Im Licht des Schattens

von Christian Rakow

Berlin, 29. März 2013. Was für ein Beginn! Irgendwo hinten, in der tiefen, dunklen Leere des Bühnenraums hocken die Schattengestalten. Im Zuschauersaal aber geht das Licht an, peu à peu, bis der riesige Kronleuchter des Deutschen Theaters gleißend hell ist. Und der Wiener Walzer von Johann Strauß "An der schönen blauen Donau" schunkelt sich herein. Neujahrsklänge am Karfreitag.

Blutige Flüche

Für einen langen, komischen Moment verharrt Michael Thalheimer an der Schwelle, die uns von dem chauvinistischen kleinbürgerlichen Milieu in Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" zu trennen scheint, an der Schwelle zwischen Parkett und Bühnenwelt: hier wir, im Strahlenglanz, die Kinder der Sonne, bildungsbürgerlich gerüstet zur Feiertagspremiere in dem Haus, in dem Horváths Volksstück 1931 seine Uraufführung feierte. Und dort die im Dunkeln, die man nicht sieht, die derben Horváth-Figuren, mit ihrem hingerotzten Vorstadtdeutsch und ihren dumpfen Lebensanschauungen. Aber dann wechselt das Licht aus dem Saal zur Bühne hinüber, und nichts ist mehr schwarz-weiß, nichts trennscharf. "Ein Mann hat Licht und Schattenseiten, das ist normal", sagt der verschlagene Geck Alfred einmal. Und Thalheimer wird sie an diesem Abend alle bis in die letzten Nuancen durchdringen, die dunklen wie die hellen Seiten.

wiener wald5 560 declair hAus der tiefen, dunklen Leere: Marianne (Katrin Wichmann)  © Arno Declair

Es ist – mir zumindest – kein Abend erinnerlich, an dem Thalheimer, der große Schwerkraftfinder des deutschen Regietheaters, einen derart leichten, schillernden, komödiantischen Reigen inszeniert hätte. Sein kongenialer Bühnenbildspezi Olaf Altmann muss ihm dabei irgendwie abhandengekommen sein. Wo sonst dessen analytisch klug durchdefinierte Räume helfen, Figuren auf ihren Existenzkern hin auszupressen, stehen nunmehr nur einige Stühle und ein Tisch an der Hinterwand. Von dort treten sie zur Rampe vor: Leute wie der grobe Schlachter Havlitschek (Henning Vogt) in blutiger Schürze und mit blutigen Flüchen auf den Lippen.

Gefühl der Unendlichkeit

Aber wie ungekannt elastisch geraten sie Thalheimer! Die "Synthese aus Ernst und Ironie", die Horváth in seiner "Gebrauchsanweisung" für seine Dramen reklamiert, verwirklicht sich hier in wunderbar weich pointierenden Figurenbildern. Da ist Peter Moltzen als Fleischer Oskar, im schwarzen Traueranzug, auf übergewichtig kostümiert. Mit Bonbons sucht er seine Verlobte Marianne zu bezirzen. Aber er kriegt die Packung schon nicht so recht aus seiner Tasche gezogen. Und als Marianne fort ist, probiert er minutenlang, die Schachtel wieder zusammenzufalten, geistesabwesend, kläglich, tragikomisch tief. "Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit", hatte Horváth als Motto seinem Stück vorangestellt. Und Thalheimer findet diese Unendlichkeit, bei einem jeden, in der durchlässigen Schlichtheit des Gemüts.

Allen voran bei der großen Leidenden des Stücks: Marianne alias Katrin Wichmann. Mit wonniger Unbedarftheit flieht sie ihren Verlobten Oskar: "Eigentlich ist es gar nicht das, was man Liebe nennt". Ihr neuer Geliebter Alfred ist in Person von Andreas Döhler weniger ein Möchtegern-Elegant als eine abgezockte Wuchttype. Er schiebt sie bald in ein zwielichtiges Revue-Ballett ab. Und wie Wichmanns Marianne dort barbusig im kühlen Konfettischnee steht und leis die romantische Weise "Draußen in der Wachau" singt, jenseits von Schuld und Sühne, das wird man kaum mehr vergessen können.

