Wie Afrika wirklich ist

von Verena Großkreutz

Stuttgart, 16. April 2013. "Kein Mitleid, sondern Arbeit", hat sich der umtriebige österreichische Regisseur Stephan Bruckmeier auf seine Fahne geschrieben, als er 2009 in Kenias Hauptstadt Nairobi mit Jugendlichen aus den Slumvierteln das Hope Theatre gründete. Im letzten Jahr kam die Truppe mit der Produktion "The dream of getting a job" erstmals auf Tournee nach Deutschland: Darin ging's um die Problematik der hohen Jugendarbeitslosigkeit in den Armenviertel Nairobis. Jetzt hatte das zweite Projekt am Stuttgarter Theater Rampe Premiere.

"Fair Deal – Fair Act – Fair Trade", heißt der Abend rund um das Thema Fairer Handel. In dieser zweisprachigen deutsch-kenianischen Bühnenkooperation spielen auch Jugendliche aus Stuttgart mit. Einen Monat probten sie gemeinsam mit ihren afrikanischen Kollegen in einer Blechhütte in einem der Armenviertel in Nairobi.

FairDeal2 560 ChristofKrackhardt u© Christof Krackhardt

"Kein Mitleid, sondern Arbeit" ist auch Motto der diversen internationalen Fairtrade-Organisationen, die sich für einen kontrollierten Handel einsetzen, der Umwelt- und Sozialstandards einhält und den Erzeugern etwa von Kaffee und Kakao das Überleben ermöglicht – die Gewinne also nicht den fünf großen Weltkonzernen außerhalb der Anbau-Länder überlässt.

Gewinnvermehrung durch Gratisarbeit

Bruckmeier und sein Pädagogenteam haben mit den Jugendlichen einen kunterbunten Abend aus locker gereihten Dia- und Monologen, Tanz- und Gesangsseinlagen und Videoprojektionen erarbeitet. Er will vor allem eins: Aufklären über die Ungerechtigkeiten und desolaten Zustände. Über Weltmarktpreise, die die Erzeugerländer chancenlos machen, über Kinderarbeit, Hunger, Menschenhandel, Menschenrechte, Ausbeutung.

Ein sehr kleines Mädchen berichtet von ihrer Arbeit als Näherin und davon, wie ihr Vater zufällig auf offener Straße erschossen wurde. Während der Deutsche Karl über den Preis, den er für den Rosenstrauß für seine Liebste gezahlt hat, labert, wird an der Tafel berechnet, wie winzig der Betrag ist, der einer kenianischen, vierköpfigen Familie als Lebensunterhalt zu Verfügung steht – die ihrerseits froh ist, eine Einzimmerwohnung und einen Job zu haben und die beiden Kinder zur Schule schicken zu können. Und ein deutscher Unternehmer, der sich "afrikafreundlich" nennt, weil er eine Kenianerin geschwängert hat, setzt auf "Gewinnvermehrung durch Gratisarbeit".

Der Abend möchte zudem zeigen, wie Afrika wirklich ist. Ein hehres Anliegen. Natürlich tut Aufklärungsarbeit not: Die Gefühle der Deutschen sind ambivalent, was Afrika betrifft. Das Interesse endet meist bei der afrikasehnsüchtigen Christine-Neubauer-TV-Schmonzette. Man diskutiere einerseits eifrig über die politisch korrekte Bezeichnung afrikanischstämmiger Menschen, heißt es zu Beginn des Abends, behandle sie andererseits hierzulande im Alltag wie Kriminelle.

Politischer Frontalunterricht

Der Abend will aber auch deutlich machen, dass einiges in Deutschland und im fernen Afrika ganz ähnlich abläuft – ob es sich dabei um Big deals in Sachen Verkehrspolitik handelt oder die Verbreitung von Aids durch untreue Partner. Letzteres vermittelt eine synchron ablaufende Szene: Links streitet und betrügt man auf Deutsch, rechts tut man dies auf Englisch. Unterschied: Die Kenianerin verkloppt ihren Mann nach Erhalt des HIV-positiv-Bescheids und lässt sich am Ende steif wie ein Brett dramatisch nach hinten fallen. Das deutsche Trio bleibt dagegen überraschend cool. Per Video werden Menschen einblendet, die über die Bedeutung des Wortes "Fairness" philosophieren.

