Kollekte für Kreative

von Esther Slevogt

Berlin, 12. Februar 2013. Sie tun es zum Beispiel gerade: Sabine Mittelhammer und Florian Hawemann, sie Schauspielerin und Puppenbauerin, er Musiker und Autor. Auf der Crowdfunding-Plattform "startnext" versuchen sie, für ihr Stück "Tête-Re-Tête" 6000 Euro einzuwerben, die sie für Bühnen- und Puppenbau brauchen. In einem vierminütigen Film stellen sie hier also sich selbst und ihr Projekt vor, das, so verspricht es die versponnene und poetische Atmosphäre des Clips, zu den tieferen Gründen von Glück und Trauer vordringen wird, zur abgründigen Poesie der großen und kleinen Dinge.

crowdfunding-i busch 560 sleGesucht: Knete für Kunst. © sleEine nach Wert gestaffelte Liste von "Dankeschöns" stellt potenziellen Unterstützern des Projekts Tauschwerte für ihr Geld in Aussicht: von Buttons und Probenbesuchen bis hin zu einer Privatvorstellung des Stücks. 4456 Euro sind seit Mitte Dezember 2012 zusammengekommen. Ausgezahlt wird das Geld aber nur, wenn die Zielsumme tatsächlich erreicht wird. Sonst bekommen die Geldgeber ihre Einsätze zurück. So will es das Statut von startnext. Damit soll zumindest einigermaßen sichergestellt werden, dass es auch zur sachgerechten Verwendung der gespendeten Gelder kommt. Bleibt ein Projekt unterfinanziert, ist naturgemäß auch seine Realisierung gefährdet und das Geld der Crowd womöglich in den Sand gesetzt.

Auch im 18. Jahrhundert wurde die Crowd zur Kasse gebeten

Das Modell eines solchen kunststiftenden Crowdfundings, das von den potenziellen Zuschauern einer künstlerischen Arbeit im Vorfeld schon für deren Produktion Gelder einwirbt, ist eigentlich ziemlich alt. Bereits Georg Friedrich Händel hat im London des 18. Jahrhunderts mit Hilfe eines Subskriptionssystems aufwändige Opernproduktionen von reichen Adeligen mitfinanzieren lassen. Heute heißt das "Crowdfunding", denn das Geld stammt von der "Crowd", der Masse der Internetnutzer also. So, wie die ihr Wissen ins enzyklopädische Weltwissensprojekt Wikipedia steckt, kann sie ihr Geld auch in Sachen investieren, die schön, nützlich oder sonst wie wertvoll sind, jeder nach seinen Möglichkeiten.

Das ist die Grundidee, auf die Crowdfunding-Plattformen wie startnext, pling oder indiegogo setzen, wo man sich speziell auf die Kollekte von Geldern für kreative Projekte spezialisiert hat. Über die Summen jedoch, die hier in der Regel für freie Theaterprojekte eingenommen werden, hätte Händel nur müde gelächelt. Denn die Crowdfunding-Erträge für Theaterprojekte bleiben heutzutage meist im vierstelligen Bereich. Auch wenn man immer wieder von extraordinären Summen raunen hört, die in anderen kreativen Bereichen, zum Beispiel für Filmprojekte oder die Entwicklung von Computerspielen, eingesammelt wurden.

Das Publikum als Community

Insgesamt 5.900 Euro hat Eva-Maria Brück-Neufeld über Crowdfunding für das von ihr produzierte Sommertheater im Berliner Spreepark "Spuk unterm Riesenrad" (hier die Nachtkritik) akquiriert und damit die von ihr anvisierte Summe von 4.500 Euro sogar noch übertroffen. Das Hildesheimer Performancekollektiv MachinaEx hat 2011 gerade einmal 465 Euro eingesammelt, um sich mit einer 20-Minuten-Performance auf dem Berliner 100°-Festival präsentieren zu können.

Trotzdem sehen viele hier ein Zukunftsmodell. Und zwar nicht allein des Geldes wegen, sondern weil sich über Crowdfunding ein Projekt bereits im Vorfeld gut ins Gespräch bringen lässt: Bevor die Produktion überhaupt steht, hat sich im besten Fall um sie herum bereits eine Community gebildet, die sich auf dem Weg der Social-Media-Kommunikation, zu der man auch den Austausch auf Crowdfunding-Plattformen zählen muss, durch Partizipation an der Stückentwicklung beteiligt sieht. Eine so entstandene Community kann damit eine starke Lobby für eine Arbeit bedeuten, bevor diese überhaupt das Scheinwerferlicht einer Bühne erblickt.

