Tücke des Objekts

von Christian Rakow

Berlin, 29. Januar 2013. Weil dort in der Bühnenmitte auf einigen Holzpaletten so ein kleiner weißer Kachelofen steht, mit einem hoch aufragenden Rohr, kann man doch auch ein wenig einheizen. Theaterfeuer quasi. Man nehme ein paar Kohlen, Holz und natürlich Altpapier. Also, warum nicht: Sean O'Caseys Lower-Class-Drama "Juno und der Pfau" von 1924.

Unterschichts-Scherenschnitte

Fassen wir sie also als federleichtes Knüllpapier an: den arbeitslosen Vater Boyle, den stets ein Beinleiden befällt, wenn ihm von irgendwo ein Tagelöhner-Job angeboten wird, und seinen öligen Saufkumpanen Joxer. Oder Mutter Juno, die als Hausdrache gefürchtet ist, und ihre aufstiegswillige Tochter Mary, die etwas Bildungsluft schnuppert, sich dann aber dem erstbesten Gecken an den Hals wirft, der sie mit ein wenig Schulphilosophie bezirzt. Man muss sie alle natürlich nicht als knitterige Unterschichts-Scherenschnitte begreifen (Alfred Hitchcock tat es in seiner vergleichsweise pathosfähigen Verfilmung von 1930 zum Beispiel nicht). Aber man kann.

Das heißt Milan Peschel kann. Nur will es so in seinem kleinen Theaterofen nicht recht glimmen. Also packt Peschel, der große Schauspieler und seit einiger Zeit eher mittelgroße Regisseur, noch ein paar Briketts aus. Die stammen aus einem Regietheater-Sack, den er anscheinend noch aus alten Volksbühnen-Zeiten bei sich im Keller stehen hat. Als da wären: Sorg für ordentlich Hysterie und kontere sie regelmäßig mit einem trockenen Spruch. Lass schreien und schwadronieren (die Männer) oder keifen und quengeln (die Frauen). Hau running gags rein, auch wenn sie wie hier in der Gestalt einer Kohlenverkäuferin eher als schlurfender Gag daherkommen. Feiere die Tücke des Objekts. Ein Sofa, das nicht durch den Türrahmen passt, hat noch immer für eine bühnenhübsche Karambolage gesorgt.

Und es bewegt sie doch

In Zeiten, in denen anderswo per Fracking der Erdboden aufgebrochen wird, probiert es Peschel also mit herkömmlichen fossilen Brennstoffen. Nach einer leidlich schrillen Satire in den ersten beiden Akten, gibt's gegen Ende den Versuch existenzieller Wallungen. Eine vermeintliche Erbschaft, die ein wenig Perspektive und Konsum ins Leben der Boyles bringen sollte, hat sich zerschlagen; der Sohn, ein IRA-Kämpfer, fällt den Konflikten während des irischen Bürgerkriegs zum Opfer. Hitze will bei Peschel hier wie dort nicht aufkommen. Die Schauspieler – es sind einige der feinsten Deutschlands dabei (siehe Besetzungskasten) – schleichen sich mit Normware der minderen Güteklasse durch die drei Stunden dieses Abends.

Weil aber kurz vor der Pause zu ein paar Elvis-Presley-Songs Zuschauer aus der ersten Reihe auf die Bühne gebeten wurden und dort alle miteinander so fröhlich tanzten, und weil nach der Pause dann doch einige Plätze in den Kammerspielen des Deutschen Theaters frei blieben, kann man immerhin sagen: Sie haben uns bewegt.

 

Juno und der Pfau
von Sean O'Casey
Deutsch von Lukas B. Suter
Regie: Milan Peschel, Bühne und Kostüme: Magdalena Musial, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Michael Schweighöfer, Anita Vulesica, Ole Lagerpusch, Katrin Wichmann, Moritz Grove, Katharina Marie Schubert, Katrin Klein, Elias Arens, Bernd Moss.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Es wird Zeit, dass Peschel (...) mal wieder selber runter auf die Bretter kommt", kontatiert Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (31.1.2013). Denn allenfalls legten die Hauptfiguren tollen Slapstick hin, die anderen Figuren aber verkämen zur Staffage. "So sympathisch und erfrischend die Rampenliebe, die Respektlosigkeit und der Humor sind, mit denen Peschel an die Theaterregie herangeht, dieser Abend ist ins Alberne und Beliebige abgekippt." Oder er sei einfach nur nicht fertig geworden.

Im Tagesspiegel (31.1.2013) nimmt Christine Wahl schonmal vorweg, dass es jedenfalls keine zündende Inszenierungsidee gebe. Während frühere Peschel-Inszenierungen immerhin mit "Vitalität, perfekt überdrehtem Timing" glänzen würden, so sei bei "Juno und der Pfau" kaum etwas davon zu sehen. Kein Schwung, schwerfällig – die Krux sei, "dass Peschel selbst zum Stück, mithin zum Gros der Figuren, keine rechte Haltung zu finden scheint." Resümee: "Mittel-Recycling aus der Volksbühne, allerdings lediglich als leeres Formenspiel."

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