Fanatiker am Werk

von Ralph Gambihler

Dresden, 24. November 2012. Dass Hamlet nicht unbedingt ein netter Mensch ist, wussten wir schon. Es hat uns nie etwas ausgemacht. Denn natürlich haben wir ein Riesenverständnis für einen, dessen Vater auf so hinterhältige Weise gemeuchelt wurde. Der mit Lüge bemäntelte Mord aus niederem Motiv ist das Skandalon, das uns jede seiner Zumutungen und Rasereien verständlich macht. An seinem edlen Geist haben wir nie gezweifelt. Gerade wir Deutschen nicht, die wir uns gerne in seinem erhabenen Charakter wiedergefunden haben und bis heute wiederfinden. Egal wie es kommt: Hamlet ist der Gute!

Unter den Augen des Vaters

Aber da macht uns jetzt Roger Vontobel einen Strich durch die Rechnung. In seiner nunmehr dritten, am Premierenabend reichlich umjubelten Regiearbeit am Staatschauspiel Dresden entdeckt er in der Geschichte des Dänenprinzen die Tragödie eines verblendeten Idealisten und Fanatikers. Mit vagen Einflüsterungen aus dem Jenseits gibt sich so einer nicht mehr ab. Der Vatergeist hat ausgedient. Stattdessen sehen wir Hamlet, wie er seinen (toten) Vater anbetet und vergöttert. Er schaut dabei weit nach oben, wo links und rechts der Bühne überlebensgroß das Porträt eines grimmig dreinblickenden Mannes hängt, der aussieht wie der späte Orson Welles. Dieser Vater muss ein Titan gewesen sein. Jedenfalls in den Augen des Sohns, der einem mit Herkules, Zeus, Mars und Merkur kommt, wenn er die heroischen Züge seines alten Herren anpreist.

Hamlet2 560 MatthiasHorn uDer König überragt sie: Torsten Ranft als Claudius. Drunter: Jonas Friedrich Leonhardi als Rosenkranz, Benedikt Kauff als Güldenstern und Annika Schilling als Ophelia. © Matthias Horn

Bei so viel Vatergott statt Vatergeist, bei so viel familiärer Unsterblichkeit kann der Sohn natürlich nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe in Tathemmung und falscher Melancholie versinken. Also sehen wir einen anderen Menschen. Nämlich diesen: Hamlet ist Musiker. Genauer gesagt: Er ist Leadsänger einer fünfköpfigen Band und als solcher womöglich schon ein Star. Die Posen des Metiers jedenfalls sitzen. Und wenn er vorne an der Rampe das Keyboard bearbeitet und mit schneidender Stimme "Something is Wrong in the Fucking State of Denmark" ins Mikro rotzt, als habe er bei den Sex Pistols angeheuert, dann steht da auch der schwarze Rebell, der Bürgerschreck, der böse Bube usw., also alles, was hilft auf dem Weg in den ewigen Ruhm.

In Hirngespinsten verfangen

Vontobel geht aber noch einen Schritt weiter: Er legt den Schluss nahe, dass sich Hamlet alles nur einbildet in seiner rasenden Wut. Er macht aus ihm den Prototyp eines gefährlichen Fanatikers, der keinen Wahnsinn mehr vorzuspiegeln braucht, weil er wirklich wahnsinnig ist. Vontobel ist klug genug, das Stück nicht für simple Idealismuskritik zu vernutzen. Auf der Theater-im-Theater-Bühne, die ihm Claudia Rohner hingestellt hat, lässt er einen Rest von Zweifel. Wir können uns bis zum Schluss nicht sicher sein, ob Hamlet wirklich nur den eigenen Hirngespinsten nachjagt und mithin aus Verblendung zum Mörder wird, oder ob womöglich doch alles so gewesen ist wie gehabt.

Jedenfalls: Es ist eine Heldendämmerung, trotz applizierter Zweifel. Vontobel geht es merklich darum, die gängige Hamlet-Rezeption aufzubrechen und damit den Blick freizugeben auf eine Figur, die womöglich widersprüchlicher und abgründiger ist, als wir Hamlet-Ikonisierer das wahrzunehmen gelernt haben. Und wer hätte das gedacht?! Es geht – und zwar ohne Umweg und erstaunlich einfach. In der romantisch gedrechselten Schlegel-Übersetzung findet Vontobel den Echoraum und die Form, die seine Sicht stützt. Es ist geradezu frappierend, wie viel der Text hergibt, um die Grenzen von gut und böse zu verwischen und die Lesart der Regie zu beglaubigen. Ist Vontobel wirklich der Erste, dem die Schlegel'sche Steilvorlage aufgefallen ist?

