Die Legende vom Glück ohne Ende - Nils Düwell inszeniert Plenzdorf in Greifswald
von Dirk Pilz
Greifswald, 1. Dezember 2007. Es gibt eine Szene, die das Gegenteil dessen beweist, was dieser Abend seinen Zuschauern sonst drei Stunden lang unterstellt. Eine kurze, prägnante, auch berührende Szene. Eva-Maria Blumentrath steht in ihr barfüßig und schulterhängend vorn an der Rampe. Auf ihren Lippen ein stummer Schrei, in ihren Augen kämpft das Entsetzen mit der Fassungslosigkeit. Und ihre Hände erzählen mit einer einzigen Bewegung alles, was geschehen ist und noch kommen mag.
Eine Szene, in der Blumentrath ihre Paula erleben lässt, wie Paulas Kind von einem Taxi überfahren wird. Das Publikum hält förmlich die Luft an, darf endlich einmal mehr als ein Füllhorn von Klischees und Drolligkeiten sehen, darf fühlen, denken, nachempfinden, ohne von der Bühne das Fühlen, Denken und Nachempfinden verordnet zu bekommen. Man könnte auch sagen: eine Szene gehaltvollen Theaters. Der Rest dagegen ist eher halbgare Mischung aus Musical, Liederabend und plumpen Publikumsbespaßungsversuchen. Wie traurig das ist, und wie müde das einen macht.
Das war mal mehr als ein erfolgreicher Filmstoff...
Es geht an diesem Abend übrigens um jene Liebesgeschichte nach dem Roman "Legende vom Glück ohne Ende", mit der der im August verstorbene Ulrich Plenzdorf (hier ein Nachruf) den Schmerz- und Sehnsuchtspunkt der mittleren DDR getroffen hat, weil sie erstens die real existierenden Verhältnisse nicht verheimlichte und sie zweitens subtil zu kritisieren verstand, ohne – drittens – in widerständlerisches Parolentum zu verfallen, sondern schlicht und einfach Menschen in ihren Um- und Zuständen zeigte, weshalb diese Geschichte viertens nach wie vor ihre Triftigkeit behalten hat, ganz abgesehen davon, dass es einfach eine schöne Liebesgeschichte ist.
Ihr erster Teil, "Die Legende von Paul und Paula", fand als Film von Heiner Carow 1973 den Weg in die Kinos, ihren zweiten hat Plenzdorf sechs Jahre später dem Roman hinzugefügt. Erzählt wird darin von einer Paula, die über Um- und Unwegen zu ihrem Paul findet, bei der Geburt des gemeinsamen Kindes aber stirbt, was Paul in große Trauer stürzt, aus der er erst erwacht, nachdem er Laura trifft, die er für seine tote Paula hält. Am Ende ist Paul querschnittsgelähmt und das Rätsel der Paul-und-Paula-Liebe nicht gelöst, sondern vergrößert. Denn Plenzdorf hat mit dieser Geschichte auch über das Sein und Nichtsein der einen großen Liebe im Leben gemutmaßt, die als Legende so wahr wie unwahr ist.
... nämlich Spiegel der Allerweltsleben
Auf der Bühne des Theaters Vorpommern in Greifswald wird daraus ein Kostümspiel mit Sangeseinlagen. Diese Lederwesten und Nylonschürzen, die Bügelfalten und rosa Hemden! Und die Frisuren erst. Ach ja, damals. Und die Puhdys waren so schlecht nun wirklich nicht: "Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht". Der Titelsong aus dem Film, viel wird er eingespielt und leider auch von Schauspielern geträllert, die aus gutem Grund keine Sänger geworden sind. Aber zum Mitsummen und Schluchzen taugen die Songs allemal.
Neben der Liebesstory ist es also zu nicht geringen Teilen ein DDR-Memory-Spiel, das hier heruntergerissen wird. Regisseur Nils Düwell gibt sich dabei alle Mühe, die Zuschauer dort abzuholen, wo er sie vermutet: im Vorgestern. Entsprechend auch die überzogene Spielweise seiner Schausteller. Hannes Rittig als Paul hält seine Figur im Würgegriff der Überidentifikation, Pauls erste Frau muss viel breit berlinern und schmollmundig schauen, seine Arbeitskollegen haben kreischende Trottel zu sein. Nur Blumentrath leistet erfolgreich Widerstand gegen eine Plattmacher-Regie und schenkt ihrer Paula Anflüge von Anmut und die Konturen eines Charakters.
