Gefahr-Bar - Eine postpopkulturelle Jam-Session von Nicolas Stemann und Band an der Schaubühne Berlin
Endstufe Kunst
von Esther Slevogt
Berlin, 22. Dezember 2012. Am Beginn werden Getränke verteilt: Wodka, Orangensaft und am Anfang auch noch Rotwein. Doch den dürfen später nur noch die Akteure trinken, die jetzt noch zwischen einem Sammelsurium aus Instrumenten, alten Möbeln und Lampen, sowie einem nicht unerheblichen Kabelsalat umhergehen und -stehen. "Gefahr-Bar™" heißt die erste Ausgabe dieses Unternehmens an der Berliner Schaubühne, eine Art postdramatische und irgendwie auch postpopkulturelle Jam-Session des Regisseurs Nicolas Stemann und seiner Band, der ja, wie man weiß (u.a. aus seiner berühmten Kölner Jelinek-Inszenierung Die Kontrakte des Kaufmanns) auch ein ziemlich guter Livemusiker ist.
Das richtige im falschen Leben
Aus der Gedanken- und Bilderwelt dieser Inszenierung ist auch dieser flüchtige Abend gegriffen. Nicht nur, dass Stemann an dessen Ende noch einmal das berühmte rote Abendkleid überstreift und Falcos Herz-Schmerz-Hymne "Jeannie" singt. Auch die menschengroßen Tiere, die erst via kriseliger Videoeinspielung (Benjamin Hartlöhner) über der Szene auf dem Berliner Kurfürstendamm herumirren und irgendwie zwischen Schaubühne und Gedächtniskirche nach den Resten von Kultur im Konsum suchen, und später dann die Bühne entern, (wenn die Menschen sie verlassen haben) – also, auch ihnen sind wir schon begegnet. 2009 in Köln waren es Wölfe und Schafe. Nun sind es Menschenaffen und ein deutscher Adler.
Wieder geht es um die berühmte Frage, was ist echt, was nicht. Gibt es in all dem falschen Leben irgendwo noch ein richtiges? Wohin ist die Welt überhaupt abhandenkommen, zwischen all den Bildern, die es von ihr gibt. Und der Mensch erst Recht. Kann uns die Musik überhaupt retten, die ja selbst schon so vom Markt vereinnahmt ist. Aber das Herz, das auch vom größten Kitsch ganz unmittelbar getroffen wird: es ist ja doch immer noch echt!
Achtung! Tiere in der Gefahr-Bar.
© Arno Declair
Scheiß Marktgesetze
Und so nehmen die Musiker an ihren Instrumenten Platz, Stemann am Flügel, Thomas Kürstner und Sebastian Vogel (die u.a. auch den Kölner Kaufmann-Soundtrack komponierten) an Schlagzeug und E-Gitarre. Kürstner trägt ein Gedicht vor, eine melancholische Dada-Fantasie über unsere gottverlassene Gegenwart. Später tritt Sebastian Vogel als Gott leibhaftig in Erscheinung, um den Mangel zu erläutern, den seine Existenz permanent produziert. Stemann singt ein Lied über die Liebe, die vielleicht das einzige ist, das uns noch retten kann. Alles andere ist längst untergegangen.
Auch die Schaubühne, obwohl wir uns jetzt noch in ihr befinden. Aber dieser Dezemberabend, das ist ein Termin zwischen Weihnachten und dem (knapp verpassten) Weltuntergang, den der Mayakalender prognostizierte. Und so surfen die Musiker um Stemann zwischen Mayaweltuntergang und der Biene Maja singend, jaulend, herzschmerzdichtenderweise durch die Abgründe unserer Gegenwart.
Auf einem Sofa hinten räkelt sich der Schauspieler Tilmann Strauß im Mozart-Rüschengehrock und mit Schlingensief-Strubbelfrisur. Er wartet auf seinen Auftritt als Künstler Hans Hall, der dann zwei (von Kürstner und Vogel verkörperten) Kritikern die Bedeutungsschichten seiner letzten Oper zu erläutern versucht und dabei so lange Ebene für Ebene abträgt, bis nichts mehr von dem Werk übrig ist. Die Kunst ist eben auch schon längst nicht mehr, was sie mal war. Scheiß Marktgesetze eben! Und Scheiß Urheberrecht auch.
