These, Szene, Song

von Steffen Becker

Karlsruhe, 24. April 2013. Das Lied kommt gar nicht vor, obwohl man es im Studio des Karlsruher Staatstheaters ständig im Ohr hat. "Männer sind furchtbar stark (...) Männer sind so verletzlich", singt Herbert Grönemeyer also nicht. Doch genau das ist das Thema von Klaus Theweleits Soziologieklassiker "Männerphantasien". Regisseur Patrick Wengenroth hat die beiden Bände für die Reihe "philosophisches Theater" eingedampft. Als Einmarschmusik hat er sich für "I am a loser baby, so why don't you kill me?" von Beck entschieden und lässt seinen Klaus (gespielt von Klaus Cofalka-Adami) proklamieren, dass dies ein Abend für Frauen und Männer, ausschließlich über Männer sei.

Maennerphantasien hoch FelixGruenschloss uDer junge Mann und sein Bär 
© Felix Grünschloß
Beides ist eine Finte. Gekillt wird nicht der Loser Mann, sondern die vier Frauen, die erklären warum er einer ist. Dabei reden sie vor allem über Frauen und warum sie vom Mann als feindlich betrachtet werden, bzw. das Weibliche an sich – egal, ob in der Erscheinungsform weiblicher Körper, im Unterbewusstsein oder Kommunismus.

Der Mann als Roboter

Theweleits 1977 bahnbrechende These erklärte den Faschismus nicht historisch, sondern psychoanalytisch: Der "Mann" strebt nach einem soldatischen Ideal, in dem die Physis eine bedeutungslos gewordene (feminin konnotierte) Psyche in einen Körperpanzer einsperrt und beherrscht. Der ideale Mann ist nur stark und nicht verletzlich. Der Autor verband dabei mehrere Forschungsgebiete, Verweise auf Popkultur und Musik sowie als Materialgrundlage Romane, Autobiografien und Protokolle von Freikorpssoldaten.

Regisseur Wengenroth treibt für sein Bühnen-Extrakt Theweleits Collageprinzip auf die Spitze. Der Abend folgt im wesentlichen dem Dreiklang These, Szene, Song (zur heiteren Auflockerung). Zum Beispiel: Der soldatische Mann ist im Grunde ein Roboter, Klaus Cofalka-Adami wird seiner Jedermann-Klamotten entkleidet und tanzt im Glitzerhemd – zur Musik des youtube-Hits "Gangnam Style". Das ist gut gemacht, mit raffiniert gestalteten Übergängen und sehr unterhaltsam. Gleichzeitig ist es auch das Problem des Abends: Zu viel Parodismus, der gedehnt auf fast zwei Stunden ermüdet.

Ein bisschen Breivik, ein bisschen Schirrmacher

Die vier Frauen (Veronika Bachfischer, Shari Crosson, Ursula Grossenbacher und Lisa Schlegel) lesen die Theweleit-Texte in den verkümmerten Frauenbilder-Rollen des soldatischen Mannes – Hure, Heilige (Krankenschwester) und Mutter. Das überträgt sich auf die Darbietung, die sich zu oft auf Spott in Form von Erotikfilm-Sprechweisen erschöpft. Nur selten können sie aufblitzen – etwa, wenn Shari Crosson großes Talent als Gangster-Rapperin beweist oder Ursula Grossenbacher souverän wechselt zwischen Mutter und Offizierin-Domina, als sei sie einem alten Bond-Film entsprungen.

Maennerphantasien 560 FelixGruenschloss u"No Woman no cry?" © Felix Grünschloß

Allzu vielschichtig geraten auch Wengenroths Versuche nicht, Theweleits Thesen aufs Heute anzuwenden. Ein bisschen Anders Breivik (der soldatische Mann), ein bisschen Frank Schirrmacher (Deutschland wird längst beherrscht von Frauen, ohne dass die Männer es merken) – es geht fast unter zwischen all den Liedern.

Philosophische Nummernrevue

Zu großer Form läuft der Abend dafür noch einmal am Ende auf. Dann rückt Wengeroth den Autor selbst in den Mittelpunkt. Klaus Cofalka-Adami reflektiert Klaus Theweleits Ringen mit dem Buch, das es ihm aber leider unmöglich machte, seinen Sohn gemeinsam mit seiner Frau zu betreuen. Er redet sich in Rage über die inhaltlichen Anmerkungen seiner Gattin, über ihre Ambivalenz, die seine mit großen Formulierungen geadelte Eindeutigkeit in Frage stellt. Wie lebt man zusammen? Diese Frage wirft er in den Raum, quittiert sie mit einem Achselzucken und sitzt trotzig auf einem Schemel, während die Frauen "No woman, no cry" singen.

Hier läuft dann auch Cofalka-Adami zu Höchstform auf, greift über den Typen hinaus, der die Frauen ständig erschießt, sobald sie unangenehme Wahrheiten aussprechen. Hier bietet er bar jeder Übertreibungen Identifikationsmöglichkeiten für die männliche Hälfte des Publikums. Wenn selbst der Analytiker im Alltag ins Schleudern kommt, was heißt das dann für die Männer, die im Zuge von Elternzeit erst eine Ahnung von Hierarchie-loser Partnerschaft bekommen haben? Im Studio des Staatstheaters werden sie diese Frage leider schnell wieder verlassen.

