'N Haufen Kohle - Kampfsport mit Antú Romero Nunes in einer deutsch-mexikanischen Ko-Produktion am Berliner Maxim Gorki Theater
Fuffies im Geldsack
von Eva Biringer
Berlin, 6. April 2013. Der Regisseur, die Rampensau, hält dem Publikum einen Stoffbeutel entgegen. Man möge diesen doch bitte mit Barem füllen; er selbst werfe den ersten Schein.
Tatsächlich greift die Sitznachbarin nach ihrem Portemonnaie und zwei Reihen weiter hinten gesteht eine junge Frau ihrer Freundin, sie sei gerade knapp bei Kasse. Reich die Fuffies durchs Parkett? Muss die Kritikerin fürchten, als knauserig betrachtet zu werden, wenn sie nicht mitmacht beim Moneten-Weghauen? Abgesehen von ihrem bemüht aufwieglerischen Gestus, ist die Idee nicht ganz neu. Kürzlich erst übte sich der "Ernst Busch"-Schauspielnachwuchs in "Marat / Sade" in solch linker Gesellschaftsagitation. Bloß, dass bei den Schaubühnenbesuchern das Geld offenbar weniger locker sitzt als hier im Maxim Gorki Theater, wo der Stapel Scheine von Reihe zu Reihe wächst.
Überfall auf einen Geldtransport
Währenddessen zündet der Regisseur die Tonne im hinteren Teil der Bühne an, untermalt erst von Streichern aus dem Off, dann vom seligen Michael Jackson. Heimelig brennt das Gas und man ahnt, was als nächstes kommt. Doch bevor das beträchtliche Bündel Geld in Flammen aufgeht, stürmt eine maskierte Horde comichaft die Bühne, schlägt große Löcher in den Pappaufsteller, dessen höheres Wesen in der oberen Ecke wohl Jesus darstellen soll (Bühne: Matthias Koch). Im zuckenden Stroboskoplicht passiert so eine Art Überfall – auch in echt wird das wohl so konfus sein wie hier, wo man überhaupt nicht versteht, wer gerade wen warum zu Boden wirft.
Antú Romero Nunes, Hausregisseur am Maxim Gorki Theater, erzählt in "'N Haufen Kohle" die Geschichte eines Anschlags auf einen südamerikanischen Geldtransport. Im Zentrum der deutsch-mexikanischen Koproduktion stehen die Luchadores El Loco und El Guapo. Zu den phänotypischen Merkmalen der Anhänger des Kampfsports Lucha Libre gehören kunstvolle Masken, mit denen sie ihre Identität verbergen, außerdem schwarze Anzüge und, zumindest hier im Maxim Gorki, golden glitzernde Turnschuhe. Offensichtlich haben sie es auf den Beutel mit Bargeld abgesehen, den der Regisseur eben in die Tonne hauen wollte. Anstatt die Idee der Vernichtung monetärer Mittel zu verfolgen, verhaspelt sich dieser im Lauf des Abends allerdings mehr und mehr in kryptischen Simultanübersetzungen und Splitternarrativen.
Pausenhof-Feeling
Nunes ist bekannt für die Rohheit, mit der er selbst klassische Stoffe auf die Bühne bringt. Hier werden daraus wenig mehr als bruchstückhafte Metaphern ("die schönen Beine der schwangeren Frauen") und ganz viel "puta madre". Was hat eine chinesisch sprechende Stimme im Kopf des Häftlings Loco (Tinieblas Jr.) zu suchen? Welchen Konflikt trägt dieser mit El Guapo (Marabunta Jr.) aus? Warum tragen Frauen rosa und sehen doch angeblich aus wie die wilden Kerle neben ihnen? Und wann brennt endlich das Geld?
Je dringlicher die Inszenierung so etwas wie Handlung suggeriert, desto deutlicher wird, dass man sich eben nicht auf Männermuskeln ausruhen kann. Tatsächlich fragt sich die Kritikerin, ob es diese Handlung überhaupt gibt – oder ob nur sie nicht versteht, was da vor sich geht.
Zweifellos hat das damit zu tun, dass "'N Haufen Kohle" ein "Work in progress" ist, bei dem selbst kurz vor der Premiere keine Textfassung vorlag. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gorki-Ensemble und die Nachwuchsschauspieler der Leipziger Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" im Vergleich zur drastischen Präsenz der Luchadores zwangsläufig wirken wie der schmächtige Brillenträger neben dem Pausenhofking.
Finale in der Boxarena
Kurz bevor man alle Hoffnung auf ein stringentes Ende fahren lässt, tritt der Regisseur erneut an die Rampe, diesmal, um die Zuschauer auf die Bühne zu bitten. Diese hat sich in eine Boxarena verwandelt, wo es wenige Augenblicke später zum Showdown kommt. Großartiger Anblick: Dicht gedrängte Theaterbesucher, die johlend den Kampf der maskierten Männer in ihrer Mitte verfolgen, nicht ohne die obligatorisch in die Luft gestreckten Smartphones.
Mitten im schönsten, von Konfettiregen veredelten Körperkrawall geht es ganz plötzlich wieder um den Sack Bargeld, den zu Beginn des Abends vom Publikum befüllten, den man unglaublicherweise längst vergessen hatte. Weil er ihm abhandenkam, muss der Regisseur jetzt sein Oberhemd lassen und wird von den Luchadores ordentlich geschubst und getreten, eine theatrale Umsetzung des "Hang the DJ"-Prinzips. Aber keine Sorge: Es tut gar nicht weh, denn es ist ja nur Theater!