Welt der schrägen Töne

Oft hat Thalheimer Passionsgeschichten erzählt, Geschichten von geschundenen Frauen in bestialischen Männerwelten (mit Katrin Wichmann etwa in "Rose Bernd" von Gerhart Hauptmann 2006 am Thalia Theater Hamburg). An diesem Abend aber zeichnet er ein breites Tableau. Anstatt das Brutale zu akzentuieren, humanisiert er die Figuren mit all ihren Defiziten. Mariannes Vater, der Zauberkönig, bringt bei Michael Gerber Schmähungen eher resignativ und altersverstockt denn beißend vor. Es regiert der Kontrapunkt. Wenn Alfreds Großmutter (Simone von Zglinicki) ihre Intrige gegen die ungeliebte Marianne vollendet, tänzelt sie kurz abgehackt wie auf dem Elektro-Discodancefloor ihre eitle Freude heraus.

Diese Welt der schrägen Töne wird gleichsam regiert von Almut Zilcher als Trafikantin Valerie. Die Mittfünfzigerin, die sich mal mit dem virilen Lebemann Alfred einlässt, mal mit dem steifen Jung-Nazi Ernst (grandios als Spargeltarzan von höheren komödiantischen Gnaden: Moritz Grove), hat ihre Würde sorgsam in meterdicken Schichten Ironie verpackt. "Gott, wie herzig", platzt sie schroff heraus, wenn ein Ausflug an die Donau mit einem lieblichen Volkslied gekrönt wird (von Georgia Lautner als Ida). Eine ganze Biographie von Ausnutzung und unerfüllter Liebe lässt sie in einer einzigen, langsam gesteigerten Beschimpfungen aufscheinen: "Luder, Bestie, ... Drecksau!"

Tief drunten und nah bei den Sternen

Das begnadete DT-Ensemble, das zuletzt so oft Versprechen war, ist hier ganz Erfüllung, bis in die kleinste Nebenrolle hinein. Wie Clowns kommen sie daher, wie Menschen gehen sie ab. Noch die Pappmasken, die Thalheimer ihnen für ihr Schlussbild zugedacht hat, atmen eine dilettantische Ehrlichkeit. Überall wird schief und ungeschützt gesungen. Katrin Wichmann betet ihr Vaterunser haarscharf am gängigen Wortlaut vorbei. Der Mangel kündet vom Leben. Und dazu erklingen unentwegt die fiebernden Eingangsakkorde des Strauß'schen Wiener Walzers (Musikkonzept: Bert Wrede). Das ist die Sphärenmusik der Einfaltspinsel.

"Schau die Sterne – die werden noch droben hängen, wenn wir drunten liegen", sagt Marianne einmal, als sie sich in Alfred verliebt und ihr Gang in den Abgrund naht. Ein Satz mit Unendlichkeit. Eine Theaterwahrhaftigkeit. Wir waren lange nicht so tief drunten und so nah bei den Sternen.

 

Geschichten aus dem Wiener Wald
von Ödön von Horváth
Regie: Michael Thalheimer, Kostüme: Katrin Lea Tag, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Sonja Anders.
Mit: Katrin Wichmann, Andreas Döhler, Almut Zilcher, Michael Gerber, Peter Moltzen, Katrin Klein, Simone von Zglinicki, Moritz Grove, Harald Baumgartner, Henning Vogt, Jürgen Huth, Georgia Lautner.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Mehr Geschichten aus dem Wiener Wald? Am Berliner Ensemble inszenierte im Juni 2012 Enrico Lübbe, Leipzigs Intendant in spe, das berühmte Stück. Und vor einer Woche kam Christian Stückls Version der Kleinbürgertragödie im Münchner Volkstheater heraus.


Kritikenrundschau

Von einem "Wurf", von einer "Thalheimerschen Tiefenbohrung" berichtet Christine Wahl im Tagesspiegel (31.3.2013). Über zwei Stunden schäle Thalheimer "mit einem erstklassigen Ensemble" aus dem Horváth-Stück "eine Miniatur-Tragödie nach der anderen heraus". Dass die Einzeldramen "ihren Anlauf gern in der Beinahe-Komödie nehmen, wirkt am Ende nur zusätzlich tragikverschärfend". In dem leeren Bühnenraum besäßen die Darsteller "keinerlei Fluchtpunkte". Diese seien aber auch nicht nötig, denn: "Wie sie das Spiel zwischen Stilisierung und Individualtragödie beherrschen, aus der abstrakten Figurenskizze ins Konkrete switchen und aus der Ironie in den Abgrund, ist schlichtweg großartig".

