Schmuckwegknabbern und andere Gemütlichkeiten

von Dirk Pilz

Berlin, 10. Dezember 2007. Und das nächste Mal hätten wir dann gern einen weichen Ohrensessel samt Fußstütze und Knabbergebäck. Rauchen, Bier trinken und an kleinen runden Tischen mit adrett befransten Stehlampen auf Plastikstühlen sitzen durften wir ja diesmal schon. Der passende Rezeptionsrahmen, der die angemessene Zuschauerhaltung ermöglicht: gemütlich zurücklehnen und den Abend einfach vorüberplätschern lassen. Er dauert ohnehin nur schlappe 50 (in Worten: fünfzig) Minuten. Und wie behaglich einem dabei ist. Diese Gediegenheit! Kaum zu glauben.

Ist aber so. René Pollesch hat sein Minidrama "Hallo Hotel Nachtportier" in die Berliner Volksbühne geholt und beschenkt den Zuschauer mit hübscher Harmlosigkeit. Im Grunde war auch seine letzte Inszenierung an der Volksbühne, "Diktatorengattinnen I", bereits nicht mehr als eine Petitesse; nur funkelte sie betörender.

Posttragische Situationen

"Hallo Hotel Nachtportier" ist ein älteres Werk aus dem unerschöpflichen Schaffen des Autorregisseurs Pollesch: 2004 beim Festival Theaterformen in Braunschweig unter dem Titel "Hallo Hotel" uraufgeführt, wanderte es später nach Wien ans Burgtheater, ehe es nun also im so genannten Sternfoyer der Volksbühne gelandet ist. Mit den drei Damen Sophie Rois, Caroline Peters und Brigitte Cuvelier vor beigem Wandvorhang und unter den charmant ältlichen Kronleuchtern. Sie tragen Stöckelschuhe, Pelzmantel (Frau Rois), Portiersuniform (Frau Peters) und Kellnerschürze (Frau Cuvelier). Sie sind Charlotte Rampling, Nachtportier Fritz Eckardt und eine alt gediente Servierkraft im Wiener Hotel Sacher. Die entsprechende Torte wird auch einmal verspeist.

Worum es geht? Der Nachtportier in Gestalt von Caroline Peters glaubt die Rampling schon einmal getroffen und geliebt zu haben. Irgendwo in einem "Ausnahmezustand", einem "Vernichtungslager" und irgendwann in einem vielleicht geträumten, vielleicht erlittenen früheren Leben. Rampling glaubt das auch, vor allem aber glaubt sie, dass mit ihr etwas nicht stimmt: "Da wacht man auf, und ist wieder nur Bürger." Macht aber nichts, denn Sophie Rois verwandelt jede noch so kleine Szene und jeden wie auch immer schmalen Text in ein Schau- und Hörereignis. Steht auf dem runden Drehtisch zwischen den Zuschauern und tut wunderbar hysterisch. Hastet atemlos umher und guckt berückend entgeistert. Plustert sich auf und verkündet: "Ich bin in einer posttragischen Situation!"

Aufgeräumte Subjekte

War sonst noch was? Der ehemalige Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann wird zitiert ("Solidarität ist hier Selbstmord!" – hier? An der Volksbühne?), die Vorteile des schlechten Sex werden erörtert (Cuvelier haucht sehr schön ins Mikrofon: "Ist schlechter Sex vielleicht guter Sex?" – wahrscheinlich nicht.) und Caroline Peters knabbert der schlafenden Superdiva Rois ("Ich bin ein Star!" – ja, ist sie!) den Schmuck von den Fingern und aus den Ohrläppchen. "Ach, wie nett!" hatte Rois ihre Rampling vorher ausrufen lassen. Man kann ihr nur beipflichten: wie nett und angenehm folgenlos das alles ist.

"Du liederliches Subjekt!" schimpft einmal Frau Peters in Richtung Frau Rois. Das ist glatt gelogen: so aufgeräumt hat Pollesch seine Schauspielersubjekte noch nie präsentiert. Kurz davor, dass sie ins gute alte (oder doch schlechte?) Repräsentationsfach wechseln. Ohrensesselkompatibel sind sie schon.

