"Ich bin deutsch"

von Falk Schreiber

Hamburg, 14. Februar 2013. Wie schnell Haltung doch zur Pose wird! Noch ist es hell in der Hamburger Kampnagel-Fabrik, das Publikum sucht plaudernd seine Plätze, und auf der Bühne im Halbdunkel steht Franklyn Kakyire: breitbeinig, mit verschränkten Armen, schwarz, drohend. Eigentlich könnte Constanza Macras' Tanzstück "Distortion" jetzt beginnen, aber durch irgendeinen dummen Fehler passiert nichts, der Saal bleibt hell. Und Kakyire steht da. Und steht da. Und steht da. Gut zehn Minuten lang, und dabei wirkt er immer lächerlicher, in seiner drohenden, pseudocoolen Pose.

Dass sich der Stückbeginn verzögert, ist natürlich Zufall. Aber es verdeutlicht, wie Macras arbeitet: Sie baut Bilder aus Bewegungsabläufen, die nicht ohne Nähe zum Klischee sind, und diese Bilder lässt sie dann auf die Realität prallen. Zu Beginn der "Distortion"-Premiere ist die Realität sogar noch stärker als das inszenierte Bild – sie sorgt nämlich dafür, dass Kakyires einschüchternde Haltung sich als harmloses Dastehen entpuppt. Von wegen Drohung also.

distortion 560 thomasaurin u© Thomas Aurin

Geloopte Textfragmente

"Distortion" ist die erste Zusammenarbeit von Macras mit der Hamburger HipHop Academy, einer Initiative, die seit 2007 Workshops in HipHop-affinen Künsten wie Breakdance, Graffiti und Beatboxing anbietet sowie Shows erarbeitet. Das Konzept der Academy fußt auf einer manchmal etwas unsympathisch wirkenden Leistungsethik, hat aber mit Auftritten in Marseille, Shanghai und Moskau sowie diversen Auszeichnungen einige Erfolge vorzuweisen. Allerdings ist Macras geschickt darin, den Leistungsgedanken gleichzeitig für eindrucksvolle Tanzbilder zu nutzen und für eine lustvolle Kritik zu unterlaufen – Macras, die immer wieder mit Performern zusammenarbeitet, die nicht nur einem anderen Tanzstil, sondern einem ganz anderen Denken verhaftet sind.

Es beginnt mit einer starken Tanzsequenz. Während elektronische Klänge (Marc "Sleepwalker" Wichmann von der HipHop Academy und Kristina Lösche-Löwensen von Macras' Berliner Compagnie Dorky Park) langsam an- und abschwellen, bewegen sich Körper wellenartig, schnelle Beats treiben die Tänzer an, bremsen sie aus, verzerren die Bewegungen. Ein paar klassische Breakdance-Moves gibt es auch, viel beklatschte Headspins, Windmills und Flares. Und als nach einer Weile mehrfach geloopte Textfragmente durch den Saal schallen, nimmt man die begeistert auf: Bedeutung! Inhalt! "Ich bin hier geboren/Ich habe einen deutschen Pass/obwohl ich nicht deutsch aussehe ..." versteht man und hat damit auch schon das Thema des Abends begriffen: Es geht um Identität, und zwar explizit auch um nationale Identität.

distortion2 560 thomasaurin uFilmstreifen aus Körpern © Thomas Aurin

Einmal mausert sich der klug mit Violine, Orgel und Theremin versetzte Sound zu verhältnismäßig konventionellem HipHop, und Alassane "A-Jay" Jensen rappt: "Ich bin deutsch." Was einen nationalistischen Beigeschmack haben könnte, wären schwarzrotgold an dieser Stelle nicht gerade mal Jensens Shorts. Und würde im Hintergrund nicht parallel Brechts antinationalistische "Kinderhymne" geklampft. Allerdings – bevor das Herz zu internationalistisch überläuft, wird das Ganze schnell mit Kotzgeräuschen trivialisiert. Das beherrscht Macras: Pathos abrufen, und dieses Pathos dann nonchalant ins Lächerliche kippen lassen.

Was Macras nicht ganz so gut beherrscht, ist Timing. Manche Szenen wirken zu lang, eine sich mehrfach wiederholende Abfolge von kleinen Duetten zwischen Anziehung und Ablehnung schlingert unsicher zwischen Kabinettstückchen und Nummernrevue hin und her, und auch das eindrucksvolle Bild eines von nackten Körpern gebildeten lebenden Filmstreifens ist eben auf Dauer nur eindrucksvoll, nicht mehr. Immerhin fängt Macras die zerfasernde Ästhetik wieder ein, indem sie ihr Identitätsthema in den Vordergrund rückt: "Also, was ich definitiv an meinem Körper mag, sind die Oberschenkel." Dass das mit der nationalen Identität als Konstrukt irgendwie eine Binse ist – geschenkt.

 

Distortion
von Constanza Macras
Choreografie: Constanza Macras, Kostüme: Magdalena Emmerig, Repetitor: Elik Niv, Musik: Marc "Sleepwalker" Wichmann, Kristina Lösche-Löwensen.
Mit: HipHop-Academy-Performer: Felix Saalmann, Jennifer Gifty-Lartey, Can Gülec, Franklyn Kakyire, Marco Groth, Daniel Marques, Jango P.Nd Jackson, Benji Asare, Alassane "A-Jay" Jensen, Guido Höper. Dorky-Park-Performer: Zoltan Lakatos, Viktor Rostas
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.kampnagel.de

 

Kritikenrundschau

Wie in allen Arbeiten von Constanza Macras würden auch in "Distortion" die Performer "zu Botschaftern ihrer selbst erklärt", so Annette Stiekele vom Hamburger Abendblatt (16.2.2013). Elegant würden "Spiel und Codes von Begehren, Annäherung und Abweisung persifliert, mit viel Gespür für Situationskomik". "Die Dynamik und beachtliche technische Virtuosität der Akteure fügen sich zu einem erzählerischen Bogen, der alles umfasst, Nachdenklichkeit, Sozialkritik und Humor." Die Sozialkritik werde dabei jedoch nie "schal oder belehrend. Sie ist authentisch und direkt. So wie der Hip-Hop."

Kommentare  
Distortion, Hamburg: enttäuschend
Leider waren wir gestern in dieser Vorstellung und ich war gluecklich als es nach 70 minuten endlich zu Ende war! Abgesehen, dass die Choreographie, Musik, und das Buehnenbild nur marginal mit Hip Hop in Zusammenhang steht, muss ich leider sagen dass die Musik grauenhaft bis nervttoetend ist/war und leider kein Rythm oder lebendigkeit enthielt, die Choreografie nicht beeindruckend und wenig elektrisierend ist/war und kein Buehnenbild existierte. Eine herbe Enttaeuschung fuer 28 Euro!
Distortion, Berlin: schwere Kost
War gestern in Berlin. Mitunter schwer Kost, aber ist das Leben einfacher? Genialer Abend. Wer enttäuscht ist, dem fehlt der Sinn fürs wahre Leben. Theater ist halt nicht nur Unterhaltung. Frank, denke nach!
Distortion, Berlin: eher Unterhaltung
@ Olaf: Aber gerade Macras' Tanztheater sieht doch oftmals eher nach Unterhaltung aus als nach vertieftem Nachdenken. Und den Hip Hop kann frau auch kritisieren, wenn frau will. Nämlich in der Hinsicht, dass im Hip Hop mit seiner Devise "Be yourself!" oftmals eine Art Narzissmus regiert.
Inwiefern war es für Sie denn jetzt eigentlich "schwere Kost"? In dieser narzisstischen Hinsicht?
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