Vineta darf nicht untergehen

von Dennis Baranski

Heilbronn, 28. Februar 2013. Schicksale gibt's, so aufregend und schillernd, wie sie höchstens kühne Phantasie, ganz sicher aber nicht das Leben schreibt, und andere, so spröde und alltäglich, dass schlicht niemand davon hören will. In ihrer zweiten Auftragsarbeit für das Theater Heilbronn bedient Autorin Anna Katharina Hahn beide Extreme: Ihre "Schatzsucher" formieren sich aus klassischen Vertretern letzterer Kategorie, den in finanzielle Nöte geratenen Reihenhausabstotterern Elli und Tom, und einem namenlosen Biographienerfinder mit Hang zur Übertreibung. In den Kammerspielen trug Intendant Axel Vornam persönlich für die Uraufführung der "komischen Tragödie" Sorge.

Wie so oft ist auch in diesem Wohneigentum auf den ersten Blick alles in bester Ordnung, der Rasen gemäht, die Fenster geputzt und das wohl geratene Töchterchen fern der Heimat am Studieren. Herrlich. Doch wie mindestens ebenso oft täuscht der Eindruck: Die Krise hat Einzug gehalten in das gepflegte Vorstadtidyll, brachte Elli um ihr "Seifen- und Badeschaumgehalt" bei der Drogeriemarktkette und an den Rand des Alkoholismus, während Alleinverdiener Tom unter den finanziellen Verpflichtungen allmählich zu zerbrechen droht.

Vineta

Das Glück auf Pump können sich die Eltern nach dem Auszug von Tochter Tilli weder länger leisten noch schlüssig erklären – ihre Daseinsberechtigung liegt scheinbar allein in der Erhaltung des Status quo. Doch das "Betongold" erweist sich als wertlos, die zwischen Hochhäuser und Maisfelder geklemmte "Vineta-Siedlung", ein namentlicher Verweis auf die versunkene Stadt vor der Ostseeküste, verwahrlost zunehmend. Als Lichtgebilde über dem Meer soll den Bewohnern der Sage nach ihre Stadt wiederholt erschienen sein; eine Warnung, denn sähe man Städte, Schiffe oder Menschen doppelt, kündete das vom nahenden Untergang.

Auf Tom Muschs Bühne findet sich die mythische Mahnung in zwei spiegelverkehrten, identischen Klinkerfassaden wieder, und auch die Schauspieler Sabine Unger und Stefan Eichberg ignorieren in verordnetem Stellungsspiel als wohlstandsorientiertes Elternpaar analog zur Überlieferung nach Kräften die Zeichen des drohenden sozialen Abstiegs.

Schwiegermuttertraum

Nun soll es der "junge Mann", ein aalglatter Wohnraumanwärter richten. Erwartungsgemäß und prompt verhilft er tatsächlich allen Hoffnungen und Wünschen zu neuem Auftrieb. Doch Mieteinnahmen sind das eine, ein Mieter wie dieser mit seinen Geschichten sind etwas ganz anderes. Von Decken, so hoch, dass man die sich rankende Stuckflora nur erahnen könne, berichtet er, von Chauffeuren und Reichtümern, aber eben auch von sozialer Kälte. Um keine Plattitüde verlegen, bringt es Peter Volksdorf als esoterisch angehauchter Schwiegermuttertraum übertrieben grimassierend auf den Punkt: "Geld allein macht nicht glücklich." Bravo.

schatzsucher 2 560 katja zern fotostudio m42 xSabine Unger, Stefan Eichberg und Peter Volksdorf  © Katja Zern / Fotostudio M 42Trotzdem wird der fantasiebegabte Zimmerherr zum Dosenöffner lange weggepackter Pensionistenträume. Als ob das verhandelte Sujet vom fremdbestimmten Kleinbürger, der der erwählten Geborgenheit im Nullindividualismus einer Reihenhaussiedlung überdrüssig ward, noch nicht abgegriffen genug sei - spätestens der Traum vom Schafe züchten in Neuseeland als Inbegriff bislang versäumter Freiheit sollte bei Autoren und Regisseuren, bei Dramaturgen, Schauspielern oder Intendanten ein grundsätzliches Überdenken des gesamten Vorhabens auslösen. In Heilbronn ist das nicht geschehen. Dort haben sich bemerkenswert eindimensional angelegte, hölzern auf die Bühne gestellte Figuren längst noch nicht ausgequatscht.