Hamlet1 hoch MatthiasHorn uChristian Friedel rockt Hamlet © Matthias Horn

Starkstrom-Shakespeare

Ob der Abend wirklich so bahnbrechend ist, wie es auf den ersten Blick scheint, muss sich erweisen. Ein großer Wurf ist er auf jeden Fall geworden. Vontobel zeigt knapp drei beglückend konzentrierte Stunden Starkstrom-Shakespeare, denen immer wieder anzumerken ist, wie ein gelungenes Regiekonzept das Ensemble zu beflügeln vermag. Rühmen muss man dabei vor allem den jugendlich wirkenden, in manchen Momenten an Matthias Schweighöfer erinnernden Christian Friedel. Der könnte den Abend fast alleine bestreiten, so überzeugend bringt er seinen bürgerlich-antibürgerlichen Hamlet-Fanatiker und Psychoterroristen auf die Bühne. Da hat einer offenbar seine Rolle gefunden. Obendrein bestreitet Friedel mit seiner Band Woods Of Birnam den musikalischen Part zwischen Popelegie und Rock. Diese Intermezzi sind weit mehr als atmosphärisches Beiwerk, weil Vontobel in der Kunst und ihrer medialen Überhöhung ein Mittel sieht, das dem Fanatiker in die Hände spielt. Die "Mausefalle" wird dabei zum großen, teuflischen Kulminationspunkt.

Und sonst? Was gibt es noch? Den König Claudius von Torsten Ranft muss man sich als schwer nervösen Herrscher vorstellen, der aus der Defensive heraus giftet und sich bisweilen mit Heimatliedern beruhigt. Hannelore Koch gefällt daneben in der Rolle der Gertrude als damenhaft königliche Dauerbeschwichtigerin mit großer Frisur. Annika Schilling (famos) zeigt eine zarte, auch widerstandsfähige Ophelia, die viele Demütigungen von Hamlet zu parieren hat, bevor sie dann doch verrückt wird. Und ja: Es wird nach alter Art "schön" gesprochen. Bisweilen werden die Schlegel-Verse deklamiert und geradezu poliert, als gelte es, ein angestaubtes Möbelstück auf Hochglanz zu bringen. Das wirkt immer wieder seltsam und erstaunlich erhellend. Irgendwie haben sie es in Dresden geschafft, auf den Versfüßen einer vorgestrigen Kunstsprache eine ganz und gar nicht museale Geschichte zu erzählen.


Hamlet
von William Shakespeare
Deutsch von August Wilhelm Schlegel
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Claudia Rohner, Kostüm: Ellen Hofmann, Musik: Woods Of Birnam, Dramaturgie: Robert Koall, Licht: Michael Gööck.
Mit: Torsten Ranft, Hannelore Koch, Christian Friedel, Ahmad Mesgarha, Sebastian Wendelin, Matthias Reichwald, Annika Schilling, Jonas Friedrich Leonhardi, Benedikt Kauff.
Band Woods Of Birnam: Ludwig Bauer, Philipp Makolies, Christian Grochau, Uwe Pasora.
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause.

www.staatsschauspiel-dresden.de

Die Musiker der Band Woods Of Birnam spielen sonst bei der Indie-Popformation Polarkreis 18. Eine andere deutsche Indie-Combo ist gerade an der Berliner Schaubühne zu sehen: Kante in Friederike Hellers Umsetzung von The Black Rider.

Kritikenrundschau

Dieses Porträt eines gestörten Egomanen funktioniert aus Sicht von Till Briegleb von der Süddeutschen Zeitung (1.12.2012) "eine Halbzeit und sechs Songs lang hervorragend. Dann rollt die Vierte Wand in den Hintergrund, und aus 'Hamlet' wird eine normale Stadttheateraufführung." Als wäre die Spiegelung männlicher Selbstüberschätzung in Pop und Drama nur eine Geisterscheinung gewesen, siege das Handwerk über die Idee. "Als hätten die eingefleischten Mechanismen und Eitelkeiten des Theaters plötzlich wieder die Kontrolle übernommen, rächt sich der Betrieb am Einfall." Dabei besteht für diesen Kritiker allerdings die ernsthafte Gefahr, "dass der Sänger Christian Friedel den Schauspieler hinter sich lässt", der ihm an diesem Abend ein verborgenes Talent offenbarte: "Dieser Schauspieler ... ist ein begnadeter Sänger und Komponist."

