Die Deutschland-GmbH und ihre Theater

von Stefan Rosinski

20. März 2013. Eigentlich sollte es ein erlösender Paukenschlag sein: Nach quälender Debatte um die sogenannte "Zukunftsfähigkeit" des Rostocker Theaters wurde 2010 auf Beschluss der Bürgerschaft das gesamte Personal des Volkstheaters aus dem städtischen Amt in eine GmbH übergeleitet. Doch das Glück war von deprimierender Kurzlebigkeit. Bereits im dritten Jahr ihres Bestehens stand die junge Theater-Gesellschaft mit beschränkter Haftung nahe davor, insolvenzbedingt aufgelöst zu werden.

Die nervenaufreibenden ersten Januarwochen 2013 werfen ein bedenkliches Schlaglicht auf ein Konstrukt, mit dem ein zuschussbedürftiges Unternehmen wie das klassische deutsche Stadttheater in eine insolvenzfähige, privatrechtliche Kapitalgesellschaft (GmbH) umgewandelt wird. Weil es sich einst als Versprechen der Freiheit anließ, haben zahlreiche deutsche Theater diesen Schritt vollzogen. Doch schnell kann er zur existenzbedrohenden Falle für einen Betrieb werden, dessen Leistung verwaltungsrechtlich als "freiwillige" bezeichnet wird. Warum und unter welchen Umständen? Das Rostocker Beispiel darf hier durchaus als pars pro toto für eine jüngere deutsche Kulturpolitik genommen werden, die mit der Beschwörung einer Rechtsform auch einen politischen Hintersinn verbindet.

Der Staat, als GmbH kaschiert

Bemerkenswert ist insgesamt, dass seit den neunziger Jahren trotz intensiver Ausgliederungen, sprich Privatisierungen, der Anteil der öffentlichen Hand am Bruttoinlandsprodukt auf hohem Niveau stabil geblieben ist.1 2011 sind 45 Cent eines jeden in Deutschland kursierenden Euros durch den Staat, seine Verwaltungen und die im öffentlichen Eigentum stehenden Betriebe verausgabt worden. Von diesen öffentlichen Unternehmen sind 2009 laut Statistischem Bundesamt 5.355 öffentlich-rechtlich, aber 9.409 privatrechtlich organisiert gewesen. Der Staat kaschiert sich zunehmend als Deutschland-GmbH, so als wolle er nur noch eine beschränkte Haftung für seine öffentlichen Leistungen übernehmen. Was also verspricht man sich von der Umwandlung der kommunalen Theater in GmbHs?

Vorteile der wohlgenährten Theater-GmbH

Es wird kein Zufall sein, dass dort, wo der Träger über einen zahlungskräftigen Haushalt verfügt – und das trifft vor allem auf bestimmte Bundesländer und die großen deutschen Städte zu –, die Theater als Staats- oder Stadttheater häufig schon seit Jahrzehnten GmbHs sind.2 In einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens, der gewachsenen Fürsorge einer Kommune für ihr Theater kann das Modell einer Privatgesellschaft unbestreitbar Vorteile haben.

Dies betrifft im Wesentlichen drei Punkte: Erstens hat die Verwaltung praktisch kaum Durchgriffsrechte in das laufende Geschäft einer GmbH, deren Geschäftsführer qua Gesetz einen gewissen Schutz genießen. Zweitens erlaubt die doppelte Buchführung der GmbH eine genauere Steuerung der Ausgaben und Einnahmen und schafft damit Ergebnistransparenz, auch mit Bezug auf das Vermögen der Gesellschaft. Die Theaterleitung ist zudem frei in der Entscheidung, innerhalb der Budgets Schwerpunkte zu setzen. Drittens ermöglicht es die Rechtsform, einen eigenen tarifpolitischen Weg zu gehen. Doch diese Vorteile können sich je nach Situation der GmbH allzu schnell aufheben oder gar umgekehrt werden, wie das Folgende zeigt.

Verantwortung? Abgeschoben.

