Spott und Strenge

von Georg Kasch

März 2013. Was, schon wieder ein Buch über Gustaf Gründgens? Nach dessen 100. Geburtstag 1999 mit Symposion und (sich länger hinziehender) Publikationsflut hatte man fast den Eindruck, das Thema sei durch und alles gesagt. Wenn Thomas Blubacher nun zum 50. Todestag die erste Publikation vorlegt, die sich mit GGs gesamtem Leben und Schaffen auseinandersetzt, zugleich lesbar und verständlich bleibt und im Wesentlichen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, dann reibt man sich verwundert die Augen: Hat es bislang wirklich noch keine taugliche Biografie gegeben?

Hat es nicht, auch Blubachers zwei Vorgänger-Versuche waren eher Skizzen. Jedenfalls keine, die sich derart vorgenommen hätte, das Bild vom prägenden deutschen Schauspieler, Regisseur und Intendanten durch mehrere politische Systeme zurechtzurücken. Blubacher kennt den aktuellen Forschungsstand, hat akribisch das GG-Archiv in der Berliner Staatsbibliothek durchforstet und auch rechts und links vom Wegesrand spannende Quellen aufgetan. Leserfreundlich erzählt er entlang der beruflichen Stationen von der Provinz über Hamburg nach Berlin, später Düsseldorf und Hamburg. Er konzentriert sich auf die zentralen Rollen, den Hamlet und den Mephisto, erzählt auch längst erschöpfend erforschte Episoden wie die um Klaus Manns "Mephisto"-Roman straff durch.

An sich selbst gescheitert

Gerade über Gründgens Karriere, seine Zeit im Dritten Reich und seine Position im Adenauer-Deutschland erfährt man aber, wenn man den Stand der Forschung verfolgt hat, wenig Neues. Allerdings gelingt es Blubacher als erstem, den Menschen GG zu zeichnen. Gestalt gewinnt ein Mann, der an sich selbst scheitert. Einer, der sein ganzes Leben lang wie besessen arbeitet, bis zum Beginn der Berliner Intendanz immer zu wenig Geld hat, auch, weil er seine wenige freie Zeit mit Luxus vergoldet. Ein begnadeter Spötter, der sich selbst zu klassizistischer Strenge verdonnert, ein Harlekin, für den es irgendwann nichts mehr zu lachen gibt. Einer, der Männer liebt und Frauen heiraten will, der immer vom Paragrafen 175 gefährdet ist und sich dagegen mit allen Mitteln abzusichern versucht. Einer, dem die Lebensgefährten immer wieder abhanden kommen, der sich, sobald er Macht besitzt, zurückzieht, in seine Krankheiten, einer, der seine Neurosen voll auslebt und strategisch einsetzt. Einer, der zu Freundschaften begabt scheint – und am Ende vereinsamt.

cover blubacher gruendgensGerade weil er der erste ist, der Gründgens' mehr Homo- denn Bisexualität so deutlich beschreibt, gewinnen etliche Lebensstationen an Plastizität. Etwa die von der Machtergreifung der Nazis bis zu seiner Ernennung zum Staatsrat (und zur Ehe mit Marianne Hoppe): ein einziges Auf und Ab zwischen Röhm-Putsch und "Hamlet", Angriffen von Goebbels und Schutzsuchen bei Göring.

Oder sein Zusammenleben mit Peter Gorski nach dem Krieg unter dem Deckmantel der Adoption – mit Folgen auch für den sonst so korrekten Intendanten: Obwohl Gorski als Regisseur eher weniger begabt ist, wird er immer wieder eingesetzt. Überhaupt ist es erfrischend zu lesen, wie wenig unfehlbar GG im Beruflichen war – einige Flops und Fehlentscheidungen knabbern ordentlich am Bild der konservativen Lichtgestalt.

In Momenten wie diesen geizt Blubacher mit Wertungen, stellt oft sich widersprechende Zeugenaussagen und Dokumente nebeneinander und überlässt dem Leser das Denken – das ist oft angenehm, aber zuweilen würde man sich klarere Einordnungen wünschen.

Dumme Kommentare

Seine Biografie hat freilich eindeutigere Schwächen: Es gibt Quellen, mit denen der Autor kritischer hätte verfahren müssen, der GG ergebenen Klatschbase Curt Riess etwa und den Kritiken während der NS-Zeit. Es gibt Passagen, die vor lauter Aufzählungen oder detaillierter Abschweifungen zum Überlesen einladen; gleich das zweite Kapitel rekonstruiert GGs Familie bis weit in die Nebenlinien – Fußnoten hätten es auch getan. Es gibt Abschnitte, die sind mäßig recherchiert, etwa bei den Details seines Wechsels nach Düsseldorf.

