Draußen vor der Tür - Volker Lösch ernüchtert das Publikum mit Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama
Mangelnder Schillerfaktor
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 25. Januar 2013. Nicht Schmetterlinge, sondern Hühner, ganze Hühner hat der Oberst (Ulrich Hoppe) in seinem Bauch, in den man hineinschauen kann, denn er ist nicht mit Haut, sondern mit transparenter Plastikfolie bespannt. Und in den Taschen hat er auch welche, die wirft er den dunklen Gestalten in zu weiten Mänteln hin, die sich wie die Spatzen drum balgen. Dann plötzlich einen Chor formieren und dem mit seinen gesunden, weißen Zähnen an einem weiteren Brathuhn reißenden, schmatzenden Dickwanst ihr Leid zu klagen beginnen.
Sie schildern unter anderem einen grausigen Traum, in dem Tote mit schrecklichen Wunden wiederauferstehen und wilde Musik spielen. Oder sich zusammenrotten, so wie sie, die Erzählenden, selbst, und "donnernde, drohende, dumpfe Sprechchöre" von sich geben. Drohend klingt das alles nicht, aber dumpf wohl, und hilf- und ratlos. So dass der Oberst, der eine Weile verblüfften Blicks zugehört hat oder auch nur abgewartet, selbst donnern muss: "Was wollt ihr eigentlich von mir?"
Unter Leisetretern
Ja, stimmt eigentlich. Was wollen die eigentlich. Oder der, Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrer Beckmann, der bei Regisseur Volker Lösch in dieser Szene als Chor auftritt, was macht der eigentlich diese vielen Worte. Was lässt er sich eigentlich zu Anfang des Stücks von der Elbe, in die er sich in Selbstmordabsicht hat fallen lassen, wieder ans Ufer transportieren und nimmt seinen Lebensfaden noch mal auf. Bei Volker Lösch wird Beckmann (Sebastian Nakajew) noch zusätzlich vereinsamt, indem ihm manche von Borcherts Figuren als Masse, also als Chor begegnen. Er steht verzweifelt schwitzend zwischen ihnen herum, gliedert sich auch mal ein, spricht mit und fällt dann doch immer wieder heraus, macht sich wieder alleine auf den Weg auf dem überdimensionalen Frottierhandtuch in Deutschlandfarben, das die gesamte Bühnenfläche bedeckt. Kein Wunder, dass Beckmann hier nur Leisetretern über den Weg läuft.
Er könnte sich, selbst wenn er wollen könnte und wollte, nicht mit ihnen gemein machen, denn er hat den Anschluss verloren an den Mainstream der Verdrängung, der bei Borchert diskret im Hintergrund rauscht.
Mainstream der Verdrängung
Lösch hat ihn verstärkt, ihm eine eigene Diskursebene gewidmet, indem er Beckmanns Niedergang mit Texten aus "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" von Sönke Neitzel und Harald Welzer durchsetzt hat. Diese Protokolle dokumentieren abgehörte Gespräche zwischen deutschen Kriegsgefangenen des 2. Weltkriegs in von Briten und Amerikanern eingerichteten Lagern.
Inszeniert sind die Einwürfe von Lösch als plakative Illustration der Banalität des Bösen: So feilt einer der Schauspieler sich die Nägel, während er berichtet, wie so eine Massenexekution funktioniert. Ein anderer poliert seine Stiefel und geilt sich an der Erinnerung an ein "prächtiges Judenweib" auf. Schade, dass sie den Erschießungen zum Opfer fiel, aber, auch nicht zu verachten, die Mordaktion hat ihm die doppelte Ration Verpflegung beschert.
Matt
All das kommt merkwürdig matt daher. Es ist wenig Bewegung auf dem Bühnenhandtuch, meistens wird arrangiert herumgestanden. Von Theaterzauber keine Spur. Dem spricht ja aber auch Wolfgang Borchert, liest man ihn sehr wörtlich, sein Vertrauen ab, indem er ihn als individuelle Verdrängungsdroge eines unsympathischen Kabarettdirektors vorkommen lässt. "Das schillert nicht genug", sagt der zu Beckmann, der sich auf Anregung des hühnerfressenden Oberst als Schausteller bei ihm beworben hat und dem beim Vorsingen aber natürlich nur ein Lied der Hoffnungslosigkeit über die Lippen kam.
