Trilogie der Trostlosigkeit

von Guido Rademachers

Bonn, 21. März 2013. Ziemlich desillusionierende Zeiten, diese westdeutschen 1970er Jahre mit der Ölkrise, mit ihrem Linksterrorismus und dem Ende von Love-and-Peace. Regisseur Dominic Friedel, selbst Jahrgang 1980, lässt die Zuschauer auf die Bühne der Bonner Werkstatt führen – und dort bleiben sie erst einmal allein. Die Seiten sind mit Plastikplanen abgehängt. In der Mitte wartet ein neongelb gestrichenes Ölfass darauf, bespielt zu werden.

Mit Gewalt und Ongaschmoh

Minuten vergehen. Schließlich bahnen sich vier RAF-Zombies mit Halloween-Kontaktlinsen, angeklebten Schnauzern und extralangen Retro-Koteletten den Weg durch die Menge, drängen sich in die Mitte, fuchteln mit Pistolen und Maschinengewehr herum und gründen sich – getreu dem Marx-Spruch, dass sich Geschichte wiederhole: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce – neu als Fraktion "Fotze" ("Für Ordnung Tatkraft Zusammenhalt und ... E ... Ongaschmoh"). Vordenker und "Oberfotze" Felix (Philine Bührer) ist gegen das System und für Gewalt, was gleich schon mal das in eine Ecke getriebene Publikum zu spüren bekommt (im Text musste dafür noch eine Anstaltspflegerin herhalten). Da es dennoch an echten Toten mangelt, werden noch Bekennerschreiben für Verkehrstote verfasst. Und dann ist der Terrorspuk auch schon zu Ende.

bigmitmache 560 thilobeu uFraktion "FOTZE": das Ensemble in "Big Mitmache" © Thilo Beu

Willy Brandt erklärt in einer eingespielten Rede ganz Deutschland zur Fußgängerzone. Der 25.11.1973 war der erste autofreie Sonntag. Philipp Löhle hat sein Mini-Drama "Big Mitmache", das 2008 im Rahmen der "Deutschlandsaga" an der Schaubühne uraufgeführt wurde, all jenen gewidmet, denen dieser Tag einen Strich durch die Rechnung machte. Die Schauspieler reißen die Plastikplanen herunter. Die Zuschauer gehen ohne Gewaltandrohung ganz von alleine dorthin, wohin sie sollen, nämlich in den Zuschauerraum.

Lösung für die Generationenfrage

"Herr Weber und die Litotes", das zweite der drei in Bonn gezeigten Kurzstücke, macht eine weitere Rechnung auf: Minus mal Minus ergibt Plus. Das eine Minus (Rolf Mautz als senile Pensionärin) jammert mit Inge-Meysel-Kukident-"S" über "dieche Leere" und furzt. Minus Nummer Zwei, Wolfgang Rüter, erzählt am Schminktisch dem eigenen Spiegelbild so knochentrocken wie knallkomisch seine Gescheiterte-Existenz-Bio, dass man es schon fast vor Lachen aus dem Spiegel fallen sieht. Dann bringt er die Alte gegen Bezahlung um. Generationenfrage für dieses Mal gelöst. Macht Plus.

"Afrokalypse", nach der Pariser Uraufführung jetzt als deutschsprachige Erstaufführung, zeigt einen europäischen Staatspräsidenten mit Adjutant auf der Flucht vor afrikanischen Migranten, den "Barbaren". Tanja von Oertzen ist zwischen Sperrholzwand und erster Zuschauerreihe eingekeilt, kanzelt mal schnell ein paar Silben verschluckend den neben ihr stehenden Untergebenen ab (emotionslos Text abliefernd: Tatjana Pasztor) und beschallt den Saal mit souverän-arrogantem Politikersprech, der es sich nicht nehmen lässt, auch noch beim millionsten Mal zwischen "Grund" und "-recht" eine bedeutende Pause zu lassen und sich ergriffen die Hand auf die Brust zu legen.

afrokalypse 560 thilobeu uGrund-Recht auf Waffengebrauch: Tanja von Oertzen und Tatjana Pasztor in "Afrokalypse"
© Thilo Beu

Endzeit-Clownsspiele

Löhles Kleinstdramen vervollkommnet das Bonner Theater zu einer Trilogie der Trostlosigkeit, drei miteinander verbundene Endzeit-Clownsspiele einer siechenden, wandlungsunfähigen Gesellschaft, die Widerstand nur noch als Farce kennt, Geschichte nur noch als Selbstzerstörung.

Indes droht der Abend auch szenisch zu erstarren. Für die jungen Schauspieler die Action (und die auch nur am Anfang); für die älteren das Sprechen. Die Regie bedient. Dass schließlich Präsident und Adjutant im Rokoko-Kostüm mit Stabmaske auftreten, ist als Hinweis auf die alte/veraltete europäische Kultur natürlich okay, transportiert aber das Gezeigte an aller Dringlichkeit vorbei direkt in den gut sortierten Theaterfundus. Und so wirkt im Nachhinein auch der Beginn wie ein gekonntes, aber auch kokettes Spiel mit der Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum. Ein behändes Herumblättern im Katalog der Mittel. Ein etwas zu glattes Kalkül. Wenn schon gesellschaftliche Stagnation Thema ist, dann nicht auch noch die auf dem Theater.


Big Mitmache
Herr Weber und die Litotes
Afrokalypse (DEA)
von Philipp Löhle
Regie: Dominic Friedel, Ausstattung: Peter Schickart, Dramaturgie: Almuth Voß.
Mit: Philine Bührer, Nico Link, Julia Goldberg, Johanna Wieking, Rolf Mautz, Wolfgang Rüter, Tanja von Oertzen, Tatjana Pasztor.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-bonn.de


Mehr zu dem Dramatiker und Gelegenheitsregisseur Philipp Löhle steht im nachtkritik.de-Lexikon. Dominic Friedel inszenierte schon mehrfach Stück von Löhle. Mehr dazu in seinem Lexikon-Eintrag auf nachtkritik.de.


Kritikenrundschau

Wenn dieser Abend "eine Erkenntnis brachte, dann die von der kinderleichten Manipulierbarkeit der Menschen", schreibt Dietmar Kanthak im Bonner General-Anzeiger (23.3.2013). Denn die Zuschauer mussten vor allem im ersten Teil bei "Big Mitmache" als "mitspielende Beobachter" aktiv werden, mitklatschen und hatten dabei "leider keinen Einfluss auf die Qualität des Textes". Den habe Dominic Friedel mit "lärmigem Slapstick" umgesetzt. Die beiden anschließenden Kurzstücke gefallen dem Kritiker etwas besser. In "Herr Weber und die Litotes" würden von den Schauspielern "intensive Miniaturen zwischen Groteske und Verzweiflung: zum Lachen und zum Mitempfinden" geschaffen. "Ein bisschen Kapitalismuskritik wurde auch spürbar." Das Final mit "Afrokalypse" lebte ebenfalls "von inspirierten Schauspielern", die "physisch ganz nah" kamen.

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