Von Mösen und Erpeln

von Katrin Ullmann

Hamburg, 7. Dezember 2012. Wenn es jetzt zu Ende ist, dann ist es auch o.k. Dann ist eine Stunde rum. Dann sind schon einige (viele!) Takte gesagt worden: zu Vater-Sohn-Mutter-Frau-Beziehungen, zu Nuttenarbeit und angemessener Entlohnung, zur Lebenssituation im Allgemeinen und Besonderen, zu krankenden Systemen und ihren Zusammenbrüchen, zu Hierarchien, der eigenen Fremdheit und zu Jeffreys Taufvorhaben.

Bis dahin sind Erich Honecker aufgetreten, Helmut Schmidt und ein Kinderpanzer, wurden Handkameras eingesetzt, Nebelschwaden und ein paar hübsche Krankenschwestern. Viktor Marek hat die Musik dazu gemacht, mit elektronischem Rhythmusgefühl und sizilianischem Charme. Wenn es jetzt zu Ende ist, dann ist es auch o.k. Doch es ist nicht zu Ende. Leider. Noch lange nicht.

Aufbäumender Einfallsreichtum

Das jüngste Stück des viel beachteten und mehrfach ausgezeichneten Dramatikers Oliver Kluck heißt "Männer Frauen Arbeit" und handelt genau davon, was der Titel verspricht. Kluck macht ein riesengroßes Fass auf. Er erzählt jetzt (über 20 Jahre haben wir genau darauf gewartet!) vom Zusammenbruch der DDR, vom unterschiedlichen Geschmack unterschiedlicher Mösen, von Erpeln und Enten, Tankstellen, Nagelstudios und Neubauvorhaben.

maennerfrauenarbeit 560a kerstinschomburg uMan diskutiert über Gott (nicht abgebildet) und die Welt und auch über die DDR: (von links) Hedi Kriegeskotte, Saskia Taeger, Jürgen Uter, Samuel Weiss.  © Kerstin Schomburg

Auch dieses Kluck-Stück ist – nach Warteraum Zukunft (2010) und Leben und Erben (2011) die dritte Auftragsarbeit für das Hamburger Schauspielhaus – eine lose, bunte Textcollage. Regisseur Markus Heinzelmann nimmt sie als solche kompromisslos an und klebt daraus einen ebenso brüchigen wie assoziativen Bilderbogen. Er macht das nahezu aufbäumend einfallsreich, behilft sich mit Video, Mikros und Nebel, mit immerzu neu gebauten Szenen und Musikeinlagen. In seinen gelungeneren Momenten wirkt der Abend wie das Making-of eines Lebens.

Rote Flaggen und gute Musik

Und genau wie im echten Leben gibt es in "Männer Frauen Arbeit" keine klare Handlung, eindeutige Figuren jedoch auch nicht. Mit Old-School-Hornbrille oder schicker Rothaarperücke gekennzeichnet (Kostüme: Gwendolyn Bahr) nähern sich meist mehrere Schauspieler zugleich einer Figur. Klucks Textzuordnungen changieren von "Ganzoben" über "Tochtersohn" bis hin zu ganz viel "ich". Dieses häufig auftauchende "ich" legt die eh schon naheliegende Vermutung noch näher, der 1980 in Bergen auf Rügen geborene Kluck habe in dem Theatertext einige seiner Kindheitstage abgearbeitet. "Ich habe die DDR untergehen sehen, habe das nicht ganz begriffen, war aber fasziniert davon, als das Verfilzte und Vermoderte weggefegt wurde", sagte er vor der Premiere dem Hamburger Abendblatt.

Also werden auch mal DDR-Fähnchen, "Wink-Elemente", geschwenkt und rote Flaggen ausgebreitet. Immerhin wird fast ständig gute Musik gemacht und auch die Schauspieler sind durchweg beachtenswert – Julia Riedler! Saskia Taeger! Samuel Weiss! Die pointierte Applausordnung (Choreografie: Rica Blunck) ist als spätes abendliches Highlight eine Erwähnung wert ebenso wie Viktor Mareks bodenlanges Kleid in Samtschwarz.

Wenn die Aufführung endlich zu Ende ist, sind zwei zähe Stunden rum. Gefühlt waren es vier. Und damit ist dieser Abend zwar ganz bestimmt abendfüllend, aber ganz bestimmt nicht mehr o.k.

 

Männer Frauen Arbeit (UA)
von Oliver Kluck
Regie: Markus Heinzelmann, Bühne: Gregor Wickert, Kostüme: Gwendolyn Bahr, Video: Matthias Huser, Musik: Viktor Marek, Choreografie: Rica Blunck, Dramaturgie: Steffen Sünkel.
Mit: Stefan Haschke, Juliane Koren, Hedi Kriegeskotte, Viktor Marek, Julia Riedler, Tristan Seith, Saskia Taeger, Jürgen Uter, Samuel Weiss.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Aber die Titel der Oliver-Kluck-Stücke sind schon toll: Hier geht's zu Nachtkritiken von Die Froschfotzenlederfabrik (Burgtheater Wien) und Über die Möglichkeiten der Punkbewegung (Volkstheater Rostock).