Künstler mimen
Später sehen wir Strauß dann in schrillen, wechselnden Garderoben in der Show "Deutschland sucht den Superkünstler" wieder, wo er diverse Künstler von Jonathan Meese bis Richard David Precht mimt, die sich vor einer Jury verrenken, die aus Peter Handke, Elfriede Jelinek und Heidi Klum besteht. Klum, das lässt er sich natürlich nicht nehmen, spielt Stemann mit Blondperücke selbst. Aber da hat sich der Abend schon längst im Geplänkel verloren. In nicht besonders originellen Karikaturen unserer Gegenwart. Nur wenn sich Stemann, Kürstner und Vogel an die Instrumente setzen und ihr nicht unerhebliches Können präsentieren, da ist man gewiss: noch ist die Kunst nicht tot und Rettung vor den Heillosigkeiten dieser Welt immer noch möglich. Schließlich ist ja morgen auch Weihnachten.
Gefahr-Bar™
Konzert und Lesung
Von und mit: Nicolas Stemann, Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Claudia Lehmann und Tilmann Strauß. Video: Benjamin Hartlöhner, Licht: Erich Schneider.
Dauer: ca. 85 Minuten, keine Pause
www.schaubuehne.de
www.schauspiel-leipzig.de
Alles über Nicolas Stemann auf nachtkritik.de im Lexikon.
Der Abend fange stark an, meint Stefan Kirschner in der Berliner Morgenpost (24.12.2012), "aber Stemann und seine Mitstreiter können das Niveau nicht halten." Die Parodie "Deutschland sucht den Superkünstler" ziehe "sich endlos hin". Aber das Schöne an dem Konzept der "Gefahr-Bar" sei, "dass das Programm jedes Mal überarbeitet wird. Im Januar kann der Abend also schon wieder ganz anders aussehen."
Einen "ganz schweren Fall von Eitelkeit" (und Peinlichkeit auch) diagnostiziert Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (24.12.2012). Denn aus Seidlers Sicht liefert dieser Abend schwere Indizien, dass Stemanns "Narzissmus langsam ins Selbstüberschätzende kippt". Früher dachte dieser Kritiker immer, "dass der Regisseur Nicolas Stemann in seinen Inszenierungen große Auftritte mit Unerschrockenheit selbst bestreitet", weil er damit einen "lustigen bühnen-therapeutischen Selbstversuch" unternehme, "bei dem es gilt, die Verklemmtheit zu überwinden". An dem Abend fand Seidler denn auch nichts interessant und das meiste laienhaft: "und zwar so betont laienhaft und improvisiert, dass im Publikum die zahlreichen Schauspieler, die mit Stemann gearbeitet haben oder gern arbeiten würden, ganz laut lachen müssen über ihren Regisseur. Und um anzuzeigen, ja Nicolas, wir haben die Ironie dieser Veranstaltung verstanden. Also die Ironie, die darin besteht, dass das alles total überflüssig und peinlich ist. Also vielleicht nicht allen peinlich."
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Und die Offenlegung eines "Serbien"-Selbstmarketings holt einen sich über der Welt schwebend wähnenden, erklärten Großdichter Peter Handke aus allen sieben Wolken der selbstgewissen Lebenslügen der sich bis in alle Ewigkeit spitze findenden Babyboomer-Generation auf den harten Boden der Realität der eigenen Erbärmlichkeiten.
Genauso treffend zeigt sich der Opportunismus eines Richard David Precht, der geschmeidig in seine Performance einarbeitet, was die Kulturgremiumspinsel dieser Welt zu hören wünschen.
Beim Komponisten-Feuilleton-Interview haben zwar alle über die zugegeben extrem platte Künstlercharge gelacht, aber eigentlich ging es vielleicht doch eher um den gewöhnlichen Kulturjournalisten inkl. aufgeblasenem Proseminar-Sprech eigener Dichtung, was in der Berichterstattung - das glaube ich gern - höflich übergangen wird. Vielleicht fand die Rezensentin den Abend auch wegen solcher Spitzen nicht so lustig.