Widerspruch
Und die Aneinanderreihung von Verpuffungen, die dieser Theaterabend bis dahin gewesen ist und auch weiter, fast bis zum Ende sein wird, wird einem sehr sympathisch in ihrer Uneitelkeit. Volker Lösch führt vor, wie das ganze Theater nichts bringt. Nach 90 Minuten Borchert/Protokoll-Melange ist das Publikum ausgenüchtert. Das könnte es gewesen sein, gar nicht schlecht, doch halt: wir sitzen immer noch drinnen im Warmen. Draußen kommt nun herein zu uns. In Gestalt eines echten Veteranen, der sich zunächst von der Geschichte, die hier gerade gelaufen ist, abgrenzt – mit der Wehrmacht und den Nazis und auch Beckmann habe er nichts zu tun – und dann zu einem kurzen, konzentrierten, berührenden Appell anhebt, ihn und seinesgleichen nicht auszugrenzen, das Gespräch mit den traumatisierten Kriegsheimkehrern zu suchen, sozusagen: Borchert nicht nachzuspielen.
Einerseits vertraut Lösch uns, den Zuschauern, offenbar so sehr, dass er anderthalb Stunden Theaterzeit, ja, verschwendet hat, um einer Realität, die uns alle angeht, die Bühne zu bereiten und uns in die Verantwortung zu ziehen. Andererseits traut er uns noch nicht mal zu, aus dem Theater alleine nach draußen vor die Tür zu finden. Da ist ein Widerspruch.
Draußen vor der Tür
von Wolfgang Borchert, mit Texten aus "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" von Sönke Neitzel und Harald Welzer
Textfassung: Volker Lösch, Stefan Schnabel
Regie: Volker Lösch, Chorleitung: Bernd Freytag, Bühne: Carola Reuther, Kostüme: Cary Gayler, Dramaturgie: Stefan Schnabel, Maja Zade, Licht: Erich Schneider, Sounddesign: Stefan Pinkernell.
Mit: Johanna Geißler, Moritz Gottwald, Ulrich Hoppe, Sebastian Nakajew, Felix Römer, David Ruland, Leoni Schulz und Andreas Timmermann-Levanas.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.schaubuehne.de
Eine andere Version von Wolfgang Borcherts berühmtem Nachkriegsdrama inszenierte David Bösch 2012 am Bochumer Schauspielhaus. Luk Perceval setzte 2011 am Thalia Theater Hamburg 2011 Draußen vor der Tür als Popkonzert in Szene.
"Ist das gutes Theater? Nein." – schreibt Andreas Schäfer im Berliner Tagesspiegel (27.1.2013). Dennoch empfiehlt er "unbedingt" den Besuch dieser Inszenierung. Zwar sei es wie immer bei Lösch: "Wirkenwollen durch Chor und den inszenatorischen Holzhammer". Aber es sei diesmal auch anders: "Denn erstens stehen dieses Mal keine Echt-Menschen, sondern Schauspieler auf der Bühne, und zweitens sind ihre Geschichten so unerhört und beklemmend, dass man die derbe Vermittlung über weite Strecken ausblendet". Lösch habe Gespräche deutscher Soldaten aus dem Buch aufgenommen, "die davon erzählen, wovon Beckmann schweigt: Was im Krieg passiert ist." Das Unerhörte ist für den Kritiker "der nonchalante Ton" mit dem über die verübten Kriegsgreuel wie "auf einer Party am Küchenbuffet" gesprochen wird. "Dass die Schauspieler bei Lösch dabei effekthascherisch die Stiefel putzen oder wie in der Jugendherberge unter der Decke liegen", kann der Wirkung aus Schäfers Sicht nichts anhaben.
"Das Gewissen plagt Beckmann wegen elf Kameraden, für deren Tod er sich verantwortlich fühlt. Was er ansonsten so erlebt hat im Krieg, bleibt in der Schwebe" schreibt Ulrich Siedler in der Frankfurter Rundschau/Berliner Zeitung (28.1.2013). Diese Leerstelle werde in der Inszenierung des gesellschaftskritischen Theaterklempners und Laienchorleiters Volker Lösch gefüllt, indem Lösch Protokolle der Gespräche deutscher Kriegsgefangener in den Borchert-Text hineinmontiert. Der Zuschauer werde einer Doppelperspektive auf die Geschichte ausgesetzt, "zu der vielleicht die eigene Familiengeschichte gehört, also er selber": eine Integrationsaufgabe, die seelische Wunden aufreiße und den Preis ahnbar mache, den es kostet, Soldaten in welchen Krieg auch immer zu schicken. "Aber dann dieses Lösch-Theater! Man kommt kaum zur inhaltlichen Teilnahme, weil man von der operettenhaften, pathetischen, plakativen Brachial-Ästhetik immer wieder abgestoßen wird."
Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama mit Dokumentarmaterial zu collagieren, ist eine gute Idee, findet auch Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (28.1.2013). "Lösch weiß den Kontrast zwischen den zwei Textebenen aber leider nicht zu nutzen." Wichtiger als die "kraftlose 90-Minuten-Inszenierung" sei ihr Epilog. Allerdings frage man sich, "ob die Schaubühnen-Dramaturgie von allen guten Geistern verlassen ist, wenn sie die Verbrechen der Wehrmacht und die Auslandseinsätze der Bundeswehr so umstands- wie gedankenlos parallelisiert."
"Die andauernde Flut grausamer Erinnerungen, die Beckmann umtreibt, wird in dieser Aufführung durch akustische Verzerrungen und Verfremdungen verstärkt, die schließlich dessen Welt komplett erfüllen", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.1.2013). Doch den bisherigen Status als gequältes Individuum verliere er hier als freudiger wie austauschbarer Bestandteil eines mörderischen, grau uniformierten Kollektivs. "In kraftvollen, beklemmend dichten Szenen denkt diese Masse Mensch, oft im Chor sprechend, brüllend, flüsternd, nicht ohne Stolz an ihre Greueltaten zurück." In seiner locker am Stück orientierten Inszenierung gelängen Volker Lösch überzeugende Bilder für Beckmanns chronische Albträume. "So komplex und bedrückend die Thematik, so leicht und fast beschwingt setzt sie Volker Lösch um." Es sei diese kunstvoll trügerische Unbeschwertheit, die der Aufführung ihre Wirkung verleihe. Die "agitatorische Wendung" am Ende verlängere die Inszenierung unerwartet dramatisch ins Heute und werfe, "gewollt oder ungewollt", erneut Fragen auf: "Und was verschweigt jetzt dieser Soldat auf der Bühne? Denn mit sauberen Händen ist kein Krieg zu machen."
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Sie schreiben, wenigstens würden wieder Schauspieler und keine Echt-Menschen auf der Bühne stehen. Abgesehen von dieser so typischen und immer gleichen Lösch-Inszenierung, schlägt aber leider wieder das Schaubühnen-Problem durch: die Schauspieler. Wie da in letzter Zeit gesprochen, agiert, "gespielt" wird, einfach fürchterlich. Dann schon lieber "Echt-Menschen".
http://www.berliner-zeitung.de/kultur/mali-einsatz-humanitaere-interventionen-sind-eine-chimaere,10809150,21557570.html
Was heißt denn „meine Bundeswehr" ist das nicht? Wessen Bundeswehr ist es dann? Die von Frau Merkel? Auch wenn Sie nicht CDU gewählt haben, sind Sie immer noch Bürger der BRD. Und wenn Ihnen Auslandseinsätze, in welcher Art auch immer, nicht gefallen, dann müssen Sie eben dagegen protestieren und politische Mehrheiten dagegen sammeln. Ich sage nicht, dass ich Auslandseinsätze gut finde, und sehe genauso wie Sie die Problematik, wem nützen die außer der Zivilbevölkerung noch. Ich hatte hier irgendwann schon einmal die Frage aufgeworfen, warum wurde in Libyen interveniert und in Syrien bis heute nicht? Das gleiche kann man sich nun auch zu Mali fragen. Es geht aber gar nicht so sehr um diese Frage in der Lösch-Inszenierung, sondern darum, was genau da im Krieg eigentlich passiert und was danach verdrängt wird. Das ist damals und heute durchaus ähnlich. Nur das heute gelegentlich doch etwas herauskommt. Auch weil die mediale Beobachtung viel größer ist, und es im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg auch kritische Stimmen zu den Kampfeinsätzen gibt. Sie können das auch gerne anhand des viel bemühten Tucholsky-Zitates: „Soldaten sind Mörder.