Vom Glücksanspruch des Einzelnen

von Esther Slevogt

Berlin, 10. Januar 2013. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ausgerechnet Armin Petras das passiert ist, der als Autor und Regisseur sonst so vehement auf das Individuum und sein Recht auf das eigene, unentfremdete Leben besteht: dass ausgerechnet ihm der Lapsus unterlief, zu glauben, allein die mediale Verbreitung mache ein Schicksal bereits zum Allgemeingut, aus dem man sich bedienen könne, ohne sich mit denen ins Benehmen zu setzen, die dieses Schicksal erlitten, oder, wie in diesem Fall, überlebten: mit den Schicksalsinhabern also.

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zweiter Teil © Bettina Stöß
Diese Vermutung zumindest legt die Tatsache sehr nahe, dass Petras offenbar gar nicht erst der Gedanke kam, mit Teresa Enke in Verbindung zu treten, als er als Fritz Kater die Tragödie ihrer Familie zum Material eines Theatertextes machte. Eines Theatertextes, der so stark von der Präsenz der Geschichte Robert Enkes im kollektiven Gedächtnis lebt, dass beim Zuschauen und -hören während der Premiere sofort die inneren Bilder dazu abrufbar waren: Enke, der sein krankes Kind mit dem Schlauch in der Nase und der gelben Fußballjacke 2006 durch das Stadion trug zum Beispiel. Man möchte hier gar nicht erst juristisch zu argumentieren beginnen, wer eine Person öffentlichen Interesses ist und wer nicht, wer also das Selbstbestimmungsrecht über die Verwertung seiner Geschichte reklamieren darf und wem dieses Recht verweigert wird.

Der Anspruch des Dramatikers

Denn just dieser Anspruch, das Schicksal des Einzelnen samt seinem Glücksanspruch gegen die Vergesellschaftung zu behaupten, ebenso wie das Leben des Einzelnen gegen die Entfremdung durch politische oder wirtschaftliche Interessen, dieser Anspruch durchzieht geradezu leitmotivisch Armin Petras' gesamte künstlerische Arbeit. Seien es die Stücke, die er als Fritz Kater schrieb – besonders Heaven (zu tristan) oder zeit zu lieben zeit zu sterben –, seine Romanadaptionen (wie Rummelplatz) oder die Steinbeck-Adaption Die Früchte des Zorns. Immer begegnen wir in diesen Arbeiten kleinen und größeren Leuten, die um ihre Autonomie, ihre Rechte, um ein selbstbestimmtes Leben ringen. Und die nicht selten in und von diesem Kampf aufgerieben werden.

Aufschlussreich ist unter anderem auch eine Danksagung am Ende des Stücktextes: "thanks to" heißt es da, und dann folgt eine Aufzählung von Informations- und Inspirationsgebern. Künstler sind hier grundsätzlich mit Namen genannt, "eichendorff, novalis, paul celan, wolfgang borchert". Es taucht aber, neben "den menschen in den demenzstationen in bernau und friedenau", auch der "sportlerbiograf vom torhüter" auf. Warum gesteht der Künstler Petras bzw. Fritz Kater nur den Künstlerkollegen eine mit Namen bezeichnete Individualität zu, begegnet also nur ihnen auf Augenhöhe? Fürchtet er im Fall des Enke-Biografen Ronald Reng (oder gar der Enkes selbst), die Profanität des Wirklichen könne sich irgendwie nachteilig auf seine Kunst auswirken? Hätte ein Anruf bei Teresa Enke am Ende die Namensnennung nicht möglich gemacht? Das sind Fragen, die man plötzlich hat.

Das eigene, mediale Weltbild befragen

Kann es sein, denkt man auch, dass Petras noch nie wirklich zum Gegenstand der Betrachtung gemacht hat, woraus eigentlich sein eigenes Weltbild zusammengesetzt ist? Dass vielleicht auch er längst weniger von den Dichtern (wie er glaubt oder hofft) als von den Medien geprägt und (fern)gesteuert ist? Müsste er also nicht dringend einmal sein Medienverständnis befragen, dem er nun offenbar so unschön auf den Leim gegangen ist? Beziehungsweise dem blinden Fleck, den sein Selbstbild scheinbar in diesem Kontext hat? Petras konnte bislang immer sehr glaubhaft machen, er erzähle von den Menschen jenseits der medialen (ideologischen oder wirtschaftsgesteuerten) Benutzeroberflächen, als die heutzutage Wirklichkeit sich immer brachialer und undurchdringlicher präsentiert. (Weshalb man es als genuine Aufgabe des Theaters bezeichnen muss, diese Benutzeroberflächen zu dekonstruieren!)

