Schweizer Heimatfarce

von Annette Hoffmann

Basel, 19. April 2013. Es sieht aus wie echt. Auf der Bühne liegt eine Fläche aus Holz, die entfernt an das Territorium der Schweiz erinnert. Nach hinten steigt sie sanft an, um in Berggraten zu enden. Es könnte Edelholz sein (Bühne: Giovanna Bolliger). Doch echt ist hier nichts. Nachdem Flüchtlingsströme Europa durchzogen und Privatarmeen das Sagen haben, ist die Schweiz zu einem Themenpark geworden und steht kurz davor, zum Mythos ihrer selbst zu werden. Die Eidgenossen bevölkern den Park nur noch als Statisten. Eigentlich sind sie Angestellte der Firma Nippes & Nippes. Sie wissen es nur nicht, und wenn sie es wüssten, würde es keinen Unterschied machen: So ereignislos, so unaufgeregt harmlos, so beschützt haben sie schon immer gelebt.

Gabriel Vetter, im Rahmen des Schweizer Förderprogramms für junge Dramatik "Stücklabor Basel" Hausautor am Theater Basel, hat mit "Der Park" eine Farce über die Schweiz geschrieben. Es ist das erste Stück des 1983 geborenen Slampoeten, der 2006 mit 22 Jahren den renommierten Kabarettpreis "Salzburger Stier" gewann. Vetter macht aus dem Pittoresken ein Surrogat im Maßstab von fünf Achtel zu eins, so dass selbst das Matterhorn rollstuhlgängig wird.

Grundprinzip Simulation

Simon Solberg hat Regie geführt. Auf der Kleinen Bühne des Theater Basel sitzen Martin Hug, Joanna Kapsch sowie Jan Viethen und Paul Grill auf Kaffeehausstühlen und singen. Vor ihnen befindet sich ein Notenständer, neben ihnen stehen Wasserflaschen. Man trägt Smokinghosen zu schmalen Jacketts, alles ist sehr korrekt bis hin zum Sockenhalter und dem Kummerbund (Kostüme: Maike Storf). Das Rot des Einstecktuchs deckt sich mit dem der Sitzpolster der Stühle.

derpark3 560 simon hallstroem uIm Themenpark Schweiz © Simon Hallström

Links hat die Pianistin Barbara Lehr Platz genommen, dahinter sitzt Özgür Karadeniz am Schlagzeug. Nippes (Martin Hug) steht auf und erzählt im schönsten Schweizerdeutsch von den Alpen und Seen als Gated Community, von dem Rehkitz, das durch das Panorama hüpft und der perfekten Simulation der Wirklichkeit im Tourismus. Auf den Hausmeister Egge (Paul Grill), den Architekten Helf (Jan Viethen) kann er sich dabei ebenso verlassen wie auf den reflexartigen Protest von Mia (Joanna Kapsch). Nippes & Nippes macht seinen Umsatz mit Bodenminen und Prothesen.

Simon Solberg hat die Simulation zum Grundprinzip seiner Inszenierung erhoben. Mit Taschenlampen, die mal Paul Grills Bauch, mal die Wasserflaschen von unten beleuchten, werden mondhelle Sternennächte suggeriert. Wie überhaupt die Taschenlampen raffinierte Lichtstimmungen ergeben. Mit Stühlen und Notenständern hingegen wird die Schlacht von Sempach nachgestellt.

Archaische Spielwut

Und warum das Ganze? Weil sich mit Jürgen (Andrea Tortosa Vidal) eine Touristin in den Themenpark verirrt hat, die man nun glaubt betreuen und auch ein wenig melken zu müssen. Man ist so zuvorkommend, dass die Frau die ihr entgegen gestreckten Füße des Ensembles wie eine Stiege nutzen kann. Der Kabarettist Gabriel Vetter ist auch als Dramenautor pointensicher, liefert Stoff für schnelle Lacher und ist dabei wirklich komisch. Richtig neu, wenn auch sehr selbstironisch, ist die Idee vom Themenpark allerdings nicht.

derpark2 560 simon hallstroem uRomantischer Mondschein illuminierter Wasserflaschen © Simon Hallström

Simon Solberg spielt in seiner Uraufführung mit den Klischees von Heimat und Fremde. Die asiatische Touristin wurde mit der Tänzerin aus dem Ballett Basel Andrea Tortosa Vidal besetzt, die in schwarze fließende Stoffe gekleidet und mit einem Schleier bedeckt, die Fremde verkörpert. Sie schmiegt sich an die Themenparkbewohner, bleibt dabei meist wortlos oder spricht Spanisch oder ein kurzangebundes Englisch. Sie lädt zu zärtlichen Pas de deux ein und gibt viel Ausdruckstanz zum Besten. Das wirkt so isoliert wie eine Fliege in Bernstein und hinterlässt zudem den Eindruck, Solberg traue dem Text nicht.