Kritikenrundschau

Der Abend bliebe für ihn "ein großes Rätsel", sagt Alexander Kohlmann auf Deutschlandradio Kultur (7.12.2012, hier im Podcast). Klucks Stück wirke wie ein "wirrer, unbearbeiteter Strom von Erinnerungen an zwei Systeme", die Kluck in seinem Leben schon mitgemacht habe (die DDR und die heutige BRD). Das alles werde "munter miteinander hin und her geschnitten" und mit allen "Klischeemitteln des deutschen Regietheaters" (z.B. Projektionen, Live-Videofilmerei, Lieder und nackte Haut sowie Winken mit DDR-Fähnchen im Publikum) umgesetzt. Dabei finde Regisseur Heinzelmann durchaus einen "guten Rhythmus" und sorge dafür, dass der Abend "einigermaßen unterhaltsam" ausfällt. "Er reißt mit seinen Bildern ein bisschen was raus, aber mit diesem Text wird das hier nichts". Denn eine erkenntnisstiftende Auseinandersetzung mit der Frage, "ob vielleicht das System, in dem wir uns befinden, in einer ähnlich tiefen Krise ist wie die DDR 1989", bleibe der Kluck schuldig.

Für die Sendung "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (9.12.2012) hat Alexander Kohlmann den Abend auch rezensiert. Die online nachzulesende Kritik endet ebenso ernüchtert wie das Radio-Gespräch am Premierenabend: "Radikal persönlich ist diese Innenschau eines verwirrten Geistes. Und sehr langweilig. Mit einem Seelenstriptease wie diesem, beweist das Theater jedenfalls nicht, dass es auch zu den Problemen der Gegenwart noch etwas zu sagen hat."

Klaus Witzeling schreibt für das Hamburger Abendblatt (10.12.2012): Dieses sei Klucks "bisher persönlichster Text, in dem er sich erbittert seine Verzweiflung über erlebte Benachteiligung (durch die Familie) und Ungerechtigkeit (durch den Staat) von der Seele schreibt, dabei die zentrale Figur eines oft in Monologen sprechenden Ichs aufsplittert: Denn sein Ich ist zugleich das der anderen, die sein Ich formten und zurichteten." Die Regie aber missverstehe diesen "eigentlich 'innerlichen Text' als ein äußerliches Polit-Kabarett, lässt das achtköpfige Ensemble mit viel Perücken, falschen Bärten und Umzügen leidlich 'witzige' Karikaturen mimen." Zudem fehle "ein klarer dramaturgischer Zugriff, der den Text entschlackt und konzentriert".

Auf der Onlineseite der Welt (10.12.2012) führt Klaus Witzeling seine Thesen zu diesem Abend weiter aus. Fazit dort: "Letztlich banalisiert, verharmlost und zersplittert Markus Heinzelmann mit seinem Hyperaktionismus die Stoßkraft dieses überbordenden, von einer wilden Verzweiflung getriebenen Textschubs. Vielleicht könnte ihm die streng musikalische Form eines intensiven, auf das Ich konzentrierten Sprach-Spiels beikommen und die eigentliche Uraufführung bescheren."

"Endloses Aufsagetheater, bei dem die Darsteller reden wie die Quersumme aus Jelinek, Foucault und einem Depressionskranken auf Valium," schreibt Daniel Haas in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (12.12.2012). Wenn man sich in dieser "grauenhaft verquatschten, intellektuell überambitionierten und dabei inszenatorisch komplett unterbelichteten Uraufführung" ästhetisch an irgendetwas habe klammern können, "dann war es der Discjockey". Denn dessen Kreationen konnten sich Haas zufolge hören lassen. Ansonsten "Entblößung und Entblödung", ein verquirrlter Diskursbrei und durch peinlich verunglückte Ironieversuche verursachte Verhöhnung von Opfern totalitärer Systeme.

In der tageszeitung (12.12.2012) schreibt Klaus Irler, ein "ungenießbarer Text" und eine "gescheiterte Inszenierung" kämen hier zusammen. Die Texte drehten sich um "den Untergang der DDR und die Übernahme der Macht durch die Besserwisser aus der BRD". Außerdem um "eine ramponierte Beziehung und die unerfreuliche sexuelle Verfassung der machthabenden Männer". Wie im freien Theater der 1990er-Jahre stünde eine "Leinwand auf der Bühne, die das Geschehen medial doppelt", wie "im Staatstheater der 1990er-Jahre" werde "derbes sexuelles Vokabular auf der Bühne zelebriert um zu schauen, ob das irgendwen berührt". Vielleicht aber müsse man das Stück ganz anders, nämlich als grandiose Attacke auf das Mittelmaß begreifen. Kluck und Heinzelmann würden dann zeigen, dass "das Theater (noch) ein Ort ist, an dem man im großen Stil und mit viel Aufwand danebenhauen kann".

In der Süddeutschen Zeitung (12.12.2012) zeigt sich Till Briegleb zutiefst irritiert von der Inszenierung, die die "Befremdungsmauer" zwischen Bühne und Publikum mit "Selbstschussanlagen von Totschlagwitzen und kläffenden Plattitüden am Laufdraht" verteidigte. Offenbar sei Oliver Kluck vom "Vielschreiben neuer Stücke für zahllose Theater" so erschöpft, dass ihm zur "Wende" nur "noch Phrasen zu Rabattpreisen und Obszönitäten im Dutzend einfallen". Kein "einziger origineller Gedanke" stünde in dieser "verunglückten Satire". Regisseur Heinzelmann aber sei der Text "noch nicht flach genug", weswegen er "Klucks Fabulieren" auch noch "in Laientheater" mit "gehörigem Ausstattungspomp" verwandele. Mit "großem Mitleid" verfolge man in "dieser Geburtsstunde des Humorzwangs" lediglich Samuel Weiss, der als Ministerialbeamter und Ich-Erzähler verzweifelt nach einer Figur in dieser Staffage suche.

 

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