“ diskutieren. Einschlägige Urteile nach Klagen aus Reihen der Bundeswehr gibt es ja dazu. Das zweite Problem ist dann, was macht die Gesellschaft mit ihren Rückkehrern aus solchen Kampfeinsätzen? Die waren ja freiwillig da, heißt es dann. Was zumindest die Regierung und die Bundeswehr selbst nicht davon endbindet, sich um ihre ehemaligen Soldaten zu kümmern. Aber nicht einmal das passiert, wie wir erfahren haben. Das der Veteran sich nun an die Öffentlichkeit wendet und nicht wie Beckmann in „Draußen vor der Tür“ an den lieben Gott, ist doch nur allzu verständlich. Also es ist eine etwas kompliziertere Gemengelage, in der man nicht einfach die Verantwortung hin- und herschieben kann. Natürlich wäre die einfachste Lösung: keine Kampfeinsätze, dann auch keine Täter und keine Opfer. Diplomatische Lösungen sind immer besser, aber dazu braucht es den entsprechenden Einfluss und politischen Willen. Aber mit wem genau wollen Sie in Mali verhandeln? Haben sie Christof Wackernagels verzweifelte Hilferufe an „liebe Bundeswehr“ in der Talkshow bei Anne Will gehört. Der Mann ist heute sicher relativ unverdächtig, Kriege zu schüren und noch daran zu profitieren, egal was er früher gemacht hat. Ich bin jetzt nicht so sentimental und zart besaitet, dass ich da sofort das Nachdenken einstelle und für Kampfeinsätze plädiere würde, aber im Grunde zahlen wir in Europa alle für die jahrelangen Waffenlieferungen in Krisengebiete, indem wir uns nun mit den Ergebnissen auseinandersetzen müssen.
Ausserdem, was machen Sie mit denen, welche "die Handlung vollziehen", aber eben gerade nicht auch dafür einstehen? Ein Befehl ist auch eine Handlung. Nehmen wir die Kundus-Affäre. Bundeswehr-Oberst Klein gab den rechtswidrigen Befehl, die entführten Tanklaster zu beschießen, wodurch vor allem auch unschuldige Zivilisten ums Leben kamen. Und was passiert? Dieser Oberst wird nun auch noch zum General befördert. Warum wird er stattdessen nicht komplett vom Dienst suspendiert? Und wäre es nicht die Aufgabe des Verteidigungsministers, darüber zu entscheiden?
@ Stefan: Mit "meine Bundeswehr" meinte ich, dass ich nicht die Entscheidungsbefugnis über Auslandseinsätze habe, wie der Verteidigungsminister. Trotzdem kann ich als Bürger natürlich gegen Auslandseinsätze protestieren, keine Frage.
Ebenso wichtig finde ich die Frage, was mit traumatisierten Soldaten geschieht. Es soll ja schon Fälle gegeben haben, wo diese nicht mehr von ihrem Tötungslevel heruntergekommen sind und infolgedessen Menschen in ihrem alltäglichen Umfeld angegriffen haben. Und wir wissen auch, dass die "liebe" (?, siehe Christof Wackernagel) Bundeswehr die hohe Anzahl traumatisierter Soldaten gern unter den Tisch fallen lässt, sprich: verdrängt. Nicht ohne Grund?
Und was meinten Sie jetzt mit diesem Begriff "trotz schwarz-rot-goldenem Grund"?
lesen Sie eigentlich auch die Kritiken oder nur die Kommentare? Lösch lässt auf "schwarz-rot-goldenem Grund" spielen. Bitte sehen Sie sich das Stück an. Danach können Sie sicher weiter diskutieren, ohne das man alles näher erklären muss.
Konnten Sie sich denn wirklich ohne negative Konsequenzen gegen den Auslandseinsatz entscheiden? Und warum tun das dann nicht alle Soldaten? Nur mal so als utopische Möglichkeit gefragt.
@ Stefan: Klar lese ich auch die Kritiken. Okay, ich assoziiere mal ein wenig. Es gibt ja diesen Ausspruch von Willy Brandt, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Und? Was haben "wir" jetzt? Nichts gelernt aus den Verbrechen der Vergangenheit. Und als Politiker Verantwortung zu übernehmen, auch das wird heutzutage offenbar von der Mehrheit im Bundestag abgelehnt. Selbst die ach so transparenten Piraten spielen da eine Doppelagentenrolle, ich spreche von Bernd Schlömer.
