Gedanken zur Rolle des Theaters in und für Europa

von Ingrid Hentschel

Hildesheim, 19. Dezember 2012

1. Europäisches Theater zwischen Lokalität und Globalität

Der Sozialkontrakt, über den Theater sich ihrer öffentlichen und gesellschaftlichen Relevanz und in Bezug auf ihr Publikum sicher sein konnten, ist in Frage gestellt. Die Expansion der Neuen Medien, aber auch Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Kultur, in der Kultur sich als Wirtschaftsfaktor rechtfertigen muss, sowie die Markorientierung der Kulturpolitik sind Ausdruck des gebrochenen Sozialkontrakts und treiben ihn voran.

Aber auch die Einwanderungsgesellschaft, in der wir faktisch leben, stellt Theater und Theaterfinanzierung in einen veränderten Kontext. Kultur- und Theaterförderung verbindet sich zunehmend mit "Aufträgen" an die Künstler, ihre kulturelle, gesellschaftliche Nützlichkeit unter bestimmten Zielsetzungen zu erbringen. Dies nicht nur in lokaler, kultur- und bildungspolitischer, sondern auch europäischer Hinsicht.

Betrachtet man die Ziele der Kulturförderung der EU – vom Programm der Kulturhauptstädte Europas bis zu den zahlreichen Festivals und Kooperationsprogrammen für Künstlerinnen und Künstler – so kann man zu der Überzeugung gelangen, dass die Künste Wesentliches beizutragen haben zur Herausbildung eines so schwierigen Konstrukts wie der europäischen Identität – mag diese nach dem Modell nationaler Identität gedacht oder als Komplexität und Diversität aufgefasst werden. Neben den Massenmedien – vor allem dem Film, der als Wirtschaftsfaktor besondere und herausgehobene Förderung geniesst – wird auch dem Theater eine nicht zu vernachlässigende Rolle im Prozess der europäischen Einigung zugesprochen.

 

2. Oper als Medium der "symbolischen Erzeugung des politischen Raums" in Europa

Theater und Fest spielten und spielen als öffentliche, performativ-theatrale Veranstaltungen in der Entwicklung der europäischen Gesellschaften eine wichtige Rolle. Sie waren an der Konstruktion, aber auch an der Reflexion und Infragestellung kultureller Identitäten Europas beteiligt. Erstaunlicherweise war es die Ausbreitung der Oper im 17. und 18. Jahrhundert, durch die ein "europäisches Bewusstsein" der Höfe und ein gemeinsamer kultureller Raum entstand. Nicht allein die Aufführung von Opern, sondern auch der Diskurs über sie transportierte jenes europäische Bewusstsein, an das die Förderkonzepte der EU aktuell anschließen.

Mit ihren fahrenden Ensembles, die quer durch Europa reisten, trug die italienische Oper seit dem 16. Jahrhundert zum Austausch und zur Verbreitung neuer kultureller Deutungsmuster bei. Einst ins Leben gerufen zur emotional intensivierten musikalischen Vergegenwärtigung antiker Tragödienkonzeptionen, war die musikalische Sprache der Oper dazu angetan, in verschiedenen Ländern rezipiert zu werden. In einzelnen Studien kann gezeigt werden, dass die soziale Reichweite der Oper über die kulturellen Eliten hinaus ging und Elemente einer Popularkultur, die bisweilen bis zur Landbevölkerung reichte, annahm (Ther 2006). Dass sich hier bestimmte Frauenbilder ebenso etablierten wie ästhetische Muster, Bilder und Konzeptionen des Dramatischen mag an dieser Stelle als Hinweis für die kulturelle Deutungsrelevanz dienen.