Roger Vontobels "Hamlet" spiele auf historisierendem Boden und korrespondiere ersichtlich mit dem anstehenden 100. Jubiläum des Dresdner Staatsschauspiels und seiner einst revolutionären Maschinerie, schreibt Tomas Petzold in den Dresdner Neuesten Nachrichten (26.11.12), "aber sie bricht dabei mit nahezu allen tradierten Sichten und Wertungen." "Mehr Wahrheit, weniger Wahn" wäre, so Petzold, eine Devise, die man der gleichwohl mehrdeutigen Sicht von Vontobel unterstellen könnte. "Bei aller Radikalität, mit der der Regisseur die spekulative, fantastische Ebene von einer gewissermaßen nüchtern realpolitischen trennt, in der es außer einer flüchtigen Erwähnung des Fortinbras weder große Intrigen noch außenpolitische Verwicklungen gibt, selbst wenn er sich noch weit mehr Freiheiten nimmt als beim 'Don Carlos' oder dem 'Zerbrochenen Krug', agiert er doch hier auch nicht vordergrüdig als Stück-Zertrümmerer." Nachdem Vontobel die realen und fiktiven Geschehnisse neu ordne, suche er aus heutiger Sicht zum Kern des Konflikts vorzudringen. "Keine vordergründige Sympathie, aber nahezu unbegrenzten Spielraum gewährt er der Leidenschaft des Hamlet und lässt ihn damit umso unfehlbarer an der Untauglichkeit seiner Mittel und seiner Introvertiertheit zugrunde gehen."

Vontobel habe Shakespeare "ideenreich ins Heute geholt", meint Silvia Stengel in der Sächsischen Zeitung (26.11.12). "Auch wenn die Sprache in der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel nicht gerade eine leichte Kost ist, schafft er es, die Spannung bis zum Ende zu halten." Das Bühnenbild sei "etwas besonderes", die Spieler überzeugten durchweg, allen voran Christian Friedel als musikalischer Hamlet, "mehr als ein Rocker". Bereichert werde die Inszenierung mit vielen technischen Raffinessen. "So verschwindet das Bühnenbild komplett im Boden, und ein Sternenhimmel ist zu sehen." Auch filmische Mittel würden gut eingesetzt. Fazit: "So schön kann Shakespeare sein."

Bis zur Pause erlebte Stefan Petraschewsky für MDR Figaro (26.11.12), "wie eine geniale Idee mit einem genialen Christian Friedel umgesetzt wird", "wie der trauernde Hamlet seinem Vater in seiner Musik nahezukommen sucht – sich dabei immer seiner Wirkung als Popstar bewußt – dem die 'Dänen' – wir, das Publikum, zujubeln – weshalb der neue König das Konzert auch nicht einfach autoritär beenden kann." Christian Friedel schmeiße den ganzen Abend mit einer unglaublichen Spielfreude, Talent und Energie. Aber nach der Pause entfalle der Grund für das Konzert – und damit auch die Idee für diese Inszenierung, "und es kommt nichts nach." Die Sache kippe vom Genialen ins Kunsthandwerk. "Ein zweigeteilter Abend unterm Strich – schade."

"Aber ja doch, das fetzt. Hamlet als Popstar", freut sich Dirk Pilz zunächst in der Frankfurter Rundschau (28.11.12). Doch wozu führe der der singende "Schwitz- und Schaukel-Hamlet", außer zur These "dass wir uns zu Tode spielen, wenn alles nur Spiel ist"? Vontobels Hamlet ist einer "ohne jede Weisheit", "in sich selbst gefangen" und ein "Ego-Terrorist". Das zunächst schön anzusehende Singspiel kippe spätestens nach der Pause, wenn Roger Vontobel die Schauspieler "ihre Figuren zu Tode chargieren lässt."