Auch dass der entscheidende Wendepunkt in Gründgens Leben – seine freiwillige Flucht an die Front 1943, die Schließung aller Theater 1944 (die GG zu verhindern versucht), sein Überleben in Berlin, seine Verhaftung 1945 und die folgenden neun Monate in sowjetischen Lagern – eher flüchtig geschildert werden, ist ein Manko, sind es doch diese Erfahrungen, wegen denen sich Gründgens später reingewaschen sieht.

Mag man sein Lavieren und Taktieren während des Nationalsozialismus, die vielen kleinen richtigen Gesten innerhalb der großen falschen, sich als Repräsentant zur Verfügung zu stellen, bewerten, wie man will – Gründgens' eigentlicher moralischer Sündenfall war es, hinterher kein Wort, keine Geste der Entschuldigung zu finden, sondern stattdessen mit seinen teils Leben rettenden Taten hausieren zu gehen und dumme Kommentare zu liefern wie der, Schauspieler seien doch per se unpolitische Wesen: "Im Vordergrund hat für den Schauspieler die Kunst gestanden, oder besser gesagt, die gute Rolle, die interessante schauspielerische Aufgabe. Diesen Mangel an politischer Erziehung teilt der deutsche Schauspieler mit dem gesamten deutschen Volk."

 

Thomas Blubacher:
Gustaf Gründgens. Biografie.
432 S., Henschel Verlag, Berlin 2013 34,90 Euro.

 

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Kommentare  
Biographie Gründgens: sein Mephisto!
Für mich ist sein Mephisto im Faustfilm, die beste schauspielerische Leistung (verfilmtes Theater), die ich kenne.
Biographie Gründgens: Der Weisheit Brüste
Da seid Ihr eben recht am Ort.

Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
nicht gleich im Anfang willig an,
doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird`s Euch(Nachtkritiker+Kommentatoren)
an der Weisheit Brüsten
mit jedem Tage mehr gelüsten.
Biographie Gründgens: im Minus mit Goethe
Was?! Man gibt mir hier eine Minus-1, bloß weil ich nichts weiter
als Goethe-Faust zitiert habe mit einem bescheidenen Kleinein-Schub "Nachtkritiker-Kommentatoren" und weiter gar nichts?
Wie undankbar und kleinlich ihr doch alle seid!
sagt Euch frühmorgens in vollem Un-Ernste Johann Wolfgang von G.
Biografie Gründgens: geputze K-Menschen
Schon habe ich mir drei Minus eingehandelt.

Der Osterspaziergang nahet schon. Ein Anlass, um eine weiter Bosheit
in dieser Gegend anzubringen:

Aber die Sonne duldet kein Weißes, Überall regt sich Bildung und Streben, Alles will sie mit Farben beleben, Doch an Blumen fehlts
im Nachtkritik-Revier
Sie nimmt geputzte Kommentatorenmenschen dafür.
Biographie Gründgens: ihr lieben K-Menschen
Jetzt habe ich auf 4. bereits eine +1. Vielen Dank. Ich habe mich also verbessert durch geputzte K-Menschen.

Ach, wenn in unsrer engen Nachtkritikzelle die Lampe freundlich
wieder brennt, dann wird`s in unserm Kommentatoren-Busen helle,
im theatralen Herzen, das sich selber goethisch kennt.

