den ersten Blick scheinen Kollektive eine geeignete und wünschenswerte Reaktion auf prekäre Verhältnisse wie mangelhafte finanzielle und soziale Sicherheiten, zeitliche Limitierung usw. zu sein. Doch könnte damit nicht auch riskiert werden, dass Fördermittel eingestrichen bzw. umverteilt werden, weil die Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet, dass die Politik keine oder geringere Förderungsbedürfnisse wahrnimmt?
Diesbezüglich noch eine skeptische und etwas delikate Anmerkung: Hat die Forderung, für diese Kollektive nicht nur projektgebundene sondern auch nachhaltige Förderinstrumente einzusetzen unter diesen Umständen eine Chance?
Das sich beide Systeme befruchten und voneinander profitieren ist eine gute Sache, doch dürfen wir nicht vergessen, dass beide (wie aus den Thesen hervorgeht) vorkommen andere Arebitsstrukturen und Zielsetzungen haben. Und das sich die freie Szene damit von dem Stadttheater absetzt ist in der heutigen Theaterentwicklung, auch im Bezug auf die Vermittlung, zwingend notwendig.
Das Stadttheater. Finanziell mehr oder minder abgesichert. Die Kunst muss schließlich autonom bleiben, darf sich nicht am Markt orientieren. Festgefahrene Hierachiestrukturen. Austausch oft unmöglich. Was bleibt, ist Kunst Weniger für Wenige.
Das Freie Theater. Zuammenarbeit im Kollektiv, auf gleicher Ebene also. Enormes künstlerisches Potential. Existenzangst. Die Rede ist von Selbstvermarktung. Kunst, die gerade so autonom ist, wie es Übereinstimmung von eigenen Interessen und Förderrichtlinien zulassen.
Ob Absicherung durch eigene Organisation im Kollektiv bezüglich eines Ausbaus von Förderungen kontraproduktiv sei, erscheint ein wenig wie die Frage nach dem Ei und dem Huhn. Was mir sicher scheint, ist, dass das Hecheln nach der nächsten Förderung und damit letztlich nach Sicherung der eigenen Existenz nicht im Sinne einer autonomen Kunst sein kann.
Theater soll nicht zuletzt Spiegel der Gesellschaft sein. Mit seiner ständigen Ungewissheit und mangelnden Sicherheit, mit seiner Notwendigkeit sich den verschiedensten Anforderungen anzupassen ist das Freie Theater vielleicht genau das. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Erfolgreiche Gruppen schön und gut, aber in wie fern erfolgreich? So sagte Mieke Matzke doch selbst, dass es in diesem Bereich, also ohne eine einfache Festanstellung, schwierig sei, "sehr sehr schwierig" sei alt zu werden.
Eine Organisation in Kollektiven ist also sicherlich ein erster Ansatz zur Verbesserung der Situation freier Schauspieler/Künstler, aber wohl nicht die endgültige Lösung der Probleme.
Es kommt hinzu, dass eine Entwicklung von feststehenden freien Theatergruppen zu Projekten mit zeitlich und organisatorisch limitiertem Arbeitskontext zu erst einmal nichts Schlechtes sein muss. Es mag sein, dass es in dieser Form der Organisation für die Schauspieler etc. Ungewissheit und Stress bedeutet, gleichzeitg kann es auch frischen Wind erzeugen. Ich würde sogar so weit gehen, dass es interessantere Ergebnisse erzeugen kann, wenn Gruppen neu zusammen gefürfelt werden.
Da die Entwicklung auf jeden Fall in diese Richtung geht, wie Mieke Matzke sagt, stellt sich die Frage, wie die Form des Theater-Kollektivs hierbei weiter bestehen kann.
Weiterhin sprechen Sie in Ihrer fünften These an, dass die Künstler eines Kollektivs dazu aufgefordert sind, sich immer wieder neuen Aufgabenbereichen zuzuwenden. Ein Schauspieler ist also nicht nur Schauspieler, sondern auch noch Maskenbildner, Bühnenbildner und Techniker. Doch stellt sich mir die Frage, ob durch diese notwendige Arbeitsteilung mit der Spezialisierung nicht auch die Qualität des Theaters verloren geht. Inwieweit kann sich ein Schauspieler im Rahmen einer Produktion noch auf sein Schauspiel konzentrieren, wenn er auch noch Kostüme zu nähen hat - und wie gut können diese Kostüme sein? Perfektion in so vielen Bereichen kann die Kompetenzen des Einzelnen doch schnell überschreiten. Die Autonomie des Theaters ist mit Sicherheit ein großes Ziel, doch ich glaube, dass der Weg dort hin noch ein weiter ist.