Was Pollesch natürlich weiß und also mitinszeniert. "Gab's hier nicht mal andere Umgangsformen?" empört sich Rois-Rampling, als ihr kein Kaffee serviert wird. Das darf man getrost als neckisch-ironischen Seitenhieb auf das Pollesch-Theater verstehen: Aus der Opposition gegen die tradierten Bühnenumgangsformen wurde es einst geboren, diesmal sieht es beinahe gänzlich von seinem rebellischen Gestus ab und lässt die drei Damen schlicht drei funkelnde Schauspielerinnen sein. "Ach, wie nett!"

 

Hallo Hotel Nachtportier!
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Raum: Bert Neumann, Kostüme: Janina Audick, Dramaturgie: Aenne Quiñones/Andreas Beck, Souffleuse: Tina Pfurr.
Mit: Brigitte Cuvelier, Caroline Peters, Sophie Rois.

www.volksbuehne-berlin.de

 

Kritikenrundschau

Ulrich Seidler (Berliner Zeitung , 12.12.2007) hat eine "geniale Idee" gesehen. Pollesch lege nämlich zwei "unterschiedliche kulturelle Spuren" übereinander: Die "harmlose österreichischen Fernsehserie mit Fritz Eckhard in der Hauptrolle als Portier Oswald Huber" und den "Skandalfilm "Il Portiere di Notte" – "Der Nachtportier" von Liliana Cavani", der "von einer sado-masochistischen Beziehung" zwischen "einem Nachtportier (Dirk Bogarde) und einer im Hotel residierenden Dirigentengattin (Charlotte Rampling)" handle. "Die Spannung, die sich aus dem Kontrast der beiden scheinbar widersprüchlichen, aber unter einem Hoteldach vereinten Welten ergibt, ist derart haltbar, dass selbst das albernste Gewitzel über schlechten Sex und Menschenrechte und auch das autoreferenziellste Bühnennümmerchen Schockfrostpotenzial bekommt." Das Problem der "offenbar umstandslos aus dem Ärmel geschüttelten Inszenierung" von Pollesch sei aber, "dass er sich die dramaturgische – oder: dienstleisterische – Mühe spart, jene Spannung erst einmal aufzubauen". Sophie Rois sei dennoch zu preisen. Bei ihr helfe nur: "Anbeten".

Wenn man Polleschs "Bezugsquellen" kenne, schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (12.12.2007), könne man dem Abend "ein intelligenteres Vergnügen abgewinnen als etwa den leichtgewichtigen "Diktatorengattinnen I". Getränkt würden die Verweise auf die Filmvorlagen "in Theoremen vom "Ausnahmezustand" und "Lager" des Modephilosophen Giorgio Agamben, die 2004 frischer" gewesen seien. Man begreife daher "deutlicher denn je": Die "Halbwertzeit eines Pollesch-Abends" ist "kurz". Anders als Castorf aber, "der seine Stilmittel müde recycelt, stellt Pollesch die Reanimation offensiv aus und liefert den eigenen Krisenkommentar mit".

"Mal ehrlich", sagt Reinhard Wengierek in der Berliner Morgenpost (12.12.2007), "für diese lumpigen 40 Minuten kryptische Theaterblödelei von René Pollesch hätten wir uns nicht winterfest machen, in die Volksbühne eilen und einen freien Adventsabend opfern müssen". Denn die "tobende Bühnen-Kleinigkeit vom philosophisch durchtriebenen Zampano der Postdramatik" könne allenfalls als "szenische Petitesse" durchgehen. Es würden "die obligaten Pollesch-Themen aus unserem neoliberalen Alltag" präsentiert, aber die "üblicherweise wirklich wahnsinnig gewitzten theatralischen Reflexionen des ingeniösen Text-Samplers Pollesch verpufften diesmal": "In der Kürze keine Würze, kein höherer Blödsinn."

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