Einen "Abend der Schauspieler, der beinahe zu einem Theaterereignis geworden wäre", hat Hartmut Krug für die Sendung "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (30.3.2013) gesehen. Man nehme Anteil an den Beziehungen der Figuren, weil "das bis in die kleinste Rolle tolle Ensemble uns so ungemein lebendige wie komische Menschen zeigt, deren Wünsche und Widersprüche sehr menschlich scheinen." Leider aber ziehe Thalheimer seinen Schauspielern nach und nach "schlichte quadratische Pappmasken vor die Gesichter. Wohl weil der Druck auf die Figuren, die immer mehr zu Ruinen werden, in sich zusammenkriechen und sich in Gruppenformationen finden, alle gleichermaßen beschädigt hat und zur individuellen Unkenntlichkeit kenntlich macht. Was vorher lebendig spannungsreiches Theater war, wird nun müdes Konzeptspiel ohne Timing."

Man bekomme zu wenig von dem, das Thalheimer sonst auszeichne, schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (2.4.2013) – "von der Empathie mit den Figuren". Spannend mache das Stück nämlich erst der Widerspruch; "der Kampf ums eigene Glück, den Horváth den meisten seiner Figuren mitgegeben hat. Dass ihre Verfehlungen und Notlügen so eindeutig nicht zu verurteilen sind, weil sie ja auch nur teilhaben wollen an dem, was die Besitzstandswahrung in der autoritär und hierarchisch geordneten Gesellschaft ihnen vorenthält." Doch von diesem Widerspruch sei nicht viel zu spüren in dieser Inszenierung. So vermeide sie zwar die Falle der Sentimentalität, der bei Horváth nicht leicht zu entkommen ist. "Aber um den Preis der Eindimensionalität." Wären die Figuren doch nicht ganz so ausrechenbar von Anfang an, "es gäbe mehr Anlass, ihnen in ihre beängstigende Welt zu folgen."

"Michael Thalheimer hat Ödön von Horváths 'Geschichten aus dem Wiener Wald' auf der leeren Bühne des Deutschen Theaters als Rampensau-Rauslass-Spiel inszeniert", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (2.4.2013). "Die Schauspieler kommen aus der Tiefe, schieben sich in Pose und fabrizieren deutlichste Schauspielkunst." Dieser Horváth’sche Aufmarsch von seelenlosen, Kalendersprüche klopfenden Typen sei bei Thalheimer, dem Fachmann für den Pathos des Nichtigen und Unveränderbaren, in sicheren Händen. "Lass mal weg! Mach mal größer! Steh mal schiefer! Diese Regieanweisungen müssten eigentlich genügt haben, um den zweistündigen grimmig lustigen, schmuck formverkrampften Kasperabend zustande zu bringen." Dank der Schauspieler seien dabei höchst ansehnliche, bissige, aber niemals abgründige Nummern herausgekommen.

Das wahre Bühnenbild dieses Abends formulierten Johann Strauß und sein Donau-Walzer, der den ganzen Abend lang oft unterschwellig aufrausche und mit den flirrenden Geigenpassagen zitiert werde, "die wie ein 'Klingen und Singen' in der Luft sind, das sich Horváth für sein Volksstück gewünscht hatte", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.4.2013). "'Schaut auf diese Musik!', verlangt Thalheimer, der radikalste und gescheiteste aller heutigen Theaterpuristen." Seine "herzzerreißend nüchterne Inszenierung" lasse allen Figuren des Abends, "wie sie da aus dem schwarzen Niemandsland an die Rampe treten und sich Horváths garstig genaue Sätze um die Ohren hauen", in ihren Untiefen beklemmende Wahrhaftigkeit widerfahren. Und wenn am Schluss dieser "formvollendet analytischen, meisterlich gelungenen Inszenierung" wieder der Donau-Walzer erklinge (wie schon zu Anfang), seien die Noten andere geworden als am Anfang. "Und wir auch."