Hier greift es doch noch einmal, Nunes' Prinzip der ästhetischen Dekonstruktion, seine Sichtbarmachung der faden Illusion. Schade, dass er diese Haltung heute so stur in den Dienst der Erzählung gestellt hat.
'N Haufen Kohle
Eine Stückentwicklung
Regie: Antú Romero Nunes, Ausstattung: Matthias Koch, Musik: Johannes Hofmann, Dramaturgie: Carmen Wolfram, Produktionsleitung: Goethe-Institut Ilona Goyeneche.
Mit: Alfonso Bravo, Fernanda Flores, Aldo Axel García, Raphael Käding, Robin Krakowski, Lina Krüger, Gabriela Leguizamo, Andreas Leupold, Elena Manzo, Miguel Pérez Enciso, Aenne Schwarz, Luchadores Tinieblas Jr. und Marabunta Jr.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.gorki.de
Der Abend entwirft ein "szenisches Mosaik", ein "hauchdünnes Netz aus Möglichkeiten und Verweisen, Realitäten und Fiktionen", schreibt Doris Meierhenrich auf dem Onlineportal der Frankfurter Rundschau (8.4.2013). "Das ist Nunes' Stärke, hier aber auch ein Problem. Denn unter dem luftigen Zeugen-Masken-Spiel liegt eine noch andere, wahre Geschichte, die eigentlicher Humus des Ganzen ist, doch zu verdeckt bleibt: der spektakuläre Überfall auf einen Geldtransporter in Buenos Aires 1965." Im Einsatz der beiden mexikanischen Wrestling-Stars und in der Übersetzung des Überfalls in großes "Kampfspektakel" stecke zwar eine "unerhörte Provokation und Entlarvung". Jedoch "vergisst die verschachtelte Erzählung ihre Herkunft zu sehr, der Doku-Roman 'Brennender Zaster' von Eduardo Piglia, aus dem Nunes zitiert, wird nicht mal erwähnt."
Den "Beigeschmack eines gewissen Branchen-Narzissmus" macht Christine Wahl vom Tagesspiegel (8.4.2013) im Auftritt des Nachwuchstarrregisseurs Nunes an diesem Abend aus. Nunes sei in seinen vorangegangenen Arbeiten mit der "gewitzten Methode aufgefallen, Texte nicht einfach zu illustrieren, sondern ihre Behauptungen tatsächlich in sinnige performative Aktionen und somit direkt in den Erfahrungsbereich der Zuschauer zu übertragen." Dieses Verfahren habe aber zuletzt "viel von seinem Charme verloren, weil es gern unmissverständlich angekündigt wird". Der aktuelle Abend wirke zudem wie "mit extrem heißer Nadel gestrickt".
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Hier geht es um Frauenmord, um Männerkämpfe, um Spaß um Geld, um eine Kultur, die wir hier in Europa schwer aus Überheblichkeit schwer verstehen. Nunes macht daraus ein eindringliches Spektakel. Und wenn er neben Aenne Schwarz sitzt ist die menschliche Schönheit perfekt. Auch davon lebt dieser Abend, von der Schönheit des Menschen und von seiner Belanglosigkeit. Vom Kampfesspaß und von der Sehnsucht und der unerfüllten Liebe. Wie männlich. lächerlich kann diese Welt sein. Und wie zärtlich schön ebenfalls. Und das muss nicht zwangsläufig weiblich sein. Männer werden aufgeputscht zum Kampf und wollen vielleicht nur ein wenig zärtlich sein gegenüber der Frau, dem Mann.
Es ist ein Abend dieser Widersprüche, wenig klassisches Theater, aber dennoch wirkungsvoll. Das Publikum war ein ganz anderes, kein mitteleuropäisch, klassisch forderndes. Viele Zuschauer brauchten Nunes Übersetzungen nicht, sprachen spanisch. Und sie gingen mit, es war ein verständlich, gut gemachter Theaterabend, klassisch im mexikanischen Sinne. Danke Antu! Auch so etwas braucht das deutsche Theater. Wenn Sie ankündigten, dass es Ihre letzte Inszenierung in Berlin sein wird, bin ich mehr als traurig. Verdanke ich Ihnen beste Theaterabende in der letzten Speilzeit, vor allem die mit Aenne Schwarz.
Bleiben Sie ein wenig dem Gorki treu als Verbindungsglied zwischen Stuttgart und dem jungen Berlin. So einen Abend wie diesen kann man nicht überall in dieser Republik machen.
die letzte Inszenierung ”am Gorki”.
nicht in Berlin.
dass nunes stellenweise nervt und sein indirektes langhoff-bashing etwas pubertär wirkt, tut dem tollen, offenen abend keinen abbruch.
verlangt halt vielleicht etwas mehr offenheit und neugier für eine andere kultur, als sich in dritter person als "die kritikerin" selbst zu fragen, ob man jetzt wohl den plot nicht verstanden hat.
Mich erinnert das Ganze weiterhin und von der Beschreibung her eher an die Paradoxie des Begriffes "Klassenkampf". Die Einen (hier: die Luchadores) haben nichts als ihre körperliche (Arbeits-)Kraft, um sich, im wahrsten Sinne des Wortes, durchs (Über-)Leben zu kämpfen. Die anderen (hier: der Regisseur und wohl auch die Mehrheit der Zuschauer) gebrauchen ihren Intellekt, um diese Kämpfe zu beobachten und zu analysieren bzw. deren gesellschaftliche und globale Ursachen zu erkennen. Dass, wie und wo diese beiden Welten zueinander kommen könnten und müssten, um auf das Unterschiedliche und doch zugleich Gemeinsame ihrer Interessen zu fokussieren, das ist hier vielleicht eine der durch die Inszenierung aufgeworfenen Fragen.