Die Diva und die Wechseljahre

von Martin Krumbholz

Bochum, 22. März 2013. Der Schauspieler, Autor und Regisseur John Cassavetes ist ein herausragender Vertreter des American Independent Cinema. In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts machte er mit kaum mehr als einem halben Dutzend Filmen Epoche, in deren Mittelpunkt häufig seine Ehefrau Gena Rowlands stand: darunter "Eine Frau unter Einfluss" und "Gloria". Die bewegliche Kamera, die hitzigen Dialoge, das oft improvisiert wirkende Spiel: das waren Stilmerkmale, die (vor allem in Europa) Bewunderer und Nachahmer fanden.

Theaterpremiere am Broadway

In "Opening Night" (1977) erzählt Cassavetes von der Vorbereitung einer Theaterpremiere am Broadway. Der weibliche Star Myrtle Gordon hat Probleme: vordergründig mit den Kollegen und mit dem Alkohol, im Grunde aber mit ihrer Rolle, die sie unerbittlich mit dem eigenen Älterwerden konfrontiert. Der Autorin des Stücks (in Amerika war oder ist die Anwesenheit der Autoren bei den Proben offenbar nicht unüblich) wirft sie vor, nur von sich selbst zu erzählen – was andere, und vor allem Myrtle Gordon, nichts anginge. Ein weiblicher Fan taucht auf, erhält ein Autogramm, rennt hinaus auf die Straße, wird überfahren und geistert fortan durch Myrtles Phantasie. Das ist eigentlich schon der ganze Plot.

openingnight 560 dianakuester uUnter den Augen der Autorin: Katharina Linder als Myrtle Gordon und Bernd Rademacher als Regisseur Manny Victor. Im Video: Renate Becker als Dramatikerin Sarah Goode. Im Hintergrund: Sarah Grunert als Nancy © Diana Küster

Cassavetes reflektiert also Methoden und Mechanismen der Bühne im Kino. Das Bochumer Schauspiel bestreitet nun sozusagen das Rückspiel, indem es den Kinofilm wiederum für die Bühne adaptiert. Da Anselm Weber als erfahrener Intendant und Regisseur weiß, dass im Film wie auf der Bühne das Casting die halbe Miete ist, hat er die sieben Rollen einschließlich Inspizient und Garderobiere durchweg exzellent besetzt: nämlich mit Katharina Linder als Myrtle, mit Peter Lohmeyer als ihrem Partner Maurice und nicht zuletzt mit dem muffig-knarzigen Bernd Rademacher als verzweifeltem Regisseur. Das haut hin, obwohl – oder vielmehr: weil Weber sonst fast nichts unternimmt, als die Spieler auf der nur mit einer drehbaren Wand bestückten Bühne ihr Spiel machen zu lassen.

Ihre Version des Spiels

Und die wunderbare Katharina Linder stellt glücklicherweise kein Imitat der Gena Rowlands her, sondern offeriert ihre eigene Version des Spiels: eine weniger "hysterische" als vielmehr weiche, verletzliche, lebenshungrige und sich natürlich missverstanden fühlende Frau in den Vierzigern, die sich von der zwei Jahrzehnte älteren Autorin bedroht sieht, da sie ja noch keine "Hitzewallungen" habe. Raffiniert sind das Spiel im Spiel und das Proben-Spiel miteinander verschränkt, und man sieht, wie intim Myrtles Problematik mit der der Figur im Stück verbunden ist.

openingnight1 560 dianakuester uKatharina Linder als Myrtle Gordon und Peter Lohmeyer als Maurice Aarons © Diana Küster

Einmal fragt Myrtle, nachdem wieder mal eine Probe abgebrochen wurde, ihren Regisseur, warum er eigentlich nicht sie geheiratet habe ("Weil ich meine Frau geheiratet habe", antwortet der), versucht ihn zu küssen – und unterbricht dann wiederum jäh dieses zwischenmenschliche Intermezzo mit der Behauptung, sie habe eben "gespielt"! Das ist Myrtles charmantes Raffinement: die allzu riskante Selbstentblößung in ein leichtes Düpieren des anderen zu verwandeln. Schauspielerei ist hier eben auch: die Kunst, sich zu entziehen. Wenn das nicht mehr gelingt, wird es kritisch.