Löschs Inszenierung auf einem schwarzrotgoldenen Schlachtfeld geht drastisch in die Fama der Einmaligkeit dieser Geschichte. Lösch holt Oberstleutnant a. D. Andreas Timmermann-Levanas auf die Bühne, der nach einer ISAF-Mission in Afghanistan in der bundesrepublikanischen Indifferenz für sein Schleudertrauma gar nichts adäquat Respondierendes fand. Vielmehr drückte man sich vor ihm und schrieb ihn ab/krank. (Eine Gesellschaft drückte sich vor ihren eigenen Konsequenzen.) Man stellte den Veteranen der Pathologisierung anheim – und Pathologisierung von Verhalten entspricht einer Stigmatisierungsstrategie. Das ist ganz groß in der Schaubühne zu sehen - und schlägt direkt ein in der Magengrube des Begreifens. Wir kommen nicht voran, die Geschichte bleibt ein Alptraum.
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/01/30/under-dem-teppich/
Für so fix halte ich die Idee einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gar nicht und über den völkerrechtlichen Status des Krieges gegen den Terrorismus, den die USA ausgerufen und den der UN-Sicherheitsrat auch legitimiert hat (Resolution zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus), einstimmig übrigens, lässt sich natürlich trefflich streiten. Strittig sind dabei vor allem das Recht der USA auf Selbstverteidigung und der NATO-Beitrittsfall. Sowie die Frage, ob eine humanitäre Intervention, die nicht in der UN-Charta verankert ist, wie z.B. im Kosovo tatsächlich völkerrechtlich zulässig ist (Souveränitätsrecht). Knackpunkt ist dabei, was passiert bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und wer definiert deren Vorliegen, siehe aktueller Fall in Mali. Das ist mittlerweile zum Spielball im UN-Sicherheitsrat geworden, wenn z.B. Sanktionen gegen bestimmte Staaten, wie z.B. Syrien, von den Vetomächten blockiert werden. Fakt ist aber, die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan wie im Kosovo sind allesamt durch UN-Resolutionen legitimiert. Die Frage ist aber, ob, und da kommt die gesamtgesellschaftliche Verantwortung ins Spiel, und wie lange das deutsche Volk es noch zulässt, dass seine Vertreter im Bundestag die Verfassung außer Kraft setzen, und bewaffneten Auslands- wie Inlandseinsätzen zustimmen. Insoweit haben wohl Sie, wie auch Herr Krieger nichts Unwahres behauptet.
Die Formulierung "(a) der Einsturz von zwei Hochhäusern" ist an Menschenverachtung und Zynismus nicht zu überbieten und verbietet jede weitere Diskussion. Ansonsten ist Ihr Beitrag so voll von Unwahrheiten, dass es Stunden dauern würde, alle aufzuzählen.
PS: Wenn Sie das Wirkungsprinzip einer parlamentarischen Demokratie nicht verstehen, sollten Sie sich vielleciht auch einer Aussage dazu enthalten.
Und bevor Sie hier ein thematisch wirklich nicht passendes Intellektuellenbashing betreiben, sollten Sie genau lesen. Ich habe den Begriff der "utopischen Möglichkeit" mit Bezug darauf verwendet, dass sich schon längst ALLE Soldaten gegen einen aus ihrer Sicht problematischen Einsatzbefehl hätten wenden können. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht sieht das dann aber wohl nochmal ganz anders aus. Berufssoldaten machen ja wohl leider alles freiwillig, und - da haben Sie wohl Recht - der Hauptgrund dafür wird wohl sein, keine bzw. keine andere Ausbildung zu haben und infolgedessen das Geld zu brauchen.
@ Sascha Krieger: Sie schreiben: "Fakt ist, dass egal wie der einzelne über bewaffnete Einsätze denkt, wir als Gesellschaft die Verantwortung tragen - für die Einsätze wie für die beteiligten Menschen, schließlich haben wir - über unsere Vertreter im Bundestag - diese Entscheidungen getroffen." Nein, gerade an Ihrer Argumentation erkennt man ja, dass es eben gerade NICHT "meine Bundeswehr" ist. Denn Fakt ist doch, auch wenn ich mich als Bürger gegen völkerrechtswidrige Kriegseinsätze (und diesen Begriff halte ich für angemessen) wende, wird mein angeblicher Vertreter in der Verteidigungspolitik das nicht berücksichtigen. Es sei denn, der Protest tritt gehäuft auf, ich erinnere mich noch an die Massen auf der Straße gegen einen Kriegsbeteiligung der Bundeswehr im Irak im Jahr 2003.
