In der Hölle des Büros

von Rainer Nolden

Trier, 22. Dezember 2012. Jeder weiß ein Lied von ihnen zu singen, von den Kriechern, Katzbucklern und Stiefelleckern, von den Intriganten, Gutmenschen und Friedensstiftern am Schreibtisch gegenüber oder im Zimmer nebenan, mit denen man mehr Lebenszeit verbringt als mit der Familie. Das Büro als literarischer Topos ist nur wesentlich jünger als der Arbeitsplatz an sich; von seiner Ödnis berichteten Dichter und Dichterinnen wie Erich Kästner, Mascha Kaléko und Irmgard Keun, Marcel Aymé ("Ein Mann geht durch die Wand") oder, ganz frisch in den Buchläden, der schlicht "Das Büro" betitelte Roman des Niederländers J. J. Voskuil.

Fünf Typen rückgratlos

Die Autorin Ingrid Lausund befand sich also in guter Gesellschaft, als sie vor zehn Jahren mit ihrem bösen Bürostück "Bandscheibenvorfall" an die Öffentlichkeit trat. "Rückgratverkrümmung" hätte es zwar exakter getroffen, aber streng genommen haben die drei Männer und zwei Frauen nicht einmal mehr etwas, das verkrümmt werden könnte.

Es sind vordergründig mehr Stereo- als originelle Typen, von Yvonne Wallitzer in gleichmachende Grautöne gekleidet, die Lausund im Trierer Theater an die Schreibtische setzt, was uns Zuschauern die Identifikation mit den eigenen Kollegen natürlich enorm erleichtert (oder vielleicht sogar mit uns selbst, wenn man mal so richtig ehrlich sich selbst gegenüber wäre). Da ist der smarte Karrierist (Jan Brunhoeber), der Kaffeeküchen-Casanova (Tim Olrik Stöneberg), die intrigante Zicke (Sabine Brandauer), die patente Kollegin (Vanessa Daun) und die arme Sau (Klaus-Michael Nix).

bandscheiben 1705 560 marco piecuch u"Bandscheibenvorfall" in Trier: Büromenschen einen Kopf kürzer gemacht oder anders vom Chef versehrt.  © Marco Piecuch

Wo im Büro der Hammer hängt

Regisseur Anatol Preissler lässt jedem seiner Angestellten genügend Raum zur Entfaltung seiner / ihrer charakterlichen Macken. Und je nach Bedarf bildet das ungleiche Quintett neue Bündnisse und Koalitionen, wobei sie alle der Wunsch eint, dem Kollegen zumindest eine Sprosse beim Aufstieg voraus zu sein – oder, viel schöner noch, es dem Chef, der in Gestalt eines ordinär blökenden Rotlichts seine Untergebenen zum Rapport zu sich befiehlt, mal so richtig zu zeigen. Doch jedes Mal, wenn sie aus seinem Büro zurückkehren – mit einem Messer im Rücken, zum Narren oder einen Kopf kürzer gemacht, das Gesicht verloren, was durchaus wortwörtlich zu verstehen ist – war es natürlich der Boss, der ihnen wieder mal gezeigt hat, wo der Hammer hängt.

Das droht in der ersten Stunde stellenweise ins Klamottige abzudriften, hätte hier und da auch einen Rotstiftstrich vertragen. Überdies scheint Preissler der Wirkung der Vorlage nicht recht zu trauen, denn er hat bei Schlagern, Soulmusik und Musical gewildert mit dem Versuch, das Stück aufzupeppen. Die Songs und Chansons bringen die Handlung zwar nicht wirklich voran, den Schauspielern aber (vor allem Daun und Nix) zusätzlichen Applaus ein.

Aus Typen werden Charaktere

Doch dann, im zweiten Teil, knickt die Handlung unvermittelt ab ins Tragische, und die fünf Typen werden zu runden Charakteren, die aus ihrer Bürorolle fallen und in fünf langen Monologen einen anrührenden Seelenstriptease hinlegen. Da stürzen, in eher traumartigen Sequenzen, reihenweise Fassaden ein, Sehnsüchte und Wünsche werden offenbart und deren Unerfüllbarkeit mehr oder weniger resigniert eingestanden. Und dennoch schimmert da, etwa bei Brunhoebers smartem Sonnyboy, wider besseres Wissen die verwegene Hoffnung durch die Gitterstäbe der Alltagsroutine, dass das wohl doch nicht alles gewesen sein kann.

Die von Neonlicht grell beleuchtete Bürohölle hat Karel Spanhak als sterilen Raum ohne irgendeinen Bezug zu irgendeiner Außenwelt gestaltet. Die roten Türen rechts und links machen nicht den Eindruck, als ob sie Fluchtwege in die Freiheit wären. In diese geschlossene Gesellschaft der Angestellten dringt Privates nur als Behauptung, niemals als Beweis ein. Die Existenz zirkelt um Kugelschreiber, Karriereknicke und Kaffeeküche. "Ein Abend für Leute mit Haltungsschäden" ist dieser Bandscheibenvorfall untertitelt. Das klingt nach schenkelklopfender Komödie.
Welch ein Irrtum!

 

Bandscheibenvorfall
von Ingrid Lausund
Regie: Anatol Preissler, Kostüme: Yvonne Wallitzer, Bühnenbild: Karel Spanhak.
Mit: Sabine Brandauer, Jan Brunhoeber, Vanessa Daun, Klaus-Michael Nix, Tim Olrik Stöneberg.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause.

www.theatertrier.de

 

Mehr zu Ingrid Lausund: zuletzt besprachen wir die von der Autorin selbst ausgerichtete Uraufführung von Tür auf Tür zu im November 2011 in Duisburg.

 

Kritikenrundschau

"Ein richtiges Drama" sei das nicht, "was Autorin Ingrid Lausund geschrieben hat", meint Dieter Lintz im Trierischen Volksfreund (24.12.2012), "eher eine Folge von Szenen sehr unterschiedlicher Dichte." Stark sei der Abend da, "wo er das Geschehen ins Absurde treibt", doch "das Problem dieses Schauspiels ist, dass es – anders als etwa die Stücke von Yasmina Reza – zu wenig Substanz für einen ganzen Theaterabend hat". Anatol Preissler habe das "erkannt und versucht, mit allen handwerklichen Mitteln eines versierten Theatermachers das Manko zu kompensieren", so würden "die Stilmittel der Groteske lustvoll ausgespielt", das Tempo werde "variiert und das Publikum erlebt radikale Stimmungswechsel". Für ein Lustspiel aber "reichen die Pointen nicht, für eine Revue fehlt die musikalische Prägnanz, für eine Tragikomödie mangelt es an Tiefenschärfe."

 

mehr nachtkritiken