Kommentare  
Hamlet, Dresden: zwiespältig
Ein zwiespältiges Erlebnis;
der erste Teil, in dem der Zuschauer dem Spiegelbild seines Sitzplatzes gegenüber sitzt, zieht sich übers wohle Maß in die Länge. Musikalisch außerordentlich überraschend, doch nach gefühlten 8 Minuten pro Song auch wieder anstrengend. Die Intrigen bleiben allein durch Friedel auf dem Podest und eben den in den Logen viel zu leise hockenden Intriganten erstmal das: hintergründig. Friedel ist in seiner Darstellung und mit seiner Band als Musiker sehr bemerkenswert. Schade, das alles so in eine lange Weile ausartete. Die Kameraführung von Sebastian Wendelin im ersten Zuschauerrang empfand ich als überflüssig. Überhaupt ist es auffallend, wie viele Stücke am Staatsschauspiel wohl nun wie überall massive Filminspielungen/ Live-Projektionen benötigen. Doch gab er den Horatio als überzeugenden mitleidenden Gefährten Hamlets. Torsten Renft beweist sich einmal wieder als abgeklärter alter Hase und Annika Schilling erneut als klarstimmiges rührendes Mädchen. Doch kann man beide vielleicht einmal anders sehen?
Der Zweite Teil beeindruckte durch das Bühnenbild, die Musikstücke hatten genau die richtige Länge, der Tod der Ophelia und das Doppelbegräbnis von Vater und Tochter war grandios inszeniert!!
Hamlet, Dresden: weitere Kritiken
Wenn man im Internet oder auf der Theaterhomepage in Dresden stöbert, dann kann man noch weitere überregionale Meinungen zu der Inszenierung finden. Nach welchen Kriterien selektiert ihr bei Nachtkritik? So schrieb z.B. auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Deutsche Bühne (http://www.die-deutsche-buehne.de/Kurzkritiken/Schauspiel/William+Shakespeare+Hamlet/Hamlet,+allein+zu+Haus) und das Neue Deutschland (http://www.neues-deutschland.de/artikel/805695.den-geist-aufgegeben.html) über den Abend.

Lieber Polonius, alle Stimmen können wir nicht wiedergeben, das würde schlicht und einfach unsere Kapazitäten sprengen. Als Faustregel gilt: zwei Stimmen aus der Region + die überregionalen. Aus Print und Rundfunk. Den Text aus der FAS haben wir geprüft – und deshalb nicht mit reingenommen, weil das, zumindest was den "Hamlet" betrifft, keine Kritik ist, sondern ein Probenbericht. Natürlich können Sie als Kommentator, wie Sie es ja auch gemacht haben, weitere Links unter Text und Kritikenrundschau posten. Mit freundlichen Grüßen, Sophie Diesselhorst f.d. Redaktion)
Hamlet, Dresden: interessante Unterschiede
Vielen Dank für die Auskunft! Interessant, wie die Kritiken zusammengestellt werden und ebenfalls spannend ist es, was die unterschiedlichen Kritiker über diesen Abend sagen. Alles, ob negativ oder positiv, spricht für ein mutiges Experiment, das neue Sichtweisen auf den "vertrauten" Stoff zulässt.
Hamlet, Dresden: Meinungen laufen auseinander
Schon interessant, wie die Meinungen hier auseinanderlaufen. Ich fand den ersten Teil sehr gewollt und langatmig, nach der Pause gefiel es mir deutlich besser.
Wen die ganze Meinung interessiert:

