Spiel ist "lachender Gehorsam"

von Dirk Pilz

Berlin, März 2007. Diese Frage steht immer im Raum, auch und gerade in Theaterkreisen: Gibt es so etwas wie Fortschritt in der Kunst? Aber natürlich, tönen die einen und verweisen auf neue theatralische Formen (Pollesch! Marthaler!) und deren Weiterentwicklung.

Natürlich nicht, meinen die anderen und sehen in den Entgrenzungstendenzen einen immer schon wirksamen Prozess der Ausdifferenzierung von Formen, Ästhetiken und Genres ohne fixiertes Ziel, der von der Kategorie des Fortschritts nicht eingefangen wird. Dieser gern auch ideologisch geführte Streit (man lese die Feuilletons, man achte auf die Verteidiger und Ankläger eines so genannten Regietheaters!) leidet vor allem daran, dass die jeweils verwendeten Begriffe wild durcheinander geworfen werden.

Meistens hat man es mit Argumenten zu tun, die keine sind. Umso erfreulicher der von Christoph Menke und Juliane Rebentisch herausgegebene Aufsatzband "Kunst Fortschritt Geschichte", denn die hier versammelten Beiträge (von Jacques Rancière, Hans-Thies Lehmann, Thierry de Duve u.a.) bemühen sich um Systematik, will sagen: Sie arbeiten (fast immer) an klaren, nachvollziehbaren Begriffen ohne Theorieversatzstückchen zu schillerndem Blendwerk zu verrühren. Man weiß nach der Lektüre, worüber eigentlich gestritten wird, und worüber nicht.

Erkundung des Vergessenen

Peter von Matt dagegen erteilt einem die wohltuende Lehre, dass genaue, möglichst unvoreingenommene Textlektüre immer wieder ungeahnte Schätze zu heben vermag. Seine Essaysammlung "Das Wilde und die Ordnung" erkundet Vergessenes und Übersehenes bei Goethe, Nestroy, Lichtenberg oder Mörike zum Beispiel; die gesammelten Aufsätze entdecken Zusammenhänge und scheuen sich nicht vor Großthesen.

Und auch wenn der Schweizer in Sachen Theater mitunter nicht ganz auf der Höhe der Tatsachen zu stehen scheint (Grillparzer wird durchhaus gespielt auf den deutschsprachigen Bühnen, lieber Herr Professor!), gibt es in diesen elegant geschriebenen Texten viel zu lernen. Über die Beziehung von Tod und Gelächter etwa, oder auch darüber, warum so gern eine bestimmte (Sex-)Szene im "Faust II" (Faust und Helena tun es öffentlich!) unter den Interpretentisch gekehrt wird. Und dass das Spiel nicht der Inbegriff der Freiheit, sondern "lachender Gehorsam" ist, gibt einem nachhaltig zu denken.

 

Kunst Fortschritt Geschichte. Hg. von Christoph Menke/Juliane Rebentisch, Kulturverlag Kadmos Berlin 2006, 254 S., 22,50 EUR.

Peter von Matt: Das Wilde und die Ordnung. Zur deutschen Literatur. Carl Hanser Verlag. München 2007. 293 S., 24,90 EUR.

 

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