@ Herr Krieger: (...) Sie sind nicht der erste, der mir das Wort verbieten will mit einem Totschlagargument: Menschenverachtung! Ich bin der letzte, der Menschen verachtet. Es geht nämlich um Menschenleben, und damit um Verhältnismäßigkeit: Rechtfertigen 3000 tote Menschen und zwei zusammengekrachte Hochhäuser einen Global War on Terror? Klares Nein! Und ich habe mich gegen eine Beteiligung an diesem Gemetzel entschieden. Prinz Harry dagegen gibt Interviews für Ria nowosti, wie tollkühn er mit seinem Hellicopter Rebellen abgeschossen hat. Da gefällt mir André Shepherd schon besser, der ist ein Verweigerer und stellte Asylantrag bei der EU, ein Präzendenzfall übrigens.
Draußen vor der Tür verbindet sie. Der Heimkehrer kehrt in sein Land zurück und wird nicht aufgenommen. Bei Borchert ist die Frau fremdgegangen, sind die Eltern tot. Und heute schicken wir die Menschen in den Krieg, und wenn sie heimkehren, lassen wir sie draußen vor der Tür. Ich sehe in der Inszenierung keine Gleichsetzung der Schandtaten der Wehrmacht und der Bundeswehr. Wollte Lösch das? Nein. Er schildert die Last der Heimkehrer und ihr Ankommen; und wie wir mit ihnen umgehen. Unsere Bundeswehr führt Kriege, also kommen Veteranen zurück. Und ihnen müssen wir zuhören. Was haben sie erlebt? Ich finde gerade, das arbeitet Lösch heraus. Unsere Soldaten prahlen nicht mit ihren Taten, sie wollen verstanden werden, heimkehren.
An uns liegt es, sie nicht draußen vor der Tür stehen zu lassen.
Ich fand, es war die eindringlichste Inszenierung von Lösch.
Einerseits (1)der Wehrmachtssoldat, der als Verlierer heimkehrt. Dann (2)die furchtbaren Erinnerungsberichte (Protokolle). Plötzlich wusste ich wieder, warum die Grenze zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus so schnell verschwimmen. Auch dieses Gefühl hat die Inszenierung in mir ausgelöst. Und schließlich (3)der Bundeswehrsoldat, der einfach um seine Rechte kämpft, als Veteran anerkannt zu werden.
Da geht es doch nie um die Gleichstellung von Reichswehr und Bundeswehr. Wem so etwas bei dieser Inszenierung durch den Kopf schwirrt, hat nicht zugehört, schaut es sich besser noch einmal an.
Ich stimme Andreas Schäfer zu. Ist das gutes Theater? Nein! Solle man hingehen? Unbedingt! Lösch macht kein klassisch gutes Theater, er rüttelt aber auf und legt den Finger in die Wunde, regt zum Denken an. Das ist ihm an diesem Abend bestens gelungen. DANKE!
Liebe(r) H.L., ich finde Ihre ideologisierte Polemik schwer erträglich. Nur soviel: Ich habe Ihnen an keiner Stelle den Mund zu verbieten versucht, ich bin der letzte, der Ihnen das Recht absprechen würde Ihre Meinung zu vertreten, ich erwarte von Ihnen aber das gleiche. Und den Angriff auf die Vereinigten Staaten mit 3.000 Toten allein in NYC und vielen weiteren in Washington, in Pennsylvania und zuvor im Golf (USS Cole), in Nairobi und is Dar es Salaam so kleinzureden wie Sie das tun ist in meinen Augen zynisch und menschenverachtend, das Aufrechnen von Toten ist es allemal. Und zu Totschlagargumenten, darin sind Sie auch sehr gut: Sie rufen Völkerrecht! und meinen damit sei alles gesagt. Ist es nicht. Völkerrecht heißt bei Ihnen UN-Mandat. Nun gut, Sie kennen sciher selbst die Machtverhältnisse und Veto-Rechte im Sicherheitsrat. Das hat mit Recht nichts mehr zu tun, sondern ausschließlich ist Machtpolitik. Ein fehlendes UN-Mandat allein als Gegenargument anzuführen ist daher sehr bedenklich. Zumal im Fall Afghanistan, weo es alles andere als Konsens ist, dass es eines UN-Mandats selbst nach UN-recht überhaupt bedurft hätte. Schließlich schreiben Sie von Verhältnismäßigkeit und da kann man tatsächlich unterschiedlicher Meinung sein. es wird Sie nicht wundern, dass ich weder im Fall Afghanistan noch in Bezug auf Kosovo eine andere Einschätzung habe als Sie - Irak ist tatsächlich m.E. ein anderer Fall (auch wenn Ihre Aussage, es hätte nie Massenvernichtungswaffen gegeben unwahr ist. Woher wir das wissen? Weil sie eingesetzt wurden!).