Aber hier und da plätscherte es, das finde ich auch, tatsächlich wie eine laue Harald Schmidt-Late Night-Show später Tage oder sonst wie TV-Comedy - manchmal auch ein bisschen peinlich wie beim gemeinsamen Weihnachtslieder singen - vor sich hin, und Heidi Klum - in dieser Weise - als Schlampe zu bezeichnen, deutet zumindest, auf recht dumpfe Ressentiments des Regisseurs hin, doch gab es immer wieder auch ganz großartige Momente, z.B. wenn es sich u.a. bei einem Günther Grass-Bild trotz Bart (!) selbstverständlich NICHT (!) um eine Mohammed-Karikatur handele. Gott bewahre! In diesen Momenten brachte der Abend tatsächlich große, drängende Probleme mühelos und mit absolut minimalstem Aufwand auf den Punkt, und dann wurde es plötzlich auch sehr still.
Das Musikalische fand ich jetzt nicht so zentral oder hervorhebenswert wie die Rezensentin. Auch wenn Stemann sich selbst sicherlich ziemlich gut darin findet, liegt das wohl eher daran, dass so etwas in der Sprechtheaterwelt und aufgrund der Sozialisation der meisten Rezipienten wohl schon als elaboriert gilt.
Alles in allem ein sehr schönes Format und ein über weite Strecken gelungener Abend mit noch Luft nach oben, dessen thematische Setzung und tiefere Bedeutung aber selbstverständlich nur eine Rauchkerze ist, um ein Unterhaltungsprogramm zu rechtfertigen und professionelle Theaterrezipienten - augenscheinlich erfolgreich - in die Irre zu führen.
kleiner hinweis: im schwarzwald wird nicht schwäbisch gesprochen...sondern badisch und hochdeutsch..ich verbitte mir diesn rassismus..und sie haben eines vergessen: berlin ist eine internationale, weltoffene stadt geworden...dieses permanente sächsisch-berlinerisches-abgrenzungsphobie-gehabe ist fehl am platz..gehen sie zurück nach halle!! oder greifswald,oder vielleicht auch nur nord-köpemick...oder woher auch immer sie kommen..und behalten sie bitte ihren berliner-slang für sich..der hat auf der bühne genausowenig oder -viel zu suchen..wie türkisch-deutsch, denglisch, bayrisch, österreichisch, hollänndisch oder was auch immer...jeder SCHNAUZE sollte ihre berechtigung haben...die welt gehört allen!! -- übrigens war es ein toller abend...
diese wird - absolut ausserhalb des theaters - praktiziert.
da muss keiner mit zu enger lederjacke kommen und mir für 15 euro was von kunst-kritik daherklimpern. hallo? morgen ist 2013 und es finden echt
geile sachen statt. bekloppt! das rentner mit pipi in der hose und kurierfahrer die den rucksack noch umhaben , sich über lustige, ja so moderne musik, inkl. kulturkritik einen abholen können ist doch klar.
die idee: kein rassismus bitte und kunst ist für alle da, ist auch eine grosse kaka.
es muss verantwortungsvoll ausgewählt werden was öffentlich gezeigt wird.
es ist ein theater was eine tante an die kasse setzt, die gelder klar macht.
dafür muss eine qualität gewährleistet sein, damit nicht nur grinsende ökos, au waja rasssismusss, sozialpädagogen und studenten sich amüsieren. es darf nicht ständig über amüsement und leicht verdaulichkeit gehen, sonst werden wir gar nix erfahren. es bleibt hohl.
auf dem jamarkt geh ich ja auch nicht in die geisterbahn um diese als politikgrundlage abzulatschen oder gar etwas über gewalt an schulen zu erfahren.
mein gott - theater - pass auf das wir nicht verblöden.
(Kommentar Nr. 7 verstößt nicht gegen unsere Veröffentlichungskriterien. Gedankliche oder stilistische Qualität gehört nicht zu diesen Kriterien, obwohl sie natürlich alles andere als unerwünscht ist. Mit freundlichen Grüßen, die Redaktion)