Abgeklärter Pessimismus

Myrtle wirft der Autorin vor, ihre Figur habe keinen Humor, und sie will vor allem wissen: Gewinnt sie oder verliert sie? Naturgemäß kann die Autorin die Frage nicht beantworten, aber tendenziell sieht es so aus, dass sie alle Figuren ihres Stücks – aufgrund des fortgeschrittenen eigenen Alters – mit einer Art abgeklärtem Pessimismus ausgestattet hat, während Myrtle aufgrund ihrer flagranten Befangenheit in der Situation mit allen Mitteln um einen Rest von Optimismus kämpft (der sich allerdings nicht immer von Selbstbetrug unterscheiden lässt). Darin liegt der Humor, den Cassavetes' Film durchaus besitzt und der auch in Webers Bochumer Adaption und vor allem im Spiel der bewundernswerten Katharina Linder aufblitzt.


Opening Night
nach dem Film von John Cassavetes
in einer Bearbeitung von Sabine Reich nach einer Übersetzung von Brigitte Landes
Regie: Anselm Weber, Bühne: Alex Harb, Kostüme: Meentje Nielsen, Musik: Manuel Loos, Dramaturgie: Sabine Reich.
Mit: Katharina Linder, Peter Lohmeyer, Bernd Rademacher, Renate Becker, Sarah Grunert, Veronika Nickl, Manfred Böll.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspielhausbochum.de

Um die Ohrfeigen-Szene aus Opening Night dreht sich René Polleschs Diskurskomödie "Liebe ist kälter als das Kapital", die 2007 in Stuttgart herauskam und 2008 bei den Mülheimer Theatertagen zu sehen war.


Kritikenrundschau

"Es scheint leicht für eine Schauspielerin zu sein, eine Schauspielerin zu spielen, die eine Schauspielerin spielt. Jeder Fehler, jeder Patzer wirkt, als solle er eine von den beiden anderen Schauspielerinnen charakterisieren", schreibt Jens Dirksen in der WAZ (25.3.2013). Um so schwieriger aber werde es, den beiden Rollen, die da in einem gespielt werden, klare Konturen zu geben. "Katharina Linder schafft das. Sie ist die alternde, aber noch nicht alte Schauspielerin Myrtle Gordon in dem Stück 'Opening Nicht' nach dem gleichnamigen Film von John Cassavetes am Bochumer Schauspielhaus – und sie ist es grandios." Vor allem im Zusammenspiel mit Peter Lohmeyer, der ihren Bühnenpartner Maurice als kühlen Profi hinlege, in dem bei aller Selbstkontrolle beständig ein beleidigter Underdog lauere. Der Rest von Anselm Webers wird mit einem kurzen "gekonnt-routiniert" beschrieben.

"Der Reiz der Dramatisierung liegt im Theater-auf-dem-Theater-Effekt", schreibt Hans-Christoph Zimmermann in der Westdeutschen Zeitung (25.3.2013). Katharina Linder spiele die Myrtle Gordon sehr zurückgenommen. "Keine Überspanntheit, sondern ein Hadern mit der eigenen Weiblichkeit und eine Suche im Repertoire der eigenen und fremden Identitäten." Die Grenzen zwischen Leben und Kunst verschwämmen dabei bis zur Unkenntlichkeit. "Paroli böte ihr nur Nancy (Sarah Grunert), die Regisseur Anselm Weber zu einer regelrechten Wiedergängerin mache. Eher blass bleibe dagegen Filmstar Peter Lohmeyer als Maurice, dessen uneitler Stoizismus weder das Ringen um ein Comeback, noch die frühere Liebesbeziehung zu Myrtle erkennen lasse. Das Unterspielen der Inszenierung wirke sich letztlich als Manko aus. "Die emotionalen Abgründe bleiben flach, die Irritationen berechenbar, so dass am Ende kaum mehr als ein routinierter Theaterabend auf der Habenseite steht."

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