Schokotaler

So muss der Fremde seinen aristokratischen Stammbaum in eine "Erbmonarchie des Elends" verkehren, die ihn zu einem vorbestraften Betrüger machte. Mittellos, aber beseelt von dem Wissen um einen vermeintlich im Garten verbuddelten Schatz. Doch das Belegexemplar einer Goldmünze erweist sich als Schokoladentaler – freilich erst nachdem das Grün verwüstet, die Kunstrasenbühne also mittels Mistgabel und Schaufel in Fetzen gerissen ist. Engelsgleich kehrt er darauf ein letztes Mal heilbringend wieder, schwatzt dem unerträglich treu-doofen Paar das letzte Geld ab, um ihm Flugtickets nach – genau – Neuseeland zu kaufen. Zu schön.

Ohne Hahns seichte Funktionsdramatik nennenswert zu brechen, übt sich Regisseur Vornam im biederen Nacherzählen des reichlich abgeschmackten Plots und schafft so einen schier endlosen Theaterabend im Stile einer Reihenhaussiedlung: vorhersehbar und sterbenslangweilig.

 

Die Schatzsucher (UA)
von Anna Katharina Hahn
Regie: Axel Vornam, Dramaturgie: Stefanie Symmank, Ausstattung: Tom Musch, Licht: Carsten George.
Mit: Stefan Eichberg, Sabine Unger, Peter Volksdorf.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.theater-heilbronn.de

 

 

Kritikenschau

Auf der Website von SWR 2 (2.3.2013) schreibt Rainer Zerbst, dass Regisseur Vornam den ersten Teil des Stückes "übertrieben agieren lässt", passend zu der blühenden Fantasie, die der Junge Mann an den Tag lege. Peter Volksdorf verleihe den "so unterschiedlichen Schichten dieser Figur" souverän Gestalt - spiele erst "den harmlos lächelnden Gutmenschen, um gleich darauf mit eiskalter Miene den Bösewicht zu verkörpern". Am Ende stünden Tom und Elli bereit, gemeinsam einen Neuanfang zu wagen. Damit sei aus einem Stück, in "dem sich ein good boy zu einem bad guy" wandele, unversehens ein Stück "über die Lebenslügen biederer Bürger geworden, die sich ihre wahren Wünsche nicht eingestanden". Der junge Mann mache sie ihnen wieder bewußt. Man hätte sich diese den Figuren selbst verborgene Identität etwas differenzierter definiert gewünscht, so bleibe es beim vagen Wunsch nach einem Aufbruch zu neuen Ufern.

Unklar bleibe bei Hahn, wohin die Reise gehen soll, schreibt Adrienne Braun in der Stuttgarter Zeitung (3.3.2013), "ob es ihr um ein Rentnerdrama und Reihenhaustrauma geht, ob sie vom sozialen Abstieg des unteren Bürgertums erzählen mag oder ob ihr Stück eine Parabel sein will über die ewige Suche nach dem Glück". Auch der Regisseur Axel Vornam scheine sich nicht sicher gewesen zu sein, wie er den Stoff anpacken soll: "Die Inszenierung wechselt zwischen Realismus und absurder Übersteigerung – und lässt die drei dann plötzlich über den Rasen rutschen als seien sie auf der Eisbahn."

"Während Hahn in ihren Romanen eine poetisch zarte Sprache für die Häusle- und Familiendramen, Sehnsüchte und Abstiegsängste ihrer hasenherzigen Spießer findet, buddelt sie in ihrem ersten richtigen Theaterstück nur Osterhasenkettchen, Kitsch und Talmi aus", schreibt Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.3.2013). Auch Intendant Axel Vornam könne "Hahns Beton- und Katzengold nicht zum Glänzen bringen".

Hahn lasse ihre Schatzsucher gedrechselte Dialoge sprechen, findet Volker Oesterreich in der Welt (4.3.2013). "Doch zwischen ihnen lauern die Untiefen der Klischees und der Kolportage." Gleiches gelte für Vornams Inszenierung: Den Beweis, "dass hinter dem Pfirsichbäumchen womöglich doch ein ganzer Kirschgarten blüht, bleibt er schuldig".

 


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