Theatrale Aufführungen bieten kulturelle Symbolisierungen an und können als Deutungsangebote für die Grundfragen des Lebens, der Gesellschaft und Kultur an die Zeitgenossen verstanden werden. Bis zur Entwicklung der audiovisuellen Medien im 20. Jahrhundert fungierte Theater als Medium der sinnlichen Vergegenwärtigung entfernter Welten. In den Formen, Stoffen und Inszenierungen wurden fremde Körper-, Denk- und Bildkulturen einem jeweils lokalen Publikum übermittelt; Geschichten und Traditionen neu interpretiert und dem jeweiligen Zeithorizont verbunden. Im Zusammenhang mit der Oper bildeten sich auch Metaphern für das "Nicht-Europäische" heraus wie beispielsweise die "Türkenopern" (in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts). So gehört zum Selbstverständnis des "weißen Mannes" auch die Ausgrenzung anderer Hautfarben und Kulturen. Das europäische Selbstverständnis bildet sich über Abgrenzungen und Exklusionen.

 

3. Europas Identität zwischen Hegemonie und Kritik

Betrachten wir Europa nicht allein aus der innereuropäischen Perspektive, sondern in seinem Einfluss auf die gesamte Welt, dann bildet "Europa" heute die Matrix einer wissenschaftlich, technisch und ökonomisch bestimmten Gegenwart. Lokal verankerte Bedeutungen von Religion, Ethik und Ästhetik werden zunehmend an den Rand gedrängt durch die historisch von Europa ausgehende Etablierung eines Weltmarkts mit der Verbindung von Wissenschaft, Technik, Ökonomie und Naturbeherrschung. Europas Identität gründet auf wirtschaftlicher Expansion und Exklusion des Fremden.

Aber Europa war und ist auch gekennzeichnet durch Gegenströmungen und Kritik an dieser Entwicklung. Die Kritik an der europäisch patriarchalen Kultur, am Christentum, am Kapitalismus, an Entfremdung und Naturbeherrschung, an der wissenschaftlichen Rationalität und Abstraktion, an der ökonomischen Expansion nahm von Europa aus ihren Ausgang, man denke an Marx, Nietzsche, Freud, allesamt Konzepte der Selbstkritik europäischer Kultur. Kritik gehört ebenso zum Selbstbild Europas wie die historische und gegenwärtige politische und kulturelle Hegemonie. In Europa entwickelt wurden aber auch Vorstellungen einer Autonomie der Kunst gegenüber religiösen, politischen kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen. Die Freiheit der Kunst, ihr subversives und experimentelles Potential, bildet ein stetes Spannungsfeld mit den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Funktionen von Kunstinstitutionen und der Kulturpolitik.

 

4. Theater als Medium der Etablierung und Kritik kultureller Identitäten
Theater haben in Europa beide Funktionen angenommen: Theater half (und hilft), die jeweiligen Werte zu etablieren, Menschenbilder darzustellen, Emotionen zu formen, und es ist Medium der Kritik an Herrschaft und Gewalt. Es artikuliert die gesellschaftlich opportunen ebenso wie die ausgegrenzten und unterdrückten Elemente der Kultur. Dabei halten sich – im Groben betrachtet – zwei Stränge durch. Theater wird in der Tradition von Vernunft und Aufklärung zur moralischen Anstalt, zur Bildungsstätte.

Auf der anderen Seite bringt es im Gefolge des dionysischen Erbes die dunkle Seite der Kultur, das Irrationale zum Ausdruck, das was sich gesellschaftlich nicht einverleiben lässt. Dazu gehört radikale Herrschaftskritik, anarchische Komik ebenso wie Ekstase, Ritual, Experiment und Grenzüberschreitung. Ein Theater der Rausches, der Visionen, des Traums.

Dieser Strang der Theaterentwicklung droht zur Zeit im Boom der Kulturellen Bildung und der Diskussion um den gesellschaftlichen und bildungspolitischen Auftrag des Theaters unterrepräsentiert zu werden. Der Künstler ist nicht Verstörer und Aufstörer, sondern zunehmend der angestellte Agent in Sachen Bildung und Integration.