Und nun hat Petras das Recht eines Einzelnen übersehen, der just an den Bedingungen dieser Wirklichkeit zu Grunde ging. Und wollte doch dessen Geschichte sichtbar machen! Von der bösen Ironie ganz zu schweigen, dass es gerade die Bild-Zeitung war, die ihn an das Eigentumsrecht eines Menschen an seiner Biografie erinnern musste. Man traut sich kaum, das aufzuschreiben. Aber die Fragen stehen im Raum.

 

Mehr lesen? Hier eine Zusammenfassung der Kommentare der Printkollegen.

 

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Kommentare  
Kommentar Enke-Stück: Zwang zur Erregung
Kann es sein, dass die Rundum-Berichterstattung und mediale Ausschlachtung des privaten Schicksals von Robert Enke in allen Medien des Landes und unter tätiger Mithilfe der Enke-Erben und ihrer Berater, die Folie für die theatralische Rekonstruktion eines längst schon öffentlich "verwohlfeilten" Hochleistungssportler-Schicksals ist? (vgl. auch die jüngst vorgestellte aber im Gegensatz zu Robert Enkes Tod kaum diskutierte Studie über die psychischen und körperlichen Überforderungen der staatlich geförderten Hochleistungssportler in Deutschland.) Kann es also sein, dass der inkrimierte Text entschieden weniger kommerziellen Zwecken dient als die - pardon - Enke- Aufmacher der üblichen Zeitungen und der anderen Medien, ganz abgesehen von der unsäglichen Stadion-Zeremonie in Hannover und den, grob geschätzt, fünfzig Talk-Aufregungsrunden und Betroffenheitszirkeln? Darüber könnte man doch auch einmal nachdenken. Ich will gar nicht erst damit anfangen, dass unter dem dreiteiligen Text von Kater der Begriff des Mythos (besser: der "Mythen des Alltags")lagert und also die Texte damit in einen Blickwinkel gerückt werden, der zumindest mitgedacht werden müsste. Denn von einem "Mythos Enke" zu sprechen, dürfte wohl doch leider höchst angebracht sein. Dass die Familie Enke Entscheidungen in ihrem Sinne fällt, ist so genauso undiskutierbar, wie die künstlerische Verarbeitung allgemein zugänglichen Materials über eine zeitgeschichtliche Person auch jedem freigestellt ist. Es ist nichts da, worüber diskutiert werden müsste, folglich muss diskutiert werden, der Zwang zur Erregung ist groß in diesem Lande.
Kommentar Enke-Stück: Leider keine Einigung
Was ich an der ganzen Sache traurig finde, ist, dass es offenbar nicht möglich ist zu einer Einigung zu gelangen, was bedeutet, dass dieses tolle Stück (ich hatte das Glück, die Premiere zu erleben), wenn überhaupt, frühestens im Mai wieder zu sehen ist.
Kommentar Enke-Stück: welche Einigung?
@2 es leichtes gewesen, die witwe, den verlag usw. über das vorhaben zu informieren, sie rechtzeitig um ihre zustimmung zu ersuchen. und wenn petras, wo er ein haus zu leiten hat, gleichzeitig außerhaus inszeniert, sich unter fremdnamen als autor versucht (vor allem für das eigene haus), es womöglich auf grund seiner beruflichen belastung nicht schafft, einen anruf zu tätigen, einen freundlichen brief zu schreiben, dann hätte dieses zumindest sein chefdramaturg für ihn tun können. von welcher einigung sprechen Sie also?
Kommentar Enke-Stück: Gorki-Information
@jens:
"VORSTELLUNGSÄNDERUNG: Keine weiteren Vorstellungen von Demenz Depression und Revolution.
Da leider bisher keine weitere Stellungnahme von Frau Teresa Enke vorliegt und somit keine Einigung erzielt werden konnte, zeigen wir statt der Vorstellung von "Demenz Depression und Revolution" am 10. März die unlängst mit dem Friedrich-Luft-Preis gekürte Vorstellung "Die Räuber" nach Friedrich Schiller. "
Kommentar Enke-Stück: niemand ist dem Gorki verpflichtet
@2@4 nochmal: weder Frau Enke, noch der biograf, noch der verlag stehen dem gorki-theater gegenüber in irgendeiner pflicht. das von Ihnen zitierte "leider" zeigt demnach auf, dass die leitung des hauses bis heute nicht begriffen hat, warum das spiel untersagt wurde. im übrigen lässt sich derartiges vermeiden, indem man a) tatsächlich literarische texte spielt oder b) sich mit der eigenen biografie auseinandersetzt, wie es beispielsweise joachim meyerhoff macht.
Kommentar Enke-Stück: kein Verbot
@jens: das spiel wurde nicht untersagt. das gorki will erst eine einvernehmliche einigung mit und eine erlaubnis von frau enke haben, obwohl es das meines Wissens rechtlich gesehen gar nicht bräuchte.
Im Stück "Was ihr wollt- der nackte Wahnsinn" durfte zuletzt auch Frau Kampusch nachgespielt werden.
Bei Personen der Zeitgeschichte ist das soweit ich weiß möglich - oder täusche ich mich da?
Kommentar Enke-Stück: wohin?
Wo sind denn all die anderen Kommentare hin?