Nichts als kuscheln, schluchzen, schwelgen
Sonst jedoch hat Düwell alles auf Stumpfsinn (die Rollstuhlfahrerwitze!, oh Gott) und Schenkelklopferei (DDR-Fernsehen-Wiedererkennungsgags!, meine Güte) getrimmt. In einem dem alten Theatercafé nachempfundenen Raum, an das laut Pressemittelung viele Greifswalder mit "positiven Erinnerungen" denken. Es sind Erinnerungen an die gute alte DDR. Und damit hat diese Inszenierung vor allem zu tun: mit dem Aufbrühen seligen Gedenkens. Man muss dabei gar nicht von Verklärung, Nostalgie, Verdrängung sprechen; dieser Abend hat keinen Begriff von Geschichte. Er will nichts als Schluchzen und schöne Gefühle produzieren. Dass er sich dafür aber die DDR als Projektionsfläche nimmt, belastet ihn mit dem Vorwurf, das Brett an der vermeintlich dünnsten Stelle zu bohren.
Und weil er jedes historische Bewusstsein verweigert, macht er aus der Vergangenheit eine Legende – auch zum Schaden der vorgetragenen Liebesgeschichte. Sie sieht selbst nur noch wie ein konstruiertes und darum nicht glaubhaftes Märchen aus, weshalb man sich nicht einmal in Identifikation verlieren darf. Bis auf diese eine Szene, in der Paula den Tod ihres Kindes erlebt. Sie ist die Ausnahme von den Regeln eines Theaters, das dem Zuschauer schlichteste Vergnügungssucht und gedankenlose Erinnerungsseligkeit unterstellt.
Legende vom Glück ohne Ende
Spiel nach dem gleichnamigen Roman von Ulrich Plenzdorf
Regie: Nils Düwell, Bühne: Susanne Thomasberger, Kostümer: Christine Becke, Musik: Andreas Murnau, Choreografie: Sabrina Sadowska.
Mit: Eva-Maria Blumentrath, Hannes Rittig, Anke Neubauer, Heide Kalisch, Christian Holm, Jörg F. Krüger, Markus Voigt, Sabine Kotzur, Hans-Jörg Fichtner, Andreas Kohl.
www.theater-vorpommern.de
Kritikenrundschau
In der Rostocker Ostsee-Zeitung (4.12.2007) jubelt Dietrich Pätzold über das "Spiel vom aufrechten Gang" und empfiehlt "Unbedingt ansehen!" Das Publikum habe "seiner Begeisterung lauthals Luft" gemacht, wohl vor allem deshalb, "weil die Inszenierung sich nicht damit begnügte, selbstgefällig in der ostalgischen Kuschelecke mitzuseufzen, wie schön 'wir' doch alle damals in der DDR geliebt (oder wenigstens geträumt) haben". Statt "liebgewordene Bilder nochmal zu bebildern", zitiere Regisseur Düwell zwar auch den Film, befreie aber den Text aus "den Zwängen dieses Kults", spiele ihn bis zum letzten Satz hinter dem Blochs Utopie vom aufrechten Gang unausgesprochen stehe, und präsentiere ihn "in einer sehr frischen, fesselnden Aufführung". Darüber blühe das Schauspielensemble auf "wie lange nicht mehr".