Von einem atemberaubenden Abend schreibt Matthias Heine auf Welt-online (3.4.2013). "Es ist, als hätte Thalheimer mit jener "Donau"-Ouvertüre ein für alle Mal alle Bringschuld an Wiener Kolorit gegenüber dem Publikum begleichen wollen, um die Menschen aus Ödön von Horváths Stück dann umso grausamer durch die Kältekammern seiner Inszenierung zu schicken", . Kein überflüssiges Requisit lenkt hier aus Sicht des Kritikers "von der erbärmlichen Tragik des missgeleiteten Strebens nach dem kleinen Glück ab".

"Beeindruckend" genau findet Peter Laudenbach diese  Inszenierung, die er für die Süddeutsche Zeitung (3.4.2013) begutachtet hat und als "große Kunst" und beste DT-Produktion der Saison bezeichnet. Thalheimer erkunde darin lauter "verrohte, beschädigte, seelisch verkrüppelte Menschen". Dass diese Beschädigungen nicht höhnisch und mit der Selbstgerechtigkeit des Nachgeborenen in die Spießerkarikatur getrieben, "sondern sachlich, in größtmöglicher Nüchternheit" ausgeleuchtet würden, macht für Laudenbach das unübersehbare Format dieser Inszenierung aus.

Kommentare  
Wiener Wald, DT Berlin: welches Wir?
"wir waren lange nicht..." solche Sätze kann ich nicht mehr lesen. Das ist eitel ohne Ende. ( ...) Welches Wir soll das sein? Wieso glaubt der Kritiker für mich sprechen zu können? Ich war schon oft "so tief" und "nah", der Kritiker offenbar nicht, das ist sein Problem. Aber ich will als Leser nicht zu einem Wir eines Eitlen gemacht werden. (...)
Wiener Wald, DT Berlin: von einem Abend schwärmen
Was für eine schöne Kritik. Selten hat man hier Christian Rakow zärtlicher und emphathischer von einem Abend schwärmen hören, bei Aufbietung aller sonstiger Qulitäten seines Kritikertums. Nämlich genaues Schauen, tolle Schreibe und große Kennerschaft. Man möchte gleich ins Deutsche Theater eilen.
Wiener Wald, DT Berlin: tiefer im BE
Sorry, aber das war doch ein sehr fader, abgedroschener Abend von Thalheimer, wirkte total unfertig. Ich sag's ungern, aber am BE habe ich vor einigen Wochen einen durchaus "tieferen" Horvath-Abend gesehen (um mal in dem dünnen Vokabular von Herrn Rakow zu bleiben). Ohne Pappmasken und ohne Karrikaturen. Naja, aber ist ja das BE...
Wiener Wald, DT Berlin: endlich wieder Höchstform
Ein toller Abend. Thalheimer endlich wieder in Hoechstform.Ich finde die BE-Inszenierung kann nicht mithalten.
Wiener Wald, DT Berlin: spricht für viele
@ H.S.
So ein Quatsch. Warum soll denn ein Kritiker nicht mal ins Schwärmen kommen. Grund dafür gab es ja in letzter Zeit tatsächlich wenig. Wenn Christian Rakow die Inszenierung berührt hat, spricht er sicher für viele Zuschauer dieses Abends. Möchte mich da gerne eingeschlossen fühlen. Hier von Eitelkeit zu sprechen ist dumm, ganz im Sinne von Horváth.
Wiener Wald, DT Berlin: in jeder Großstadt
Was haben diese innerlich durch und durch faulen Lemuren, diese Sumpfblüten, die in jeder Großstadt gedeihen können, mit dem Volk von Wien zu tun? "Wir" sind nicht so!
Wiener Wald, DT Berlin: überzogen
Aber ich glaube dass diese Einschätzung des abends ziemlich überzogen ist, offenbar wurden als Vergleich nur die Berliner Inszenierungen von thalheimer herangezogen, in Wien gab es zum Beispiel sehr viel stärkere, insofern finde ich diese Kritik hier vermessen.
Wiener Wald, DT Berlin: in Wien profunder
der abend war von allem, was hier steht, etwas: sowohl unfertig als auch gute momente - aber beileibe kein grosser wurf. über weite strecken wars halt auch recht faaad wie man in wien zu sagen pflegt. mir gehen inszenierungen ohne bühnenbild zusehends auf die nerven. in der tat war - um in der jüngeren vergangenheit zu bleiben - die produktion von stephan bachmann am akademietheater um klassen profunder, ausgearbeiteter, interessanter, packender, berührender. allerdings: kathrin wichmann ist einfach IMMER grossartig und hat das niveau der thalheimer inszenierung gerettet. almut zilchers wütend-drohender schrei "mein gott ist das herzig" hat mir persönlich auch sehr gut gefallen.