 

5. Theatermobilität und Verlust der Lokalität

Flexibilität, künstlerische Innovation und Vielfalt werden zur Begründung einer von kulturpolitischer und künstlerischer Seite diskutierten Auflösung etablierter Strukturen und einer geforderten Etablierung von Produktionszentren angeführt. In der europäischen Szene – wenn wir nicht nur Westeuropa betrachten – ist eine Angleichung von Ästhetiken und Theatersprachen zu beobachten, in der kulturelle Individualität auf der Strecke zu bleiben droht. Inszenierungen werden schon im Hinblick auf die europäischen Festivals und Förderprogramme produziert unter Verzicht auf ihre Heimatsprachen zugunsten des Englischen. Man inszeniert (vor allem in Osteuropa) weniger für ein lokales Publikum als für einen westeuropäisch dominierten Markt (mit der Aussicht anschließend auf einem westlich dominierten globalen Markt reüssieren zu können.)

Der derzeit stark expandierende Bereich der Kreativwirtschaft treibt die Vergesellschaftung einer Eventkultur voran, zu der immer neue ortlose Produktionsteams gehören, Theaterteams, die allzu oft direktiv top-down zusammengestellt werden, in denen die einzelnen Künstler ihre Marktfähigkeit sicher stellen müssen. Die vagabundierende (und was Europa betrifft, grenzüberschreitende) Kulturförderung funktioniert analog zu den Wirtschaftsmodellen und bringt effiziente innovative Produktionen mit beweglichen Ressourcen hervor. Verloren geht möglicherweise das Unverwechselbare, verloren geht Singularität, verloren gehen Verhältnisse, die geprägt sein können von Wechselseitigkeit, gemeinsamen Lernprozessen, von Akzeptanz und Verantwortung, von Lokalität und Kontinuität.

 

6. Theaterlaboratorien als Orte des Austauschs und der Wechselseitigkeit - ohne Auftrag

Theaterlaboratorien sind Orte der Innovation, Orte der Beharrung, des Austauschs, der Kommunikation und der Identität. Hier sind Ensembles länger zusammen als für die jeweilige Produktion. Hier entwickeln sich im besten Sinne Theater als Anthropologische Orte wie Marc Augé sie im Kontrast zu den Nicht-Orten der Einkaufszentren und sinnentleerten urbanen Transitzonen beschrieben hat. Eben nicht multinationale Produktionszentren mit konkurrierenden Probenzeiten und wechselnden Teams.

Anstelle von wirtschaftlichen Modulsystemen wäre Entwicklung zu fördern, anstelle von Projektfinanzierung brauchen wir auch Grundförderungen, anstelle von Effizienzmessungen (beschönigt als Evaluation) Vertrauen in das Experiment und das Publikum, und die Akzeptanz des Scheiterns.

Die kulturpolitische Rhetorik des "Auftrags", die sich jetzt viele Künstler zu eigen machen, mit der inflationären Verwendung der Vokabeln "man", "müssen", "sollen", "überprüfen", "erfüllen" ist kunstfremd. Eine geordnete und gezähmte Kunstlandschaft ist ein Widerspruch in sich. Künste, die aus Intuition und Spontaneität leben, brauchen Chaos. Förderrichtlinien können nicht zum Maßstab werden, seien sie auch noch so gut gemeint. Die Qualität von Theater bemisst sich nicht danach, wie viele Zuschauer aus welchem Stadtteil und welcher Bevölkerungsschicht und Herkunftskultur erreicht werden – auch wenn diese Gesichtspunkte nicht zu verachten sind. Theater dient nicht der Erfüllung von Zielvereinbarungen, sondern der Erforschung des menschlichen Zusammenlebens und der miteinander geteilten Erfahrung. Weil Theater ohne Publikum gar nicht geht, ist für Resonanz gesorgt – auch ohne amtlich bestellte Evaluatoren.

Europa kann sich nicht finden, wenn es – wie Förderprogramme der EU nahelegen – um und in sich selbst kreist: die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist unerlässlich. Theater ist ein geeignetes Medium dafür – die Konfrontation mit dem Fremden gibt es nicht erst seit Brechts Verfremdungsbegriff. Die "Fremden" finden sich bereits im Innern unserer Gesellschaft: sie wohnen schon im Hause. Lassen wir sie ins Theater!