http://teichelmauke.me/2012/11/24/es-war-nicht-alles-faul-im-staate-danemark/
Hamlet, Dresden: den Blick schärfen
So unterschiedlich fallen die Meinungen auseinander. Bei der Lektüre ihres Blogs, lieber Herr Zimmermann, stellen sich mir aber die Nackenhaare auf. Hier sieht man die Tücken des Internets, ein Jeder kann sich zum Kritiker machen und es auch noch veröffentlichen. Fast so schlimm, zugegebenermaßen wie die scheinbare Volontärin der Sächsischen Zeitung. Als "alter" Dresdner freue ich mich immer über wahrlich konstruktive, überregionale Kritiken. Ohne Ihnen, Herr Zimmermann, nahe treten zu wollen, aber ein herzlicher Tipp: Schauen Sie über den eigenen Tellerrand und besuchen Sie andere Städte und andere Theater. Vielleicht schärft sich Ihr Blick und auch Ihre Sprache. Ihre "Kritiken" jedenfalls lesen sich provinziell und albern.
Hamlet, Dresden: nicht wirklich kontrollierbar
Immer schön, wenn jemand die Lufthoheit über der Deutungslandschaft für sich beansprucht. Und auch nett, wenn man es auf so charmante Art und Weise tut.
@ "Polonius": Lieber Herr P., ich hatte gar nicht um Tipps gebeten. Aber da Sie mich offenbar so gut zu kennen scheinen, dass Sie mein Konsumverhalten bezüglich des Theaters einschätzen können, will ich gern Blick und Sprache weiter schärfen. Die Albernheit wird mir allerdings erhalten bleiben, fürchte ich.
Dass das Internet nicht wirklich kontrollierbar ist, tut mir leid für Sie, wird sich aber vermutlich nicht kurzfristig ändern lassen. So müssen Sie also weiter mit Beiträgen unter Ihrem Niveau leben, aber es zwingt Sie ja keiner, diese zu lesen und dann auch noch "Kritiken" zu nennen. Ich selbst würde mir das nicht anmaßen.
Hamlet, Dresden: Albernheit bewahren
Lass dir nix einreden, Sandro Zimmermann. Das ist eine klare, sehr direkt formulierte Kritik, die genau, aber ohne diese verkraxelt selbstverliebte Rumformulierei auskommt, die in der deutschen Theaterkritik das Beschriebene immer so deutlich vom Beschriebenen unterscheidet. Und unbedingt die Albernheit bewahren! Wie soll denn ohne diese Wahrheit werden?
Hamlet, Dresden: nichts gegen Albernheit
Lieber Herr Zimmermann, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sich nicht als Kritiker begreifen. Ich hatte nur den Verdacht, da sie Ihren Blog im Netz ja sehr präsent verteilen. (auch bei MDR Figaro) Gegen Albernheit ist nichts auszusetzen, das ist sogar wie wilco2008 schreibt, eine notwendige und wichtige zugangsmöglichkeit der Wahrheit zu begegnen. Genau das mag ich an dem Dresdner Experiment, der Wahrheit dem Wahn gegenüberstellen. Ich habe in meinem Leben schon viele "Hamlet"-Aufführungen erleben dürfen und bin wahrlich ein Verehrer des Stoffes. In Dresden habe ich neue Seiten entdecken dürfen; Sätze und Zusammenhänge klangen und wirkten neu in meinen Ohren. Und das der erste Teil so exponiert ist, mit der gesamten Musik etc. fand ich der Intention der Hauptfigur durchaus entsprechend und war froh das dies nicht wohl portioniert wurde. Doch das ist wohl geschmäcklerisch, und darüber darf gestritten werden, ob Kritiker oder nicht.
Hamlet, Dresden: berüchtigter Menschenverstand
Lieber Herr P.,
danke für Ihren relativierenden Einwurf.
Ich begreife mich tatsächlich nicht als klassischer Kritiker, aber als Stimme aus der Mitte des Parketts.
Der fehlende theoretische Hintergrund wird bei mir vom berüchtigten gesunden Menschenverstand ersetzt, die langjährige Kenntnis durch Empathie.
Insofern sind meine Beiträge der Publikumsmeinung zuzuordnen, einem nicht ganz unwesentlichen Teil am Theater, soweit ich weiß.
Und auf diesem Pfad wandere ich auch künftig fröhlich weiter.
Herzliche Grüße, Ihr ß
Hamlet, Dresden: das geschriebene Wort wiegt mehr
Viel Spaß beim Wandern, Herr Zimmermann. "Mehr Inhalt, weniger Kunst" heißt es doch so schön bei Shakespeare. Und ich stimme Ihnen durchaus zu, das die Publikumsmeinungen nicht zu verachten sind. Doch das geschriebene Wort wiegt leider oft mehr, als eine spontane Meinung, die wir Zuschauer ja, zum Glück, im Moment, sprich beim Theaterbesuch ausdrücken können. Während einer Vorstellung (wird leider zu wenig gewagt) und natürlich beim Applaus.
Hamlet, Dresden: gesunder Menschenverstand
@ Sandro Zimmermann: Was verstehen Sie unter dem Begriff des "gesunden Menschenverstands"? Für mich - politisch betrachtet - ein eher ungesunder Begriff.