Ansonsten ist die Bühne der Rampe-Halle leer. Erbarmungslos kahl. Keine Ausstattung gibt Halt. Die Jugendlichen schlagen sich wacker. Ein wenig steif wirken die Szenen. Brav tanzen Kenianer und Kenianerinnen zu Trommeldonner wilde Zulu-Tänze – in traditionellen Baströckchen die Frauen, die Männer mit nacktem Oberkörper. Gemeinsam skandieren sie brav mit den jungen Deutschen im Chor "Ich will in meiner Heimat bleiben". Brav rappt ein junger Mann "lasst das Blut aus dem Kaffee, mach deine Augen auf, ich kann wählen". Und brav tanzen am Ende alle fröhlich zu When I open my eyes, ein Song von Gerd Schuller und Bruckmeier, der ein wenig "We are the world"-Sentimentalität verbreitet. Alles gut gemeint.

Was aber wirklich nervt, ist Stephan Bruckmeier, der selbst mitspielt, gelegentlich Zuschauer auf die Bühne zerrt, um seinen politischen "Frontalunterricht" exemplarisch zu untermauern, und leider auch den Abend moderiert. Und wenn Bruckmeier erst einmal angefangen hat zu quasseln, hört er so leicht nicht mehr auf. Das riecht nach Selbstdarstellung, die auf Kosten der ernsthaft und engagiert agierenden jungen Darsteller geht, die in dieser Zeit mit nicht unbedingt glücklichen Mienen am Bühnenrand verharren. Bei allem Wohlwollen für solcherlei Projekte: Der Abend könnte wahrlich straffer sein.

 

Fair Deal – Fair Act – Fair Trade
Hope Theatre Nairobi & friends
Idee und künstlerische Gesamtleitung: Stephan Bruckmeier
Von und mit: Selma Abouleish, Benina Adhiambo, Monica Adhiambo, Urs Althaus, Pauline Akinyi, Monica Atieno, Terry Awiti, Stephan Bruckmeier, Michaela Finkbeiner, Peter Friedrich, Lucia Glaser, Marie Johannsen, Ingo Jooß, Lilly Kalka, Ephantus Kariuki, Douglas Kebengwa, Jasmin Kruezi, Anne Leiser, Niombo Lomba, Jelena Moser, Rajab Muraya, Shadrack Ogweno, Dieter Overath, Thomas Pfisterer, Thomas Preiß, Albie Sachs, Sylvia Schlettwein, Gerd Schuller, Katrin Schwarz, Nadir Sisman, Jonathan Strauch, Miriam Trostorf, David Waihumbu, Luise Weichelt, Petra Weimer sowie SchülerInnen der Freien Aktiven Schule Stuttgart.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.theaterrampe.de

 

Kritikenrundschau

Auf ein spektakuläres Bühnenbild wird verzichtet, die Requisiten wechseln und sind schon vor Beginn des Theaterabend auf der Bühne zu sehen", schreibt Stefan Sommer in der Stuttgarter Zeitung (18.4.2013). Die Schauspielsequenzen stellten zynisch eine bittere afrikanische Lebenswelt dar. Das Ensemble schaffe es lebensecht zu zeigen, was in den meisten Fällen nur als Fernsehbild vom schwarzen Kontinent (sic) bekannt sei. "Den jugendlichen Schauspielern und Tänzern gelingt es, in einem Mosaik der Anspielungen und Bilder, das Publikum zu rühren. Der Zuschauer wird zum Nachdenken gezwungen." Afrika trete als Kontinent jenseits der bekannten Muster vor Augen.

Kein klassisches Stück, sondern eine Aneinanderreihung von etwa 30 Szenen hat dl für die Stuttgarter Nachrichten (18.4.2013) gesehen. Diese Szenenbefassten sich mal mehr, mal weniger direkt mit dem Thema fairer Handel. "Da knirscht es zwar manchmal in der Abfolge, dennoch ist dieser Abend mit etwa 40 Darstellern äußerst abwechslungsreich in seiner Mischung aus Schauspiel, Gesang, Tanz und Videosequenzen." In diesem bunten Wirbel würden zahlreiche Themen angesprochen. Und in komplexeren Spielszenen kämen sich afrikanische und europäische Schauspieler sehr nahe. "Außerdem gibt es auch Lehrstücke, die zeigen, wer im weltweiten Handel wirklich Profit macht."

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