Wiener Wald, DT Berlin: altmodisch hingerissen
Hallo !
Frau Batzinger war ebenso euphorisch über die Stein / Brandauer Sache in Dings .
Es ist doch schön wenn man sich ,wo man doch sonst so bissig sein muss , mal
altmodisch uncool hinreißen lässt . Jeder , den es dadurch ins Theater treibt , ist es wert!
Die paar die hier bloggen zählen leider nicht ! Wir sind zuwenig . Vielleicht 60 . Gott , ist das traurig !
Gruß
Wiener Wald, DT Berlin: so tief bewegt
Also ich find die Kritik toll. Macht richtig Lust auf den Abend. Vor allem, weil man unheimlich gut nachvollziehen kann, wovon der Kritiker spricht. Ist doch wirklich super, wenn ein Kritiker - der ja nun eben wirklich viel sieht und entsprechend abgebrüht ist - so ins Staunen kommt und so tief bewegt wurde.
Wiener Wald, DT Berlin: in Wien?
in wien gab es stärkere inszenierungen von thalheimer??? was denn ?
naja der micha hat ja kaum eine gute inszenierung in berlin gemacht......Häää?
Wiener Wald, DT Berlin: superschön
superschön. punkt. danke, herr thalheimer.
Wiener Wald, DT Berlin: Konzentrat mit Verlust
Diese Thalheimerschen Konzentrate gehen leider immer auch mit Verlust einher. Während das bei den klassischen Tragödien mit der Kernbohrung in der Tat meist funktioniert - siehe Medea, Antigone, Ödipus in Frankfurt oder Orestie am DT - ist für mich beim Wienerwald (auch schon beim Kleinen Mann in FFM) ein Verlust an Intensität und Atmosphäre festzustellen. Ich kann leider nicht sagen, dass mich der Berliner Wienerwald durchgehend berührt hat. Klaro, ein toller Anfang: Neujahrskonzert und Luminale in einem; und das Ende des Abends, die gaffenden Masken und das Einreihen von Marianne ebenso stark. Auch liebevolle Einzelszenen (hilfloser Geschenk-Oskar). Aber die ganze Entfaltung der "Geschichten", das war sowas von vorhersehbar zurechtgezimmert und für mich seelenlos. Valerie ein Nina-Hagen-Verschnitt? Die Entkleidung von Marianne im Maxime, was war daran so kaum vergessbar? Lapidar zog sie eben ihr Oberteil aus - so what? Für mich kein großer Abend. Guckt man sich an, spricht noch ein bisschen drüber, vergisst man eher schnell und die wirklichen Dramen auf der Gasse, über die man stolpert beim Weg nach Hause, sind berührender.
Wiener Wald, DT Berlin: Theater für Schwerhörige?
Warum wird denn da dauernd so gebrüllt?? Theater für Schwerhörige oder Waldbewohner!
Wiener Wald, DT Berlin: Lust
Schöne Kritik. Kriegt man Lust, hinzugehen und hinzuschauen.
Wiener Wald, DT Berlin: törichte Handlung
Nichts gibt so sehr das Gefühl der Dummheit (als törichte Handlung, Mangel an Intelligenz oder Weisheit), als wie die Unendlichkeit
(die Negation bzw. Aufhebung von Endlichkeit)
Ich finde diese Dummheit, bei einem jeden, auch bei mir, in der durchlässigen Schlichtheit, und der undurchlässigen Kompliziertheit des menschlichen Gemüts.
Schuld? wieso? - es wird wohl an(und in) der Unendlichkeit liegen.
Wiener Wald, DT Berlin: was Kritik kann
Es ist beruhigend zu sehen, dass der bereits traditionelle Berliner Schnappbiss nach den Markenhunden Thalheimer und, mehr noch: DT unter Khuon für einmal ausgeblieben ist. Zur Mehrheit zumindest. Die Kritik, so provinziell sie in Berlin oft bellt und laut den Bach verteidigt, hier hat sie wieder mal gezeigt, was sie kann. Verdammt viel, ich bin fürs Erste versöhnt.