Zum Schluss stellt Regisseur Wengenroth nämlich den wahren Freund des Mannes vor und lässt aus dem Bühnennebel einen Wallach treten. Ein Wow geht durch die Reihen, aber es ist ein Staunen über einen gelungenen Effekt, der inhaltlich verzichtbar wäre. Er setzt den Schlusspunkt unter eine gelungene philosophische Nummernrevue. Beziehungen zerstören wie es die Diskussion um die Erkenntnisse des Buches laut Klaus Theweleit getan hat, wird der Abend nicht. Er regt an, über die beste Tanzeinlage und die Songauswahl zu diskutieren, weniger über die Frage, wie sich der Faschist im Partner zeigt.

 

Männerphantasien
von Patrick Wengenroth nach dem gleichnamigen Buch von Klaus Theweleit
Regie: Patrick Wengenroth, Künstlerische Mitarbeit: Vivien Mahler, Bühne und Kostüme: Sabine Kohlstedt, Musik: Matthias Kloppe, Dramaturgie: Kerstin Grübmeyer.
Mit: Veronika Bachfischer, Shari Crosson, Ursula Grossenbacher, Lisa Schlegel, Klaus Cofalka-Adami, Johannes Mittl (Musiker).
Dauer: knapp 2 Stunden, keine Pause

www.staatstheater.karlsruhe.de

 

Alles über Patrick Wengenroth auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Martin Halter schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.4.2013): Klaus Theweleits "Männerphantasien", diese "filmische Collage mit Blenden, Close-ups, elaboriertem Soundtrack und 'Theorie-Takes' ", passe gut ins Karlsruher Programm. Der "Theorie-Szeniker" Wengenroth erarbeite eine "entspannte szenische Re- und Dekonstruktion", "aufgerauht mit Tiraden von Anders Breivik", kleinen Späßchen, Freudschen Versprechern und disparatem Liedgut. Die vier Frauen seien inkarnierte Männerphantasien, die die Bedrohung des männlichen Körperpanzers durch die "ozeanisch entgrenzte Frau" illustrierten. Klaus Cofalka-Adami als Theweleit sehe seine Männerphantasien von der "gewaltfrei fließenden, naturgemäß antifaschistischen Frau" ungläubig "staunend Fleisch und Widerspruch werden". Gelegentlich ermanne er sich und erschieße sie mit seinem "phallischen Gewehr". Das Ganze sei so etwas wie ein "Marthaler-Liederabend für alte Kämpfer und neue Männer an der Geschlechterfront, nicht tief schürfend oder revolutionär, aber doch überwiegend heiter".

Judith von Sternburg schreibt in der Frankfurter Rundschau (26.4.2013) der Kampf der Geschlechter habe "unterhalb der ernsthaften Auseinandersetzung immer auch Schau- und Unterhaltungswerte" gehabt. Auf die lege es Patrick Wengenroths Abend an. Der scheine einen "Volkshochschulkurs Männerphantasien" mit Schlagern zu kombinieren – darunter offnbar alle Klaus-Schlager, die aufzutreiben gewesen seien. Der Versuch, den Text in die Gegenwart zu öffnen, über den Fall Breivik oder den Autor Schirrmacher, sei schwach, weil zu nahe liegend. Frauen dominierten das Geschehen und bedienten dabei "äußerlich alle Klischees von der Putzfrau über die Hure bis zur edlen (aber auch sexy) Krankenschwester" mit "großer Gemütsruhe". Klaus habe offenbar "allenthalben die Möglichkeit, die vier Frauen zu erschießen", allerdings erweise sich auf die Dauer, dass die Frauen sich auch nur erschießen lassen, wenn sie selbst das wollten. Das finde Klaus nicht lustig und das Publikum erkenne: "Es steckt ein Rumpelstilz im Manne."

"Dass Wengenroth sich eines Werks aus den späten 70ern annimmt, hat möglicherweise auch mit Sehnsucht zu tun," schreibt Viktoria Grossmann in der Süddeutschen Zeitung (27.4.2013). "Mit der Sehnsucht nach einer diskussionsfreudigen Zeit, in der 35-Jährige über die Landesgrenzen hinausreichende Debatten anstoßen konnten. Etwas, das heute, wie es kürzlich ein ganzes Zeit-Dossier beschrieb, kaum noch möglich erscheint, da noch immer die 30-Jährigen von damals als Meinungsführer auftreten". Jetzt den "alten Theweleit auszukramen" passt aus Sicht der Kritikerin daher weniger zur abklingenden Sexismus-Debatte als zum ewigen Retro der jungen Generation: in der Mode, im Fernsehen, in der Einrichtung. Vor allem die Frauen des Stücks geben dem Abend dem Eindruck der Kritikerin zufolge Tempo und Witz geben. Insgesamt mache Wengenroth aus der alten, hitzigen Debatte das, wofür sie so gern gerügt werde: Spaß. Und eine ungewollte Parodie.

 

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