Generell gilt: Unabhängig von seiner Rechtsform steht in allen Fällen der Betrieb als "öffentliches Unternehmen" im Eigentum der Kommune. In Deutschland zumindest ist unstrittig, dass die Kultur weiterhin alimentiert werden soll. Geändert hat sich mit der GmbH-Schwemme folglich nur, dass die Erfüllung dieser Aufgabe rechtlich privatisiert wird. Damit geschieht etwas Entscheidendes: Die Verantwortung für Gelingen und Misslingen fokussiert sich auf das Theater und sein Personal selbst.

Anders herum: Obwohl die Rahmenbedingungen in personeller, rechtlicher und betrieblich-organisatorischer Art immer noch durch die Verwaltungsspitzen gesetzt werden, verschwindet dieser Umstand zunehmend aus dem öffentlichen Bewusstsein. So können Abgeordnete und politische Mandatsträger ungestraft Verantwortung delegieren und gegen den Kurs einer Theater-GmbH wettern, der sie durch Gesellschafterbeschlüsse gleichzeitig die Weichen stellen. Von nach politischem Proporz besetzten Aufsichtsräten und deren Einflussnahme gar nicht zu sprechen.

Aus Sicht der politischen Verwaltung dürfte ein Argument für die Ausgründung öffentlicher Leistungen also in dem Übergang der Haftung vom Amt (die dort bestenfalls politisch besteht) auf die Geschäftsführung einer GmbH liegen. Der Intendant eines kommunalen Regie- und Eigenbetriebs hat den Status eines Amts- oder Betriebsleiters; sein Betrieb ist eine Abteilung der Gemeindeverwaltung, ihr gesetzlicher Vertreter der (Ober-)Bürgermeister. Folglich hat das Stadtoberhaupt in allen nicht-künstlerischen Belangen Direktionsrecht. Demgegenüber verantwortet der Intendant als Geschäftsführer einer Theater-GmbH den Betrieb auch vollumfänglich wirtschaftlich. (Das wird im Fall einer drohenden Insolvenz besonders deutlich; beim Sachverhalt der Verschleppung und bei Steuerschuld besteht sogar unbeschränkte Privathaftung. Dass die Geschäftsführung darüber hinaus für sogenannte "Vermögensschäden" nach deutschem Aktiengesetz mit dem Anderthalbfachen ihres Jahressalärs haftet, dürfte den wenigsten Kollegen bekannt sein.)

Über Entscheidungsspielräume und Pseudo-Privatisierungen

In der Februarausgabe der Deutschen Bühne stellt der Intendant des Theater Hagens, Norbert Hilchenbach, unter der Überschrift "Genaue Genehmigungsverfahren" dar, wie jegliche Maßnahme seines Betriebs (als Amt!) durch die städtische Verwaltung geprüft wird: "Die Genehmigungen – sowohl für die Personaleinstellungen wie auch für die Sachausgaben – sollen nur dann erteilt werden, wenn eine umfangreiche schriftliche Begründung für die jeweilige Maßnahme vorliegt". In diesem Modell ist es das alte System der intervenierenden Verwaltung, das Geschäftsführungskompetenzen an sich zieht, ohne sie nach außen sichtbar zu vertreten.

Und in der Rostocker Theater-GmbH? Dort hat Ende Februar 2013 der Oberbürgermeister angekündigt, zukünftig sei ihm jeglicher Vertrag bzw. jegliche Zahlungsverpflichtung des Theaters binnen drei Tagen zur Kenntnisnahme vorzulegen. Das – so korrekterweise das Schreiben der Verwaltung – entbinde die Geschäftsführung nicht von ihrer "Pflicht, im Rahmen des Budgets Entscheidungen für den reibungslosen Spielbetrieb im Volkstheater Rostock zu treffen". Wie immer dieser explizite Hinweis auf die Verantwortung bei gleichzeitig enger Kontrolle politisch zu bewerten ist, er spiegelt eine Gesamtsituation, die für alle Beteiligte immer weniger Handlungsspielraum lässt.

Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob die Privatisierungswelle öffentlicher Leistungen wirklich eine Privatisierung ist. Oder nicht vielmehr ein besonders effektives Mittel zur Steuerung bei gleichzeitiger Delegation von Verantwortung und Haftung. Dann hätte man es mit einer Staatsferne als einem inszenierten Spiel zu tun, dem die Theaterleute freilich wenig entgegen zu setzen haben, weil es sie (sprich: die Betriebs- und Arbeitsstrukturen) zu einem gewissen Grad auch erzeugt. Die (neo)liberale Beschwörung von Staatsferne und Marktfreiheit, wie sie seit 20 Jahren als probates Mittel gegen die "Verkrustung" der deutschen Wirtschaft angestimmt wird, mutet jedenfalls umso merkwürdiger an, als bei genauem Hinsehen die Regulierungswut durch Erlass von Handlungsnormen für den Geschäftsbetrieb in nichts nachgelassen hat.

Das Insolvenz-Problem

Gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ergibt sich für einen beihilfeabhängigen Betrieb wie ein Theater als GmbH ein spezifisches Problem, das das Risiko für den Betrieb massiv erhöht. Da der Rechtsträger bei Ausgründung die neue Theater-Gesellschaft häufig nur mit geringem Eigenkapital ausstattet und auch Jahresverluste nicht immer rückwirkend ausgleicht, kann es schnell zu einer Vermögensauszehrung mit dem fatalen Ergebnis einer Bilanzüberschuldung kommen. In diesem Moment hängt alles daran, eine plausible "positive Fortführungsprognose" zu erstellen, d.h. einen glaubhaften Finanzierungs- bzw. Sparplan für die nächsten zwei Jahre – wie jüngst in Rostock geschehen. Wenn dies aufgrund der Situation des kommunalen Haushalts nicht möglich ist, greift die Insolvenzordnung.

Wettbewerbsordnung und die Ironie der "Haftung"

Besondere Ironie liegt darin, dass ein Unternehmen, das finanziell an der Nabelschnur der öffentlichen Haushalte hängt, in einer Form existieren soll, die durch ihre Haftungsbeschränkung ("mbH") direkt auf das Risiko einer Insolvenz im Marktwettbewerb verweist. Im Unterschied dazu ist es gerade die Idee öffentlicher Haushaltswirtschaft, die Erfüllung von staatlichen Aufgaben abzusichern. Hier ist das Ziel nicht Gewinn, sondern die stabile Finanzierung. Daher besteht das wesentliche Element der Kameralistik (d.h. öffentlicher Buchführung) in der "Gesamtdeckung": Ein Verlust eines Einzelbetriebs ist per definitionem ausgeschlossen, da er stets im städtischen Gesamthaushalt aufgeht und dort ausgeglichen wird.3

Die GmbH als Form bedarf – dafür ist sie konzipiert – zu ihrer Fortentwicklung der Wettbewerbsordnung. Ein "privatisiertes" kommunales Theater wird sich jedoch aus nachvollziehbaren Gründen niemals voll dem Wettbewerb des Marktes stellen können.4 Man hätte es also mit einer Form scheinbarer Staatsferne zu tun, die gleichwohl den Marktkräften nicht ausgesetzt ist. Über Rechtsordnung und Verwaltungserlasse ist eine "Selbststeuerung" der angeblich autonomen Theatergesellschaft im Sinn des Staates weiterhin gegeben - und dies ganz ohne dass ein Wettbewerbsdruck unliebsame Strukturveränderungen erzeugen könnte.

Im Kontext dieser Erkenntnisse mutet das von den Verfechtern einer neoliberalen Gouvernementalität gern und pathetisch hervorgehobene Moment der "Freiheit" in Bezug auf die Privatisierungseffekte seltsam naiv an.

Die Sache mit den Tarifen

Als Wilfried Schulz 2009 vom Schauspiel Hannover zum Staatsschauspiel Dresden wechselte, war das auch der Wechsel von einer GmbH in einen Staatsbetrieb. Der Unterschied dürfte für ihn allerdings marginal gewesen sein, jedenfalls in Bezug auf die Möglichkeit, über die Verwendung seiner Budgets frei zu verfügen. Kein Staatsministerium wird einen Intendanten über die Maßen mit Amtslogik behelligen, der ein volles Haus hat.5 Und eine ergebnisorientierte Budgetsteuerung mag für den künstlerischen Leiter einer GmbH ebenso wenig spannend sein wie als Eigenbetrieb im Amt. Was die Frage der Tarifpolitik betrifft, liegt die Sache allerdings anders.