Wiener Wald, DT Berlin: problematisches Wir
Ich finde dieses "wir" auf Nachtkritik (siehe Kritikenrundschau) auch hochgradig problematisch. Das grenzt an eine Verklärung des subjektiven Standpunkt zu einer allgemeingültigeren Wahrheit.
Stellen Sie sich nur mal vor, wenn ich als Autor immer "wir" schriebe, wenn ich doch nur "mich" meine. Die Leute würden mich (zu Recht) für verrückt erklären.
Und ich glaube im Falle Nachtkritik ist das sogar regelrecht falsch: Eine Redaktion zu den Kritiken findet doch nicht statt, oder?
Meiden Sie nicht das Ich. Haben Sie den Mut Ihre persönliche Meinung als solche zu adressieren.
Wiener Wald, DT Berlin: großer Wurf
Michael Thalheimer ist nach längerer Zeit auch an seiner ehemaligen Hauptwirkungsstätte mal wieder ein ganz großer Wurf gelungen. Wo Komik und Tragik ineinandergreifen, Licht und Schatten einander folgen, gut und böse das Gleiche sind, da gelten vermeintliche Gewissheiten nicht mehr. Da ist auch Marianne schuldig und Alfred unschuldig, da steht ein jeder verloren auf seiner eigenen Straße ins Glück, die doch nur eine Sackgasse ist. Das verursacht Unwohlsein, Verunsicherung, das geht nahe und berührt, ohne je kitschig zu werden. Es wird viel gelacht an diesem Abend und doch mischt sich immer öfter Trauer, ja entsetzen in das Gelächter. Wenn am Ende alle Schultern und Haare mit Konfetti bedeckt sind, ist daran nichts mehr lustig. Ganz im Gegenteil.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/04/06/die-im-dunkeln-sieht-man-doch/
Wiener Wald, DT Berlin: es gibt eine Redaktion
Lieber Nis-Momme Stockmann,
Nur noch mal zur Info: hier gibt es eine zehnköpfige Redaktion. Nichts, was Sie auf nachtkritik.de lesen, gelangt ungesehen von dieser Redaktion ins Netz. Sogar jeder einzelne Kommentar wird vor Veröffentlichung geprüft. Nur, um Ihren Irrtum aufzuklären, dass es bei nachtkritik.de keine Redaktion der Kritiken gibt. Denn die gibt es selbstverständlich.
Viele Grüße aus der Redaktion, Esther Slevogt
Wiener Wald, DT Berlin: Wirklichkeit des Irrealen
"Konzentrat mit Verlust" wie es hier unter 13 heißt, das finde ich eine sehr gelungene und beim Nachdenken sehr spannende Formulierung, die ich in ihrer ganzen Ambivalenz diesem Abend attestieren würde.
Ich habe lange nichts mehr von Thalheimer gesehen und war einerseits überrascht wie Sprachryhthmus und die in ihren Miniaturwiederholungen gefangene Körpersprache zwischen Spieler und Figur eine Künstlichkeit schaffen, die den unglaublichen Effekt hat, dass etwas entsteht, dass so irreal ist, dass es geradem dem nicht Gezeigten, dem 'Wirklichen' so nahe kommt.
Andererseits passiert das leider in vielen Momenten auch nicht, dann wird die (vorher unbemerkte) Anstrengung von Schauspieler und Regisseur deutlich einen Text in die regie-spiel-handwerkliche Zange zu nehmen, wo der Text doch vielleicht mehr Eigenleben und eigene Dynamik hat, als es ein stummer Slapstick oder ein nöliger Dauer-Tonfall pointieren können.
Dieses Ungleichgewicht, so schien es mir gestern, scheint zu entstehen, weil die Bilder und Meinungen, die Thalheimer und sein Team von den Figuren haben, fertig sind, bevor sie den Mund aufmachen dürfen. Die Sprechpose hat die Sprache schon festgezurrt - und ich spreche gar nicht von der Körperpose, die auch noch dazu kommt.
Wenn man das vergisst, ist es packend. Wenn man es merkt, nervtötende Schauspiel-Technik. In diesem ambivalenten Horvath-Ergebnis wird aber auch klar und das meine ich gar nicht so (ab)wertend wie es klingt, sondern eher als Feststellung: das ist ein ganz schön brutaler Regiezugriff.
Wiener Wald, DT Berlin: Nachfragen
Was ist denn eine "abgezockte Wuchttype"?