Das besondere am Kollektiv ist eher die ästhetische demokratische Kunstpraxis, selbst Organisationsformen zu finden, die der Gemeinschaft entsprechen und Forderungen an die Kulturpolitik zu stellen, die diese wiederum unterstützen können. Das freie Theater trägt maßgeblich zur Vielfalt der Theaterlandschaft bei, die Innovation wird als eines der Hauptpotenziale benannt - einerseits sind hierbei projektförmige und kurzfristige Kontakte förderlich, bringen die Akteure andererseits aber in prekäre soziale Lagen - und das auch auf Dauer. Projektförmige Arbeit ist allerdings nicht nur ein Thema in der kulturellen Szene, sondern weitet sich insgesamt in allen wirtschaftlichen Bereichen aus. Erwerbstätigkeit ist zunehmend projektorientiert, eben gerade auch aufgrund von zunehmender Spezialisierung und der Bewältigung von komplexeren Aufgaben.
Für mich stellt sich die Frage wie Innovation und Sicherheit zusammenwirken können, oder ob ein Maß an Unsicherheit, Diskontinuität, Fluktuation erforderlich ist, um Erfindertum, Kreativität und neue Impulse schaffen zu können.
Auch das Stadttheater hat nicht unbedingt langfristige, sichere Arbeitsbedingungen, wenn man sich überlegt, dass die Verträge auch wiederum alle nur auf wenige Spielzeiten beschränkt sind - auch weil man hier der Meinung ist, dass die Künstler sich immer wieder neu beweisen müssen und neue interessante und kreative Teams entstehen.
In der freien Szene stehen Künstlerinnen und Künstler immer wieder vor dem Problem der Projektfinanzierung. Ehe ein Projekt begonnen hat, muss sich schon wieder um das Nächste gesorgt werden. Mieke Matze beschreibt diese Flexibilisierung in ihrer fünften These als ein Problem. Ich bin der Meinung, dass eben diese Flexibilisierung Glück und Problem zugleich ist. Glück in dem Sinne, dass ein Künstler oder eine Künstlerin die Projekte aussuchen oder planen kann, für die er oder sie sich interessiert. Hier spielt natürliche, wie immer, auch der finanzielle Aspekt eine Rolle. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „Selbstvermarktung“.
Ob es die Unsicherheit und Existenzangst dazu braucht, sei dahingestellt. Künstler entscheiden sich ja auch bewusst für die “Freie Szene” auf Grund der vielschichtigeren Arbeitsweisen und der Autonomie. Die fehlende Absicherung ist dabei wohl eher ein bitterer Beigeschmack. Auch weil die Qualität der künstlerischen Arbeit unter dem Aufwand der eigenen Mittelbeschaffung leiden kann. Die Entscheidung aber für das Kollektiv könnte viel eher noch durch die Absicherung (und durch entsprechende Förderstrukturen) vorangetrieben werden. Der Mittelweg, sich beispielsweise als Untersparte (öfter mal im Bereich Kinder- und Jugendtheater) in einer öffentlich geförderten Institution anzusiedeln oder aus finanziellen Gründen Kooperationen mit solchen anzustreben, wobei letztendlich die hierarchischen Strukturen, sowie Vorgaben zu Produktionsthemen vorherrschen, die dem Freien Theater so uneigen sind, bliebe aus.
Aber auch ich stelle mir die Frage, nach welchen Kriterien Förderung dabei erfolgen kann, vor allem wenn Künstler auf langfristige Sicht abgesichert werden sollen und nicht nur Stiftungszuschüsse für einzelne Projekte erhalten. Sicherlich bestünde hier wieder die Gefahr sich ergebender Forderungen bezüglich der Erfüllung kulturpolitische Ziele oder zumindest der Nachweis einer kontinuierlichen, quantitativen Produktion als Maßstab, was wiederum ein ganz bestimmtes Zeitmanagement vorschreibt. Voraussetzung für eine Förderung müsste in jedem Fall zuerst ein Bewusstsein für die Relevanz der innovativen Arbeitsformen der “Freien Szene“, ihrer Unabhängigkeit und ihr Beitrag zu unserer Theaterlandschaft von Seiten der Kulturpolitik sein.
Förderung will ja immer gerechtfertigt werden und dafür muss die Etablierung von Theaterformen abseits des Stadttheaters erst einmal in den Köpfen ankommen, um die Wichtigkeit, die Notwendigkeit des freien Theaters als solche zu erkennen. Meiner Meinung nach u.a. also eine Aufgabe des Bildungswesens, auch für den Nachwuchs, dem oft gar nicht klar ist, dass Theatermachen ein durchaus realistisches Berufsziel ist.
Die Künstler der freien Theaterszene (, die ich sehr schätze im Übrigen) betreiben eine Art Selbstausbeutung, doch ist Arbeitsteilung, Professionalität und eine teilweise Institutionalisierung ist nicht der Untergang des Freien Theaters. Es gibt definitiv Wege, wie das freie Theater und das Stadttheater zueinander finden können, ohne sich zu einem abhängigen auf der einen oder ungesicherten Einheitsbrei auf der anderen Seite zu vermischen. Schöne Wege, wie sie auch am institutionalisierten Theater beispielsweise wie mit dem Hölscher / Hammer/ Scheerer – Kollektiv gegangen werden können. Der ewige Kampf und die krampfhafte Abgrenzung der beiden Theaterformen sind für beide Seiten ermüdend und am Ende tödlich.