Özgür Karadeniz (von sehr trockenem Humor) hingegen ist nicht allein für die Popsongs und die Weltmusik durch Gesang und Schlagzeug verantwortlich, er stellt auch einen Biber dar, der aus den Potemkinschen Dörfern des Parks einen Damm baut – ohne jegliche symbolische Absichten, einfach weil Biber Dämme bauen. Mitunter kippt die Groteske vom Agilen in eine anarchische Spielwut, die kaum von der Rampe gebremst wird. Auch so kann man Text verbrennen. Ganz ungetrübt ist dieses Vergnügen nicht, wenn auch ein garantiert kurzweiliges.

 

Der Park (UA)
von Gabriel Vetter
Regie: Simon Solberg, Bühne: Giovanna Bolliger, Kostüme: Maike Storf, Dramaturgie: Volker Bürger, Licht: HeidVoegelinLights.
Mit: Paul Grill, Martin Hug, Joanna Kapsch, Özgür Karadeniz, Barbara Lehr, Andrea Tortosa Vidal, Jan Viethen.
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Slam-Poet Gabriel Vetter habe "ein richtiges Stück abgeliefert" und  man müsse "ihm durchaus nicht raten, dass es am besten auch sein letztes bleiben soll", meint Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (22.3.2013). Vetter spiele im "Park" "gekonnt mit dem Sprachgewäsch aus allen Etagen, persifliert Betroffenheits- und Selbstgefälligkeitsattitüden und entwirft damit so etwas wie eine boshaft-vergnügliche Mentalitätsstudie. Da ist kaum etwas inhaltlich wirklich neu, aber es ist frisch und frech gemixt und geschüttelt, süffig und nicht zu schwer im Abgang." Das Stück habe "einen klaren dramaturgischen Bogen, schafft Figurenkontraste und ein katastrophisch abgefedertes Finale". Die Regie von Simon Solberg hingegen mache das, "was sie immer macht. Sie benutzt die Texte, ob von Schiller oder Vetter, als Trampolin, um darauf die eigenen Purzelbäume zu schlagen. Kann man ja machen. Das Problem dabei: Solberg will lustiger sein als Vetter. Er haut überdeutlich drauf, streicht auch unnötig ein, stellt um und baut Erfindungen ein, die als schwerfällige Bremser wirken."

"Der Park" sei "noch nicht ganz perfekt" und trage "in der Versuchsanordnung sowie deren inszenatorischer Umsetzung einige kleinere 'Kinderkrankheiten', also dramaturgische Schwächen und Ungereimtheiten oder riskante Manöver und Fallstricke in sich", meint Tara Hill in der TagesWoche (20.4.2013). Dann aber räumt sie ein, dass ihre "zaghaften Versuche, das Stück mit adäquater kritischer Distanz zu rezensieren, ultimativ ins Leere" schlügen. "Denn grundsätzlich ist Vetter mit 'Der Park' ein grosser, ja geradezu kühner Wurf gelungen." Es sei "die brillante Verknüpfung eines dystopischen Szenarios einer (leider nicht allzu) fernen Zukunft mit einem unbestechlichen und unbarmherzigen Blick auf typische, wenig rühmliche Schweizer Eigenarten und Verhaltungsweisen, die er zu einer brüllend komischen, schwarzhumorig-satirischen Parabel zusammenbraut, die von Anfang bis Schluss durchgehend zu unterhalten, amüsieren und fesseln vermag, aber gleichzeitig stets auch offen politisch Farbe bekennt."

Ein "munteres Schweiz-Cabaret" habe Gabriel Vetter verfasst, sagt Andreas Klaeui auf der Onlineplattform des SRF (22.4.2013). Bei Simon Solberg werde "eine Safari der Schweizer Klischees zwischen Käse und Milchschokolade, Rütli und Réduit". Der Abend sei "albern und verspielt", habe "ulkigen Charme", "verweilt ausgiebig beim Spintisieren", aber "bleibt bei allem Wortwitz am Ende doch dünn in der Substanz und holprig im Rhythmus". Vor allem zeige sich "eine diffuse Befindlichkeit, ein Unbehagen in einer saturierten Rebellionskultur und eine romantische Sehnsucht nach Bewegung, nach idealistischer Authentizität".

"Wie konnte der Slampoet als Dramatiker fürs Erste dermassen scheintern?", fragt Jean-Martin Büttner im Tages-Anzeiger (22.4.2013). Das liege auch an Simon Solbergs Inszenierung: Zwar werde mit einem Minimum an Reqisiten einfallsreich gespielt, bald aber auch chargiert. "Schon vor der Hälfte des Stücks fällt die Handlung auseinander, zuletzt kolabiert es unter der Macht seiner Symbolik."

Ähnlich Simon Aeberhard in der Basler Zeitung (22.4.2013): Schnell gehe die dramaturgische Zugkraft verloren. "Wie die hölzerne Schweiz läuft auch die Satire aus den Fugen und demontiert sich zunehmend selbst." Solberg gelinge es nicht, Spoken Word Perfromance und Spiel "unter einen stimmigen Theaterhut zu bringen."

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