 

ihentschel2Prof. Dr. Ingrid Hentschel lehrt Theater, Kultur und Medien an der Fachhochschule Bielefeld. Sie ist Herausgeberin der Reihen 'Scena – Theater und Religion' und 'Resonanzen. Theater – Kunst - Performance'. Ihr jüngstes Forschungsprojekt beschäftigt sich unter dem Aspekt der Gabe und der Gemeingüter mit den Prozessen von Austausch und Wechselseitigkeit in den bildenden und performativen Künsten. Neben dem Gegenwartstheater bildet die Theaterästhetik für Kinder und Jugendliche ein langjähriges Forschungsfeld.

 

Die nächsten Hildesheimer Thesen, dann von Christopher Balme, erscheinen am 9. Januar 2012.

 

Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de

Alle Hildesheimer Thesen sind im Lexikon zu finden.

Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de

 

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Kommentare  
Hildesheimer Thesen IX: Schönwetterdenken
wie kommt es bloß, dass man schon vor dem lesen weiß, worauf es hinausläuft? wieso langweilt das alles dermaßen? wieso kommt einem das wie das schönwetterdenken vor, von leuten, die krise und not nur aus dem wörterbuch kennen? wieso kann man diese sonntagsreden einfach nicht mehr hören? weil es alles so weit weg von der wirklichkeit DA DRAUSSEN ist, so ahnungslos. und weil solche reden jede gefährlichkeit des denkens vermeiden. es ist so langweilig.
Hildesheimer Thesen IX: Realitätscheck
"Im Zusammenhang mit der Oper bildeten sich auch Metaphern für das "Nicht-Europäische" heraus wie beispielsweise die "Türkenopern" (in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts). So gehört zum Selbstverständnis des "weißen Mannes" auch die Ausgrenzung anderer Hautfarben und Kulturen."

Dazu zwei Realbeobachtungen DA DRAUSSEN am 18.12.2012:

17 Uhr, Berlin Ostbahnhof, Eingangshalle Wartebänke. Ein offenbar wohnungsloser Schwarzafrikaner wird von der Aufsicht von der Wartebank vertrieben.
Eine Frau auf der Bank neben mir, 62, Trainingshose, Plastiktüten, Bierflaschen, übergewichtig: "Alle vergasen, das Gesocks."
Ich: "Sagen Sie mal, haben Sie den Verstand verloren? Wenn das jemand von Ihnen sagen würde?"
Sie: "Geh doch zu Deiner Merkelfotze, Du. Du weißt ja garnicht, wie das da draußen aussieht."
Soviel zu Rassismus, Sexismus und dem Selbstverständnis des "weißen Mannes".

19 Uhr, Buslinie 140, ein jugendlicher Türke setzt sich neben mich:
"Hey, Allder! Was liest' n da?"
Ich: "1. bin ich nicht dein Alter und 2. lese ich Krieg und Frieden."
Er: "Ihr Scheiß Deutschen Ihr, verpisst Euch doch."
Soviel zu: "Die "Fremden" finden sich bereits im Innern unserer Gesellschaft: sie wohnen schon im Hause. Lassen wir sie ins Theater!"
Hildesheimer Thesen IX: überleben inmitten Förderrichtlinien
"Förderrichtlinien können nicht zum Maßstab werden [...]"

Theater unter dem Aspekt von Fördermitteln zu planen und zu gestalten widerspricht auch meiner Auffassung von Theater.
Theater ist für mich u.a. ein Ort, an dem das Leben gesellschaftskritisch in unterschiedlichen Bearbeitungen betrachtet wird - es sollten Ideen, Emotionen, Träume gelebt werden werden können. Leider steht heutzutage nur die "Sinnhaftigkeit", sprich Zielerreichung, im Vordergrund - und ob die Stärkung der europäischen Identität ein erreichbares Ziel ist, sei dahin gestellt.
Wer überleben will, ist angehalten sich diesen Richtlinien (Wir erwartet - ihr liefert) anzupassen und mit zu schwimmen.
Hier fehlt mir ein ursprünglicher Gedanke des Theaters - nämlich verpackte Kritik anzubringen und gegen den Strom zu schwimmen.