(Werter Klaus,
welche meinen Sie? Vielleicht die unter einem anderen Text? Z.B. die unter dieser Meldung?
http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7616:maxim-gorki-theater-verzichtet-voraeufig-auf-enke-teil-im-stueck-demenz-depression-und-revolution&catid=126:meldungen
Beste Grüße,
Anne Peter / Redaktion)
Kommentar Enke-Stück: spätes Einvernehmen
@6 #einvernehmlich#, wieso wird dieses Einvernehmen nicht vor der Inszenierung hergestellt?
Kommentar Enke-Stück: nicht nur für Juristen
Frau Enke hat gerichtlich erwirkt, daß sie nicht länger als Person der Zeitgeschichte
in dem Veröffentlichungen von Privatem betreffenden Sinne behandelt werden darf.
Zweifelsohne ist das aber nicht nur eine Frage für Juristen; die Postings 1 und 3 weisen da in jene Richtung, welche auch die (in meinen Augen sehr besonnenen - in der Mehrzahl) Kommentare des Vorgängerthreads/der Vorgängerthreads weitgehend
leitete, auch wenn § 1 hier sogar noch ein wenig weiter geht in der Kritik.
Kommentar Enke-Stück: gleiches Recht für alle
armin petras ist intendant am maxim gorki theater. er schreibt unter dem pseudonym fritz kater theatertexte, die er am eigenen haus spielen laesst oder selber auffuehrt. text fritz kater, regie armin petras. fuer eines seiner stuecke benutzt armin petras die biografie eines fussballspielers. der fussballspieler ist tot, da er von einem zug ueberfahren worden ist. zusammen mit der witwe des fussballspielers hat ein biograf ein buch ueber das leben des fussballspielers verfasst. dieses buch hat armin petras benutzt, um unter dem namen fritz kater eine szene zu einem stueck an seinem eigenen haus zu schreiben. die witwe und der biograf und der verlag, der das buch des biografen veroefftlicht hat, sind nicht befragt worden, ob es fuer sie in ordnung ginge, dass armin petras ihr textmaterial benutzt. das textmaterial ist in dem land, in dem die witwe, der biograf und armin petras leben, durch eine gesetzliche regelung besonders geschuetzt. wuerde armin petras ein eigenes buch schreiben, zum beispiel ueber fritz kater und dessen verdienste als dramatiker, dann duerfte weder die witwe, noch der biograf, noch sonst irgendwer dieses buch als vorlage fuer ein theaterstueck nutzen, ohne die ausdrueckliche genehmigung des autors selbst. als fundament einer zivilisatorischen ordnung gilt der grundsatz: gleiches recht fuer alle.
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