Die Mitarbeiter eines kommunalen (Amts-)Theaters sind Beschäftigte der Gemeindeverwaltung, also der Stadt. Daher gelten für sie im nicht-künstlerischen Bereich deren Tarifbedingungen. In der Regel wird für die künstlerischen Mitarbeiter das geltende deutsche Flächentarifrecht angewendet, und zwar dann, wenn die Kommune Mitglied im Deutschen Bühnenverein ist. Die Tariferhöhungen, die den kommunalen Verwaltungsangestellten gewährt werden, sind tarifvertraglich auf das künstlerische Personal sinngemäß anzuwenden.

In einer solchen Konstruktion bewegt sich das Theater tarifpolitisch immer im Fahrwasser der Kommune. Einen Sondertarif für einen Teil der Verwaltungsmitarbeiter kann es aufgrund der rechtlichen Unselbständigkeit von Ämtern nicht geben. In Berlin ist jahrelang Lohnverzicht geübt worden, weil die Hauptstadt einen entsprechenden Haustarif für das ganze Bundesland abgeschlossen hatte. Mit der entsprechenden Konsequenz für die Theater: Bis auf die Schaubühne, das Berliner Ensemble und die kleinen Privattheater sind bis heute alle nicht privatisiert. Einzig die Opernhäuser konnten mit Gründung der Stiftung Oper in Berlin ausscheren und schließlich einen eigenen, vom Land abweichenden Haustarifvertrag verhandeln – mit Billigung des Kultursenators, der gleichzeitig Regierender Bürgermeister ist.

In einer nichtprivatisierten Konstruktion ist die Umsetzung von Tariferhöhungen bei Vollmitgliedschaft im Flächentarif für Theater unabwendbar. Nicht geregelt ist hingegen, ob die Kostenerhöhungen von der kommunalen Verwaltung kompensiert werden. Ohne jeglichen Einfluss auf die Tarifpolitik müssen Intendanten immer wieder ohnmächtig zusehen, wie ihnen im Haushalt an anderer Stelle gestrichen wird. Es bleibt nur der schwache Trost, dass am Ende des Jahres jeglicher Verlust in der Logik der Kameralistik automatisch ausgeglichen wird.

Austritt: Haustarif

Die Möglichkeit, hier einen eigenständigen Weg zu gehen, ist für die privatrechtliche Gesellschaft jederzeit gegeben. Der schlichte Austritt aus dem kommunalen Arbeitergeberverband hebt die Lohndynamik auf und erzwingt aufgrund der schwebenden Situation Verhandlungen mit Gewerkschaften und Mitarbeitern zu einem alternativen Weg. Das mag insgesamt zu bedauern sein, kann aber die Perspektive eines Theaters für die nächsten Jahre sichern. Zumal dies in der Regel mit Beschäftigungssicherung einhergeht. Dass dieser Weg inzwischen von immer mehr Kommunen als Teil einer dauerhaften Einsparmöglichkeit und Lohnverzicht als Weg zur Personalkosteneffizienz angesehen wird, konterkariert allerdings den Gedanken einer ausgewogenen Tarifkultur, wie sie für die Bundesrepublik für Jahrzehnte maßgeblich war.