crowdfunding busch 560 sleWenn der Schwarm zur Kasse gebeten wird – die Crowdlounge in der Ernst-Busch-Schule. © sleDas betont auch Hannah Pfurtscheller, die gerade am Hildesheimer Institut für Kulturwissenschaft an ihrer Diplomarbeit über kuratorische Praxis in der Darstellenden Kunst schreibt. Sie war unter den Organisatoren des letzten Transeuropa-Festivals, ein europäisches Theater- und Performancefestival für die junge Szene, das alle drei Jahre von ihrem Institut ausgerichtet wird. "Crowdfundig ist eine tolle Form, ein Projekt öffentlich bekannt zu machen", sagt sie. "Die, die Geld gegeben haben, fühlen sich bereits am Entstehungsprozess eines Stücks beteiligt." Dazu tragen auch Blogs auf den Plattformen und die Kommunikation der Künstler mit ihren Unterstützern während des Funding-Prozesses bei. Zwei Projekte hat Transeuropa im vergangenen Mai über Crowdfunding mitfinanziert: das festivalbegleitende Diskursprogramm zum Thema Partizipation ("Teilen und Teilhaben") "We swarm" (hier der eigene Blog dazu) sowie "Schlaraffen. The Egotopian Experience" der portugiesischen Künstlergruppe Há.Que.Dizê.Lo, das die Grenze zwischen Party und Performance ausloten, die Party als utopischen Erfahrungsraum erkunden wollte.

Das Ich auf dem Markt

Wie hochgehandelt das Thema inzwischen ist, lässt sich auch daran ablesen, dass die Puppenspielabteilung der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Ende Januar Gastgeber einer sogenannten "Crowdlounge" war. Zu den Mitveranstaltern gehörte u.a. das  Berliner Institut für Kommunikation in sozialen Medien (IKOSOM). Das 2011 gegründete Institut arbeitet an der Schnittstelle von Ausbildung, (Trend)-Forschung und Beratung und hat eine der ersten systematischen Studien zum Thema "Crowdfunding" im deutschsprachigen Raum herausgebracht. Die Crowdlounges marschieren seit dem vergangenen Herbst informierend durch die Institutionen und Zulieferbetriebe der Kreativwirtschaft, zu denen ja auch die Kunsthochschulen längst geworden sind. Jedenfalls die, die es ernst mit ihrer Ausbildung meinen.

Die "Crowdlounge" in der Abteilung "Puppenspiel" war eine Veranstaltung, die in Ausbildungsstrecke "Kulturmanagement und Selbstmarketing" gehört, für die als Lehrbeauftragte seit 2012 Ina Roß verantwortlich ist. Angeschlossen war ein paar Tage später auch ein Workshop zum Thema. Denn Fragen wie "Wie verdiene ich mein Geld?", "Wie mache ich mich und mein Projekt bekannt?", "Wie also positioniere ich mich künstlerisch im Markt?" gehören für Ina Roß längst unbedingt zur Künstlerausbildung dazu. Ebenso nötig sei es, als Künstler in der Lage zu sein, eine Projektfinanzierung auf die Beine zu stellen. Ina Roß sieht das Crowdfunding dabei auch als gute Gelegenheit für die jungen Künstler, ihre Projekte so genau durchzudenken und zu strukturieren, dass sie auch kommunizierbar sind. Denn ohne diese Vorarbeit ergibt eine Crowdfunding-Kampagne keinen Sinn.

Hat der Staat als Hauptmäzen ausgedient?

Bei der "Crowdlounge" in der Ernst-Busch-Schule war neben zwei freien Theatermacherinnen mit Crowdfundingerfahrung (unter ihnen auch die "Spuk unterm Riesenrad"-Macherin Eva-Maria Brück-Neufeld) und den Veranstaltern auch der Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste, Günter Jeschonnek, um eine Einschätzung dieser neuen Form der Projektfinanzierung gebeten worden. Der Fonds Darstellende Künste, der von der Kulturstiftung des Bundes finanziert wird, fördert Projekte jährlich mit insgesamt etwa 1 Million Euro. Während die Verfechter der Finanzierungsform Crowdfunding als wesentliches Argument ins Feld führten, dass Kunstentwicklung und -finanzierung als Teil von zivilgesellschaftlichem Engagement, als Partizipationsprojekt neu definiert werden müsse, wollte Jeschonnek dagegen in Sachen Kunstförderung die öffentliche Hand weiterhin federführend wissen. Die Gelder, die von Künstlern für ihre Projekte durch Crowdfunding eingeworben werden, könnten zwar als komplementäre Drittmittel akzeptiert werden. Als Hauptmäzen von Kunst sieht Jeschonnek jedoch den Staat auch weiterhin in der Pflicht.

"Könnt ihr euch denn mal nicht um jemand anderen drehen?", singt die Sonne im Präsentationsclip des Puppenspieler-Duos Mittelhammer und Hawemann für ihr Stück "Tête-Re-Tête". Um ihrem Anliegen auch jenseits des Social-Media-Fundraisings im Netz im Real Life noch einmal Nachdruck zu verleihen, geben die beiden am 15. Februar eine kleine Live-Soirée mit Liedern aus dem Stück im Weiten Theater in Berlin-Lichtenberg, gleich neben der Ernst-Busch-Abteilung Puppenspiel. Im "Weiten Theater" soll das Stück am 16. Mai 2013 auch uraufgeführt werden – wenn es mit der Finanzierung klappt.

 

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