Nochmals vielen Dank, ihr lieben K-Menschen!
Biografie Gründgens: Zitat
"Ein tüchtiger Feind bringt uns weiter als ein Dutzend untüchtige Freunde."
(Gustaf Gründgens)
Biographie Gründgens: Roman einer Karriere
Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Menschenwürde.
Der Roman "Mephisto - Roman einer Karriere" ist heute frei verkäuflich, wenngleich das Urteil, das seine Veröffentlichung verbietet, bis heute Bestand hat.
Der Roman wurde erst 1981 in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht (vorher konnte man allerdings ohne große Mühe
die in der DDR gedruckte Ausgabe erhalten) und im selben Jahr
auch verfilmt.
Biografie Gründgens: Darstellung des Bösen
Wenn ich sage, Gründgens Mephisto sei für mich die beste schauspielerische Leistung die ich kenne, so meine ich die beste
schauspielerische Leistung in der Darstellung des "Bösen".
Biografie Gründgens: Maske des Schauspielers
... über die erstaunliche Leistung Brandauers. Sein Höfgen gerät durch rein interpretatorische Mittel in fast gespenstischer Weise
zur charakterlichen "Unperson", die zunächst nur im Rollenspiel auf der Bühne ein "Gesicht" bekommt, später aber Wege findet, auch im Privatleben eine "Rolle" spielen und Persönlichkeit damit wenigstens vortäuschen zu können. Höfgen ist ein Schauspielertyp, der wenig eigene Persönlichkeit hat und deshalb umso leichter in Rollen hineinschlüpfen kann.
Dass die Figur des Mephisto Höfgens Glanzrolle ist, zeigt nur, wie wenig er selber zum Verführer taugt. Deshalb passe er sich um jeden Preis den Verhältnissen an. Denn eine Rolle zu spielen - auf der Bühne wie im Privatleben - ist für Höfgen die einzige Möglichkeit der Existenz. Die Maske des Schauspielers verdeckt die Gesichtslosigkeit des Individuums.
Biografie Gründgens: man?
"Mag man sein Lavieren und Taktieren während des Nationalsozialismus, die vielen kleinen richtigen Gesten innerhalb der großen falschen, sich als Repräsentant zur Verfügung zu stellen, bewerten, wie man will".
Kann "man" wirklich so etwas noch schreiben, "man" kann, wer aber ist dieses "man"?
Biografie Gründgens: wer hat ihn noch gesehen?
Man ist Mann(?). In diesem Fall einer der genialsten deutschen
Schauspieler der alten Garde. Als Mephisto im Faust jedenfalls
unbedingt . . . Wer hat ihn noch auf der Bühne gesehen?
Biografie Gründgens: beeindruckt und erschüttert
Ich kenne GG leider nur aus Filmen und von Schallplatten. Er hat mich nicht gepackt. Seinen Mephisto finde ich peinlich manieriert.

Was mir an ihm maßlos imponiert:
1. dass er 1940 Goebbels schreibt, er weigere sich, den Chamberlain in Emil Jannings' "Ohm Krüger"-Dreckfilm zu spielen. Und wenn er dazu gezwungen würde, würde er dafür kein Honorar annehmen.

2. Dass er 1943 fordert, wie seine anderen Mitarbeiter am Schauspielhaus an die Front versetzt zu werden, weil er die Privilegien, die er als Kulturfassade genießt, nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren kann.

Was mich an dieser Persönlichkeit erschüttert: Dass ein Mann, der sich nichts so sehr wünscht, wie akzeptiert zu werden und dazuzugehören, möglichst an vorderster Front (denn er war eitel), wegen seiner Sexualität gesellschaftlich erst ausgegrenzt und erpresst (§ 175) und als Folge dessen in die Komplizität des Verbrechens getrieben wird. Schade, dass Fassbinder sich nicht dieses Stoffes angenommen hat.
Es ist wahrlich eine Tragödie, die noch heute aktuell ist, weil sie sich täglich ereignet. Russen, Ungarn, Aserbeidschaner, Weissrussen, Chinesen, Tibeter usw. können das sicher genauer erläutern.
Biografie Gründgens: Einwand
die werden aber nicht preussischer Staatsrat....
Gründgens-Biografie: Göring war angewiesen
@ 14:
Blubacher, S. 196f.: "Der politisch bedeutungslose Titel eines Preußischen Staatsrats garantiert quasi Immunität, denn ein Staatsrat kann nur mit persönlicher Erlaubnis des Ministerpräsidenten festgenommen werden; die Jahresdiäten in Höhe von 5000 Mark überweist Gründgens der Winterhilfe."

Immunität brauchte Gründgens 1936, weil der Völkische Beobachter und die Mannen Rosenbergs gerade eine Attacke auf Gründgens' Homosexualität geritten hatten. Gründgens war nach Basel geflohen und Göring holte ihn unter der Androhung zurück, sonst seine Eltern, Geschwister, Verwandten, alle Juden, Halbjuden und Homosexuelle am Staatstheater zu verhaften und eine Causa Gründgens (analog zur Causa Röhm 1934) aufzumachen. Insofern trug Gründgens nicht nur für sich Verantwortung, sondern z.B. auch für seinen damaligen jüdischen Sekretär Erich Zacharias-Langhans, der in Berlin fest saß.
Damit will ich Gründgens gar nicht komplett aus der "Schusslinie", sondern nur belegen, dass Ihr Argument nicht greift. Suchen Sie andere.


Eines liegt im geschilderten Vorgang selbst. Hätte Gründgens nicht Todesangst gehabt, hätte er realisieren müssen, wie sehr Göring auf ihn angewiesen war. Die Nazis wollten - gerade im Jahr der Olympiade - verhindern, dass ihnen alle Prominenten weglaufen. Insofern zeigt das Geschehen auch, welche Rolle die Künstler in ihrem Kalkül spielten. Sie stellten sich ja als Kulturnation dar, die noch im Krieg an ihren Theatern festhielt. Insofern stimmt schon, was Thomas Mann 1946 schrieb: Die Prominenten hätten nicht mitmachen dürfen.
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