Kurz Zusammengefasst: Geld regiert die Welt... leider immer noch und immer wieder und überall
Hildesheimer Thesen IX: zu viele Fässer
Worum geht es hier denn eigentlich?
Frau Hentschel macht in ihren Thesen nicht nur einen riesigen historischen Abriss über Theater in Europa (oder eher doch "nur" Deutschland?), sondern bringt dies auch noch mit einer Auseinandersetzung mit inner- und außereuropäischer Identität in Verbindung. Da werden nach meiner Einschätzung tatsächlich viele Fässer aufgemacht, ohne Umzufüllen oder einen neuen Deckel drauf zusetzen. Denn ihre Beobachtungen sind allesamt interessante Ansätze, denen man auch zustimmen kann. Allerdings ist die Schlussfolgerung, auf Theaterlaboratorien und Experimente zu setzen, ist tatsächlich ziemlich allgemein formuliert und erscheinen mir wie "marthe" schon sagt, als "Sonntagsreden".
Wie kann das oben als "Schönwetterreden" von der "Rolle des Theaters in und für Europa" genannte in eine "Gefährlichkeit des Denkens" transformiert werden?
Auf zukunftsträchtige, europäische Theaterreformen trifft man in dem Beitrag nicht so richtig, da haben andere Beiträge in der Reihe schon ein wenig konkretere Vorschläge gehabt. Vielleicht sollten die Referent*innen zukünftig in die bereits vorhandenen Beiträge schauen, um die Diskussion zu vertiefen und über bereits formulierte Thesen hinauszugehen?
Hildesheimer Thesen: Europa durch's Theater einigen?
"Neben den Massenmedien – vor allem dem Film, der als Wirtschaftsfaktor besondere und herausgehobene Förderung geniesst – wird auch dem Theater eine nicht zu vernachlässigende Rolle im Prozess der europäischen Einigung zugesprochen."

Europa durch das Theater zusammenzuführen und bei der eigenen multikulturell zusammengesetzten Gesellschaft anzusetzen dabei, ist ein schöner Gedanke. Doch Theater wird immer noch zumeist in der Landessprache gespielt und verstanden, greift Probleme auf, die die eigene Stadt, das eigene Land, die eigene Identität innehaben und ist daher seltenst exportfähig.

Auf internationalen Theaterfestivals wird dies aufgebrochen, werden Stücke in den Gastländersprachen gespielt und teils verstanden, teils nur in Methoden und Probeweisen analysiert. Theater international zu machen, bedeutet, die Stücke auf eine europäische Gesamtsprache, im Zweifelsfall Englisch zu heben und damit den barrierefreien Zugang des Publikums zu ermöglichen. Übersetzte Stücke werden oft sinnentleert.

Weiterhin sind Förderrichtlinien der EU in Stipendienprogrammen und Fördervereinen, bei denen sich junge Theatermacher_innen bewerben, immer inbegriffen und werden eingehalten, um die Kosten eigener Projekte decken zu können. Dies gibt aber der Arbeit auch eine gewisse Struktur und ist nicht komplett zu verachten - wie man mit Strukturen umgeht und ob man sie bearbeitet, steht jedem frei. Die Kunst als unfrei darzustellen, ist hierbei misslungen. Sobald Geldgeber eingebunden sind, stehen Künstler_innen in Abhängigkeitsverhältnissen und können somit gar nicht "frei" produzieren, wie man es utopisch gerne denken möchte.
Hildesheimer Thesen IX: Festivals und ländliche Regionen
Ich stimme Koala zu...Theater "europafähig" zu machen ist schwierig.
Allerdings sehe ich auch die Bereicherung und die Möglichkeiten gerade durch beispielsweise internationale Theaterfestivals. Für Teilnehmer internationaler Projekte wird es durchaus auch Kommunikationsprobleme geben, allerdings auch die Möglichkeit interessanter Begegnungen, Horizonterweiterungen, der Abbau von Vorurteilen und Ängsten vor dem Fremden.