Die Krise der Kommunen

Die enge Manöverlage zeigt sich am Beinahe-Desaster des Rostocker Volkstheaters als GmbH. Bezeichnenderweise standen sowohl der Deutsche Bühnenverein als auch die Gewerkschaften der möglichen Insolvenz des städtischen Theaters in Rostock hilflos gegenüber. Es ist eine Hilflosigkeit, die auf unbeabsichtigte Weise dem zuarbeitet, was unter Begriffe wie Privatisierung oder "Neues Steuerungsmodell"6 oberflächlich zusammengefasst wird. Im Kern jedoch ist es die Krise der deutschen Städte und Kommunen als maßgebliche Rechtsträger der Stadttheater, die zur Krise der Betriebe wird. Rechtsformänderungen, Leistungsvereinbarungen und Haustarife doktern an Symptomen herum, deren Ursache von den Kulturbeschäftigten selbst nicht beeinflusst werden kann. Das strukturelle Defizit kommunaler Haushalte ist eine Setzung, die sich angesichts des Verfassungsrangs der Schuldenbremse verschärft.7

Bühnenverein und Verträge

Der seit 2010 ausgesetzte Flächentarifabschluss für die deutschen Kulturorchester wird mit einer Einigung zwischen Orchestergewerkschaft und Bühnenverein die Träger vor nicht zu bewältigende finanzielle Aufgaben stellen. Ganz zu schweigen von der Situation in Berlin, wo die Stiftung Oper ab 2015 einen jährlichen Mehrbedarf von 17 Millionen Euro avisiert. 2017 tritt das Bundesland Berlin dann insgesamt in die Flächendynamik ein, mit einem angeblichen Bedarf von zusätzlichen 40 Millionen Euro für die Berliner Theater. Die Tarifparteien der deutschen Theater werden dem mit ihren Instrumenten ohnmächtig gegenüber stehen.

Auch in Rostock haben sich die Tarifpartner ein Jahr lang redlich darum bemüht, die absehbare Katastrophe durch Verhandlungen zu einem Haustarifvertrag abzuwenden. Und auch hier hat das Scheitern exemplarischen Charakter. Der zur Konsolidierung des Haushalts der Hansestadt notwendige Lohnverzicht ist als Lohndumping in der deutschen Tarifkultur (richtigerweise) nicht konsensfähig.

Im öffentlichen Diskurs wird sich die Frage nach substantieller Kulturpolitik schließlich darauf verengen, ob und welche Kultur noch finanzierbar sei. Die Antwort des Bühnenvereins darauf lautet – jenseits aller Detaillösungsversuche – bekanntermaßen immer noch: Theater muss sein!8

Die Kommune in Frage stellen

Doch Defizite in den Verwaltungshaushalten, Altschuldentilgung, Vermögensverzehr und sinkende Steueranteile der Kommunen – all diese Belastungen stellen die lokale Selbstverwaltung in Bezug auf "freiwillige Aufgaben" zugunsten von Ländern und vor allem Bund radikal infrage. Angesichts dieser Bedrohung muten die Aktionen der Theater – von Spartenschließung bis Haustarif – als Spiegelfechterei an. Niemals werden die Theater zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitragen können, denn die Probleme der Theater sind Folge und nicht Ursache der Gesamtsituation. Damit sitzen sie in der gleichen Vergeblichkeitsfalle wie andere kommunale Leistungsträger, die im Namen der Zukunft demontiert werden – bis immer weniger Zukunft stattfindet. Dass dennoch ein substantieller Einsparbeitrag der Theater erwartet wird, zeigt, wie der Staat offenbar immer weniger bereit ist, sogenannte "freiwillige" Aufgaben zu übernehmen. Vielleicht will er sie gerade deshalb zunehmend strikter kontrollieren und die Haftung für ein Misslingen Dritten auferlegen. Und dafür eignet sich der Status einer GmbH offenbar hervorragend.

Von Hartz: "Wir haben es zugelassen"

"Wir haben gesehen, wie Krankenhäuser privatisiert wurden, öffentliche Betriebe ins Cross-Border-Leasing verschwunden sind, Arbeitsmarktreformen stattfanden, kurz viele große und kleine Entsolidarisierungmaßnahmen. Die Frage ist dabei nicht, ob das im Einzelfall richtig ist, sondern wie wir zulassen konnten, dass eine liberale Ideologie Common Sense wird, in der Entsolidarisierung ein zentraler Mechanismus ist. Der Zusammenbruch der Kommunen ist doch nur das Ergebnis eines Jahrzehnts, in dem konsequent gesellschaftlicher Reichtum von der öffentlichen in die private Sphäre verschoben wurde. Möglicherweise haben wir da etwas unterschätzt. Die wenigsten von uns haben dagegen politisch gekämpft. Wir haben in unseren Theatern und Museen diese Prozesse wenig reflektiert, analysiert, dafür sensibilisiert und dagegen ggf. polemisiert. Das ist deswegen besonders tragisch, weil unsere Kulturinstitutionen zu den letzten öffentlichen Räumen gehören, die nicht durchökonomisiert sind und in denen diese kritische Auseinandersetzung geht."