"In den sechziger Jahren konnten Regierungsvertreter das unbestimmte Schweigen der 'überwiegenden Mehrzahl' noch selbstbewußt als Bastion des gesunden Menschenverstandes gegen Anarchie und Willkür interpretieren bzw. postulieren. Die Minderheit hatte auf der Straße 'das Wort an sich gerissen', doch das STARK AUFGEWERTETE Schweigen der Mehrheit konnte als riesige Reservearmee dienen, als eine Kraft, die so lange zurückgehalten würde, bis der Augenblick gekommen wäre, sie aufzufordern, sich auf legitime Weise zu äußern, das heißt durch Wahlen. 2008 wird das Schweigen der Mehrheit, der 'überwiegenden Mehrzahl' der Europäer, von der herrschenden Elite ebenso dreist interpretiert, nur daß es jetzt für immer gelten soll - Demokratie als stumme Zustimmung."
(Kristin Ross, "Demokratie zu verkaufen")

Ansonsten empfinde ich Ihr Geschreibsel als nicht sehr spannend. Zu sehr gewollt dilettantisch-anekdotisch. Ohne dass Ihre Haltung zur Inszenierung wirklich klar werden würde.
Hamlet, Dresden: Einigkeit
@ Polonius
Daq sind wir uns ja völlig einig.

@ Inga
Interessantes Zitat, ich setzte aber bewusst ein "berüchtigt" davor. Deswegen fühl ich mich davon nicht betroffen.
Ihre Meinung sei Ihnen unbenommen, natürlich. Ich habe auch nicht den Ehrgeiz, allen zu gefallen, ebensowenig wie allgemeingültige Wertungen abzugeben. Das sei den Großkritikern vorbehalten.

Generell ist meine Haltung zur Inszenierung zwiespältig. Ich fand das "Konzert" in dieser Breite schlicht überflüssig, mag auch nicht den Hype um Christian Friedel, der ein wirklich guter Schauspieler ist. Die letzten dreißig Minuten entsprachen eher meinem Begriff von Theater, wobei ich schon merke, dass ich mich da wohl zur konservativen Fraktion zählen muss (was mir erstmals im Leben passiert).

Ansonsten nehm ich mich nicht so wichtig und empfehle auch allen anderen, das mit sich und mir zu tun. Ich schreib einfach gerne meine Eindrücke "live" auf, und ab und an gefällt es sogar jemandem. Mehr nicht.
Hamlet, Dresden: gute Mimen in großen Rollen
Was denn für einen Hype um Herrn Friedel? Ich war vor Kurzem an den Münchner Kammerspielen und habe dort Sandra Hüller gesehen. Vor einiger Zeit Brigitte Hobmeier. AM Deutschen Theater arbeiten Ulrich Matthes, Corinna Harfouch oder auch Nina Hoss. In Hamburg, Frankfurt oder Köln arbeiten ebenfalls Schauspieler die bekannt aus Film und Fernsehen sind und dazu auch noch Protagonisten sind. Soll man all diesen Häusern vorwerfen, das sie einen Hype um ihre Schauspielern machen? Das sie gute Mimen in großen Rollen einsetzen ist selbstverständlich und kein Hype.
Hamlet, Dresden: Laufbahn als Kritiker
Herr Zimmermann, hören Sie auf so zu tun als seien Sie Theaterkritiker, das sind Sie nicht, bleiben Sie in Ihrer Zigarrenbar sitzen und schreiben Sie über sich selbst, denn das wird Ihnen am meisten gefallen. Sie haben nicht das Niveau, nicht den Horizont und schon gar nicht die Objektivität über HAMLET oder über andere Stücke zu schreiben. Beenden Sie bitte Ihre stupide Laufbahn als "Kritiker". Sie können es nicht und werden es niemals können!
Hamlet, Dresden: nicht allem gewachsen
@ Kübler
Huch, da macht aber einer seinem Namen alle Ehre und kübelt aus übervoller Seele, so dass mich fast ein Mitleid befällt. Isses wieder gut inzwischen? Ansonsten empfehle ich die Telefonseelsorge.

@ Polonius
Das ist ja auch gut, gute Schauspieler auf die großen Rollen zu setzen, ich hab nur den Eindruck, dass Friedel zum einen nicht allen gewachsen ist (sein Mackie war eine große Enttäuschung für mich) und es zum anderen wirklich nicht sein muss, dass er gleich seine ganze Band mitbringt ins Stück.
Hamlet, Dresden: der Schaum der Gralshüter
Kritiken

Da mich diese pauschale Abqualifizierung dann doch mehr geärgert hat, als sie vermutlich wert ist, möchte ich noch etwas klarstellen.

Kritiken, das sind die, die in der Zeitung stehen, oder auch hier auf der Plattform.
Ich hingegen erzähle von meinen Theatererlebnissen, aus Zuschauersicht, meist auch weit nach der Premiere. Es gibt einen gewissen Kreis von Leuten, die das gern lesen und mit denen ich dann auch oft diskutiere, z. B. in der Theaterkneipe. Soweit ich weiß, ist das bislang nicht verboten.