So, das ist jetzt mein letzter Beitrag zu diesem Thema, das ist schließlich ein Theaterforum. Letztlich zeigt aber diese sehr emotionale Debatte, wie recht Löschs Kriegsveteran hat und wiev viel da bei uns unter dem Teppich liegt.
@25:... mich plagt dieselbe Problematik: Wenn Lösch den Handlungsgrund zwischen Wehrmachtssoldat und Bundeswehrsoldat nicht markiert, hat das erhebliche Konsequenzen für die Debatte um Anerkennung der Heimkehrer. Kommen da Veteranen zurück, die als Söldner auszogen und jetzt mit ihrem Geheule noch mehr Geld wollen, kommen da Kämpfer fürs Vaterland zurück, die Lorbeeren haben wollen, kommen da müde Krieger zurück, die nicht wussten, wie ihnen geschah ...
@ 26: ... Herr Prospero, diese Überlegungen sind nicht ideologisiert. Ich beteilige mich an der Debatte, weil ich selbst einmal eine Entscheidung treffen musste. Ich habe mich gegen das Geld entschieden, mit allen Nachteilen, die sie sich vorstellen können (kein bezahltes Studium, keine kostenlose med. Versorgung, gutes Essen, warmes Plätzchen zum Schlafen und genug Geld für einen VW-Golf resp. BMW für Off.), nein, ich lebe seit Jahren unter problematischen Bedingungen, habe aber nie jemanden getötet (und ich kenne Veteranen, die das haben und damit unglücklich sind), nein, habe Literatur studiert mit heißem Bemühen, und ja, bin Fan des Humanismus geworden, deshalb habe ich für Sie zum Abschied ein schönes Zitat vom Genossen Heiner Müller ausgewählt:
@21: (weshalb ich die Idee "fixe" nenne) "Unheimlich ist dies doch alles nur, weil es an einem aufklärerischen Bild vom Menschen gemessen wird, das nie der Realität des Menschen entsprochen hat. Der Mensch ist das einzige Tier, das weiß, daß es sterben muß - jedenfalls gehen wir davon aus (...). In der Herde stirbt's sich nun einnmal leichter, das ist ganz natürlich. Während eines Stromausfalls in der DDR rückten in den Kollektivställen die Schafe so eng zusammen, daß sie massenhaft erstickten - das ist die Grundfigur. Aus Angst vor dem Tod rückt man immer näher zusammen, bis es tödlich wird." (aus: "Da trinke ich lieber Benzin zum Frühstück", In: Transatlantik 2/89)
Ich würde also sagen, dass die ausserparlamentarische Bürgerarbeit wie Volksbegehren, NGOs usw. nach wie vor viel sinnvoller ist als eine Partei zu gründen, welche dann doch wieder nur ganz bestimmten bzw. Machtinteressen folgt.
@ H.L.: Auch ich empfinde diese Vermischung der Zeitkontexte als bedenklich. Für mich wäre hier die Frage, da ich die Inszenierung (noch) nicht gesehen habe: Wird die Herstellung der verschiedenen Zeitkontexte hier denn über die Spielweise kenntlich gemacht (z.B. mittels Verfremdung, über das Offenlegen der "Produktionsmittel" des Theaters usw.) oder wird hier - wie bei Lösch üblich - wieder einmal voll aufs Kollektivpathos gesetzt? Das zu dekonstruieren bzw. auf den einzelnen Soldaten herunterzubrechen, ist bei Borchert doch gerade das Thema. Oder nicht? "Mauser" von Heiner Müller wäre da auch ein passender Text, um das ICH gegen das WIR abzugrenzen: "Ich bin ein Mensch. Der Mensch ist keine Maschine. / Töten und töten, der gleiche nach jedem Tod / Konnte ich nicht. Gebt mir den Schlaf der Maschine."