Und "Sphärenmusik der Einfaltspinsel"?

Und dann der Schlussabsatz: ""Schau die Sterne – die werden noch droben hängen, wenn wir drunten liegen", ... Wir waren lange nicht so tief drunten und so nah bei den Sternen." Hieße nach der Logik des Deutschen: Wir waren lange nicht so tot im Theater und so nah bei den Sternen.

(Abgesehen vom Stadelmaierismus "Eine Theaterwahrhaftigkeit." Bitte, liebe Redaktion, lassen Sie das Stadelmaierische nicht einreissen. Deutsch ist eine so schöne Sprache.)
Wiener Wald, Berlin. Kein Ich, kein Wir
zu 18+20: Wenn auch nicht "Ich", dann aber auf keinen Fall "Wir". Ich war nämlich auch da und habe etwas anderes gesehen als Herr Rakow.
Wiener Wald, DT: Überdruss
Ich weiß nicht, warum man dies Stück heute noch aufführt. Leider kann ich mit dem ganzen unterhaltsamen Zirkus, den man mir da bravourös vorgeführt hat, nichts anfangen. Irgendeine Welt von draußen wird da für mich jedenfalls nicht sichtbar. Oder soll mir da erklärt werden, wie heutzutage mit Frauen in der Großstadt umgegangen wird? Die Wirschaftskrise, so wurde einmal gesagt, sei an allem Schuld - sehr interessant! Mir ist auch egal, ob die Schauspieler nun besonders differenziert oder doch nur nach Muster Thalheimer gelitten haben. Wen juckt's?
Wiener Wald, DT Berlin: zum "Wir" in der Kritik
@1,18, 23
Es gibt einen schönen Fußball-Gesang, in eigentlich allen Stadien. In meinem geht er so: "Wir singen: Hey, FC Hansa, olé, olé FC Hansa, hey FC Hansa, olé, olé FC Hansa…" Das Lied kommt immer dann, wenn eine Energie vom Rasen auf die Ränge schwappt, wenn der Kick mitreißend ist. So ähnlich sehe ich das "Wir" am Ende dieses Textes.
Wiener Wald, DT Berlin: Wir-Gefühl des Fanblocks?
zu 25 - Ach sie saßen im Fan-Block! Das hätte ich mir denken können. Da wird das Wir-Gefühl ja schon vom Verein verlangt! ne, ich sitze lieber am Rand. Kommt man auch schneller zur Toilette ... sie verstehen ... der viele Gerstensaft vor dem Spiel! Olé, wir sind ein Team!
Wiener Wald, DT Berlin: Energie
Nö, ich saß da, wo die Energie rüberkam. Dass das nicht bei allen der Fall ist, ist doch auch klar.
Wiener Wald, DT Berlin: Unsinn?
Oh weh, das ist nicht ernst gemeint, oder? Es ist wie bei Hansa im Stadion? Das ist ein Scherz, oder? Sie wissen, dass das schlimmer Unsinn ist, oder?
Wiener Wald, Berlin: Unbedingte Sehnsucht?
Lieber Herr Rakow...ich finde Fußballvergleiche (genauso wie diese unbedingte Sehnsucht der Theaterschaffenden, einmal Rockstar zu sein, jedenfalls Rockstarattitüden ins Theater zu bringen, -- dabei träumen doch alle U-Musiker immer von der E-Kultur., haha!!) echt peinlich. Sorry. / Das war jetzt aber nicht auf Herrn Thalheimers Abend gemünzt, sondern auf die (...) Antwort des Herrn Rakow... Schöne Grüße, ist nur meine persönliche Meinung.
Geschichten aus dem Wiener Wald, Berlin: Klassen besser als Wien
Wienerwald nun als Gastspiel in Wien.
Um Klassen besser als die letzte Wiener Neuinszenierung am Akademietheater mit Minichmayr/Ofczarek. Die Schauspieler des DT spielen einfach alle in einer anderen Liga, da merkt man erst wie klein unsere großen Ösi-Theaterhelden sind.
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