Etwas zurückhaltender gibt sich Johannes Schaaf im Neubrandenburger Nordkurier (3.12.2007). Ulrich Plenzdorf habe seine Geschichte seit dem Kinoerfolg von 1973 nicht mehr losgelassen: "Die Glückssuche, der Furor bedingungsloser Liebe, die Sehnsucht nach dem Ausbruch aus der grauen Alltagswelt im Bewusstsein der Größe ‚Ich’". Regisseur Nils Düwell "setzt das Spiel temporeich in Szene und lässt den Darstellern Improvisationsspielraum". Hannes Rittig als Paul führe "beinahe chaplinesk vor, wie ein angepasstes Leben nach den Körpern greift". Eva-Maria Blumenrath als Paula setze "ihr "Alles oder Nichts" dagegen". Zu den von Plenzdorf vorgeschlagneen Liedern und der Filmmusik der Puhdys klatsche der Saal mit. Verhaltene 70er-Jahre-Manier färbe die Geschichte auf Wiedererkennbarkeit. "Aber ob die Augen wirklich aufgegangen sind?", fragt Herr Schaaf zuletzt.
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Grüße
Kemmenich
weinen sah ich niemand, von Jubel würde ich auch nicht sprechen. Aber gelacht wurde durchaus, wenn auch nicht auf allen Plätzen. Nur heißt das nicht, dass es nicht auch gefallen hätte, wenn es nicht (fast durchweg) so DDR-drollig gewesen wäre, denke (und hoffe) ich.
Herzlich, D.Pilz
Oder waren das für Sie alles notorische DDR-Nostalgiker?
Die Inszenierung hält sich an die Fassung, die von Ulrich Plenzdorf mit dem Ensemble des Theaters in Schwedt 1983 erarbeitet wurde. Die Premiere war ein großer (überregionaler) Erfolg. Die DDR-Geschichte des Stücks endet also nicht mit der Absetzung am DT.
Die Lieder hat der Autor für die Dramatisierung geschrieben, also für Schauspieler (die singen nun mal anders als Sänger. Gott sei Dank!). Sie waren ihm äußerst wichtig: Durch die Lieder wird der Bezug der (konkreten) Bühnenhandlung zum Allgemeinen hergestellt. Nicht nur das macht den Stoff auch heute noch interessant.
Dass die Story in der DDR der 70er Jahre spielt, ist nun mal Fakt, und es ist mir nicht einsichtig, warum Düwell hier Änderungen vornehmen sollte.
Das Ensemble und die Regie haben das Stück in Greifswald gegen etliche Widerstände („unspielbar“, „nostalgisch“) auf die Bühne gebracht. Dafür verdienen sie unseren Dank!
Die Interpretation der Lieder „Alt wie ein Baum“ und „Geh zu ihr“ (Text: Ulrich Plenzdorf, Musik: Peter Gotthardt) ist durch die Puhdys nicht ausgereizt, nur weil sie so „schön“ singen. Sie haben es verdient, als eigenständige Lieder betrachtet zu werden.
Ich wünsche der Inszenierung viele Zuschauer, das Greifswalder Theater kann sie gebrauchen!
Ute Lubosch
Lieber Herr Pilz: Leider nur Leser und Künstler erwähnt, nicht das Publikum - jeder lebt in seiner Welt.
Ohne zur Übertreibung zu neigen kann man davon sprechen, dass alle Darsteller wohl überdacht an die Darstellung ihrer Figuren gingen, eine äußerst ansehenswerte Leistung in jeder Hinsicht darboten.
Aber bei den vorangestellten Kritiken scheint man darüber einig zu sein, dass die Aktrice Eva-Maria Blumentrath eine doch besondere Ehrung verdient hat. Entnimmt man diesen Ausführungen ein paar Aussagen und reiht sie aneinander, so kann man folgendes wohl hervorheben:
"Eine kurze, prägnante, auch berührende Szene, …steht in ihr barfüßig und schulter-hängend vorn an der Rampe,… auf ihren Lippen ein stummer Schrei, in ihren Augen kämpft das Entsetzen mit der Fassungslosigkeit, und ihre Hände erzählen mit einer einzigen Bewegung alles, was geschehen ist und noch kommen mag, …das Publikum hält förmlich die Luft an,... darf fühlen, denken, nachempfinden, ohne von der Bühne das Fühlen, Denken und Nachempfinden verordnet zu bekommen,…man könnte auch sagen: eine Szene gehaltvollen Theaters,…Eva-Maria Blumenrath als Paula setze "ihr" Alles oder Nichts dagegen."
Ich meine, besser kann man das Geleistete nicht umschreiben. Danke Eva-Maria!