Dieser Wortbeitrag von Matthias von Hartz im Rahmen der "Düsseldorfer Debatte" performt selber, was er kritisiert: dass man da etwas unterschätze. Die Annahme, dass unsere Kulturinstitute nicht ökonomisiert wären, ist Teil einer Naivität, die das kulturpolitische Scheitern vorprogrammiert. Wir sollten verstehen lernen, in welcher Weise wir auf einem Fundament stehen, das auch unser Handeln und Probehandeln auf der Bühne bedingt. Für Brecht eine Banalität, heute scheinbar eine neue Erkenntnis.

Theater muss seine Form reflektieren

Und auch dies ist banal: Theater als Betrieb braucht Form, und über diese Form darf man reflektieren. Wer andere kritisiert, darf daher auch kritisiert werden. So müssen sich die Aktivisten so genannter freier Netzwerke, die das Theater "als Institution" überhaupt (ob nun Amt oder GmbH) attackieren, durchaus gefallen lassen, dass man in ihnen eine Gegenbewegung erkennt, die mittels Freisetzung der Arbeitnehmer als Ich-AG "direkt auf den gesamten Lebenszyklus der Individuen"9 zugreift. Eine Tendenz, die die Produktionsverhältnisse der Freien Szene beschreibt: Die Externalisierung und Flexibilisierung der Arbeit durch das globale Wachstumsregime spiegelt sich in den selbständigen Künstlerexistenzen, die ihre zwiespältige Freiheit von der Sozialversicherungspflicht als "Flexibilisierung von Produktionsformen" bewerben. Dennoch müssen die Einwände der freien Netzwerker ernst genommen werden: als Unbehagen gegenüber institutionalisierten Produktionsbedingungen, die Gefahr laufen, nicht mehr produktiv zu sein.10

Und nun?

Die Antwort könnte womöglich in einem Fingerzeig bestehen, der die Sache nicht einfacher macht. Sie kann nur heißen, dass wir es uns nicht in unserer liberalen und angeblich "nicht durchökonomisierten Nische" des Theaters gemütlich machen, während draußen der Sturm tobt, den wir allenfalls ästhetisch reflektieren. Vielmehr haben wir allen Grund, uns vor uns selbst zu fürchten und kritische Reflexe darauf zu entwickeln, in welchem Maß unsere Arbeitsbedingungen bereits Logiken reproduzieren, deren Wirkung wir bei allem Künstlertum sträflich unterschätzen. Dazu gehört auch die Frage, die jüngst am Gorki-Theater virulent wurde, als die zukünftige Intendantin einen wesentlichen Teil des alten Ensembles nicht verlängerte: In welchen Strukturen wollen wir arbeiten – jenseits aller überkommenen Tarif- und Organisationsstrukturen und auch jenseits der vorgeblichen "Freiheit" des Off-Theaters?

Es geht insgesamt und mit aller Insistenz um eine Kritik der subtilen und fatalen Betrieblichkeit, welche sich ins deutsche Theater auf Druck der Verwaltungen und Subventionsgeber eingeschlichen hat; eine Kritik, die gut daran täte – so meine ich – den Faden dort wieder aufzunehmen, wo er augenscheinlich liegen geblieben ist: bei Brecht, Müller, Schleef und all den anderen, die sich als Denker eines Theaters verstehen, das mehr ist als Text, Szene und Zuschauer: Produzent nämlich im weitesten Sinn.11

 

stefan-rosinski dorit-gaetjenStefan Rosinski, 1961 in Flensburg geboren, studierte Musiktheaterregie bei Götz Friedrich und arbeitete viele Jahre in der Freien Szene Hamburgs und Berlins. Er war Verwaltungsdirektor am Staatstheater Hannover, Generaldirektor der Berliner Opernstiftung und Chefdramaturg an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seit 2011 ist Stefan Rosinski kaufmännischer Geschäftsführer am Volkstheater Rostock.