Ich durfte erleben, dass gerade Bewohnern ländlicher Regionen, die sonst kaum einmal ihr Dorf verlassen, ein solches Theaterfestival eine unglaubliche Bereicherung bietet. Und Erfahrungen, die man gesondert solcher Projekte kaum erleben darf.
Der direkte Austausch mit anderen Formen des Theaters und anderer Kulturen lässt einen Europa doch viel intensiver erleben, als es als Tourist je Möglich ist.

Ob internationale Projekte dem Theater dienlich sind, bleibt zu Hinterfragen, doch an den Beteidigten wird es nicht spurlos vorrüber gehen.
Hildesheimer Thesen IX: Wiedererkennen des Anderen
Zu Punkt 2: "So gehört zum Selbstverständnis des "weißen Mannes" auch die Ausgrenzung anderer Hautfarben und Kulturen. Das europäische Selbstverständnis bildet sich über Abgrenzungen und Exklusionen."
Sollte ich den Europagedanken richtig gefasst haben, geht es eben nicht um Ausgrenzung, sondern Menschen zusammenzubringen und deren Gemeinsamkeiten aufzudecken. Ein Wiedererkennen im Anderen.
Dazu das Institut für Demoskopie Allensbach i. A. d. Bertelsmannstiftung (http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-77555097-2523C932/bst/xcms_bst_dms_29096_29097_2.pdf)
"Sich als „Europäer“ zu identifizieren, ist für viele Zuwanderer eine Möglichkeit, der Entscheidung für bzw. gegen eine Identität zu entgehen: „Europäer“ ist eine übergeordnete Identität, für die man sich entscheiden kann, ohne die Herkunftsidentität oder die deutsche Identität zu negieren"
Dies ist als Chance zu verstehen, auf ein nächstes Level zu kommen. Ein Level, das wir auch in unseren begrenzten Überlegungen zur Hochkultur immer wieder ignorieren. Sollte uns nicht viel mehr die Kultur der ganzen Welt interessieren? Als allerersten sind wir nämlich, frei nach Nathan dem Weisen, Menschen. Und wenn die Strömungen des Theaters und sämtlichen anderen Sparten immer mehr in Richtung Interdisziplinarität, Auflockerung der Strukturen, Globalisierung, Zusammenwachsen geht, warum sollte es dann nicht möglich sein eine Internationale oder gar Interkontinentale Theaterszene zu begründen? Wenn Bildung durch Kultur, doch dann auch von Allen lernen.
Hildesheimer Tesen IX: interkulturellen Kontext betonen
Ich frage mich allerdings, ob wir Theaterpolitik wirklich im Kontext des Europäischen Raumes betrachten sollten. Es ist bestimmt wichtig, eine sogenannte "europäische" Identität mit in die Analyse einfließen zu lassen. Es aber ist es in unserer so globalen Welt doch viel wichtiger, den interkulturellen Kontext zu betonen, ohne sich von dem Begriff Europa eingrenzen zu lassen. Viele sind unzufrieden mit dem Begriff europäische Identität - der Einzelne ist als erstes in seiner Region verhaftet, dann erst Bürger der EU. Schade also, dass diese Projekte sich angleichen im hinsichtlich der Konzeptsausrichtung auf Förderungsprogramme und dem globalen Aspekt anstatt den Besuchern das Lokalcolorit näher zu bringen bzw. die Region mit einem fremden aber unverwechselbarem identitätsschaffenden Programm zu besuchen. Vielleicht sollte die Kulturpolitik genau hier Anreize, mit der Förderung von genau diesem, schaffen.
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