Umso mehr erstaunt mich der Schaum vor dem Mund einiger Gralshüter hier. Mein Gott, es wird doch keiner gezwungen, mein Zeugs zu lesen? Ich versteh das wirklich nicht.

Das Ganze bestärkt mich aber in meiner Meinung über die Debattenkultur hier, wie im Fußballblog manchmal. Seltsam.
Hamlet, Dresden: Grüsse aus Meissen
Mein Gott, was geht denn hier ab? Weihnachtliche Spätwehen? Heike Makatsch hat in Leipzig ihren Musiker mitgebracht und Sebastian Hartmann war so clever sie einfach ne halbe Stunde ein Konzert geben zu lassen. Ich wage zu bezweifeln das Schauspieler solch eine Macht haben eine ganze, eigene Band durchzusetzen. Herr Zimmermann, sie scheinen Herrn Friedel einfach nicht zu mögen! Geben Sie es doch zu, es ist nicht schlimm. Oder Sie werden ein Fall für die Telefonseelsorge. Mit freundlichen Grüßen aus Meissen.
Hamlet, Dresden: Natur des Menschen
@Sandro Zimmermann

Christian Friedel habe ich in sehr unterschiedlichen Rollen erleben dürfen, im Film wie im Theater. Ein wandelbarer Schauspieler. Das er nicht in jeder Rolle gleich gut sein kann, liegt in der Natur des Menschen. Nennen Sie mir einen Schauspieler der allem gewachsen ist. Ich behaupte das es keinen gibt und das ist auch gut so. Gute Schauspieler wagen sich auch an Figuren die machmal vollkommen entgegengesetzt zu ihrer eigenen Persönlichkeit sind. Und wenn sie daran scheitern, ist das für den Schauspieler oft wertvoller, als immer den gleichen Stiefel abzuspulen. Dies ist jedenfalls meine Sicht der Dinge.
Hamlet, Dresden: keine Sorge für die Seelsorge
Danke, Ophelia, für den mäßigenden Eingriff. Deine Rolle fand ich übrigens ausnehmend gut besetzt beim Dresdner Hamlet, aber das nur am Rande.

Nein, ich mag Christian Friedel. Als Schauspieler und auch als Bühnensänger. Als Rockmusiker lebt er allerdings von seiner Popularität, finde ich. Ich glaube auch, dass er sich mit den vielen Projekten verzettelt, DJ ist er ja auch noch gelegentlich.
Sein Don Carlos war grandios, ebenso sein Tesman. Auch als Peer Gynt hat er mir gefallen.
In der Dreigroschenoper war er mir deutlich zu lieb, da hat er nur am Schluss (singend) gezeigt, was er kann. Und bei Hamlet waren die Schauspielszenen (vor allem das große Schlachten) auch sehr gut.
Insofern keine Sorge für die Seelsorge.

Zu den Allgemeinheiten hatte ich mich ja schon abschließend geäußert. Grüße aus "meiner Zigarrenbar".
Hamlet, Dresden: an der Avantgarde kratzen
‘Hamlet’, Staatschauspiel Dresden, gesehen am 26.12.12.

In 2012 ist alles anders als es vorher war - in Roger Vontobels ‘Hamlet’ auch. Eine der verstaubtesten Tragödien Shakespears, bis heute Gegenstand unzähliger Interpretationen - von irrig bis logisch, feiert am Staatschauspiel Dresden eine wirklich postmoderne, teils an der Avantgarde kratzende Wiederbelebung. 3 Stunden und 15 Minuten fühlen sich hier eher wie ein Sommerspaziergang an, denn wie eine der größten Rachetragödien.