 

Fußnoten:

1) Bundesministerium der Finanzen, Ausgaben des Staates in Relation zum BIP: 1960 32,9% (21,7); 1970 38,5% (26,1); 1980 46,9% (29,6); 1990 43,6% (27,3); 2000 47,6% (26,4); 2010 47,7% (27,4). In Klammern jeweils davon die Ausgaben der Gebietskörperschaften.

2) In dieser Hinsicht stellt das Projekt der Hamburger Elbphilharmonie mit seiner komplexen Organisationsstruktur nicht nur in Bezug auf den Bau, sondern auch die spätere Betriebsfinanzierung und -steuerung eine besondere Herausforderung für die Kulturbehörde dar.

3) Vgl. Klaus Jungfer: Die Stadt in der Krise. Ein Manifest für starke Kommunen. München: Hanser Verlag 2005.

4) Im Godesberger Programm von 1959 billigt die Sozialdemokratie erstmals offiziell das Prinzip der Marktwirtschaft; jedenfalls dort, "wo zumindest die Bedingungen eines echten Wettbewerbs herrschen." Danach wäre die Rechtsform einer privaten Kapitalgesellschaft für ein kommunales Theater auszuschließen.

5) Vgl. jedoch die Auseinandersetzungen in Köln zwischen dem damaligen Opernintendanten Laufenberg und Kulturdezernenten Quander.

6) NSM: Ämter sind wie privatwirtschaftliche Profit oder Cost Center zu führen.

7) Bundesdeutsche Realität ist, dass 90 Prozent der kommunalen Aufgaben durch EU, Bund und Land vorgegeben werden. Nur zehn Prozent der städtischen Aufgaben passieren folglich im Sinne der Eigenverantwortlichkeit." Der springende Punkt dabei sei, dass den Kommunen die für die Wahrnehmung eines Minimums freier Aufgaben zwingend erforderliche Mindestfinanzausstattung vorenthalten würde. So zuletzt Rainer Häusler/Martin Häusler: Deutschland stirbt im Westen. Berlin: Europa Verlag 2012.

8) "Kulturinstitutionen sind immer noch vom ‚Rationalitätstyp korporativer Selbsterhaltung' (Gerhard Schulze) geprägt - ‚Theater muss sein'! Mehr Begründung braucht es anscheinend nicht." Haselbach, Klein, Knüsel, Opitz, Der Kulturinfarkt. München: Knaus 2012. Es heißt allerdings (zu) viel erwarten, wenn ausgerechnet der Bühnenverein ein Problem lösen soll, das ein gesellschaftliches Gesamtphänomen ist.

9) Vgl. Christian Marazzi, Sozialismus des Kapitals. Zürich 2012, S. 23.

10) Hierin könnten sich die Lobbyisten der freien Szene durchaus mit den Kulturinfarkt-Autoren einig sein; vgl. dort, S. 15: "So abwegig ist der Befund nicht, dass wir mit Steuermitteln das Ende zukunftsorientierter Kunst- und Kulturproduktion herbeigeführt haben." Den Analysen dieser Publikation ist im Übrigen einiges abzugewinnen; die vorgeschlagenen Konsequenzen hingegen bewegen sich größtenteils im sattsam bekannten Mainstream einer "Sub-Theologie" des Marktes; der vorgeschlagene Lösungsweg einer Ordnungspolitik in der Tradition des deutschen Ordoliberalismus reproduziert die Obsession unserer Zeit, alles und jedes nach den Logiken von Wettbewerb und freiem Unternehmertum zu organisieren.

11) Dazu, was dies für ein kommendes Theater heißen könnte, vgl. Lyotard, Der Zahn, die Hand, 1973.

 

Siehe auch: Stadttheaterdebatte

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