Im ersten Teil der Inszenierung agiert ‘Hamlet’ (Christian Firedel) als teils wirrer Popstar zuweilen hart an der Grenze des fürs Theater Vertretbaren, für den Autor dieser Zeilen aber immer noch etwas zu wenig abgehoben. Der Irrsinn und wie eine Art Flashback gestaltete Reigen wirklich guter Popsongs zieht, haltlos vorangetrieben von Drummer (Christian Grochau) und Bassist (Uwe Pasora) der Band ‘Woods of Birnam’, den Zuschauer in einen emotionalen Bann und holt diesen - das ist wirklich der Clou - von dort ab, egal wo sich dieser auch befand. Hier kann man nicht anders als sich einlassen; zu groß ist der Nerv und das Gezerre Hamlets mit seinen eigenen Emotionen, die dieser in einer Art multisexuellen Stimm- und Gesangsdrangsalierung dem Publikum um Augen und Ohren haut. Gnadenlos! Der Verlust seines Vaters muss sich wie ein innerer Prozess der Auflösung anfühlen, dass das Leben dennoch voranschreitet mag bittere Wahrheit sein, der Groove aber lässt nichts anderes zu als den Weg zu gehen, der beschritten werden muss. Zusammengehalten wird das alles nur durch die fast stoische Präsenz des Claudius (Torsten Ranft) und seiner Gattin Gertrude (Hannelore Koch), die wie die Zuschauer im Publikum sitzend das Geschehen mit reichlicher Distanz, bisweilen gar gelangweilt beobachten.

Das Einstreuen der eigentlichen Handlung misslingt vor der Pause bisweilen, die akustische Präsenz der Musiker ist zu groß, der Sog und das teils Knefsche Vibrato Friedels bündeln zu viel Aufmerksamkeit, als dass die Sprachfetzen der weiteren Protagonisten die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen womöglich gebührt. Und so erleben wir hier eher einen Gefühlsausbruch und eine Huldigung an den Vater des ‘Hamlet’, als dass eine Entwicklung zu entdecken wäre. Macht aber nichts!

Gegen Ende des ersten Teils weckt allein die Neubewertung der Location Schauspielhaus (Bühne: Claudia Rohner), dessen Innenarchitektur auf der Bühne gnadenlos fortgesetzt wird, Interesse an Hintergründen und dem, was jetzt noch kommt. Und das ist einiges.

In nunmehr völlig fast grenzenloser Bühne entwickelt sich die Tragödie in einer Art Skizzenbuch. Das mag verwirren, tut es aber nicht. Nach dem ausschließlichen Fokus auf Befindlichkeiten im ersten Teil entwickelt Vontobel nach der Pause eine Poesie, deren Handwerk im hippen Berliner Raum ihres Gleichen sucht. Die Figuren verschmelzen zum Ensemble, selbst die Musiker bekommen Raum für ihr Können und wirken keineswegs wie Anhängsel oder Fremdkörper, die einen Zweck zu erfüllen haben. Jede Figur bekommt ihren Raum, besonders Ophelia (Annika Schilling) darf endlich an Grenzen kratzen, welche die emotionalen Zustände Hamlets nebst Folgen des ersten Teils plausibel erscheinen lassen. Nun muss einer aber wirklich rudern: Christian Friedel.
Und er rudert. Wie um sein Leben! Friedel verkörpert hier nicht den ‘Hamlet’, was durchaus positiv zu bemerken ist. Vielmehr sehen wir Chrstian Friedel als ‘Hamlet’, und das ist auch gut so. Über die Ränge springend, Hamlets Zweifel und Irrungen infrage stellend, gipfelt Friedels Show im Dialog mit dem Schädel des Narren Yorickin in einer Art Slap-Stick, die Vontobel im Mord-Finale nur noch dadurch übertrifft, indem er seinen Hauptdarsteller sämtliche Figuren selbst mimen lässt, was der Inszenierung einen runden und fast milde stimmenden Abschluss verleiht. Fiedels Stärken, das Einflechten von Kommunikation mit dem Publikum, das Herstellen einer Geben- und Nehmensituation funktionieren hier so gut, weil das Ensemble wie das Gegengewicht auf einer Waage funktioniert: stets präzise und ausgleichend. Die teils eingesetzten Videoprojektionen mögen der Versuch einer Annäherung an modernes Theater sein, funktionieren ob ihrer Optik und Projektion aber eher als Reminiszenz an die Video- und Popkultur der 1980er Jahre. Gut, dass diese Kühle vom Ensemble aufgebrochen wird.

Ansehen!
Hamlet, Dresden: zu laut, zu verstörend
Mein Geschmack war das überhaupt nicht. Musik viel zu laut und das Theaterstück wirkte auf mich sehr verstörend !!
Hamlet, Dresden: immernoch fesselnd und radikal
Auch vier Jahre später ist Vomntobels Hamlet – zumindest vor der Pause – eine ebenso fesselnde wie radikale Vergegenwärtigung und Christian Friedel ein Ereignis.

Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/05/15/der-machtspieler/
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